Das Gesetz der Vergeltung: Geblendete Iranerin will den Säureattentäter jetzt nach islamischem Recht blenden lassen

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 07.03.2009

Sie war eine hübsche Ingenieursstudentin in Teheran als ein Kommilitone ihr September 2004 auflauerte und einen Krug mit Säure ins Gesicht schüttete; sie hatte seinen Heiratsantrag abgelehnt. Seither ist sie blind, ihr Gesicht vom Säure zerfressen. Als Sozialhilfeempfängerin lebt sie jetzt in Spanien.

Im Iran führte sie einen Prozess nach islamischem Recht. Im November wurde der Säureattentäter dazu verurteilt, auf die gleiche Weise wie sie geblendet zu werden. Nun wartet das Opfer auf ein Schreiben des Gerichts über Ort und Datum der Vollstreckung, die sie nicht selbst übernehmen kann. Aber es gebe im Iran viele Freiwillige, die das Urteil für sie mit einigen Säuretropfen ins Auge des Verurteilten vollstrecken wollen, sagt sie. Sie versichert, nicht aus Rachsucht zu handeln. Vielmehr: "So etwas soll nie wieder einem anderen Mädchen zustoßen."

Die Geschichte, von der Leo Wieland heute in der FAZ berichtet (S.9), ist damit aber noch nicht zu Ende erzählt: Nach der Scharia, sagt die Frau, sind zwei Augen einer Frau nur eins eines Mannes wert. Dem Attentatsopfer sei deshalb erklärt worden, sie müsse noch 20.000 € bezahlen , wenn der Attentäter das Augenlicht auf beiden Augen verlieren soll. So sei es vor Gericht zu einem Vergleich gekommen, weil der Attentäter und seine Familie ihr Schadenersatz in Höhe dieser Summe schuldeten. So wurde der Betrag aufgebracht.

Dass im Iran eine Frau ihre Rechte einklagen kann, ist eine erfreuliche Entwicklung. Bei Bruno Schirra "Iran. Sprengstoff für Europa", 2006, liest sich das noch ganz anders (S. 11 ff: "Das  Mädchen. Tod am Strang und was es mit der Scharia auf sich hat" ist das erste Kapitel überschrieben).

"Auge um Auge" für wahr, aber Christen lesen das nicht im Neuen, sondern im Alten Testament.

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6 Kommentare

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Vor allem war das alttestamentarische "Auge um Auge" schon zu biblischen Zeiten eine Verklausulierung des Übermaßverbotes und wurde nicht wörtlich praktiziert.

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Dass im Iran eine Frau ihre Rechte einklagen kann, ist eine erfreuliche Entwicklung.

Ich bin mir nicht sicher, ob das unter den gegebenen Bedingungen wirklich so erfreulich ist. Wenn die Rechte einer/s Verletzten darin bestehen, das "Auge-um-Auge-Prinzip" durchsetzen zu können, habe ich so meine Zweifel. Unrecht läßt sich nicht durch Unrecht kompensieren.

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Hoenig,

Sie haben recht mit Ihrem Hinweis, dass meine beiden abschließenden, durch einen Absatz getrennten Bemerkungen durchaus miteinander verknüpft sind. So gesehen lesen wir in dem erschütternden Artikel von der Umsetzung des seit dem Altertum bekannten Talionsprinzip noch in heutigen Tagen in einer entfernungsmäßig klein gewordenen Welt, die aber doch durch große kulturelle Unterschiede gekennzeichnet ist.

Roxin schreibt in seinem Lehrbuch: "Der Gedanke, man könne ein Übel (die Straftat) durch Hinzufügen eines weiteren Übels (des Strafleidens) ausgleichen oder aufheben, ist nur einem Glauben zugänglich, auf den der Staat niemanden verpflichten darf, seit er seine Gewalt nicht mehr von Gott sondern vom Volke ableitet" (Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl., § 3 A I S.73). Im deutschen Strafrecht sehen wir das so. Die Scharia kennt andere Regeln.

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Ob die Kompensation im Rahmen des Talionsprinzips wirklich Unrecht ist, kann bezweifelt werden. Vergeltung für das eigene erlittene Unrecht zu nehmen, liegt dem Menschen in der Natur und hier fließen ja auch generalpräventive Gesichtspunkte ein.

Die Sharia mag zwar hart sein, aber ob dies ungerecht ist, wenn man das jmd. antut, was er selbst einem vorsätzlich und absichtlich angetan hat? Gerade in einer Rechtsordnung, wo das ebend auch so vorgesehen ist als Vergeltung. Gerade in einem Fall, wo die Schädigungs- und Verstümmlungsabsicht so offensichtlich ist, fehlt mir hier der Unrechtscharakter. Es entspricht wohl hier mehr tiefster Gerechtigkeit, was die Frau hier fordert.

Klar, das mag uns aufstoßen, weil wir in unserer Gesellschaft solche Gerechtigkeit aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen nicht tolerieren können und wir auch dafür keine Tradition mehr haben, dennoch sollten wir uns nicht in eine überhebliche Position versetzen, in der anderen Völkern und Kulturen vorschreiben, was Recht und Unrecht ist und welche Rechtsordnung die überlegenere ist. In Deutschland wird zurecht oft das Täterstrafrecht und der verminderte Opferschutz angeprangert, also ist unsere Rechtsordnung auch nicht frei von systematischen Mängeln.

Vielleicht schützt gerade dieser eine Fall Hunderte andere Frauen vor dem gleichen Schicksal. Das Bestehen auf Strafe statt auf Entschädigung ist auch in Ländern der Sharia selten, aber in Einzelfällen kann das eine sinnvolle Lösung eines Falls sein, wenn das erlittene Unrecht alles Denkbare übersteigt.

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Es berührt mich schon eigenartig, daß keiner der bisherigen Kommentatoren daran Anstoß genommen hat, daß zwei Augen einer Frau einem Auge bei einem Mann entsprechen. Der vollständige Verlust des Augenlichts hat viel weiterreichende Folgen als "nur" der Verlust eines Auges. Das in diesem Fall nicht vollständig durchgezogene Talionsprinzip macht die Benachteilung der Frau in dieser Rechtsordnung nur allzu deutlich.
Wie wird das Problem beim Verlust nur eines Auges bei einer Frau gelöst?

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Hoenig,

Ich möchte die moralischen Pröblemde des Falls hier nicht bewerten.
Allerdings finde ich, dieser Fall wirft äußerst interessante Fragen auf, die in der Öffentlichkeit scheinbar überhaupt nicht diskutiert werden.

Meines Wissens lebt die Frau zur Zeit in Spanien und wird dort behandelt. Erwartet die Frau irgendeine Strafverfolgung, wenn sie nach ihrer Rache nach Spanien zurückkehrt?

Welche Rolle spielt bei einer eventuellen Strafverfolgung die Staatsbürgerschaft der Frau?

Wie wäre die Situation, wenn die Frau in Deutschland leben würde?

Zwischen Deutschland und Iran bestehen meines Wissens Verträge, die z.B. Konsularische Unterstützung für Deutsch/Iraner bei Rechtsstreitigkeiten oder Strafverfolgung ausschließen.
Haben diese Verträge auch Auswirkungen auf solche Fälle?

Wie würde der Fall also in Deutschland aussehen, wenn die Frau eine doppelte Staatsbürgerschaft hätte, wie viele Iraner sie haben?

Wäre die Situation anders als wenn sie nur die deutsche Staatsbürgerschaft hätte?

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