BAG hält "einfache Differenzierungsklauseln" in Tarifverträgen für zulässig

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 24.03.2009

Seit dem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 29.11.1967 (GS 1/67) entsprach es ständiger Rechtsprechung des BAG, dass ein Tarifvertrag nicht vorsehen darf, dass bestimmte Leistungen ausschließlich an Gewerkschaftsmitglieder zu gewähren sind. Diese sog. Differenzierungsklauseln hätten nämlich den Zweck, die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer (Außenseiter) zum gewerkschaftlichen Beitritt und damit zur Stärkung der gewerkschaftlichen Macht zu veranlassen. Dies sei zwar ein legitimes Ziel, das aber mit einem illegitimen Mittel verfolgt werde. Differenzierungsklauseln übten einen sozial inadäquaten Druck aus, den anders oder nicht Organisierte ebenso wenig hinzunehmen bräuchten, wie Organisierte es nicht hinzunehmen hätten, wenn ein Arbeitgeber nicht Organisierte generell besser bezahlen würde als Organisierte.

In der Literatur ist diese Rechtsprechung zuletzt wieder kontrovers diskutiert worden (Bauer/Arnold, NZA 2005, 1209 ff.; Franzen, RdA 2006, 1 ff.; Gamillscheg, NZA 2005, 146 ff.; Giesen, NZA 2004, 1317 ff.; Greiner, DB 2009, 398 ff.; Hanau, FS Hromadka (2008), S. 115 ff.; Kocher, 2009, 119 ff.). Der 4. Senat des BAG hatte 2007 Zweifel an der früheren Judikatur erkennen lassen (Urt. vom 9.5.2007 - 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439).

Mit Urteil vom 18.3.2009 (4 AZR 64/08) hat er sich nun auf den Standpunkt gestellt, dass einfache Differenzierungsklauseln wirksam sein können. Geklagt hatte eine nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmerin, in deren Arbeitsvertrag auf den einschlägigen Tarifvertrag Bezug genommen worden war. Im Tarifvertrag war eine sog. "Ersatzleistung" mit folgenden Worten normiert: "Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlung ... erhalten die ver.di Mitglieder in jedem Geschäftsjahr ... eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,00 € brutto". Da die Klägerin die Voraussetzung "ver.di Mitglied" nicht erfüllte, wies der 4. Senat des BAG ihre Zahlungsklage ab.

Das Urteil vermag m.E. nicht zu überzeugen. Schon in den üblichen Definitionen des persönlichen Geltungsbereichs von Tarifverträgen heißt es üblicherweise, dass nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien "Arbeitgeber" bzw. "Arbeitnehmer" im Sinne des Tarifvertrages sind. Die erneute Erhebung der Gewerkschaftsmitgliedschaft zur Anspruchsvoraussetzung im normativen Teil des Tarifvertrages ist daher eine letztlich überflüssige Wiederholung. Sie vermag die Wirkung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nicht einzuzschränken.

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