Keine Bindungswirkung der BGH-Entscheidungen in der Anrechnungsfrage mehr!

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 27.06.2009

Das AG Wesel hat mit einer mutigen Entscheidung die Wartezeit bis zum Inkrafttreten von § 15a RVG verkürzt. Denn im Beschluss vom 26.5.2009, 27 C 125/07 hat sich das AG-Wesel auf den Standpunkt gestellt, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nicht durchzuführen ist. Der Gesetzgeber werde in Kürze einen § 15a RVG einführen, der die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich verbietet. Aus der Begründung der Gesetzesänderung gehe eindeutig hervor, dass diese Verfahrensweise bereits mit der Einführung des RVG gewollt gewesen sei. Damit sei mit der erfolgten Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag eine Bindungswirkung der einschlägigen anderslautenden Urteile des BGH nicht mehr gegeben. Es ist dann nur zu hoffen, dass die Entscheidung des AG Wesel möglichst schnell von anderen Gerichten in laufenden Kostenfestsetzungsverfahren aufgegriffen werden wird.

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12 Kommentare

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Bitte erlauben Sie ein paar Nachfragen:

1) Welche "Bindungswirkung" hatte die BGH-Rechtsprechung denn vorher?

2) Inwiefern ist es "mutig", wenn ein Amtsrichter von der BGH-Rechtsprechung abweicht? Droht ihm jetzt die Entlassung oder mindestens die Strafversetzung?

3) Mal angenommen, die BGH-Rechtsprechung hatte eine "Bindungswirkung"  -  entfällt die jetzt rückwirkend? Für Altfälle?? Durch ein noch nicht in Kraft getretenes Gesetz??? Und war die durch einen Gesetzentwurf entfallen, der sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des mutigen AG Wesel noch im Gesetzgebungsverfahren befand????

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Eine Bindungswirkung besteht nur mittelbar, denn die Instanzgerichte richten sich nach der Rechtsprechung der Obergerichte, um nicht zu riskieren, dass ihre Entscheidungen aufgehoben werden. Da vielfach Instanzgerichte nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweichen wollen, ist die Entscheidung des AG Wesel durchaus als "mutig" zu bezeichnen. Erfreulich aus meiner Sicht ist an der Entscheidung des AG Wesel, dass ein Weg gefunden wurde, zahlreiche noch nicht rechtskräftig entschiedene "Altfälle" nicht mehr nach der überholten Rechtsprechung des BGH entscheiden zu müssen.

Bleibt abzuwarten, ob das was mutig scheint auch zutrifft/sich durchsetzt und ob die Begründung überzeugt. Weitaus früher allerdings eine Kollegin beim AG Freising in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 29.10.2008 http://www.afs-rechtsanwaelte.de/urteile/158-Keine-Anrechnung-Geschaeftsgebuehr-auf-Beklagtenseite.pdf. In diesen Kontext scheint auch http://www.rechtspflegerforum.de/showpost.php?p=491884&postcount=392 zu passen.

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Man wird diese Entscheidung sicherlich nicht in den Fällen billigen können, in denen im Urteil die Rechtsanwaltsgebühren als Nebenforderung mit festgesetzt sind. Wie aber ist es mit Übergangsfällen, in denen dies ausgeurteilt wurde, die Kostenfestsetzung aber nach neuem Recht erfolgt?

Für den obsiegenden Beklagten ist dies in jedem Fall gerechter.

Aber führt dies nicht (zumindest zeitweilig) zu einer Zweiteilung des Rechts. Beim obsiegenden Beklagten erfolgt keine Anrechnung, beim obsiegenden Kläger, der die Gebühr als Nebenforderung mit der Klage geltend gemacht hat, dürfte (müßte) eigentlich eine Anrechnung erfolgen.

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Auf "reine Altfälle" in laufenden Kostenfestsetzungsverfahren würde ich wohl eine Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht bevorzugen. Dies würde nämlich im Lichte der BGH-Rechtsprechung eine Auslegung gegen den Wortlaut bedeuten. Und der Wortlaut der Anrechnungsvorschriften ist durchaus eindeutig.

Folgt man jedoch der Rechtsprechung des AG Wesel könnte sich eine Nachfestsetzung in denjenigen "reinen Altfällen" anbieten, in denen die Festsetzung der 2. Hälfte der Verfahrensgebühr nicht beantragt und dementsprechend nicht rechtskräftig entschieden ist.

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A.A. Hessisches Landesarbeitsgericht, B.v. 7.7.09 in 13 Ta 302/09

Leitsatz:

Eine angefallene Geschäftsgebühr nach VV RVG Nr. 2300 ist unabhängig davon, ob sie tatsächlich gezahlt worden ist oder nicht, auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnetem Rechtsanwalt nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen.

Auch eine vorrangige Verrechnung auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung findet nicht statt.

(Bestätigung der Kammerbeschlüsse vom 28. April 2009 - 13 Ta 115/09 und vom 12. Juni 2009 - 13 Ta 303/09).

Der per 01. September 2009 zu erwartende neue § 15 a RVG - Entwurf wird erst für Sachverhalte bedeutsam werden, in denen der Auftrag an den Rechtsanwalt oder die Beiordnung nach der Gesetzesänderung erfolgt.

Aus den Gründen:

Dass sich an dieser Rechtslage wohl per 1. September 2009 durch einen neuen § 15 a RVG etwas ändert, (vgl. Pressemitteilung des BMJ vom 19. Juni 2009; BT-Drucksache 16/12717 vom 22. April 2009; BR-Drucksache 377/09 vom 24. April 2009 und Sitzungsprotokoll des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 2009, Seite 25127 und 25132 f.), kann auf die vorliegende Entscheidung selbstredend keinen Einfluss haben. Sie würde im Übrigen auch nach dem 1. September 2009 genauso ergehen müssen, denn gemäß § 60 Abs. 1 RVG kommt es auf das bisherige Recht an, wenn der Auftrag oder die Beiordnung vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung erfolgte.

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A.A. auch VG Oldenburg, B. v. 22.07.2009 in 3 A 4771/05.

Aus den Gründen:

Dass beabsichtigt ist, das RVG durch Einführung eines § 15 a, der die Problematik der Anrechnung neu regeln soll, zu ändern, führt im vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Ergebnis. Ungeachtet der Frage, ob dieser neue § 15 a RVG eine andere Beurteilung erfordern wird, handelt es sich derzeit offensichtlich noch nicht um geltendes und damit anwendbares Recht. Zudem dürfte nach der Übergangsvorschrift des § 60 RVG - in der derzeit geltenden Fassung - auch nach Einfügung des § 15 a) RVG im vorliegenden Fall die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen sein (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 2 RVG).

 Die Geschäftsgebühr ist auch der Höhe nach zutreffend angerechnet worden. In Fällen, in denen Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG) in Anspruch genommen wird, wäre wohl auf die Verfahrensgebühr nur die im Rahmen der Beratungshilfe von der Landeskasse übernommene Geschäftsgebühr (Nr. 2603 VV-RVG;  vgl. insoweit Nds Oberverwaltungsgericht Beschluss vom 28.3.2008 - 10 OA 143/07 - ). Der Erinnerungsführer hat auch auf Nachfrage des Gerichts indes nicht belegt, dass vorliegend Beratungshilfe in Anspruch genommen und ein entsprechender Antrag nach § 4 BerHG beim zuständigen Amtsgericht gestellt worden ist.

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Das VG Frankfurt am Main vertritt in seinem Beschluss vom 16.07.2009 in 5 O 1659/09.F.A (V) die Ansicht, dass § 15 a RVG nur eine klarstellende Bedeutung zukomme, wie der Begriff der Anrechnung zu verstehen ist. Der Entscheider (Präs. des VG Prof. Dr. Fritz als ER) vertritt danach die Ansicht, dass nach der unmissver-ständlichen Klarstellung durch den Gesetzgeber, die von dem BGH und dem Hessischen VGH vertretene Auslegung des Begriffs der Anrechnung nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.

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Wie AG Wesel:
OLG Stuttgart, B. v. 11.08.2009 in 8 W339/09, juris.
Leitsatz
Der am 5. August 2009 in Kraft getretene § 15a RVG beinhaltet keine Gesetzesänderung i.S. des § 60 Abs. 1 RVG, sondern enthält lediglich eine Klarstellung des Gesetzgebers zu den bisherigen Anrechnungsregeln (§ 118 Abs. 2 BRAGO und Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV), so dass § 15a RVG auch auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" anzuwenden ist.

Aus den Gründen:
Soweit das Hessische Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2009, Az. 13 Ta 302/09, sich auf den Standpunkt stellt, dass "Altfälle" von § 15a RVG wegen der Übergangsvorschrift des § 60 Abs. 1 RVG nicht erfasst werden, steht dieser Rechtsauffassung entgegen, dass es sich bei der Gesetzesnovelle gerade nicht um eine Gesetzesänderung im Sinne des § 60 Abs. 1 RVG handelt, sondern um eine Klarstellung des Gesetzgebers zu den bisherigen Anrechnungsregeln (§ 118 Abs. 2 BRAGO und Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV).

Zur Zulassung des Rechtsmittels:
Gegen diesen Beschluss war gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO die Rechtsbeschwerde zuzulassen, da über die Anwendung des § 15a RVG auf "Altfälle" bislang höchstrichterlich nicht entschieden wurde, die Rechtssache damit grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2009, Az. 13 Ta 302/09, eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

Aus Jurion:

"Neuregelung der Anrechnung der Geschäftsgebühr ist sofort anwendbar
LG Berlin, Beschluss vom 05.08.2009, Az. 82 T 453/09

Die (auch) die Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren regelnde Bestimmung des § 15a Abs. 2 RVG ist ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (am 5.8.2009) anzuwenden. Die Übergangsvorschrift, nach der es auf den Zeitpunkt der Erteilung des unbedingten Auftrages oder auf die Bestellung oder Beiordnung des Rechtsanwalts ankommt, ist für die Anwendung nicht einschlägig. Denn diese Vorschrift bestimmt, dass die Vergütung unter den näher aufgeführten Voraussetzungen "nach bisherigem Recht zu berechnen ist". Es geht jedoch nicht um die Berechnung der Vergütung, sondern um die Wirkung der Gebührenanrechnung im Verhältnis zu dem Dritten.
RVG § 15a Abs. 2; RVG § 61 Abs.1 "

a.A. lt. nachfolgendem link http://www.rechtspflegerforum.de/showpost.php?p=509548&postcount=62 scheinbar das OLG Hamm, B. v. 22.06.2009 in II-6 WF 154/09.

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