München ist laut polizeilicher Kriminalstatistik relativ sicher. Aber woran liegt´s?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 18.05.2009

Auf Spiegel Online ist heute die Sicherheit in München Thema. Nach der polizeilichen Kriminalstatistik ist die Häufigkeitszahl (also die Anzahl der von der Polizei in München registrierten Delikte je 100.000 Personen der Wohnbevölkerung ab 8 Jahren) in M seit Jahren im Vergleich zu anderen Großstädten tatsächlich auffallend niedrig, sie liegt bei ca. 8500.

Frankfurt mit 16000, Hamburg mit 13500, Berlin mit 14500 und Köln mit 14000 (alles gerundete Zahlen, Quelle: BKA) haben alle eine weit höhere Häufigkeitszahl.

Der von Spiegel Online befragte Konrad Gigler, Leitender Kriminaldirektor im Polizeipräsidium München nennt auch einige der möglichen Gründe:

München habe (im Stadtgebiet) keinen Flughafen und keinen Hafen, München gebe viel für Soziales aus, die Arbeitslosenquote sei vergleichsweise niedrig. Als entscheidend werden aber zwei weitere Punkte angeführt: Erstens die Polizeiorganisation, die dazu führe, dass in M wesentlich mehr Streifenpolizisten auf der Straße präsent seien und zweitens die Sozialkontrolle der Münchner, die sich etwa darin zeige, dass Jugendlichen, die ihre Füße auf die Sitzbank legten, auch einmal entgegengetreten würde - im Unterschied zu den nördlichen Bundesländern, bei denen dies aus falsch verstandener Liberalität nicht geschehe.

Der blog criminologia aus Hamburg lästerte sogleich zurück:

„Haben wir im Norden jetzt nur die Falsche Polizeistrategie, oder brauchen wir Nachhilfe in Sachen Toleranz und Offenheit? Denn in München weiss man anscheinend was Freiheit bedeutet, nämlich Sicherheit. Ich weiss nicht wie es anderen geht, aber ich fühle mich durch starke Polizeipräsenz weder frei noch sicher."

Dieser Kommentar ist allerdings zweischneidig, denn immerhin ist man in Hamburg - wenn man die Statistik zum Ausgangspunkt nimmt - einem weit höheren Risiko strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, und Strafrecht ist schließlich auch „Kontrolle".

Ich möchte den Artikel auf andere Weise kommentieren: Die Statistik zeigt nur das Hellfeld, das  in ca. 80 bis 90 % der Fälle durch die Anzeigenerstattung der Bürger bestimmt wird. Dass München eine niedrige Anzeigequote hat, kann aber an zweierlei liegen, nämlich einerseits daran, dass tatsächlich weniger Delikte begangen werden („Sicherheit")  und andererseits daran, dass die Münchener aus bayerischer „Liberalität" gerade keine Strafanzeige erstatten bzw. die Münchener Polizei nicht anzeigeaufnahmefreudig ist. Es besteht keine Möglichkeit, aus der Kriminalstatistik selbst zu erfahren, ob die niedrigen Hellfeldzahlen auch ein entsprechend niedriges Dunkelfeld bedeuten oder ob nur das bestehende Dunkelfeld weniger ausgeschöpft wird.

Es gilt noch mehr Fragezeichen an die im Spiegel-Artikel geäußerten Vermutungen und Deutungen anzubringen: Das subjektive Sicherheitsgefühl hat mit der Kriminalstatistik wenig zu tun, deshalb sollte man nicht Maßnahmen, die dem „Sicherheitsgefühl" dienen sollen, mit der Statistik in Zusammenhang bringen. Vermehrte Streifentätigkeit müsste eigentlich eine stärkere Ausschöpfung des Dunkelfelds mit sich bringen, also höhere, nicht unbedingt niedrigere polizeistatistische Zahlen. Gerade dass die Polizei schnell da ist, wird ja regelmäßig dazu führen, dass auch eine Strafanzeige aufgenommen wird. Ich würde - neben den genannten Unterschieden in der Anzeigetätigkeit - vermuten, dass für die niedrige Häufigkeitszahl in München insbesondere strukturelle Gründe vorliegen: Solche sozioökonomischer Art, wie sie ja auch im Artikel erwähnt werden und solche der Alters- und Beschäftigungsstruktur der Bevölkerung. Aber vielleicht haben die Blog-Leser ja noch eine Idee oder Vermutung?

 

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8 Kommentare

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Na ja - der Möglichkeiten wären verschiedene Dinge gewesen. ich habe einmal mehrere grob überflogen.

- Die Altersstruktur scheint keine Auffälligkeiten aufzuweisen (nur Frankfurt fällt etwas aus dem Rahmen).

- Der Ausländeranteil ist es auch nicht (es sind *nominal* z.B. 3x mehr Deutsche in Berlin als in München angezeigt worden aber nur etwa doppelt so viele Ausländer).

- Der Flughafen von Frankfurt liegt imho ebenfalls ausserhalb des Stadtgebietes -- und Zollvergehen fließen nicht in die Statistik ein.

Mich würde noch interessieren wie es mit der Delikt-Struktur aussieht, ich habe jedoch keine Statistik dazu gefunden welche das für die Stätde aufgliedert.

 

Grüße

ALOA

4

Sehr geehrter aloa5,

jedenfalls nach diesen Angaben wird der Frankfurter Flughafen in der Kriminalstatistik für die Stadt Frankfurt erfasst:

FAZ

Polizeipräsidium Frankfurt a.M.

Zur Deliktsstruktur: das ist relativ aufwändig, denn man muss für jede Stadt einzeln nachschauen und die Statistiken sind nicht überall gleich aufgebaut. Zum Vergleich von München und Berlin nur so viel: Auffälliger Unterschied ist lediglich, dass in Berlin im Hellfeld ca. 21 % Vermögens/Fälschungsdelikte registriert sind (wozu auch "Schwarzfahren" gehört), in München nur 14,5 % der Delikte. In allen anderen Bereichen liegt München anteilsmäßig etwas, aber nicht deutlich über Berlin. Nun ist Schwarzfahren (also die leistungserschleichung im Öffentlichen Nahverkehr) ein klassisches Kontrolldelikt; die Zahlen können durch mehr Kontrolle und insbesondere eine andere Verfolgungspolitik gegenüber den "Erwischten" unmittelbar  beeinflusst werden, ohne dass dies mit "Sicherheit" in der Stadt etwas zu tun hätte. Ähnlich ist es bei der Fälschung von Ausweispapieren, etwa bei illegalen Einwanderern. Leider ist nicht näher aufgeschlüsselt, ob bei den Vermögens-/Fälschungsdelikten ein relevanter Anteil dieser Kontrolldelikte gegeben ist.

Zur Ergänzung: Was sich in einer Untersuchung herausstellte, die ich vor einigen Jahren zur Kriminalstatistik verschiedener bayerischer Großstädte (Regensburg, Augsburg, Würzburg, Nürnberg) unternahm, war ein Zusammenhang zwischen Einpendlern und Einwohnern, der sich unter den Städten erheblich unterscheiden kann. So kann eine Stadt tatsächlich tagsüber auf die doppelte Einwohnerzahl anwachsen, die aber zur Hälfte nicht bei der Wohnbevölkerung mitgezählt werden, andere Städte aber (z.B. weil die Umgebung weitgehend eingemeindet ist oder sich Großunternehmen nicht auf dem Stadtgebiet angesiedelt haben), haben eine weit geringere Quote von Einpendlern oder sogar viele Auspendler. Das Gleiche gilt übrigens, wenn viele Studenten nicht am Studienort gemeldet sind, sondern am Wohnort ihrer Eltern.

Gruß
Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Müller,

das mit den Studenten klingt plausibel - jedoch sollte das für einige oder alle Städte zutreffen.... nominal.  Es könnte jedoch für die Verhältniszahl relevant sein. Offenbar gibt es in Leipzig 30.000 Studenten und in Freiburg 20.000 (bei sehr untersch.EW-Zahl).

Einmal von München ab finde ich dieses "Dreieck" interessant, weil es räumlich wie in der Größe recht nahe beisammen liegt: Dresden,  Leipzig und Nürnberg.

Dresden rd. 500.000EW und Verhältniszahl rd. 8.800

Leipzig rd. 500.000EW und Verhältniszahl rd. 12.800

Nürnberg rd. 500.000EW und VerhZ rd. 8.600

Das erste Paar scheint zudem das Nord/Süd-Gefälle oder eine "Bayrische Mentalität" als Grund auschließen zu können. Außerdem liegen diese beiden Städte in einem Bundesland (Sachsen) womit die Polizeistärke usw. sich ähneln sollten.

Ich nehe eine weiter Stadt hinzu: Freiburg. Das ist was die Kriminalität angeht imho die Landeshauptstadt Baden-Württembergs. Die Stadt hat nur gut 220.000EW und damit die Hälfte der anderen drei.

Eine Zahl aus der Statistik verglichen: gestohlene Fahrräder

Dresden 2008: 1.899

Freiburg 2008: 2.115

Ebenso auffällig sind die Rohheitsdelikte. FR/DD - 3446/3943. Dazu ist noch zu sagen, das in Freiburg etwa 30% aller ermittelten Tatverdächtigen unter 21 Jahren sind. Diese Quote war in Dresden im Jahr 1999 ähnlich hoch, ist aber kontinuierlich auf 20% abgesunken. Bei den Gewaltdelikten liegt die Quote der Täter unter 21Jahren mit Körperverletzung bei 40% in FR. Brennpunkt ist die Altstadt.

 

Ich denke es könnte teilweise mit solchen Brennpunkten und dort dann auch mit der Präsenz von Polizei zu tun haben (bei Gewaltdelikten). Die Altersstruktur ist u.U. ebenso von Bedeutung wie die monetäre Lage der Menschen. Letzteres jedoch nicht im Durchschnitt, sondern in der Struktur - denn das scheint gerade für die Diebstahls-Häufigkeit ausschlaggebend sein zu können. Also: nicht der Anreiz zu stehlen (der ist in München u.U. größer), sondern die Motivation (fehlendes Geld).

 

Grüße

ALOA

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Sehr geehrter aloa5,

das mit den Studenten trifft nicht auf alle Uni-Städte gleichermaßen zu, denn es gibt Hochschulstädte, die eher Studenten der umliegenden Region anziehen (die dann am Wochenende nach Hause fahren): Dann erfolgt häufig keine Ummeldung und sie werden deshalb nicht mitgezählt, obwohl die Studenten die Bevölkerung der Unistadt ja tatsächlich erhöhen. Dies führt zur Verzerrung der Häufigkeitszahl. Und es gibt andere Uni-Städte, die Studenten aus entfernteren Regionen anziehen, die sich dann auch ummelden.

Auf der Suche nach dem Grund für den auffälligen Unterschied zwischen Dresden und Leipzig bin ich allerdings stecken geblieben, weil mir die Verhältnisse (Einpendler/Auspendler) dieser beiden Städte nicht bekannt sind, und die Polizei Leipzig keine Kriminalstatistik ins Internet stellt, so dass man die Deliktsstruktur nicht vergleichen kann. In der Altersstruktur und in der Studentenanzahl gibt es kaum Unterschiede, so dass allein hierin die Erklärung nicht zu finden ist.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

Sie können für die Struktur die Seiten 13 und 14 dieser PDF nehmen:

http://www.polizei.sachsen.de/lka/dokumente/downloads/downloads_ohne_kon...(1).pdf

Besonders auffällig ist hierbei die deutlich abweichende Anzahl bei den Diebstahls-Delikten. In Dresden sind es rd. 17.000 erfasste Fälle (von 43.000). In Leipzig sind es jedoch mit 30.000 (von 64.000) erheblich mehr und bilden offenbar das gro´ des Unterschiedes.

 

Mitte 2007 gab es 83 698 sv-pflichtige Einpendler nach Leipzig, 38 732 Leipziger waren Auspendler.

(quelle http://www.leipzig.de/imperia/md/content/12_statistik-und-wahlen/lz_qb08... )

In Dresden sollen es 85.000 Einpendler sein (also kein Unterschied).

Grüße

ALOA

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Sehr geehrte Diskutanten,

der Flughafen Frankfurt zählt zum Stadtgebiet (als eigener Stadtteil). Für die Kriminalstatistik ist das schon ein gewichtiger Punkt - fast keine Einwohner und ein hoher Anteil "zwangsläufiger" Kriminalität, d.h. nur Verstöße gegen das Ausländergesetz, Urkunds- sowie Eigentumsdelikte.

Grüße

Bert

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Vermehrte Polizeipräsenz verkleinert nicht nur das Dunkelfeld, sondern wirkt auch bereits präventiv und strahlt ein "Vebrechen lohnt sich nicht!" aus, eventuell wirkt auch die Videoüberwachung präventiv.

Aber ich denke auch, es sind eher strukturelle Gegebenheiten, vor allem wenn man auch das Einzugsgebiet betrachtet, mehr Wohlstand, Ländlichkeit und Alter, wenig Arbeitslosigkeit. Zudem ist nur die Bevölkerungsdichte in München selbst so hoch, das umliegende Einzugsgebiet ist im Vergleich zu anderen Großstädten deutlich geringer besiedelt.

 

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@aloa5 (#3): Den Spitzenplatz innerhalb von Baden-Württemberg verdient sich Freiburg zu einem beträchtlichen Teil nicht selbst, sondern dank des Umfelds. Kollegen von mir aus der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht haben vor einiger Zeit in einer Studie zum Thema "importierte Gewalt" belegt, dass Freiburg aufgrund seiner Bedeutung als Oberzentrum für ein vergleichsweise riesiges Einzugsgebiet (im Norden bis über Offenburg hinaus, im Süden bis an die Schweizer Grenze und im Osten bis über Villingen-Schwenningen und Donaueschingen hinaus) insbesondere an den Wochenenden sehr viel auswärtiges Publikum anzieht, dessen Straftaten – hier fallen insbesondere alkoholbedingte Gewaltdelikte von Jugendlichen und Heranwachsenden ins Gewicht – von der Polizei als in Freiburg begangen gezählt werden und daher die Freiburger Statistik im Vergleich stärker "verunreinigen" als dies woanders der Fall sein soll. Leider habe ich gerade keinen Link auf Details der Studie zur Hand. Ich fand's aber relativ interessant, gerade vor dem Hintergrund, dass in der Presse schon darüber spekuliert wurde, warum gerade die Freiburger Jugendlichen so viele Gewaltstraftaten begehen, verglichen etwa mit den Mannheimern oder Stuttgartern ... :-)

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