BVerfG: Übergangsweise darf eine Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung anstatt bei der Vollstreckung der Strafe berücksichtigt werden

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 17.04.2009

Obwohl Verfahrensverzögerungen nach BGH (GS) NJW 2008, 860 bei der Vollstreckung der Strafe zu berücksichtigen sind, ist es nach dem Beschluss des BVerfG vom 10.3.2009 - Az. 2 BvR 49/09 - nicht verfassungswidrig, wenn sie in Übergangsfällen wie bisher bei der Strafzumessung einbezogen werden, umso mehr, wenn das erstinstanzliche Urteil vor der Entscheidung des Großen Senats ergangen ist.

Sachverhalt

Das LG Mannheim hatte den Beschwerdeführer wegen verschiedener Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Bei der Berechnung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde unter anderem eine der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung von drei Jahren und zwei Monaten strafmildernd berücksichtigt und ein Abschlag auf die Strafzumessung von 20 Prozent sowohl auf alle Einzelstrafen als auch auf die Gesamtstrafe gewährt. Die vom Beschwerdeführer erhobene Revision verwarf der BGH als unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an.

Verzögerungen dürfen vorübergehend noch bei Strafzumessung berücksichtigt werden

Auch wenn der Große Senat für Strafsachen des BGH entschieden habe, dass Verfahrensverzögerungen künftig nicht mehr wie bisher bei der Strafzumessung, sondern bei der Vollstreckung der Strafe zu berücksichtigen seien, sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn in Übergangsfällen noch - wie bisher - die Strafzumessungslösung angewendet werde. Insbesondere in diesem Fall, in dem das erstinstanzliche Urteil vor der betreffenden Entscheidung des Großen Senats ergangen sei und im Übrigen auch keine den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler enthalte, müsse das erstinstanzliche Urteil nicht allein deshalb aufgehoben werden, um den Strafausspruch von der Strafzumessungs- auf die Vollstreckungslösung umzustellen.

Recht auf gesetzlichen Richter ist nicht verletzt

Der Beschwerdeführer sei auch nicht dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen worden, dass der 1. Strafsenat des BGH es unterlassen habe, dem Großen Senat für Strafsachen diese Sache zur Entscheidung vorzulegen. Auch wenn der 3. Strafsenat in einem anderen «Übergangsfall» den Strafausspruch aufgehoben und statt der Strafzumessungslösung die Vollstreckungslösung angewendet habe (NStZ-RR 2008, 168), beruhe die Entscheidung des 1. Senats insoweit nicht auf einer abweichenden Rechtsansicht. Bei der Kompensation sei auch in Übergangsfällen der konkrete Einzelfall zu bewerten. Im vorliegenden Fall habe das Ausgangsgericht bereits in der ersten Instanz einen so hohen Ausgleich bei der Berechnung der Einzel- und Gesamtstrafe gewährt, dass der Erste Strafsenat zu Recht davon ausgegangen sei, dass die Anwendung der Vollstreckungslösung statt der Strafzumessungslösung im Ergebnis sogar zu einer Verschlechterung des Beschwerdeführers geführt hätte.

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