Sexueller Missbrauch von Kindern durch Übermittlung sexueller Handlungen über Webcam und Internet

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 14.05.2009

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09 - die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG München I wegen fünf tateinheitlich begangener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in weiterer Tateinheit mit der Verbreitung pornographischer Darbietungen durch Teledienste als unbegründet verworfen (bislang liegt nur die Pressemitteilung vor, die auch den Sachverhalt schildert). Auch wenn sich der Angeklagte und die fünf Kinder nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befunden hätten, so konnten die Opfer, die mit dem Angeklagten in einer Interaktion standen, dessen entblößtes Glied und die Onanierbewegungen aufgrund der simultanen Bildübertragung mittels Webcam und Internet am Bildschirm ihres Computers unmittelbar wahrnehmen. Die Strafkammer sei deshalb zu Recht von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausgegangen, da im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers kein Zweifel daran bestehe, dass Kinder zum Schutz ihrer ungestörten Gesamtentwicklung vor solchen Wahrnehmungen umfassend bewahrt werden sollen.

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2 Kommentare

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diese höchstrichterliche entscheidung ist mE ein weiteres beispiel für eine hoffnung erweckende entwicklung im deutschen (und europäischen) strafrecht: dass jegliche sexuelle einflussnahme auf kinder (und unter einschränkungen auch jugendliche) - auch die über 'distanzmedien' wie webcam, handycam uä! - schlichtweg nicht zu billigen und daher bei strafe verboten ist.

gemeinsam mit dem relativ jungen verbot von 'jugendpornographie' gibt so zumindest das strafrecht der realisierung dieser auf kinder bezogenen sexuellen tendenzen, die wohl vor allem durch das alltäglichwerden des internets für jede altersschicht weiter verbreitet sind, als gemeinhin bekannt ist, keine chance.

inwieweit sich die verbote auch in der strafverfolungspraxis (technisch) umsetzen lassen (werden), steht natürlich auf einem anderen blatt.

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Die Entwicklung des Sexualstrafrechts in den letzten fünfzehn Jahren, und da schließe ich die Rechtsprechung ausdrücklich ein, verdient meines Erachtens nur ein Wort: reaktionär. 

Sie ist das Ergebnis vor allem einer Entwicklung --der Kommerzialisierung des Kinderschutzes durch viele selbsternannte, nicht qualitätsgesicherte, rechtlich unregulierte, gemeinnnützig spendengeförderte und in ihrer Tätigkeit nie hinterfragten, fachlich nicht qualifikationsgesicherten, insgesamt undursichtigen Spendensammlern, die aus dem (im Hellfeld realer Fälle inzwischen sinkenden) verschlagwortetem sex. Missbrauch von Kindern vor allem eins gemacht haben --Arbeitsplätze und ein Geschäftsmodell.

Seit der Erfindung des Privatfernsehens sind sie eine unheilige Allianz mit den Medien eingegangen: je gefährlicher Interaktionen im Kontext von Kinder- und Jugendsexualität dargestellt werden, desto größer der Spenden-Hebel und desto höher die Einschaltquote. Beide Gruppen verdienen daran.

Früher noch war sie arbeitslose Hausfrau, heute ist die Dame, die einmal in stern-TV vorführte, welche anzüglichen Chats in Teenie-Chaträume stattfinden, kommerziell aktive Kinderschützerin und hat damit ihr Auskommen gesichert.

Sozialwissenschaftliche Ausbildung? Empirie-Probleme bei unbekannter Größe von Dunkelfeldern? Bewusstsein über die Schranken eigener Erkenntnisfähigkeit? Alles Papperlapapp.

Im Mini-Kosmos des Themas "Kinder, Jugendliche und Sexualität" gelten eigene Wissenschafts-, Methoden-, und Erkenntnisgesetze. Die Herkömmlichen der diesseitigen normalen Denk-Welt sind alle außer Kraft gesetzt.

Anders kann ich mir nicht erklären, warum beispielsweise die große Studie des Psychologen Bruce Rind, die empirisch bisher unwidersprochen und undwiderlegt ist, von strafrechtlich Beteiligten bei der wichtigsten Frage --der Bewertung-- nicht so konsequent weg-halluziniert wird.

(Follow-Up Kommentar in Deutscher Übersetzung zB bei http://home.wanadoo.nl/ipce/library_two/rbt/skep_de.pdf )

Was für Wertungswidersprüche! 
Was anderes als ein Pornofilm ist denn ein qualitativ schlechter Webcam-Bildübertragung sexueller Handlungen, außer dass es vielleicht noch einen Chat-Text dazu gab?

Da gibt es ein Elternprivileg (§184 Abs. 2).
Da gibt es leicht zugängliche Hardcore-Pornos überall im Internet für jeden jungen Menschen abrufbar, der danach sucht.
Da gibt es also bewegte Bilder in Größe einer Streichholzschachtel, die mit einem einzigen Klick auch noch geschlossen werden können.

Jeden Abend im Fernsehen laufende Tötungs-Sequenzen in Action-Filme, Kopfschüsse ohne Ende. Bei den bewegten Webcam-Bildern tut man strafrechtlich so, "als ob" das Geschehen mental wie eine live vorgenommene sexuelle Handlung verarbeitet wird. Während die Fernsehbilder beliebiger Gewaltdarstellungen im Gehirn anders verarbeitet werden sollen?  

Was laertes fordert, ist die in der Juristerei bekannte lustige, inhaltsarme Formel von der "ungestörten sexuellen Entwicklung." Demnach gebe es einen "Norm-Verlauf" der Sexualentwicklung junger Menschen, und jede Art von Erfahrung ist eine Störung. Die Entwicklung verliefe demnach nur korrekt, wenn sie ungestört, also frei von Erfahrung sei? Ich nenne sowas "Ideal einer Sexual-Isolation."

Rückblickend müssen alle diejenigen Strafrechtler der vergangen 30  Jahre, die läppische Geldstrafen für sexuelle Handlungen an Kindern ins Gesetz geschrieben hatte, wie Vollidioten dastehen, verglichen mit heutiger Sanktionierung (Haftandrohung, Haft, Wiederholungsfall Sicherungsverwahrung).  Man wird sich sehr ungern erinnern, aber bei einer der zahlreichen Verschärfungen des Sexualstrafrechts hat ein Gutachter, also jemand, der sich mit der Materie von Berufswegen auskennt, sogar gefordert, dass geringfügige sexuelle Handlungen an Kindern ganz straffrei bleiben sollten.

Es bestreitet ja niemand, dass es sexuelle Gewalt gibt, und dass es echte Opfer gibt.  Was aber verloren gegangen zu sein scheint ist --eine korrekte Bewertung. 

Der BGH scheint von einer unbegrenzten eigenen universaltheoretischen Erkenntnisfähigkeit überzeugt zu sein. 

Jeder, der sich ernsthaft und längere Zeit mit Sexualstrafrecht beschäftigt, weiß, dass man ungefähr zehn Jahre in dem Feld verbracht haben muss, bevor man sich eine einigermaßen von persönlichen Vor-Urteilen (in jede Richtung) *bisschen* objektive Sicht zuerkennen darf --einen offenen Geist vorausgesetzt.

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