Polizisten sind immer häufiger Zielscheibe brutaler Gewalt

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 11.02.2009

Neben den täglichen Meldungen zur weltweiten Wirtschaftskrise mit ihren Entlassungen, Insolvenzen und Kurzarbeit sollte diese Meldung nicht untergehen und die Frage nach den Ursachen aufwerfen:

Drastisch steigen gewaltige Attacken auf Polizeibeamte in vielen Bundesländern. Rund um die Reeperbahn gehe es inzwischen "nur noch um Gewalt." In Nordrhein-Westfalen gab es 2008 ca. 6.400 Fälle von "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte". Im Vorjahr waren es noch 5.320 Fälle und 1998 "nur"  3.200 Fälle. Seit 1998 hat sich die Zahl der Übergriffe in N-W also zwischenzeitlich verdoppelt. In anderen Bundesländern  verläuft die Entwicklung ähnlich.

Fast möchte ich schreiben "wie üblich" kommt Forderung nach einer drastischen Strafschärfung des § 113 StGB (so die Polizeigewerkschaft und der Hamberger Innensenator, der dies bei der nächsten Innenministerkonferenz im Juni zum Thema machen will). Auch eine massive Strafschärfung wird an der Entwicklung nicht viel ändern, wenn wir nicht nach den Ursachen dieser besorgniserregenden Entwicklung fragen!

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10 Kommentare

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Leider ist die Meldung recht einseitig. Man erfährt nicht, in welchen Konstellationen Gewalt gegen Polizeibeamte ausgeübt wird. Auch kann § 113 StGB nicht nur durch brutale Gewalt, sondern bereits durch Verweigerung einer Blutentnahme verwirklicht sein.

Ausgangspunkt ist doch Folgender:
Die Polizei hat in ihrer täglichen Arbeit nicht unbedingt mit den zahmsten und umgänglichsten Menschen zu tun. Von daher liegt doch auf der Hand, dass da von vornherein ein Konfliktpotenzial besteht.
Man kann schon sagen, dass es in gewissem Maße zum Berufsrisiko gehört, auch angegriffen zu werden.

Was bei diesem Thema allerdings gerne verschwiegen wird, ist doch aber der Umstand, dass Polizeibeamte in zunehmendem Maße auch aggressiver gegen Verdächtige vorgehen. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn häufiger erlebt, wie Beschuldigte glaubhaft geschildert haben, dass die Polizei bei der Festnahme härter als notwendig hingelangt hatte. In einem Fall hat mir dies sogar ein unabhängiger Zeuge geschildert. Die Beamten haben dies als Zeugen vor Gericht bestritten. Der Zeuge bekam ein Verfahren wegen Falschaussage und falscher Verdächtigung. Es ist leider auch Realität in deutschen Gerichtssälen, dass Polizeibeamte uneingeschränkt die Wahrheit sagen und der Beschuldigte immer lügt.

Es ist wie auch in anderen Lebenssituationen: Der Ton macht die Musik. Das kann aber nicht nur für den Bürger gelten, sondern dies muss auch für die Polizei gelten. Ein weitere Beispiel: Polizei kommt zu Verkehrsunfall. Der Anrufer weist einen der Beamten freundlich darauf hin, dass am Dienstfahrzeug ein Schweinwerfer defekt ist. Reaktion des Beamten: "Was geht Sie das an?"

Abschließend als letztes Beispiel vielleicht noch das hier: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/01/19/gehen-dich-einen-sch...

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Sehr geehrter Herr Kollege v. Heintschel-Heinegg,

in der Tat ein ungewöhnlicher, möglicherweise auch Besorgnis erregender Anstieg der Zahlen in NRW. Die bundesweite Zählung (allerdings bisher nur bis 2007 erhältlich) weist ebenfalls eine Steigerung auf, wenn sie auch geringer ausfällt:
Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in der PKS
1998: 22025
2007: 26782
(in der zit. Nr. 6210 der PKS sind auch noch die Fälle der §§ 111, 114, 120, 121 StGB einbezogen, haben jedoch zahlenmäßig geringe Bedeutung).
Zu bemerken ist, dass der Widerstand nahezu ausschließlich (naturgemäß) von der Polizei selbst registriert wird, so dass eine Änderung der "Registrierempfindlichkeit" (ab welcher Intensität des Widerstands wird dieser als Straftat registriert) unmittelbar auf die statistische Häufigkeit durchschlägt. Gibt es etwa die Anweisung eines Vorgesetzten bestimmte Dinge nicht mehr zu ignorieren, sondern ab jetzt konsequent zu ahnden, steigt unmittelbar die statistische Anzahl, auch wenn sich an den Vorfällen real nichts geändert haben mag. Auch die Häufigekeit von Ereignissen mit potentiell hoher Anzahl von Einzelfällen (man denke etwa an Demonstrationen, BL-Fußballspiele, Volksfeste) schlagen sofort durch. Steigt ein Verein in die Liga auf oder ab, kann sich das statistisch an diesem Ort bei § 113 bemerkbar machen, je nachdem wie viele entspr. Anhänger der Verein mitbringt.
Wenn man von solchen Punkten absieht, könnten bei der Erklärung des Anstiegs natürlich auch soziale Veränderungen und insbes. Veränderungen im Verhältnis zwischen Polizei und Bürger eine Rolle spielen. Interaktion ist keine Einbahnstraße; allerdings haben sich die Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt (sozusagen das "Gegenüberdelikt") während dieser Zeit nicht deutlich erhöht. Die Statistik gibt leider nur ein paar dürre kriminologische Anhaltspunkte:
Widerstand ist kein Jugenddelikt, er wird meist von männlichen allein handelnden Personen über 21 Jahren geleistet, in 2/3 der Fälle wurde der Täter als alkoholisiert oder unter anderem Drogeneinfluss stehend registriert.

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@ben
Ihr posting hatte ich noch nicht gelesen, als ich meinen Beitrag verfasste. Mein Hinweis "Interaktion ist keine Einbahnstraße" sollte auf den von Ihnen angesprochenen Zusammenhang hinweisen. Leider fehlen gerade bei diesem Delikt nähere Angaben zum Opfer - interessant wäre etwa Alter/Dienstalter, da ich schätze, dass erfahrenere Polizeibeamte weniger betroffen sind, da sie geübter sind darin, Situationen von vornherein zu entschärfen. Auch die Art des Einsatzes (z.B. als Bereitschaftspolizeikraft oder als Streifenpolizist im Verkehrsüberwachung) gäbe Anhaltspunkte für Situationen, in denen Widerstand häufiger auftritt. Leider kann ich (wenn dies auch statistisch unerheblich ist) Aufklärungsprobleme bei Körperverletzung im Amt aus eigener Erfahrung bestätigen.

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Sehr geehrter Herr Ben, lieber Herr Kollege Müller,

aus der Presse konnte ich nur die nackten Zahlen entnehmen; diese lassen jedenfalls aufhorchen.

Wie schon von Ihnen angesprochen, sollte doch der nächste Schritt sein, nach den möglicherweise vielfältigen Ursachen dieser Entwicklung zu fragen, bevor man die "Lösung" in einer massiven Strafverschärfung sucht und damit die Ursachenfrage als erledigt abhakt. Deshalb bin sehr dankbar, dass Sie sich, lieber Herr Müller, als Kriminolge gleich zweimal in die Diskussion eingeschaltet haben. Kriminologisch ist die Frage doch sicher sehr interessant und wohl aktuell noch nicht "geklärt". Vielleicht findet sich auf diesem Weg ein Doktorand zum Thema.

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Gerade heute in der ARD ein Beispiel gesehen wie Polizisten sich (falsch) verhalten. Verdächtige werden grundsätzlich geduzt, nicht über ihre Rechte belehrt ("Du sagst mir jetzt wo das Messer ist, sonst wird es nur noch schlimmer"), ein (zugegebenermaßen betrunkener) Mann, der sein Handy in den Büschen verloren hat, wird ein Platzverweis erteilt, und kommt natürlich 10min später wieder um sein Handy zu suchen. Auf die Idee, das Handy anzurufen, kommen diese Musterpolizisten nicht, statt dessen wird der Mann verhaftet so dass ein Jobverlust droht, sein Handy wird inzwischen wohl vergammeln.

So pflegt man sich ohne sachlichen Grund die Feindschaften zu Leuten die ohnehin "reizbar" sind.

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Bei solchen Reportagen sieht man als Jurist eigentlich immer nur Fehler oder Verhältnismäßigkeits-Probleme. Man muss auch etwas Lebenswirklichkeit zulassen.

Wenn ein Betrunkener halb ausrastet, weil er sein Handy nicht finden kann und sich nicht in einem konstruktiven Dialog mit der Polizei äußern kann, dann muss halt etwas getan werden. Weiter rumpöbeln/belästigen ist für eine Gefahrenabwehrbehörde ebend keine Alternative und wenn dieser Mann nicht einmal die Tragweite eines Platzverweises versteht, dann gibt es darauf ebend Konsequenzen. Die Polizei ist nicht der persönliche Sachensucher von Betrunkenen. Wenn die Beamten vor Ort den Betrunkenen als Gefahrenquelle einordnen, dann ist sein Handy nunmal zweitrangig.

Was mir immer wieder bei solchen Reportagen auffällt: Die Deutsche Polizei ist doch sehr zurückhaltend. Da werden Gespräche über Dinge geführt, die nicht mehr zu diskutieren sind. Wenn sich beispielsweise wie in der besagten Dokumentation ein Festgenommen wehrt in den Wagen der Streife einzusteigen und zwei "Polizeidamen" ihn reindrücken wollen, macht sich meines Erachtens die Polizei sehr lächerlich. Man kann ja im Vorfeld einer polizeilichen Maßnahme reden und beruhigen, aber beim Vollzug gibt es da keinen Spielraum mehr für eine "liebe" Behandlung wie im Beitrag gesehen. Das ist nicht nur ineffektiv (ein männlicher Beamter musste "mitdrücken"), sondern im höchsten Maße unprofessionell; denn gerade in solchen Situation wird die Eigensicherung vernachlässigt und vor allem der gesetzliche Rahmen nicht ausgenutzt. Es gibt kein Widerstandsrecht gegen eine konkrete Maßnahme, siehe § 113 StGB.

Natürlich ist es gut, dass wir keine "Schlägerpolizei" haben, die erst zuschlägt und dann fragt (wie man es manchmal in den USA sieht), aber oft macht sich die Polizei kleiner als es ihr gut tut und sie es muss.

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Zum Thema "mitdrücken" - die "amerikanische" Alternative wäre den Mann zusammenzuschlagen oder wenigstens den Stock in den Bauch, mit entsprechenden Risiken. Da ist das Deutsche "zu dritt ins Auto drücken" doch besser. Wobei mich wunderte, dass dieser "Problemkunde" keine Fussfesseln bekam, und warum nicht eine "Wanne" http://www.kanzlei-wanne.de/ o.ä. als Transportmittel verwendet wurde, sondern ein "kleines" Auto.
Zu dem Betrunkenen - man hätte ihn ja Handschellen anlegen können und dann das angeblich verlorene Handy anrufen. Das wäre ein Beitrag zur Deeskalation gewesen, und der Mann hätte nicht das nächste Verbrechen begangen (nach dem Platzverweis).

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In der Tat ist es die zunehmende "Unsicherheit" auf Seiten der Polizei, die m.E. zu Eskalationssituationen und mangelnder Akzeptanz führt. Über die Gründe für die Unsicherheit kann man getrost diskutieren.
In jedem Fall fällt mir als Bürger und auch beruflich der Umgang mit einem halbwegs beruflich und persönlich gestandenen Beamten, der auch in der jeweiligen Kommune verwurzelt ist, leichter als mit einem von weither angeworbenen Jüngling, der mir die Welt erklären will. Es ist wohl in der Tat so, dass in sozial schwierigen Gebieten berufliche und menschliche Greenhorns zum Dienst am Bürger auf selbige losgelassen werden.

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