Wenn das Kind mit dem Fahrrad gegen das stehende Auto fährt: Kein Schadensersatz

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 17.02.2009

Der BGH hat nochmals die Bedeutung des Haftungsprivilegs des § 828 Abs. 2 BGB unterstrichen. In einem bereits älteren Beschluss, jetzt auch veröffentlicht in NZV 2009, 77.

Der verkürzte Sachverhalt: Der Kläger verlangte Schadensersatz aufgrund eines Schadens durch eine Kollision der zum Unfallzeitpunkt achtjährigen beklagten Radfahrerin. Sie war gegen eine geöffnete Fahrradtür Fahrzeugtür gefahren. Nach Klageabweisung durch Amts- und Landgericht war auch die Revision zum BGH erfolglos.

 

Der BGH hierzu:

"Die Instanzgerichte haben zu Recht schon auf Grund des Klägervortrags eine typische Überforderungssituation für die Bekl. bejaht. Im Unterschied zu den Fallgestaltungen, bei denen der erkennende Senat das Eingreifen des Haftungsprivilegs verneint hat, kann man unter den hier gegebenen Umständen schon nicht davon ausgehen, dass der Kl. sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Dem steht entgegen, dass die hinteren Türen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite zum Zeitpunkt der Kollision offen standen und sich unstreitig sowohl der Kl. als auch der Zeuge E an den geöffneten Türen befunden und sich bewegt haben. Dies schuf eine besondere Gefahrenlage für das als Verkehrsteilnehmer auf der Straße fahrende Kind, wie das BerGer. zutreffend ausgeführt hat. Da es zudem erst 20 m vor diesem Fahrzeug aus einer anderen Straße eingebogen war, liegt insgesamt eine typische Fallkonstellation der Überforderung eines Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr vor."

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6 Kommentare

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Ja, ein schöner Freud - ich habe heftig über die schöne Wortschöpfung geschmunzelt. Korrektur: natürlich.. :-)

Ich wünsche noch einen schönen Abend!

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Der BGH geht im Ergebnis einen Schritt in die richtige Richtung, ein klares Wort zu den eigenen Fehlurteilen und eine rechtsdogmatisch befriedigende Herleitung der Entscheidung wäre aber besser.
Kinder, die das 7., aber noch nicht das 10. Lebensjahr vollendet haben, sind nach § 828 Abs. 2 BGB nicht für den Schaden verantwortlich, den sie einem Anderen bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder einer Schienenbahn zufügen. Obwohl der Gesetzeswortlaut nicht zwischen fließendem und ruhendem Kfz-Verkehr unterscheidet, gab es bald Rechtsprechung, die Unfälle mit stehenden Kraftfahrzeugen pauschal von der Neuregelung ausnimmt und das Kind haften lässt (AG Sinsheim, NJW 2004, 453; AG Grünstadt, ZfS 2004, 352; AG Rockenhausen, ZfS 2004, 352; LG Koblenz, NJW 2004, 858; LG Heilbronn, NJW-RR 2004, 1255). Der BGH hieß diese Rechtsprechung entgegen dem klaren Wortlaut der Gesetzesregelung und entgegen ihrem Sinn und Zweck zunächst jedenfalls bei "ordnungsgemäß" abgestellten Kfz gut (BGH, NJW 2005, 354; BGH, NJW 2005, 356; BGH, NZV 2005, 185). Das führte allerdings zu unauflöslichen Wertungswidersprüchen bei Unfällen mit anderen stehenden Kfz, das Gesetzeswidrige einer solchen Rechtsprechung ist kaum zu leugnen (Elsner, DAR 2004, 132; Wagner in MüKo BGB, § 828 Rz. 6; Pardey, DAR 2004, 502f; Jaklin/Middendorf, VersR 2004, 1106; Notthoff/Schub, ZfS 2006, 183ff). Dementsprechend hat der BGH bei nächster Gelegenheit geurteilt, § 828 Abs. 2 BGB gelte jedenfalls dann doch, wenn das Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr (nur) "verkehrsbedingt" hält (BGH, NJW 2007, 2113). Die Unterscheidung zwischen stehendem und fahrendem Kfz, die der BGH in seinen ersten Entscheidungen entgegen Gesetzeswortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte und Normzweck eingeführt hatte, hatte er damit aufgegeben. Der von ihm überhöhte Aspekt der Geschwindigkeit, der laut Gesetzesbegründung nur einer von mehreren war (BT-Drucks. 14/7752, 16, 26; BR-Drucks. 742/01, 36), hätte auch nicht die gesetzliche Unterscheidung zwischen motorisiertem und nichtmotorisiertem Verkehr erklären können, sobald das Kfz Fußgänger- oder Radfahrer-Tempo fährt.
Nun reicht es nach der Ansicht des BGH auch aus, wenn beim ruhenden Verkehr das Aussteigen der Autoinsassen noch nicht ganz abgeschlossen ist, die (hinteren) Türen auf beiden Seiten des Wagens noch offen sind und sich die Insassen noch dabei befinden und das Rad fahrende Kind erst 20 Meter zuvor auf diese Straße einbog. Ein Blick in die StVO lehrt, dass all das keinen Einfluss auf das Ordnungsgemäße des Parkens hat. Im Ergebnis bedeutet diese Konstruktion des BGH nur, dass er nun auch von dem angeblich entscheidenden Kriterium "ordnungsgemäß" abrückt. Es bleibt abzuwarten, wann der BGH einen Fall zu beurteilen hat, wo nur eine Tür des Wagens offen stand oder das Kind 50 Meter zuvor einbog.
Der BGH behauptet zwar, die maßgeblichen Grundsätze seien geklärt, aber auch die vorliegende Entscheidung lässt offen, warum das StVO-rechtlich ordnungsgemäß geparkte Kfz haftungsrechtlich nicht ordnungsgemäß geparkt gewesen sein soll, und auch, ob die darin genannten Gründe kumulativ vorliegen müssen. Zahllose weitere Fallgestaltungen lassen sich ausmalen. Zwar scheint der BGH gemerkt zu haben, was er mit seinen ersten Entscheidungen zu der Neuregelung angerichtet hat. Er sammelt nun Einzelfall für Einzelfall seine Rechtsprechung wieder ein und ersetzt sein Kriterium vom stehenden oder ordnungsgemäß geparkten Kfz durch das Kriterium der "typischen Fallkonstellation der Überforderung eines Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr", die sich "realisiert", aber nicht "ausgewirkt" haben müsse. Klarheit schafft er indessen damit nicht.
War nach den ersten BGH-Urteilen zum neuen § 828 Abs. 2 BGB noch zu befürchten, dass die Diskussion sich damit für die Praxis erledigt habe, gibt es nun aber immerhin Hoffnung, dass der BGH seinen Ansatz von der teleologischen Reduktion wieder aufgibt und das gesetzlich Geregelte und Gewollte zulässt. Die oft zu lesende pauschale Auffassung, der neue § 828 BGB gelte nur bei sich bewegenden Kfz und Bahnen ist jedenfalls mit der vorliegenden BGH-Entscheidung jedenfalls vom Tisch. Auch beim Unfall mit stehendem Kfz hat das Kind im Prozess wieder Aussicht auf Erfolg, wenn es sich auf das Gesetz beruft.

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Das Urteil ist doch schon im Juli 2008 unter der Überschrift "BGH stärkt Haftungsprivileg von Kindern" erschöpfend diskutiert worden:

http://www.blog.beck.de/2008/07/10/bgh-starkt-haftungsprivileg-von-kinde...

Nur weil es nun in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde, entsteht m.E. kein Bedarf für einen weitern Eintrag im Beck-Blog. Ggf. sollte wenigstens auf die frühere Diskussion hingewiesen werden. Die Links unter "Beiträge zu ähnlichen Themen" erfüllen diese Aufgabe eher nicht (oder wenigstens nicht dauerhaft).

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Sehr geehrter DrFB
Da haben Sie vollkommen recht. Den Beitrag im Blog von Herrn Kuhnert hatte ich damals sicher auch gelesen. Bevor ich einen Beitrag einstelle schaue ich zwar immer nach Überschneidungen, aber zugegebenermaßen nicht so weit zurück. Und (das gebe ich zu) ich hoffe immer, dass die "Beiträge zu ähnlichen Themen" ebenso so etwas verhindern.
Andererseits: So schlimm ist das wohl doch nicht, weil ja mit zunehmendem "Blogalter" auch die Leserzahlen steigen und damit die meisten Leser die Überschneidung nicht bemerkt haben...
Auf jeden Fall: Danke für den Hinweis!

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