St. Augustin - verhinderter Angriff einer Schülerin auf ihre Schule

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 12.05.2009

Der gestern verhinderte Angriff auf eine Schule in St. Augustin (glücklicherweise blieb es bei einer schwer verletzten Schülerin, die wohl Schlimmeres verhütet hat) entspricht in einigen Aspekten nicht dem Bild, das man meinte, aus den vergangenen Schulamokfällen gewonnen zu haben. Eine Schülerin ohne Zugang zu Schusswaffen entspricht auch wohl kaum den Kriterien, die man aus vergangenen Fällen isolieren konnte.

Für mich zeigt sich, dass es sich bei solchen Fällen um (Einzel)fälle handelt, die kaum vorhersagbar sind. Welche Problematik  - ob in Schule oder im Elternhaus oder im Bekanntenkreis hier als Ursache in Betracht kommt oder ob eine spezielle psychische Störung den Hintergrund bildet, wird sicher in den nächsten Tagen und Wochen untersucht und erörtert werden.

Solange man nichts zum konkreten Fall weiß, lassen sich aber schon einmal Experten mit Plattitüden  zitieren, so von Spiegel Online: "Vom evolutionsbiologischen Ansatz her betrachtet haben Männer und Frauen sozusagen unterschiedliche Funktionen", sagte der Direktor des Instituts für Psychologie der Uni Hildesheim, Werner Greve, und wies auf die Aufgaben des Mannes als "Jäger oder Krieger" hin: "Frauen können durchaus auch aggressiv sein, aber typischerweise nicht mit Messern oder Maschinengewehren", sagte Greve weiter. Bei psychischer Gewalt wie Mobbing stünden sie Männern aber keinesfalls nach." 
Der "typische"  Mann also zieht als Jäger und Krieger mit Messern und Maschinenpistolen los. Ich möchte da gern gleich ein paar Fragezeichen anbringen.

Und es gibt auch schon die erste Forderung nach Konsequenzen: Die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU) forderte am Dienstag eine intensivere Beschäftigung mit Mädchen als Gewalttäterinnen. "Wir haben ein Stück weit Mädchen ausgeklammert", sagte sie beim Besuch des Albert-Einstein-Gymnasiums. Das Täterprofil für Amokläufer müsse deutlich erweitert werden.

Das Problem ist jedoch, dass es bisher schon kein nützliches Profil gibt. Das, was an "Kriterien" bisher gesammelt wurde, trifft auf viel zu viele (männliche) Schüler zu, um wirksam Prävention zu betreiben. Wenn man nun das "Profil" um Mädchen erweitert, wird es noch weniger nützlich sein. Insbesondere wenn diese Schüler-innen eben "unauffällig" sind und eben nicht als "Gewalttäter-innen" im Schulalltag erkannt werden können, Auch schon beim Täter von Winnenden hieß es, er sei "unauffällig" gewesen.

Heute konnte man auch beobachten, ob die Medien nach der Kritik im Anschluss an den Fall von Winnenden anders reagieren. Auffällig: Das Gesicht der Beschuldigten ist überall verpixelt oder geschwärzt - allerdings ist auf google news das unveränderte Foto zu sehen - auch bei den Medien, die das Foto auf ihrer website dann verpixeln, die Technik scheint da noch nicht ausgereift zu sein.

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6 Kommentare

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Jetzt heisst es nach "Ursachen" zu suchen. Falls das Mädchen keine "Killerspiele" gespielt hatte, müsste man weiter in der Geschichte suchen. Vielleicht Alcopops, Rockmusik, oder Comics? Die haben doch früher unsere Jugend "verdorben". Und wenn man gar nichts findet, dann wars eben "das Internet".

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Der Hinweis auf das gefährliche Internet ist noch ein bisschen versteckt, aber er findet sich tatsächlich, z.B. hier:

"Der im Kinderzimmer der Verdächtigen gefundene Feuerlöscher sei mit „entzündbaren Materialien" gefüllt gewesen, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft einen Bericht von „Focus"-Online. Nach Informationen des Magazins verschaffte sich die 16-Jährige die Anleitungen für die Herstellung des voll funktionsfähigen Sprengsatzes vermutlich im Internet."


Wenn wir in einem Jungenverherrlichungsstaat lebten, in dem man Jungs von Geburt an verhätscheln und verzärteln würde, sie von der Wehrpflicht ausnähme und auch überhaupt die ganze Drecksarbeit den Mädchen überließe, hätten Jungen sicherlich besseres zu tun, als vor lauter Hass und Perspektivlosigkeit amok zu laufen. Tanja aus Sankt Augustin hat es scheinbar nicht ganz geschafft, in den erlesenen Club der schicken Girlies zu kommen. Sie ist an einer Hackordnung der anderen Art gescheitert. Für sie war der Drops gelutscht. Jungen müssen dies indessen generell hinnehmen, denn für Jungs ist ein Gratis-Wunderland überhaupt nicht vorgesehen. Auf sie wartet keine Bevorzugung im Schulunterricht, keine Berücksichtigung ihrer hormonellen Veranlagungen, keine softe Quotenkarriere, keine Eintritt-frei-Abende in der Disco und keine spendierten Getränke, Reisen, Schmuckpräsente, kein Nulltarif auf der Flirtline, keine "mit seinem sexy Outfit macht er die Mädchen scharf"-Zeitschriften und auch keine schmeichelnden Soaps, in denen Jungs immer recht haben und alle Konflikte stets zu ihren Gunsten lösen, wogegen Mädchen bestenfalls mit schuldbewusstem Hündinnenblick den Satz aufsagen dürfen "Entschuldige, Sascha, ich habe mich wie eine Fotze benommen".

Das gibt es alles nicht. Weder als Strandschönheit, noch mit Fotos, getragener Wäsche oder käuflicher Liebe werden Jungs je ein Vermögen anhäufen, und auch das lukrative Ehearrangement wird in aller Regel ausbleiben, da wohlhabene Frauen - im Gegensatz zu Männern - primär einen Status heiraten und den Partner tendenziell erst in Betracht ziehen, wenn er mindestens genauso reich (besser: noch reicher!) ist. Nichtmal für dekoratives Rumsitzen in Arztpraxen oder Foyers der Konzerne gibts Geld für Jungs, denn auch hier gilt natürlich: Girls only.

Diese spezielle Form der Gleichberechtigung wird eifersüchtig bewacht. Die gynozentrische Gesellschaft als unantastbare Richtschnur ist verbindlich für jeden, der nicht unter Brücken schlafen will. Wer dennoch aufsteht und frech die "Gleichverpflichtung" fordert, wird umgehend als bizarrer Außenseiter erkannt. Eine Frauenquote bei der Müllabfuhr, der Kanalreinigung und in der Tierkörperbeseitigung werden wir niemals erleben.

Ein Amokläufer ist in erster Linie ein Selbstmörder. Dass er auf seinem Weg ins Nirvana schnell noch all diejenigen mitnehmen möchte, die ihm übel zugesetzt haben, ist nicht so schrecklich schwer zu verstehen. Der Amokläufer steht auf der Klippe des Selbstmordattentäters. In beiden Fällen ist nicht vordergründig Gewalt das Thema, sondern eine menschliche Tragödie. Wer keine erträgliche Zukunft für sich erkennt, zieht möglicherweise den Freitod in Betracht. Und mit welcher Strafandrohung wollte man einen Selbstmörder ernstlich davon abhalten, seine Vorstellungen von Gerechtigkeit und Genugtuung für erlittenes Leid in einem finalen Akt der Autonomie zu verwirklichen?

Nun schwärmen sie also wieder aus, die professionellen Schaumschläger und Dummköpfe, die nach Farbkugeln und Counterstrike-Kopien Ausschau halten. Tanja aus Sankt Augustin besaß wahrscheinlich keines von beidem. Sie wird ein Kuriosum bleiben. Ihr innerer Weg zur Rohrbombe verblüfft noch die "Experten", denn Gewalt ist schließlich männlich. Und das stimmt sogar auf treppenwitzige Weise, denn Mädchen, die mit ihrer Umwelt nicht klarkommen, flüchten sich komfortabel in Illusionen, Kitsch und Schwangerschaft. Gewalt ist für Frauen nicht erforderlich - zumindest nicht auf körperlicher Ebene, und ihr tiefempfundenes Bedürfnis nach niederträchtigen, intriganten und zänkischen Auseinandersetzungen wird beim Betrachten täglicher Spezialsendungen mehr als hinreichend gedeckt.

Unterdessen haben die kriminologischen Spürnasen die Witterung längst wieder aufgenommen; unbeirrt beschreiten sie den profilierenden Weg in die Talkshows. Noch ein paar Schönheitskorrekturen am Täterprofil, und schon bald kann wieder frohen Mutes und mit aufgefrischtem Sachverstand daran gearbeitet werden, den Staat noch repressiver auszugestalten. Sie starren auf die Gewalt der Anderen, wogegen die menschliche Tragödie leicht millionenfach erkennbar wäre. So sind die vermeintlichen Heiler der Gegenwart Ursache der Krankheit von Morgen.

Es fragt sich, was verabscheuungswürdiger ist; das Attentat, oder die stets parate Meute scheinheiliger Betroffenheitsposer, die sich öffentlich fragt, ob sie denn noch nicht alles getan hätte, um dieses Unglück zu verhindern.

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Der angeblich mit Internet-Hilfe zur Bombe umgebaute Feuerlöscher, siehe oben #2 entpuppt sich als Polizei-Ente:

"Nicht bestätigt hat sich der Verdacht, dass die 16-Jährige in ihrem Elternhaus einen Feuerlöscher mit einer explosiven Substanz präparierte. Das Gerät enthält nach Angaben der Staatsanwaltschaft harmloses Löschpulver. Die Ermittler hatten eine Bombe vermutet, weil an dem Feuerlöscher offenbar manipuliert worden war." (Quelle: hier)

Ich frage mich, wer eigentlich so frech ist, offenbar ohne jegliche Tatsachengrundlage zu behaupten, der Feuerlöscher sei mit "entzündlichen Materialien" oder mit "Schwarzpulver" gefüllt, und man habe "Informationen" dazu, dass die Schülerin den Bau der Bombe im Internet gelernt habe.

 Focus-Redakteur Axel Spilcker verbreitete offenbar noch eine weitere Fehlinformation. So schrieb er auf Focus-Online unter der sich jetzt als falsch herausgestellten Überschrift "Funktionsfähige Bombe im Kinderzimmer":

"In ihrem Rucksack, in dem die Polizei auf der Toilette des Albert-Einstein-Gymnasiums etliche Molotowcocktails sichergestellt hatte, fand sich ein Abschiedsbrief mit den Worten: „Ich will erst meine Mitschüler weinen sehen, dann scheide ich aus dem Leben."

Auch diese Meldung fand große Verbreitung. Heute steht nun in der Kölnischen Rundschau: "Klärendes gab es unterdessen zum Brief, der im Rucksack der mutmaßlichen Täterin gefunden wurde. Van Rossum bestätigte, dass das Schriftstück durchaus drohenden Charakter gegenüber den Mitschülern gehabt habe. „Es ist aber kein Abschiedsbrief", stellte er klar. „Man muss sich davon lösen, dass sich ein solcher Täter nach dem Feuersturm immer selbst das Leben nehmen will."

Was für eine Berufsaufassung haben diese Leute? Unwahrheiten zu verbreiten gehört doch weder zur Polizeiarbeit noch zum Journalismus.

Verehrter Herr gonsior,
Ihre Ausführungen sind sehr interessant, aber auch Sie gehen etwa hinsichtlich des vorab geplanten Suizids von bislang unbestätigten Vermutungen aus, ganz so, wie Sie es bei den kriminologischen "Spürnasen" annehmen und kritisieren.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Hallo HPDM,
wie kommen Sie darauf? Ich bezog mich doch erkennbar auf grundlegende Motivstrukturen. "Amokläufer" nach heutiger Lesart laufen gar nicht Amok im Sinne einer spontanen Berzerkerei, sondern es handelt sich um Selbstmordattentäter, die mitunter viel Zeit in Planung und Vorbereitung ihrer Tat investieren. Hierbei dürfte das eigene Ableben von zentraler - und die Bereitschaft dazu von initialer - Bedeutung sein, denn so eröffnet sich der Weg in die subjektive Folgenlosigkeit.

Ob Tanja O. diesem Personenkreis überhaupt zuzurechnen ist, oder ob nicht vielleicht andere Faktoren zu einer halbgaren Nachahmung ohne abgeschlossene Zielvorstellung führten, werden die Untersuchungen zeigen müssen.

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