Ertrotzte Kontinuität

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 16.03.2009

Die 2003 geborene Tochter der Eheleute wurde hauptsächlich vom Vater betreut. Am 22. Oktober 2007 verließ die Mutter mit dem Kind ohne Wissen und Zustimmung des Vaters die eheliche Wohnung und verzog zu ihrer Mutter.

Mit einer einstweiligen Anordnung vom 27. Dezember 2007 übertrug das Amtsgericht der Mutter vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind. Zur Begründung führte es aus, im Hinblick auf die Erziehungseignung bestünden keine offenkundigen Unterschiede zwischen den Eltern. Ausschlaggebend sei letztlich der Gesichtspunkt einer "vorläufigen Kontinuität". Die Tochter sei nunmehr seit zwei Monaten im Haushalt der Mutter, im Erleben einer Vierjährigen kein nur ganz kurzer Zeitraum. Wenn auch das Gericht das eigenmächtige Handeln der Mutter nicht billige, so sollte es zum Wohl des Kindes vermieden werden, dass die Tochter den Lebensmittelpunkt öfter als nötig wechsele.

Die Beschwerde zum OLG blieb erfolglos.

Das BVerfG hat mit Beschluß vom 27.06.2008 (1 BVR 1265/08; FamRZ 2009, 189 ff) die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, da der Beschluß des Amtsgerichts durch die Entscheidung des OLG "überholt" sei.

Als "Mahnung" für das Amtsgericht führt es aber aus:

Quote:
Das Amtsgericht hat nicht erwogen, dass für den Beschwerdeführer, der bis zum Auszug der Mutter die Hauptbetreuungsperson des Kindes war, der Kontinuitätsgrundsatz streitet, der die Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit des Erziehungsverhältnisses umfasst (vgl. BVerfGE 61, 358 367). Es hat sich daher nicht damit auseinandergesetzt, welches Gewicht dieser in der einvernehmlichen Rollenverteilung der Eltern angelegten Kontinuität im Vergleich zu der von der Mutter eigenmächtig hergestellten - sogenannten ertrotzten - Kontinuität unter Kindeswohl-aspekten zukommt. Hierzu hat das Amtsgericht nur ausgeführt, dass es das Verhalten der Mutter nicht billige, ohne aber darauf einzugehen, dass ein solches Verhalten eines Elternteils, der plötzlich den Aufenthalt eines Kindes dauerhaft und ohne vorherige Absprache mit dem anderen, mitsorgeberechtigten Elternteil verändert, ein gewichtiger Aspekt im Rahmen der Beurteilung der Erziehungseignung eines Elternteils ist, die das Gericht auch schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit den ihm in der zwangsläufigen Kürze der Zeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten vorläufig beurteilen muss, zumal wenn - wie hier - der das Kind eigenmächtig verbringende Elternteil dem zurückgelassenen Elternteil zunächst keinen Umgang mit dem Kind gewährt, was auf mangelnde Bindungstoleranz hinweisen kann.

Vor diesem Hintergrund hätte die Annahme des Amtsgerichts, im Hinblick auf die Erziehungseignung der Eltern bestünden "keine offenkundigen Unterschiede", näherer Darlegung bedurft. Dies gilt umso mehr, als - bei im Übrigen gleichwertigen äußeren Erziehungsumständen und Bindungen des Kindes - eine bessere Erziehungseignung auch dann den Ausschlag geben kann, wenn diese nicht offenkundig ist. Wenn und weil sich vorläufige Sorgerechtsentscheidungen regelmäßig faktisch zugunsten des Elternteils auswirken, der das Kind anlässlich der Trennung eigenmächtig mitnimmt, darf der Umstand, dass diese Kontinuität ertrotzt wurde, nicht erst in der Hauptsacheentscheidung, sondern muss schon im Eilverfahren angemessen berücksichtigt und insbesondere auch zu den Auswirkungen eines erneuten Wechsels des Kindes ins Verhältnis gesetzt werden. Gerade wenn das Kind - wie hier - plötzlich aus der Obhut seines bislang hauptsächlich betreuenden Elternteils entrissen und aus seinem bisherigen örtlichen und sozialen Umfeld entfernt wird, entspricht eine rasche Rückkehr des Kindes an den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig dem Kindeswohl. Dies gilt umso mehr, wenn das Kind - wie vorliegend - einer Rückkehr gegenüber offen eingestellt ist - das Kind hat erklärt, den Vater wieder sehen und in den alten Kindergarten gehen zu wollen - und die vom Amtsgericht angenommene "vorläufige Kontinuität" gerade einmal zwei Monate angedauert hat.

Konsequenz für die Familiengerichte sollte sein, dass - gleiche Eignung der Eltern im übrigen vorausgesetzt - eigenmächtiges Handeln eines Elternteils nicht durch den Richter abgesegnet wird.

 

 

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10 Kommentare

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Der Vater, der deshalb zuhause war, da er er zu keiner Zeit Ambitionen hatte für den Unterhalt der Familie zu sorgen, war immer darüber informiert, wo die Tochter sich befindet.

Darüber hinaus war er täglich in Kontakt mit ihr und hätte sie jederzeit besuchen können. Er wollte nicht!

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@ Mutter

Ich kenne den Fall in seinen Einzelheiten nicht.

Ich habe (nur) den an der genannten Stelle veröffentlichten Beschluss des BVerfG wiedergegeben.

@ Herr Burschel

Nix für Ungut.

Ein veröffentlichungswürdiger Fall zu sein ist für Betroffene nicht einfach.

Warten wir ab, ob der Vater noch bis zum EuGH gehen wird. Jedenfalls verklagt er gerade sozusagen "Gott und die Welt".

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Dass sich ein an einem Verfahren vor dem BVerfG Beteiligter in einem blog zu Wort meldet, dürfte sehr selten sein.

Ihrer Tochter alles erdenklich Gute !

Ihnen und (aus Neutralitätsgründen) dem Vater auch.

Wir sind doch in Deutschland, leider sind noch immer die alten Richter am Werke, die denken, dass Kind gehört immer zur Mutter.

"Gleichberechtigung" ja aber nicht für die Väter, wie im Grundgesetzt, alle Menschen sind vor dem Gesetzt gleich, unabhänig vom Geschlecht , aber es gibt Personengruppen, die sind gleicher und das sind noch immer die Frauen. Es gibt noch immer Menschen im 20 Jahundert, die denken, die Frauen sind alleine für die Erziehung verantwortlich. Dieses spiegelt sich immer wieder in unseren deutschen Gerichte wieder. 92 % der Väter die klagen, erhalten kein recht. Auch ich habe dieses erfahren müssen. Ich habe mein Sohn nach dem Auszug der Kindesmutter, 3 Jahre alleine großgezogen und das mit sehr gutem Erfolg, was auch einige anderen Elterteile aus der Kita bezeugt haben. Doch leider hat die Kindesmutter durch lügen und schwere Vorwürfe es geschafft, das Kind aus seinem gewohntem Umfeld zu entreißen. Nun wohnt es 670 km entfernt und ich als Vater werde gezwungen, wenn ich ihn sehen möchte, für die Fahrkosten (ca. 400€) selbst aufkommen zu müssen.

Es gab kein Grund für die maßnahme, das Gutachten das beauftragt wurde ist fachlich falsch, es erging ein Disziplinarverfahren gegen dem Gutachter, aber das hat dem Gericht nicht interessiert. Nun sehe ich durch der Kindesmutter mein Sohn nur noch sehr selten.

 

Ich werde nun versuchen beim Verfassungsgericht zu klagen, ob ich in diesem Land recht bekomme ? sehr erfraglich, wäre ich eine Frau, hätte ich schon gewonnen.

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Wir sind doch in Deutschland, leider sind noch immer die alten Richter am Werke

Es gibt in Deutschland auch junge und weibliche Richterinnen

 92 % der Väter die klagen, erhalten kein recht

Woher haben Sie diese Zahl?

> Es gibt in Deutschland auch junge und weibliche Richterinnen

Ja, und sie sind gut.
Solange sie sich nicht von irgendwelchen "militant agierenden" Elternteilen einschüchtern lassen ...

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Buchtipp:

Die vaterlose Gesellschaft (von Matthias Mattussek)

> Es gibt in Deutschland auch junge und weibliche Richterinnen

Und wenn diese nicht vom Deutschen Juristinnenbund indoktriniert wurden, fällen die manchmal gar nicht so väterunfreundliche Urteile.

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