Bossnapping - Manager in Geiselhaft

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 03.05.2009

"Bossnapping" nennt sich ein neues Phänomen, das insbesondere in Frankreich in den letzten Monaten bedrückende Realität geworden ist. Bossnapping steht für die meist kurzfristige Geiselnahme von Managern. Arbeitnehmer und die sie unterstützenden Gewerkschaften wehren sich auf diese Weise gegen Betriebsschließungen, Stellenstreichungen, Standortverlagerungen ins Ausland und ähnliche unpopuläre Maßnahmen der Geschäftsführung. Zuletzt sorgte das Bossnapping beim Automobilzulieferer Molex für Aufsehen. Hier wurden gleich zwei Manager von ihren Mitarbeitern mehrere Tage in Geiselhaft genommen, um ihnen Zugeständnisse bei der geplanten Schließung des Werkes Villemur-sur-Tarn bei Toulouse im Juni abzuringen. Insgesamt gelingt es den Arbeitnehmer auf diese Weise immer wieder, der Geschäftsleitung gewisse Zugeständnisse abzuringen. In deutschen Betrieben ist von solchen Aktionen bislang nichts bekannt geworden. In Frankreich sind solche Geiselnahmen wohl vor allem Ausdruck der explosiven Sozialbeziehungen. Weil der soziale Dialog zwischen der Arbeitnehmerschaft und der Unternehmensführung schon in guten Zeiten stockt, gelingt es vielen Unternehmen nicht, in Krisenzeiten den notwendigen Arbeitsplatzabbau friedlich zu realisieren. Sollte sich die Krise weiter verschärfen und weitere Opfer fordern, wird man allerdings auch in Deutschland Aktionen nach französischem Vorbild nicht ausschließen können. Hierzulande sind zuletzt neue Kampfmittel wie der Streik um einen Tarifsozialplan und Flashmob-Aktionen praktiziert werden, um Schließungen zu verhindern oder Vorteile durchzusetzen. Mit der gewaltsamen Festsetzung von Managern wäre wäre eine neue Dimension im Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Beibehaltung bisheriger Standards erreicht. Die rechtliche Beurteilung solcher Bossnapping-Aktionen aus der Sicht des deutschen Rechts ist eindeutig: sie sind kein legitimes Kampf- und Verhandlungsmittel und insbesondere nicht etwa von der sog. Kampfmittelfreiheit gedeckt. Sie sind nicht nur rechtswidrig, sondern sogar strafbar (Freiheitsberaubung, Nötigung etc.).

 

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7 Kommentare

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Ein intellektuell uniteressanter Beitrag, wie ich finde, der die vielen Schichten, die das Thema aufweist, nicht angemessen darstellt.

Stoffels spricht von einem "Ausdruck der explosiven Sozialbeziehungen" in Frankreich. Die Explosivitaet wird damit begruendet dass der "soziale Dialog zwischen der Arbeitnehmerschaft und der Unternehmensführung schon in guten Zeiten stockt". Gemeint ist damit offenbar der "Dialog" um sozialvertraegliche (sic!) Massenentlassungen. Mit dem Valium des Dialogs (die starke Seite verkauft die Ungerechtigkeit beharrlich und geschickt, bis die Gegenargumente der Arbeitnehmerseite ausgetrocknet sind) sei also sozialer Friede herzustellen.

Ob wir uns diesen Daemmerzustand, der da aus den Nebelschwaden des "Dialogs" entsteht, wirklich wuenschen sollten, beantwortet Stoffels mit keinem Wort. Der deutsche Quitismus wird mehr oder minder deutlich der franzoesischen "explosiven Stimmung" als vorzugswuerdig gegenueberstellt.

Ob Quitismus, hier verstanden als das stille Dulden, Ausharren, Hinnehmen, auch unter Umstaenden eklatanter (fuer die Sophisten: gefuehlter) Ungerechtigkeit unter Aspekten der Stabilitaet und des Zusammenhalts einer demokratischen Gesellschaft die bessere Option gegenueber ein wenig Explosion ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Indem Stoffels diese Zweifel nicht kennt, nimmt er die Loesung des Problems vorweg und verweigert den Dialog.

Beitraege, die den Dialog verweigern, tragen aber zum gedanklichen Fortschritt nichts bei.

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Wichtiger als Stoffels zum Thema vor wenigen Tagen

Heribert Prantl: Lob der Unruhe

Unruhe hat einen denkbar schlechten Ruf in Deutschland. Wenn jemand "Unruhen" heute auch nur befürchtet (wie dies jüngst der DGB-Chef Sommer und die SPD-Präsidentschaftskandidatin Schwan im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise getan haben), dann gilt er als eine Art Brandstifter und Aufhetzer. Die bloße Beschreibung eines womöglich prekären Zustands wird als gefährlich apostrophiert - das Establishment der Berliner Politik reagiert wie Palmström in den Galgenliedern von Christian Morgenstern: Palmström, vom Auto überfahren, kommt zu dem Ergebnis, dass er den Unfall nur geträumt haben könne - "weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf".
Die gewalttätigsten Zeiten waren in Deutschland diejenigen, in denen keinerlei Unruhe geduldet wurde. Unruhe ist ein innerer Vorgang, und wenn sich diese Unruhe im öffentlichen Protest Luft macht, ist das nicht schlecht, sondern gut. Öffentliche Unruhe ist nicht per se gewalttätig, wie es die Autoritäten glauben machen wollen.

Quelle: SZ

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Ich sehe nicht, dass hier ein Dialog verweigert wird.  Der Autor sagt aber, dass "Geiselnahmen" kein rechtlich zulässiges Mittel in Deutschland ist. Das finde ich (scheinbar im Gegensatz zu Ralf) auch völlig richtig. Was alles, wie hingenommen werden muss, kann man diskutieren. Und dafür gibt es doch gerade die Möglichkeit Kommentare zu schreiben. 

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Zum Prantl-Zitat: "Die gewalttätigsten Zeiten waren in Deutschland diejenigen, in denen keinerlei Unruhe geduldet wurde." Prantl spielt auf 1933-1945 an. Allerdings wäre Prantl überzeugender gewesen, hätte er erwähnt, dass gerade die Nazis in der damaligen Wählerschaft  von der Abwehr der öffentlichen Unruhegewalt und den politischen Straßenkämpfen  in der Weimarer Republik profitierten: Der Ruf nach dem Führer, der endlich Ordnung schafft. Prantl übersieht hier m.E. einen wichtigen Zusammenhang.  

Es sind zwei Ebenen, die sich hier kreuzen. Die Frage der Strafbarkeit des "bossnapping" ist recht klar zu beantworten, natürlich auch in Frankreich. Die andere Frage ist die des "zivilen Ungehorsams" als politisch-symbolisches Handeln - "Unruhestiften" um zu zeigen, dass man in breiten Kreisen der Arbeitnehmerschaft nicht bereit ist, die Kosten der Wirtschaftskrise (allein) zu tragen, während die (möglichen) Verursacher auch noch mit Millionen aus dem Steuersäckel "abgefunden" werden. Dass "Ungehorsam" auch einen Bruch von Regeln/Gesetzen beinhaltet, steckt schon im Begriff, diejenigen, die ungehorsam sind, nutzen ja gerade die bewusste Regelüberschreitung, um ihren Standpunkt und ihre Wut zu dokumentieren, sie gehen damit auch das Risiko ein, bestraft zu werden. Sie hoffen aber möglicherweise, dass die politische Situation es nicht erlauben wird, sie tatsächlich strafrechtlich zu verfolgen, insbesondere, wenn ihr Standpunkt sehr weit verbreitet ist. Ziviler Ungehorsam kann politisch legitim sein, allerdings darf er sich aus meiner Sicht nicht gezielt gegen Einzelne wenden. Ungehorsam ist auch nicht gleichzusetzen mit Gewalt. Allerdings wurde in breiten Juristenkreisen Deutschlands Mit-dem-Po-auf-die-Straße-setzen schon als "Gewalt" im Sinne des § 240 StGB subsumiert (und die entgegenstehende BVerfG Entscheidung wurde von  einigen Strafrechtskollegen mit einer gewissen Überheblichkeit als falsch kritisiert).

Es bestehen wohl auch kulturelle Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland, wobei man aber nicht verkennen sollte, dass in Frankreich auch eine konservative Mehrheit besteht, die im Übrigen ebenfalls durch die Abwehr von "Unruhe" begünstigt wurde (man denke an den Sarkozy-Spruch vom "Kärchern" in den Vorstädten).

 

 

 

Die Analyse von Herrn Prof. Mueller ist weitsichtig.

Ich moechte ergaenzen, dass unser buergerliches Zivil- und Strafrecht auf einem bestimmten Wirtschafts- und Sozialmodell aufbaut, welches in Krisen wie der jetzigen ins Wanken geraten kann. Der Positivist klammert sich dann an seine althergebrachten rechtlichen Begriffe und analysiert durch diese Brille aktuelle Sachverhalte. Man koennte sagen, dass der genuin rechtswissenschaftliche Beitrag ueber diese Analyse nicht hinausgehen duerfe. Das aber ist nicht richtig. Es ist auch Aufgabe der Rechtswissenschaft, ueber die Verarbeitung neuer faktischer Gegebenheiten im eigenen, historisch stabilisierten "System" nachzudenken. Was heisst es fuer unser Arbeits- und Sozialrecht und die mit ihm verfolgten soziooekonomischen Ziele etwa, wenn im vergangenen Jahr 6,5 Millionen Menschen im Niedriglohn-Bereich gearbeitet habe, also jeder fünfte in Deutschland (dazu dieser Tatsachenbericht in der Zeit, http://www.zeit.de/online/2009/18/interview-hartz-iv?page=all, in dem es folgerichtig heisst: "Wenn diese Zahl weiter wächst, stellt das auch eine Gefahr für unsere Gesellschaft dar."). Oder: Wie wirkt es sich auf den Vorrang der "unternehmerischen Entscheidung" aus, wenn dem Arbeitnehmer und seiner Familie nach der "betriebsbedingten Kuendigung" - nach einer nur noch kurzen Zeit Arbeitslosengeld - HARTZ IV  droht? Anders gefragt: Wenn sich der Staat zurueckzieht und die Menschen ihrem Schicksal als "Buerger" ueberlaesst, ist dann in einer aufgeklaerten Gesellschaft notwendige Folge, dass die "Buerger" ihr "Recht" selbst in die Hand nehmen und ihre Rolle als "Arbeitnehmer" anders interpretieren? Also z.B. ein quasi-eigentumsrechtliches Denken bzgl. des eigenen Arbeitsplatzes offenbaren, um sich dann mit einem Quasi-Selbsthilferecht gegen Eingriffe verteidigen? Die franzoesischen Arbeitnehmer fuehlen sich, wie kuerzlich in einem Vor-Ort-Bericht zu lesen war, als "Gesellschafter" des Unternehmens -> Wird das Recht sich dieser Faktizitaet im Denken dauerhaft verschliessen koennen?) 

Die Krise jedenfalls muss als Katalysator begriffen werden fuer durchaus revolutionaere Ansaetze, deren Legitimitaet sich schon vor der Krise in Ansehung des radikalen Umbaus vieler europaeischer "Sozialstaaten" nicht mehr leugnen liess.

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ralf, das ist doch alles Wunschdenken deinerseits. Kann ich verstehen, wäre natürlich aufregend, wenn in Deutschland mal mehr los wäre, als Rauchverbot, DSDS usw. Ich würde auch gern die Konterrevolution organisieren.

Aber von einer Revolution oder einem Zusammenbruch sind wir meilenweit entfernt. Dafür fehlt alles nötige. Insbesondere eine disziplinierte, fleißige Organisation. Ein hysterischer Mob, der am 1. Mai mal Steine schmeißt, stellt keine "systemische" Gefahr dar.

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@Dr. Oberschlau

Sie haben mich falsch verstanden. Ich glaube wie Sie nicht an eine "Revolution".

Was ich mit "revolutionaeren Ansaetzen" meinte, sind viel mehr Anpassungsvorgaenge, die nun nach und nach erfolgen werden, damit sich die soziale Marktwirtschaft veraenderten Ausgangsbedingungen anpasst.

Meine These ist: Der Staat zieht sich aus vielen Lebensbereichen zurueck. Dieser Prozess laesst sich an vielerlei Umstaenden festmachen (Privatisierungen im klassischen Daseinsvorsorgebereich, Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, Staerkung von Selbstverwaltung allenthalben usw.).

Dieser Rueckzug des Staates wird dazu fuehren, dass die Aufgabe verteilender Gerechtigkeit, die zuvor dem Staat zugewiesen war, nunmehr staerker von der "Zivilgesellschaft" wahrzunehmen sein wird.

Um die These zu stuetzen, brauchen wir (1.) Beispiele und (2.) Begruendungen. Beides moechte ich kurz anschneiden.

Was die Beispiele betrifft:

- SOZIALRECHT: Die FDP fordert die Privatisierung der Krankenversicherung, die aber an eine VERSICHERUNGSPFLICHT unabhaengig vom Risiko gekoppelt werden soll. Damit wird also die Vertragsfreiheit in diesem Bereich zurueckgefahren. Die Buergergesellschaft wird mit der zuvor staatlicherseits wahrgenommenen Aufgabe des sozialen Ausgleichs betraut.

- ARBEITSRECHT: Insbesondere nach den drastischen Kuerzungen im Sozialbereich sind die Rufe nach einem flaechendeckenden Mindestlohn unueberhoerbar geworden. Der Staat delegiert die Aufgabe, fuer ein ausreichendes Einkommen der Bevoelkerung zu sorgen, an die Buerger. Arbeitgeber AG ist also nicht mehr indirekt (ueber Steuern, Sozialabgaben etc.), sondern nunmehr direkt fuer die soziale Sicherheit anderer Menschen - und zwar ganz bestimmter - verantwortlich. Ich bin mir sicher, dass sich Deutschland des Mindestlohnforderungen mittelfristig nicht entziehen kann. 

- In den Bereich passt auch die zunehmende Materialisierung bzw. Konstitutionalisierung des gesamten Zivilrechts. Nehmen wir das AGG: Der Staat will sich nicht um Diskriminierungsopfer kuemmern, etwa mit kostenintensiver affirmative action; er wendet sich mit rigiden Ge- und Verboten an die Zivilgesellschaft.

Was den 2. Punkt bertrifft: Warum ist es zu diesen KOMPENSATIONSMECHANISMEN gekommen bzw. wird es (mE) zu ihnen kommen? Seit Aristoteles wissen wir, dass das Gerechtigkeitsempfinden etwas genuin Menschliches ist; alle Sprache ist auf den Gerechtigkeitsdiskurs ausgerichtet. Und seit Nietzsche wissen wir: Keine Definition ist geschichtslos, weitergedacht: Ein einmal erreichter Standard sozialen Ausgleichs (sprechen wir vom "Gerechtigkeitsniveau") laesst sich nicht spaeter reduzieren. Er ist Teil eines kollektiven Gedaechtnisses und jedes Abweichen wird als Einschnitt und Verletzung von Prinzipien verstanden. Daher wird Kompensation gefordert, wenn schon die Rueckgaengigmachung bestimmter Veraenderungen nicht praktikabel bzw. durchsetzbar ist.

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