Rechtsausschuss des Bundesrats für Erhöhung der Haftentschädigung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 21.02.2009

Die seit 22 Jahren gemäß § 7 Abs. 3 Strafverfolgungsentschädigungsgesetz (StrEG) unverändert bei nur EUR 11 pro Tag liegende Entschädigung (diese Gesetzessprache wirkt befremdlich; natürlich ist ein Tag Freiheit nicht in Geld aufzuwiegen, zumal wenn der Betroffene noch sieben Euro je Tag für das erhaltene Essen und die Haftraumunterkunft zahlen muss) für unschuldig erlittene Haft soll auf EUR 25 erhöht werden. Ein entsprechender Gesetzesantrag von Rheinland-Pfalz ist im Bundesrat auf eine breite Mehrheit gestoßen. Der Gesetzentwurf soll mit Unterstützung des Bundesjustizministeriums (BMJ)alsbald in den Bundestag eingebracht werden. Das BMJ überließ die Initiative den Ländern, weil diese die Haftentschädigung auch bezahlen müssen.

Die zu Unrecht Inhaftierten haben keine Lobby, aber zumindest der Deutsche Anwaltverein fordert eine Verzehnfachung des gegenwärtigen Betrags, also eine Erhöhung auf mindestens EUR 100; ein Betrag, mit dem der Rechtsstaat seiner Verantwortung besser nachkommen würde.

Wie viele Menschen aufgrund von Fehlurteilen unschuldig inhaftiert werden, ist nicht bekannt.

In Rheinland Pfalz ist in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich pro Jahr für 3.062 Tage Haftentschädigung gezahlt worden. Pro Jahr waren dies durchschnittlich EUR 33.702.

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8 Kommentare

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Besten Dank für den Link!

Zum Fehlurteil gibt es hervorragende wissenschaftliche Arbeiten, die - obwohl einiges davon zeitlos ist- jedoch leider älter sind. Das Thema verlangt es "eignetlich", aktuell wissenschaftlich untersucht zu werden. Dazu wird aber Material benötigt. Deshalb sind solche Fundstellen/Hinweise sehr wichtig.

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Eine Erhöhung der Entschädigung ist sicherlich angemessen und längst überfällig. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es teilweise ein sehr langer Weg ist, bis man überhaupt die Bestätigung bekommt, dass es sich um ein "Fehlurteil" handelt.

Die Gründe, die nach § 359 StPO nötig sind, um überhaupt erst einmal eine Wiederaufnahme sind so absurd hoch angesetzt, dass praktisch kein langjährig Inhaftierter diese alleine nachweisen kann. Insbesondere die Vermögenslage der Häftlinge lässt es ja nicht zu Nachforschungen in Auftrag zu geben oder selbst etwaige Sachverständige in ihrer Arbeit zu überprüfen lassen.

Der Nachweis, dass Sachverständige vorsätzlich oder fahrlässig falsch ausgesagt haben, kann man nur in den krassesten Fällen erbringen und meist dann auch nur, wenn die "Schlechtleistung" in nicht nur einem Verfahren bereits schon aufgefallen ist, also mehrere zu Unrecht verurteilt wurden. Der Fall, wo ein (schwer) Übergewichtiger vom Sachverständigen als Bankräuber identifiziert wurde und sich erst nach 7 Jahren das Gegenteil herausstellte, sollte hier als mahnendes Beispiel dienen.
Ähnliche Bedenken gibt es natürlich auch bei gewöhnlichen Zeugen.

§ 359 Nr. 5 hört sich beim Lesen natürlich vernünftig an, aber die Gerichte legen das natürlich sehr streng aus. Einerseits ist dies natürlich damit zu erklären, dass eine einmal durch Urteil festgestellte Straftat das Ende im Verfahren bedeuten soll und man ja auch nicht so einfach ein Urteil in Frage stellen möchte; dazu gab es ja die Möglichkeiten der Rechtsmittel. Auch will man sicherlich nicht dem Häftling unnötig Hoffnung machen; nichts ist schlimmer für Menschen als enttäuschte Erwartungen...

Andererseits ist es für einen Unschuldigen stets ein unerträglicher Vorgang, dass er selbst bei neuen Beweisen keinerlei Möglichkeiten hat, eine Wiederaufnahme anzustreben, wenn nicht das Gericht die Möglichkeit sehen will, dass diese neuen Tatsachen einen Freispruch oder wenigstens die Strafe herabsetzen könnten. Wohl gemerkt: Ein Gericht entscheidet hier im Vorfeld darüber, ob es überhaupt die Gelegenheit geben soll, sich diese Beweise im Rahmen einer Wiederaufnahme anzuschauen, Beweise zu erheben, usw. Wenn diese neuen Tatsachen in irgendeiner rechtlichen Weise bereits im Urteil gewürdigt wurden oder schon bekannt waren, aber nicht nachgegangen, ists mit der Neuheit auch dahin.
Teilweise ist es ja schon erschwerend, wenn der Angeklagte sein Geständnis widerruft; dann trifft ihn u.U. eine erweiterte Darlegungspflicht. Der Fall kann ja schnell bei anfangs unverteidigten bzw. schlecht verteidigten Beschuldigten.

Der einfachste Weg scheint wohl doch derzeit den Weg zum EGMR zu suchen.

Vielleicht sollte man einfach auch die neuen Beweismittel mehr berücksichtigen. Eine DNA-Probe kann ja auch nach Jahrzehnten entlastend wirken und die Untersuchungsmethoden sind heute besser und werden vor allem in der Zukunft noch viel besser sein. Ist es denn dann gerechtfertigt, auf das heutige "unfehlbare" Strafurteil, welches sich mit den heutigen (oder gestrigen) techn. Hilfsmitteln befasst hat, abzustellen?

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Sehr geehrter Herr Pflichtfeld,

zunächst einmal: Es wäre schon interessant zu wissen, wie viele Fehlurteile jetzt dadurch entdeckt werden, dass ein DNA-Nachweis möglich ist.

Erst beim Lesen Ihrer umfangreichen Stellungnahme ist mir erst so richtig deutlich geworden, wie oft wir im Blog schnell zu diesem zentralen Thema "Fehlurteil" kamen - dem Albtraum jedes Strafrichters:

- Haftentschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft,
- falsches Geständnis (Holzklotz-Fall, Schweden),
- Fall Pascal
- Sabine Rückerts Darstellung, wie es zu Fehlurteilen kam
- Wiederaufnahmediskussion

Dies belegt eindrucksvoll, wie wichtig dieses Thema und wie sehr es bedauern ist, dass neuere Untersuchungen fehlen. Nach wie vor sehr lesenswert Max Hirschberg "Das Fehlurteil im Strafprozess" (erschienen 1962 als Fischer Taschenbuch).

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel

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Lieber Herr Kollege v. Heintschel-Heinegg, verehrte Mitdiskutanten,
wegen der ungleich schwereren Sanktion und des ganz anders organisierten Strafprozesses sicherlich nur eingeschränkt vergleichbar ist die Situation in den USA. Dennoch will ich auf die Seite des Death Penalty Information Center (deathpenaltyinfo.org) und deren "innocence list" hinweisen. Seit 1973 sind danach 130 Fehl-Todesurteile aufgedeckt und die Verurteilten entlassen worden, durchschnittlich hatten diese bereits 10 Jahre im Todestrakt verbracht, manche über 20 Jahre (!). Zwar zunehmend, aber keineswegs überwiegend sind DNA-Spuren entscheidend für die Entlastung gewesen.
Diese eindeutig geklärten Fehlurteile mit Entlassung sind natürlich nur die Spitze des Eisbergs. Erstens sind eine große Anzahl der Todesurteile noch in der Überprüfung, zweitens werden bereits vollstreckte Urteile kaum mehr überprüft, drittens sind damit natürlich nicht die große Anzahl von möglichen Fehlurteilen, die "nur" Freiheitsstrafen betreffen, erfasst. Prozentual wird der Anteil bei Freiheitsstrafen aus zwei Gründen größer sein: Erstens kann man davon ausgehen, dass bei drohendem Todesurteil die Aufklärung tendenziell "sorgfältiger" ist, zweitens steht die (vielfach von Freiwilligen und ehrenamtlich tätigen Personen u.a. auch Rechtsanwälten) durchgeführte Überprüfung von Todesurteilen natürlich ganz oben auf der Agenda.
Für Deutschland kann man in die Waagschale werfen, dass die gerichtliche Aufklärung (insbes. aufgrund § 244 StPO) in der Tendenz bessere Ergebnisse liefert als das Jury-System mit Beibringungsgrundsatz in den USA. Freilich, eine Garantie ist das nicht. Karl Peters hat in "Fehlerquellen im Strafprozess" (1970) eine Untersuchung bloß der erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren durchgeführt und viele solche Fehlerquellen aufgezeigt.
In wie vielen Fällen es Fehlurteile gibt, bei denen ein Wiederaufnahmeverfahren auissichtslos wäre, lässt sich leider nicht schätzen.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller

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Lieber Herr Kollege Müller, sehr geehrter Herr Hausherr,

zunächst vielen Dank für den interessanten kriminologischen Beitrag. Liege ich denn richtig, dass es nach Hirschberg und Peters keine neuere deutsche kriminologische Untersuchung zu diesem Thema gibt? Dann wäre es doch mal wieder Zeit, sich diesem sicher nicht leichten Unterfangen wissenschaftlich zu stellen.

Immerhin ist das für die Praxis (auch zur Vermeidung von Fehlurteilen) wichtige Buch BenderNack/Treuer "Tatsachenfeststellung vor Gericht" 2007 in dritter Auflage erschienen

Vielen Dank auch für den mir bislang unbekannten Link, der selbstverständlich (auch) für die Justiz gilt. Ich glaube auch, dass die meisten Strafrichterinnen/Strafrichter und Staatsanwältin/Staatsanwältin ist zu sehen und sich immer wieder um Verbesserung ihrer Arbeit bemühen, wie es auch in anderen Berufen gefordert wird.

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

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