Überraschend: Ermittlungsrichter des AG Hamburg erlässt Haftbefehl gegen mutmaßliche somalische Piraten

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 07.03.2009
Rechtsgebiete: PiraterieSomaliaMaterielles StrafrechtStrafrecht14|3998 Aufrufe

Damit hätte ich nicht gerechnet: Der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Hamburg hat - wie tagesschau.de meldet - auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen gemeinschaftlichen Angriffs auf den Seeverkehr nach § 316c StGB Haftbefehl gegen die auf der Fregatte "Rheinland-Pfalz" festgesetzten neun mutmaßlichen Piraten erlassen. Die Fregatte habe Kurs auf die kenianische Hafenstadt Mombasa genommen.

Ein Behördensprecher betonte, dass dies nicht zwingend bedeute, dass nunmehr ein Strafverfahren Deutschland durchgeführt werde. Die Staatsanwaltschaft müsse zunächst prüfen, ob das zwischen der EU und Kenia geschlossene Abkommen zur Überstellung festgehaltener mutmaßlicher Piraten "Anlass zu einer Einstellung des Verfahrens" geben könnte.

Wie tagesschau.de weiter berichtet, hatte sich die Bundesregierung zuvor intensiv um eine Überstellung der Männer an Kenia bemüht. Erst am Vormittag hatte die EU ein Übergabeabkommen mit Kenia unterzeichnet.

Der weitere Text der Meldung ist mir für mich unverständlich, wenn es heißt, für den Fall, dass der Haftbefehl beantragt werde, ein Gericht darüber entscheiden müsse: "Ein Beschluss müsste spätestens zum 15. März gefahren sein. Denn nach EU-Recht, dies gilt in diesem Fall auch für den deutschen Einsatz, dürften die Piraten höchstens 12 Tage in Gewahrsam bleiben. Sollte der Haftbefehl erlassen werden, würde nach Angaben des Bundesjustizministeriums die Bundespolizei die Piraten aus Dschibuti abholen und nach Deutschland bringen." Dieser Teil der Meldung wird sich sicher noch aufklären lassen.

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14 Kommentare

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Klingt so, als hätte man die Meldung schon fertig gehabt, und dann haben sich Umstände geändert und man hat das dann übersehen, als man sie online gestellt hat.

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Alle Medien zitieren diese ominöse 12 Tage Frist. Wo kommt die her? Weder im SRÜ noch in der Gemeinsamen Aktion des Rates, die ja wohl die Rechtsgrundlage der Festnahme darstellen (Art. 105 SRÜ und Art. 12 der Gemeinsamen Aktion), gibt es eine Fristbestimmung. Das scheint mir sehr rätselhaft. Einer schreibt vom anderen ab, aber keiner weiß genaues...

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Ist die sich nun abzeichnende Überstellung der Piraten an Kenia Ihrer Auffassung denn im Hinblick auf die Verpflichtungen Deutschlands aus der EMRK tatsächlich so unproblematisch, wie es die aktuellen Pressemeldungen offenbar unterstellen?

Mein Gedankengang: Das 6. und das 13. Zusatzprotokoll der EMRK, die Deutschland beide ratifiziert hat, erklären die Todesstrafe in Kriegs- wie Friedenszeiten unter der Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten für abgeschafft. In Kenia wird die Todesstrafe, wenn die Informationen von Wikipedia die Lage richtig wiedergeben, seit einigen Jahren zwar nicht mehr vollstreckt, gesetzlich abgeschafft ist sie indes nicht (Informationen über das Abkommen zur Überstellung liegen mir leider nicht vor). Mit ihrer Gefangennahme durch die Bundesmarine dürften die Piraten nach den Ausführungen des Gerichtshofs in der Sache Bankovic und ihrer Vorjudikatur aber zumindest unter der Hoheitsgewalt Deutschlands stehen. Wenn man weiterhin den in der Rechtssache Soering für Art. 3 EMRK formulierten Rechtsgedanken betrachtet, besteht doch für Deutschland zumindest das Verbot einer Überstellung an Staaten, in denen den Überstellten mit einiger Wahrscheinlichkeit die Todesstrafe droht. Kann das hier derart sicher ausgeschlossen werden?

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Die Sachlage mit Blick auf den angeblich erlassenen Haftbefehl ist nach wie vor unklar; das wird sich aber sicher klären. Vieles spricht dafür, dass die Regierung offenbar von den selbstständig schnell aufgenommenen Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft überrascht wurde. Darin könnte die Ursache für die Konfusion liegen.

Was die Rechtslage betrifft, so hat die Europäische Union nach Angaben des Auswärtigen Amts noch rechtzeitig vor Eintreffen der Fregatte in Mombasa eine entsprechende Einigung mit Kenia erzielt, dass die mutmaßlichen Piraten an diesen Staat übergeben werden können (Quelle FAZ vom 7.3.2009 Nr. 56 S.2). Ich werde mich bemühen, an den Text der Vereinbarung zu kommen.

Damit wären wir bei dem angesprochenen Problem, ob Deutschland an Kenia überstellen kann, wenn dort die Todesstrafe droht. Auch wenn ich da kein Experte bin, so weiß ich doch, dass gerade aus diesem Grund in der Vergangenheit Auslieferungen/Ausweisungen von den Gerichten abgelehnt wurden. In der Eile, in der diese Vereinbarung geschlossen wurde, könnte ich mir vorstellen, dass man diesem Aspekt in der Freude, das Problem auf diese Weise zu lösen, zu wenig Beachtung geschenkt hat. Jetzt wird sich die Regierung dem Problem definitiv annehmen müssen. Das wird völkerrechtlich sicher sehr interessant!

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Apropos ZDF - ein interessanter Artikel findet sich bei Spiegel-Online unter dem Titel '"TRAUMSCHIFF" IN PIRATENZONE - Kreuzfahrer knipsen Seeräuber'. Danach konnten die Passagiere (Touristen) eines deutschen Kreuzfahrtschiffes (das Traumschiff aus dem ZDF) 'sogar die gefangenen Piraten auf der Fregatte "in Augenschein" nehmen. und Fotos machen.'
Hoffentlich nur beim Freigang und nicht in einer 'Vorführung'.

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Sehr geehrter Herr Giesen,

zunächst hoffe ich, dass Sie nichts dagegen haben, dass ich in Ihrem Beitrag "verlinkt" habe, damit unsere Blogger/Leser sich gleich ein Bild von dem Beitrag machen können.

Ihnen wie mir ist es unverständlich (und an Kolonialzeiten erinnernd), wie es den Kreuzfahrtpassagieren gestattet werden konnte, auf einer im Einsatz befindlichen Fregatte der Bundesmarine festgesetzte mutmaßliche Piraten "in Augenschein" zu nehmen und sogar zu fotografieren. Auch wenn einem die strafprozessualen Gegebenheiten nicht bekannt sein sollten, müsste gleichwohl bei kurzem Nachdenken erkennbar sein, dass solche Aktionen bei dem schon bestehenden Durcheinander alles andere als sachdienlich sind. Ich hoffe nicht, was vor Ort die Vorstellung vorherrscht, das sei alles nicht so ernst.

Ob die mutmaßlichen Piraten nun tatsächlich in Kenia abgeurteilt werden, dahinter sehe ich - gerade auch mit Blick auf unsere Diskussionsbeiträge - noch ein Fragezeichen.

Mit besten Grüßen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Sehr geehrter Prof. von Heintschel-Heinegg,

da habe ich natürlich nichts gegen! Im Übrigen stimme ich Ihnen zu, der gesunde Menschenverstand sollte einem sagen, dass man Gefangene nicht Horden sensationswütiger Touristen aussetzen sollte. Man wird aber abwarten müssen, wie viel an der Geschichte dran ist. Im Zweifel wurde den Touristen nicht gestattet, die Fregatte zu betreten und im Zweifel werden die Schiffe auch nicht sehr dicht beieinander gefahren sein. Sollte sich herausstellen, dass die Piraten lediglich für die Passagiere aus einiger Entfernung an Deck zu sehen waren, wird dagegen nichts einzuwenden sein.

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Staatsanwaltschaft Hamburg sieht von Strafverfolgung ab - Festgesetzte werden nach Kenia überstellt

Langsam blickt man durch (auf der Basis von FAZ vom 9.3.2007 Nr.57 S.4):

(1) Nachdem die Hamburger Staatsanwaltschaft aus der öffentlichen Berichterstattung von der Gefangennahme der neun mutmaßlichen Piraten erfahren hatte, erwirkte sie von sich aus beim Amtsgericht Hamburg einen Haftbefehl. Die Staatsanwaltschaft sieht jedoch nunmehr von der weiteren Verfolgung ab, weil in Kenia ebenfalls die "Mindeststandards bei der Durchführung eines Strafverfahrens gesichert" seien. Das Ermittlungsverfahren könne jederzeit wieder aufgenommen werden.

(2) In einem Abkommen mit der EU hat sich Kenia bereiterklärt, Piraten vor Gericht zu stellen, die im Rahmen der EU-geführten Marinemission "Atalanta" am Horn von Afrika aufgegriffen werden.

(3) Nach dem Abkommen dürfen die Beschuldigten nicht gefoltert und nicht zum Tode oder einer anderen grausamen Strafe verurteilt werden. Sie haben Anspruch auf einen Rechtsanwalt und können eine Verurteilung vor einer höheren Instanz anfechten.

(4) Sollten trotz des Abkommens die rechtsstaatlichen Grundsätze nicht eingehalten werden, müsse man überlegen, so der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, ob nicht doch die deutsche Justiz allein verantwortlich die Strafverfolgung von Piraten übernimmt.

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Wie lange dürfen der Piraterieverdächtige an Bord festgehalten werden?

Die FDP fordert klarere Aussagen der Bundesregierung zu der Frage, wie lange deutsche Soldaten auf hoher See aufgegriffene Piraterieverdächtige festhalten dürfen.

Die vom Innenministerium verfasste Antwort verweist auf die Rechtsgrundlagen für die EU-Operation "Atalanta": das UN-Seerechtsübereinkommen, die Anti-Piraterie-Resolutionen der UN und den EU-Ratsbeschluss: "Die Freilassung oder die Übergabe an die nationalen oder an die Strafverfolgungsorgane eines anderen Staates hat zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erfolgen." Ob mit diesem Hinweis den verantwortlichen Offizieren geholfen ist, wenn diese Fragen in einem Strafprozess problematisiert werden, scheint mir fraglich.

Ich beschäftige mich zur Zeit mit einer Seminararbeit zum Thema "Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht". Daher ist dieser Fall geradezu zugeschnitten, weil, wie schon erwähnt wurde, keinerlei deutsche Rechtsgüter betroffen sind, die Staatsanwaltschaft Hamburg aber trotzdem Haftbefehl beantragt hat. Ich habe soeben in Oehler, Internationales Strafrecht, 2. A. 1983 gelesen, dass in den Art. 16, 19 des SRÜ den Vertragsstaaten sehr weite Befugnisse beim Vorgehen gegen Piraterie zugesprochen werden. Dies ist aber natürlich noch keine Grundlage für einen Haftbefehl an einem deutschen Gericht. Daher frage ich mich, wie die juristische Grundlage für diesen aussieht. (Ich persönlich würde ihn wohl auf §§ 316c, 6 Nr. 3 StGB stützen. Das würde auch die schlichte Einstellung des Verfahrens begründen, § 153c StPO.)

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