Nach dem Schock von Winnenden: Studie belegt leichten Rückgang der Jugendgewalt

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 18.03.2009

Gestern haben Bundesinnenminister Schäuble und der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens e.V. (KFN) Prof. Dr. Christian Pfeiffer erste Ergebnisse des Forschungsprojekts "Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt" vorgestellt (Pressemitteilung des BMI; Studie).

In keiner der Städte, in denen Mitarbeiter des Kriminologischen Forschungsinstituts schon vor neun Jahren Schüler befragt hatten, ist die Quote der Jugendlichen, die nach eigenen Angaben im Jahr vor der jeweiligen Befragung eine Gewalttat begangen hatten, gestiegen. Dass dagegen die polizeiliche Kriminalstatistik einen Anstieg verzeichnet, hängt der Studie nach damit zusammen, dass auch kleinere Taten mittlerweile häufiger angezeigt werden. Jungen sind fünfmal häufiger als Tatverdächtige registriert als Mädchen; nichtdeutsche Staatsangehörige dreimal häufiger als Deutsche. Allerdings hat die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer auch Einfluss auf das Anzeigeverhalten: Sie ist am höchsten, wenn ein deutsches Opfer einen ausländischen Täter anzeigt und am niedrigsten bei ungekehrten Verhältnissen.

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5 Kommentare

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Sehr geehrter Herr von Heintschel-Heinegg,

die Studie ist sehr wichtig, weil sie in einem entscheidenden Punkt gegen den Strom der Meinungsmache steht. Allerdings kommt dieser Punkt, den Sie in Ihrer Überschrift ansprechen, in den Medien kaum vor.

Man erinnere sich an die Debatte vor knapp einem Jahr, nach Herausgabe der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2007. Landauf, landab verkündeten die Medien den eklatanten Anstieg der Jugendgewalt, den sie aus der Statistik meinten entnehmen zu können. Ganz vorn dabei: Florian Gathmann auf Spiegel Online mit diesem Artikel: So kriminell ist Deutschland

Im blog Spiegelkritik habe ich dazu folgendes geschrieben:  Wie auch in der Statistik selbst nachzulesen ist - kann die PKS nur eine sehr eingeschränkte Aussage zur realen Kriminalität in Deutschland treffen. Die PKS ist eine Statistik der polizeilichen Tätigkeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung. Die Erfassung der realen Kriminalität ist schlicht nicht ihre Aufgabe.
Diese Statistik gibt nur wieder, was durch Strafanzeigen (ca. 90 %) und eigene Kontrolltätigkeit den Verfolgungsbehörden an Delikten bekannt geworden ist.

So heißt es dort auch ganz richtig: „Wenn sich z. B. das Anzeigeverhalten der Bevölkerung oder die Verfolgungsintensität der Polizei verändert, so kann sich die Grenze zwischen Hell- und Dunkelfeld verschieben, ohne dass eine Änderung des Umfangs der tatsächlichen Kriminalität damit verbunden sein muss." (BKA, PKS 2007, S. 2) In Deutschland fehlt es nach wie vor an einer systematischen und regelmäßig durchgeführten Untersuchung der realen Kriminalität. Vor diesem Hintergrund verwundert es, wie viele Journalisten Jahr für Jahr wieder kriminalstatistische Daten missinterpretieren und ihre Fehlschlüsse als Realität weitergeben. Inwieweit man von der polizeilich registrierten Anzahl der Delikte auf tatsächliche Kriminalität schließen kann, ist von Deliktsbereich zu Deliktsbereich ganz unterschiedlich. Delikte, bei denen der Schadenersatz durch Versicherungen von einer Strafanzeige abhängt (insbesondere Delikte im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen) werden wohl in der Häufigkeit beinahe realitätsgetreu in der Polizeistatistik abgebildet.
Bei anderen Delikten hängt es ganz entscheidend vom Anzeigeverhalten ab, ob ihre statistisch registrierte Anzahl steigt oder sinkt. Die Annahme, man könne von einem auch nur annähernd konstanten Verhältnis zwischen Statistik und Realität ausgehen, ist offenkundig falsch. Dies gilt für die Jugendkriminalität ganz besonders.

Ganz unabhängig von der Entwicklung der weit höheren realen Deliktsanzahl, kann die Zahl in der Statistik steigen oder fallen. Wenn nur die Anzeigebereitschaft um einen geringen Prozentsatz steigt, bildet die Statistik dies als dramatischen Anstieg der Fallzahlen ab. Wenn also die Zahl der Körperverletzungen jugendlicher Täter in diesem Jahr um einige Prozent steigt, bedeutet dies nicht, dass die Zahl dieser Delikte in der Wirklichkeit gestiegen ist. Es finden sich erhebliche Indizien dafür, dass in den letzten Jahren nicht die Zahl der Körperverletzungen Jugendlicher gestiegen ist, sondern die Anzeigenhäufigkeit, so dass aus dem Dunkelfeld mehr Delikte in das Hellfeld der Statistik gelangt sind. Auch Dunkelfelduntersuchungen aus den letzten Jahren sprechen für eine weitgehende Konstanz oder sogar einen Rückgang der realen Jugendgewalt (vgl. dazu Heinz, ZJJ 2008, 88 mit weiteren Quellenangaben). Da die meisten Opfer von jugendlichen Körperverletzungen andere Jugendliche sind, spricht viel dafür, dass gerade unter Jugendlichen die Ablehnung der Gewalt und die Tendenz, die Polizei einzuschalten, zugenommen hat. Dann ist nicht steigende Gewaltbereitschaft, sondern möglicherweise die geringere Bereitschaft jugendlicher Opfer, Gewalt hinzunehmen, für die steigenden Zahlen in der Kriminalstatistik verantwortlich. So wird auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik selbst konstatiert:
„Der Anstieg der registrierten Gewaltkriminalität und der vorsätzlichen leichten Körperverletzung lassen sich zum einen auf ein insgesamt gestiegenes Gewaltpotential in Teilen der Gesellschaft und zum anderen auf eine auch durch polizeiliche Sensibilisierung erhöhte Anzeigebereitschaft der Bevölkerung und eine Intensivierung der polizeilichen Ermittlungstätigkeit zurückführen, die wiederum in Änderungen gesetzlicher Rahmenbedingungen (Reformen des Sexualstrafrechts, Einführung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung, Gewaltschutzgesetz) und damit einhergehend in einer stärkeren Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber Gewalt begründet ist." (BKA, PKS 2007, S. 7).
Soweit mein damaliger Artikel.

Nun kann mit der Studie des KFN die Aussage, Jugendgewalt steige an, tatsächlich in wichtigen Punkten widerlegt werden. Es spricht viel dafür, dass geändertes Anzeigeverhalten für den Anstieg in der PKS verantwortlich ist, kein realer Anstieg der Jugendgewalt in den vergangenen 10 Jahren.

Man müsste die Journalisten fast bedauern, dass man ihnen eines ihrer Lieblingsthemen genommen hat, doch man schaue und staune: Diese wichtige Erkenntnis wird fast nicht vermittelt.

Auf Spiegel Online zeigt man jetzt anlässlich der Herausgabe der KFN-Studie ein Video, in der die genannte Erkenntnis (die auf etwa 4/5 der Seiten der Studie belegt wird) einfach nicht vorkommt: Titel des Videos "Gefährlicher Nachwuchs: Jugendgewalt und Rechtsextremismus".

Eine so verzerrte Darstellung ist einfach unseriöser Journalismus.

 

Herr Prof. Dr. Pfeiffer und alle seine Studien sind, nun ja *hust* nur sehr begrenzt zu gebrauchen. So manch einer sagt sie sind wissenschaftlich nicht haltbar. Herr Pfeiffer sagt viel, leider bekommt er auch immer sehr viel Gehör in den Medien, er hat wohl so eine Art „Talkshowabo“. Und das trotz des sogenannten „Joseph-Fall“.
Seine Aussagen widersprechen sich auch häufig, da hält er es wohl konsequent mit Adenauer.

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@corax,

ich räume ohne weiteres ein, dass Herr Pfeiffer in den Medien (hust) sehr präsent ist. Wenn man seine engagiert und mit vollem Körpereinsatz vertretene Position zu Computerspielen (im Video auf Spiegel Online gegen Ende) sieht, könnte man annehmen, dass ihm die verzerrte Darstellung seiner eigenen Studie gar nicht so unrecht ist. Dennoch bleibe ich dabei, dass die Dunkelfeldstudie zur Jugendgewalt durchaus brauchbar ist, jedenfalls bessere Daten liefert als die PKS, die ja gar nicht mit dieser Zielsetzung (realer Umfang der Kriminalität) erstellt wird.

Zudem erscheint mir eines fast gewiss: Würde eine völlig unanfechtbare Studie belegen, dass Jugendgewalt abnimmt, würde das viele Journalisten nicht hindern, trotzdem weiter das Gegenteil zu behaupten.

Ein positives Gegenbeispiel hier auf Welt Online.

Beste Grüße

Angesichts des Beitrags auf Spiegel Online muss ich fast lachen. Wie kann man eine Studie auf seiner Seite veröffentlichen, und die Kernaussage schlicht ignorieren? Das nenne ich nun wirklich selektive Wahrnehmung (oder gar selektive Verzerrung?).

Allerdings haben die Herren Journalisten- wenigstens auf Spiegel Online- ihr neues Thema gefunden: Rechtsextreme Jugendliche! (Ich verweise dazu auf den Titel der Forumsdiskussion bei Spiegel Online: "Neonazi-Jugend: Was kann getan werden?")

Es würde mich wirklich reizen, eine Studie aufzustellen, inwieweit die Medien zur Verschlechterung des Bildes von Jugendlichen in der Gesellschaft beitragen. Ob daran wohl ein Journalist teilnehmen würde...?

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Meine sehr geehrten Damen und Herrn,

wenn man sich mit dem Thema Jugendgewalt und -krimanalität beschäftigt, sollt man die wahren Ursachen dieser Problematik beachten, die Ihnen allen bestimmt auch bewußt sind. Trotzdem werden in den öffentlichen Medien alle wahren Ursachen verharmlost oder gar ganz geleugnet. Ich kann Ihnen allen versprechen, dass noch mehr Kinder und Jugendliche Opfer von prutaler Gewalt werden, da man die Ursachen nicht ausräumt. Man verdient mit Sex und Gewalt in den Medien ( TV, Games usw.) Millionen. Warum soll man denn diese Profitquelle schließen, nur weil ein Paar Kids durchdrehen?!

Wir nennen uns Sozialstaat!!!!

Von diesem Sozialstaat ist fast nichts mehr übrig!!! Man verdient sich mit Korruption und Gewalt in allen Schichten unserer Gesellschaft eine goldene Nase. Wir sind eine egoistische Ellebogengesellschaft. Mobbing von schwächeren Mitbürgern, in allen Teilen der Gesellschaft, gehört heute schon zum guten Ton. Wer die Augen nicht vor der Wahrheit verschließt, sieht, dass die Medien alles daran setzen Gewalt und Erotik bis in jedes Kinderzimmer zupumpen. Ich bin Privater Ermittler und glauben sie mir, dass ich viele Drahtzieher und ihre wahren Ziele kenne. Das, was wir momentan erleben, ist erst die Spitze des Eisberges, wenn wir alle nicht lernen, umzudenken. Unsere Politik ist festgefahren, weil sie verseucht ist von korrupten Machenschaften.

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