Schuhewerfen auf ausländische Politiker - in Deutschland strafbar?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 03.06.2009

Wie der Presse zu entnehmen ist (Prozessbericht im Berliner Tagesspiegel), ist der deutsche Doktorand, der im Februar bei einer Universitätsrede des chinesischen Regierungschefs Wen Jiabao in Cambridge lautstark protestierte und einen Turnschuh in Richtung des Redners warf, mittlerweile von einem englischen Gericht "freigesprochen" worden, allerdings erging zugleich eine richterliche "Ermahnung" bzw. "Verwarnung" des Doktoranden.

Wie wäre ein entsprechender Fall eigentlich in Deutschland ausgegangen? Die Suche nach einer Antwort bringt die (im Strafrechtsstudium als "Dunkelnormen" kaum beachteten)  §§ 102, 103 StGB ins Bewusstsein, letztere eine qualifizierende lex specialis zu den §§ 185 ff. StGB (Beleidigung, Verleumdung).

Anders als in Großbritannien - die dortige Anklage soll auf Störung der öffentlichen Ordnung, Beleidigung und Aufruf zur Gewalt gelautet haben - sind also nach dem StGB die Beleidigung und der körperliche Angriff auf einen Vertreter ausländischer Staaten gesondert und qualifiziert strafbar, womit die Rechtsgüter "Handlungsfähigkeit ausländischer Staaten / Ehre ausländischer Staaten" geschützt werden (vgl. Kreß in MünchKomm StGB § 102 Rn.1 und § 103 Rn. 1) .

Laut Spiegel-Online hat der Doktorand während der Rede Wens ausgerufen: "Wie kann sich die Universität für diesen Diktator prostituieren? Wie könnt Ihr den Lügen zuhören, die er erzählt? Steht auf und protestiert!" und sodann seinen Turnschuh auf die Bühne geworfen. Der Schuh sei etwa einen Meter neben Wen gelandet.

Für § 102 StGB fragt sich deshalb zunächst, ob damit ein Angriff auf den Leib Wen Jiabaos gegeben ist. Ein Angriff liegt allerdings schon mit Versuchsbeginn vor, nach Kreß (MünchKomm § 102 Rn.16) genügt eine auf eine "nicht ganz unerhebliche Körperverletzung zielende Handlung". Ob der Doktorand freilich Wen Jiabao überhaupt verletzen wollte, ist fraglich. Vor der Polizei gab er an, er habe an diesem Tag absichtlich nur einen leichten Turnschuh angezogen und habe diesen auch nur auf die Bühne werfen wollen, ohne Wen zu treffen. Allerdings erscheinen diese Angaben zur subjektiven Seite etwas widersprüchlich (wenn er nur auf die Bühne werfen wollte, brauchte er sich wegen der Beschaffenheit des Schuhs keine Gedanken zu machen). Man kann aber wohl bei dieser Sachlage kaum die Absicht einer nicht unerheblichen Körperverletzung nachweisen, so dass § 102 StGB wohl schon objektiv ausscheidet. Ähnlich wohl die Schlussfolgerung des britischen Gerichts.

Wie sieht es  mit § 103 StGB aus? Sowohl der verbale Protest als auch der Schuhwurf könnten als Beleidigung des ausl. Regierungschefs subsumiert werden. Hierbei ist allerdings die "Wahrnehmung berechtigter Interessen", § 193 StGB, zu berücksichtigen und damit vor allem die Meinungsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung. Kreß (MünchKomm § 102 Rn. 9) macht überzeugend geltend, dass man sich wegen der inzwischen auch völkerrechtlichen Verankerung der Meinungsfreiheit kaum noch auf altertümliche Vorstellungen von "Majestätsbeleidigung" oder auf eine Strafpflicht ohne Rücksicht auf die Meinungsfreiheit  stützen könne. Allerdings hat das BVerwG bei der Abwägung einen gewissen Vorrang der diplomatischen Interessen angenommen (BVerwG NJW 1982, 1010).

Übrigens lohnt sich noch einmal die Lektüre der Entscheidung des BVerwG (NJW 1982, 1008 = BVerwGE 64, 55), um die tatsächliche Reichweite der Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik im Jahr 1982 ermessen zu können: Die chilenische Regierung unter dem Verbrecher Pinochet war (wie wir wissen und damals die Bundesverwaltungsrichter auch schon wissen konnten) völlig  zu Recht als "Mörderbande" bezeichnet worden. Die Polizei hatte das vor der chilenischen Botschaft gezeigte Spruchband sichergestellt und das BVerwG hat diese Entscheidung zur "Gefahrenabwehr" bestätigt: Die Grenzen der Meinungsfreiheit seien überschritten!

Zurück zum Schuhwerfer: Der verbale Protest kann wohl nicht als Überschreitung der Meinungsfreiheit angesehen werden und war daher wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt, anderes könnte für den Schuhwurf gelten, zumindest wenn man ihn isoliert betrachtet. Denn dieser Schuhwurf drückt eine allgemeine Missachtung der Person und Funktion aus und ist selbst nicht mehr allein  politisch-verbale  Äußerung. Im Zusammenhang mit dem Protestruf (sozusagen als "Unterstreichung" desselben) kommt aber auch eine andere Interpretation in Betracht.

Unabhängig davon würde aber eine Strafverfolgung nach § 103 StGB in Deutschland im konkreten Fall an § 104a StGB scheitern. Denn danach ist (neben anderen, die wohl vorliegen) Prozessvoraussetzung, dass die ausländische Regierung die Bestrafung "verlangt". Ein solches Strafverlangen lag nach den Presseberichten (oben verlinkt) wohl nicht vor. Vielmehr hat Wen Jiabao zum Ausdruck gegeben, dass er an einer Bestrafung nicht interessiert sei und vielmehr hofft, dass der Schuihwerfer seinen Fehler einsieht. Mit dazu beigetragen haben könnte ein Entschuldigungsschreiben, dass der Schuhwerfer (wohl auf Druck der Universität) an die chinesische Botschaft sandte.

Im Ergebnis würde deshalb in Deutschland schon keine Anklage erhoben.

Was denken Sie?

Update: Laut einem früheren Bericht auf Spiegel-Online, auf den ich gerade hingewiesen wurde, sei in der Angelegenheit immerhin eine Anwaltskanzlei für die chinesische Botschaft tätig geworden. Lag also doch so etwas wie ein "Strafverlangen" vor? Dann freilich wäre eine Anklage wahrscheinlich(er).

 

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10 Kommentare

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Je nach "Wichtigkeit" des Gastes erwarte ich in Dt. mittlerweile ein öffentlichkeitswirksames "Ermittlungsverfahren", über dessen Einstellung sich am Ende die Boulevardpresse reißerisch aufregt. Das ist eine weit effektivere Strafe als ein normales Verfahren mit Strafbefehl oder Geldstrafe.

Ich erwarte mittlerweile, dass mindestens eine politische Partei Schuhe verbieten lassen will.

0

Herr stud. jur., man wird Schuhe nicht direkt verbieten wollen, aber was halten sie von folgendem Gesetzgebungsvorschlag?

§ 103b StGB:
Aufnahme von Beziehungen zum tätlichen Schuhangriff auf Organe oder Vertreter ausländischer Staaten

Wer in der Absicht, sich für die  Begehung eines tätlichen Schuhangriffs auf Organe und Vertreter  eines ausländischen Staates  gemäß § 103a StGB Werkzeuge zu verschaffen, zu einer Einzelhandelsvertretung für Fußbekleidung (Schuhgeschäft) Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

Herr Prof. Dr. Müller,

das ist ein sehr guter Vorschlag; der Al-Bundy-Paragraph!

nicht zu vergessen:

(2) Der Versuch ist strafbar.

§103c StGB:

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Aufnahme der Beziehungen oder deren Unterhaltung unter den in § 103b Abs. 1 StGB genannten Voraussetzungen als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Schuhwürfen verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

Natürlich muss noch § 245 um Ihre Vorschrift erweitert werden!

5

Super! :D

Natürlich wird das durch Absatz II ergänzt, der da lautet:

(2) Schuhe im Sinne des Absatz 1 sind alle Formen der Fußbekleidung, insbesondere auch Sandalen, Flip-Flops und schwere Wollsocken.

Nicht zu vergessen folgende wichtige Ergänzung des Telemediengesetzes

§ 8b TMG

(1) Im Rahmen seiner Aufgaben als Zentralstelle nach § 2 des
Bundeskriminalamtgesetzes führt das Bundeskriminalamt eine Liste über
vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von
Telemedienangeboten, die Angebote für Fußbekleidung, die sich für Schuhwürfe auf Organe und Vertreter ausländischer Staaten  nach § 103 a  des Strafgesetzbuchs eignen,
enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu
verweisen (Sperrliste). Es stellt den Diensteanbietern im Sinne des Absatzes 2
arbeitstäglich zu einem diesen mitzuteilenden Zeitpunkt eine aktuelle Sperrliste zur
Verfügung.

Wenn alle schon so kreative Gesetzesformulierer sind, dann könnte es auch nicht schaden, den Aufenthalt in Ausbildungscamps für Schuhewerfer in die Vorschrift aufzunehmen, oder?! Solche Camps gibt`s sicher in der Achse des Bösen...

Scherz beiseite: Interessant finde ich es vor allem wieder einmal, Vorschriften im StGB zu finden, die man normalerweise nicht liest.

4

Greift § 104a StGB auch, wenn bei Erklärung des Strafverlangens die diplomatischen Beziehungen abgebrochen wurden? Kurz, müssen die Merkmale kummulativ vorliegen?

0

Die Voraussetzungen des § 104a StGB müssen kumulativ vorliegen, auch die Ermächtigung zur Strafverfolgung durch den Bundesminister des Auswärtigen. Liegen sie bzw. eine einzelne davon nicht vor, bleibt aber immer noch eine Verfolgung nach § 185 ff. StGB möglich.

Ich halte den Vorschlag von Prof. Müller in #3 für bedenklich. Auf die vergessene Versuchsstrafbarkeit und die aus rechtsstaatlichen Gründen erforderliche Definition des Schuhbegriffs wurde ja schon hingewiesen.

Es drohen gravierende Strafbarkeitslücken für besonders geschickte Täter, die sich die Tatwerkzeuge auf anderem Wege beschaffen und den neuen Tatbestand unterlaufen könnten. Daher sollte man einen § 11 Abs. 3b StGB einfügen, der Abteilungen für Fußbekleidung in Warenhäusern, Second-Hand-Läden, Flohmärkte und Online-Handelsplattformen den Schuhgeschäften gleichstellt, und in § 103b Abs. 1 StGB durch Klammerzitat darauf Bezug nehmen.

Aber selbst dann droht eine effektive Vorfeldkriminalisierung an Nachweisproblemen zu scheitern. Dem sollte vorgebeugt werden.

Zunächst ist denkbar, dass ein zur Tat nach § 103b StGB entschlossener Täter sich dahingegend einlässt, er habe die Absicht erst nach dem Kauf eines Schuhs gefasst oder bei der Kaufanbahnung nur billigend in Kauf genommen, den Schuh zur Begehung einer Tat nach § 103b StGB zu verwenden. Daher sollte man auch denjenigen bestrafen, der Werkzeuge herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verkauft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, deren (natürlich aus der objektiven Eignung zu erschließender) Zweck die Begehung einer solchen Tat ist (vgl. z.B. § 202c StGB).

Sodann könnte aber auch hier der Nachweis der Tathandlung scheitern. Daher sollte auch bestraft werden, wer solche Gegenstände in Besitz oder Gewahrsam hat oder von einem anderen für sich verwahren lässt, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, dass das Werkzeug nicht zur Verwendung bei strafbaren Handlungen bestimmt ist (vgl. § 245a StGB i.d.F. des Gewohnheitsverbrechergesetzes vom 24.11.1933).

Schließlich könnte aber auch der unmittelbare oder mittelbare Besitz nicht nachweisbar sein. Daher sollte man alternativ die Absicht als solche genügen lassen. Bei verständiger Würdigung könnten die Strafverfolger dann aus kritischen Äußerungen über ausländische Regime auf den Tatbestand des Gedankenverbrechens schließen, oder beispielsweise aus besonderen intellektuellen Fähigkeiten, der Kenntnis seltener Fremdwörter ("Gentrifizierung") und der Möglichkeit, als Wissenschaftler unauffällig in Bibliotheken zu recherchieren. Als Sympathisant von Schuhewerfern macht sich natürlich auch verdächtig, wer sich mit den strafrechtspolitischen Überlegungen auffällig intensiv beschäftigt oder gar kritisch dazu äußert.

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