Sehr spät, aber immerhin: Nationalsozialistische Urteile wegen Kriegsverrats sollen aufgehoben werden

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 30.06.2009

Lange hat es gedauert, aber jetzt liegt doch endlich ein Gesetzentwurf vor: Urteile wegen Kriegsverrats sollen in das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgenommen werden. Dies sieht der «Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege» einer fraktionsübergreifenden Abgeordnetengruppe (BT-Drs. 16/13405) vor. Die Abgeordneten der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und der SPD begründen ihre Initiative damit, dass der unter der NS-Herrschaft 1934 erweiterte und verschärfte Straftatbestand des Kriegsverrats zu unbestimmt sei, um rechtstaatlichen Grundsätzen zu genügen.

Im Zuge der so genannten Verratsnovelle vom April 1934 sei für den Straftatbestand als alleinige Strafandrohung die Todesstrafe eingeführt worden, so die Abgeordneten. Die fehlende rechtsstaatliche Bestimmtheit der Strafvorschriften des Kriegsverrats werde durch neuere Untersuchungen zur Urteilspraxis belegt. Sie zeigten, dass Soldaten - und auch Zivilisten - für ganz unterschiedliche Handlungen wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt worden seien. Darunter fielen politischer Widerstand, Hilfe für verfolge Juden oder Unbotmäßigkeiten gegenüber Vorgesetzten. Der unbestimmte Tatbestand des Kriegsverrats habe sich als Instrument der NS-Justiz erwiesen, um nahezu jedwedes politisch missliebiges abweichendes Verhalten als «Verrat» brandmarken und mit dem Tode bestrafen zu können.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

7 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Naja, Herr von Heintschel-Heinegg, auch wenn Sie sich hier die Argumentation der PDS/Linksfraktion und der Grünen zu eigen machen: ganz so einfach liegen die Dinge denn doch nicht. Immerhin gibt es bereits ein "Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" und dessen § 1 sieht vor, Urteile, die nach dem 30. Januar 1933 unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, pauschal aufzuheben. Dazu hat der Gesetzgeber in § 2 der StA einen Katalog mit Regelbeispielen an die Hand gegeben. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass der Bundestag seinerzeit bewusst darauf verzichtet hat, Verurteilungen wegen Kriegsverrats per se als nationalsozialistisches Unrecht zu qualifizieren. Gleichwohl konnte und kann die StA nach Prüfung des Einzelfalles feststellen, dass es sich um ein Unrechtsurteil handelt, das aufgehoben ist, weil es gegen die Generalklausel des § 1 verstößt. Die damalige Koalition sah aber in einer generellen Aufhebung von Urteilen, die sich auf den Tatbestand des Kriegsverrates bezogen, neues Unrecht. Denn wer Kriegsverrat beging, hat nicht selten in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, ja sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feindlichen Linien überwechselte und die Stellung der eigenen Kameraden verriet, von der er geflüchtet war. Der Feind konnte sich darauf einrichten und den Standort der Truppe unter Beschuss nehmen, wobei viele ihr Leben verloren. Leben ist ein kostbares Gut. Das gilt auch für das Leben von Soldaten, unabhängig davon, in wessen Dienst sie stehen. Achtung vor dem Leben ist eine der Kernaussagen unseres Grundgesetzes. Der Verräter hat in diesen Fällen auch nach unseren heutigen Maßstäben verwerflich gehandelt. Aus diesem Grund hat der Bundestag seinerzeit ausdrücklich davon abgesehen, die Urteile wegen Kriegsverrats pauschal aufzuheben. Im Übrigen bedeutete eine solche Aufhebung auch,  Richter wie Dr. Sack, der mit Bonhoeffer hingerichtet worden ist, nachträglich pauschal ins Unrecht zu setzen, weil sie solche Urteile erlassen haben.

Im Gesetzentwurf wird als weiterer Grund genannt, durch solche verräterische Taten sei die Militärmacht Hitlers geschwächt worden und der Krieg sei auf diese Weise zu einem schnelleren Ende gekommen. Ganz abgesehen davon, dass ganz andere Gründe den Zusammenbruch des Nazi-Regimes verursacht haben, ist diese Argumentation in hohem Maße machiavellistisch. Außerdem missachtet dieses Argument den wichtigen Unterschied, den das Völkerrecht zu allen Zeiten gemacht hat: das ius in bello und das ius ad bellum. Hitler hatte zweifellos kein Recht zum Angriffskrieg. Das ius ad bellum stand ihm nicht zur Seite. Er ist deshalb einer der größten Kriegsverbrecher aller Zeiten. Aber auch in einem ungerechten Krieg müssen Rechtsregeln gelten, kann nicht das Verbrechen des Verrates generell als gerechtfertigte Tat abgesegnet werden. Das heißt nicht, dass eine solche Tat im Einzelfall nicht als eine Widerstandstat anzusehen ist. Dazu aber bedarf es einer Einzelfallprüfung. Anferenfalls würde man pauschal Widerstandskämpfer mit simplen verbrecherischen Verrätern auf eine Stufe stellen. Und das kann nicht rechtens sein, meinen Sie nicht?

0

Sehr geehrter Herr Jens,

Sie schreiben:

Ganz abgesehen davon, dass ganz andere Gründe den Zusammenbruch des Nazi-Regimes verursacht haben, ist diese Argumentation in hohem Maße machiavellistisch.

Welche "ganz anderen Gründe" als diejenigen, dass das nationalsozialistische Deutschland durch die Alliierten mit kriegerischen Mitteln besiegt wurde, meinen Sie denn? 

Hitler hatte zweifellos kein Recht zum Angriffskrieg. Das ius ad bellum stand ihm nicht zur Seite. Er ist deshalb einer der größten Kriegsverbrecher aller Zeiten.

Da haben Sie freilich Recht - allerdings hat Hitler dies nicht allein bewirkt. Große Teile der Wehrmacht (und leider auch der allgemeinen Bevölkerung) hat diesen Krieg befürwortet und bis (fast) ganz zuletzt mitgetragen, obwohl das Unrecht sehr früh offensichtlich war. Auch ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte, weshalb es mir fern liegt, mich über andere zu erheben. Aber diejenigen, die nicht  bis zum letzten tag gehorsam waren, verurteilt zu lassen, erscheint mir einfach falsch.

Aber auch in einem ungerechten Krieg müssen Rechtsregeln gelten, kann nicht das Verbrechen des Verrates generell als gerechtfertigte Tat abgesegnet werden.

Hm, ich bin da ganz anderer Ansicht und glaube fast, der Machiavellismus ist eher auf ihrer Seite der Argumentation, wenn Sie meinen, nicht die verbrecherische Kriegsführung sei der Verrat (an der eigenen Bevölkerung und an Deutschland insgesamt) gewesen, sondern die angeblichen "Verräter" hätten diesen begangen. Ich denke, in diesem Unrechtskrieg, der im Falle des nationalsozialistischen Angriffskriegs sämtliche "Rechtsregeln" missachtete, lässt sich nicht mehr im Einzelfall sinnvoll zwischen Verrat und Widerstand differenzieren, weshalb eine pauschale Aufhebung dieser Urteile der richtige Schritt ist.

Anderenfalls würde man pauschal Widerstandskämpfer mit simplen verbrecherischen Verrätern auf eine Stufe stellen. 

Meines Erachtens trägt dieses Argument gar nicht: nicht jeder Nicht-Verurteilte wird mit jedem anderen Nicht-Verurteilten auf eine Stufe gestellt. Der vormals als "Verräter" Verurteilte wird nicht wegen seiner Verdienste entlastet, sondern es wird lediglich das Unrecht der Verurteilung getilgt. Unrecht zu beseitigen bedeutet doch nicht, dass jemand nunmehr als "Widerstandskämpfer" verehrt wird. Und: Wer für das Unrecht des Nationalsozialismus verantwortlich war und nach 1945 nicht verurteilt wurde (und das sind sehr viele in vorher und nachher hochgestellten Positionen - u.a. viele Juristen, nicht ganz so simple Verbrecher), steht also nach Ihrer Auffasssung  auch mit Widerstandskämpfern "auf einer Stufe" (?). Diesen Skandal müssten Sie doch dann viel eher beklagen.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Zu diesem sehr interessanten Thema (sowohl aus historischer als auch juristischer Sicht) möchte ich zunächst nur einen Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beitragen:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg06-026.html

bzw.

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20060308_2bvr048...

Die Entscheidung scheint zunächst die Argumentation von Herrn Jens zu bestätigen.

Denn in der Begründung heißt es u.a.:

Im Jahre 2003 wandten sich Angehörige
(Beschwerdeführer) der beiden Jugendlichen mit „Anträgen auf
Rehabilitierung" an die Staatsanwaltschaft Aachen. Diese erteilte ihnen
die Bescheinigung, dass die Verurteilung aufgrund des Gesetzes zur
Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der
Strafrechtspflege (NS-Aufhebungsgesetz) aufgehoben sei.

Somit ist anschaulich belegt, dass es durchaus auch mit den heutigen rechtlichen Mitteln
(Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile) möglich ist, eine Rehabilitierung
im Einzelfall zu erreichen.

Dennoch neige ich im Endergebnis der Argumentation von Herrn Müller zu. Seine Kernaussage
hat mich überzeugt:

Ich denke, in diesem Unrechtskrieg, der im Falle des
nationalsozialistischen Angriffskriegs sämtliche "Rechtsregeln"
missachtete, lässt sich nicht mehr im Einzelfall sinnvoll zwischen
Verrat und Widerstand differenzieren, weshalb eine pauschale Aufhebung
dieser Urteile der richtige Schritt ist.



Ich möchte gern zu einem späteren (aus Zeitgründen) Zeitpunkt noch weiteres hierzu ausführen.

 

 

 

Mittlerweile scheint der Gesetzentwurf der genannten Abgeordneten hinfällig geworden zu sein. Denn Union und SPD haben sich gerade eben auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf geeinigt:

http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5gbCibbnjPs2aHwot2CASE...

Mir ist erst jetzt klar geworden, dass es zwar schon jetzt das von Jens genannte "Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" gibt, aber in dessen Anlage gerade die "Verurteilung wegen Kriegsverrates" als Regelbeispiel für einen Fall des §1  fehlte.

[Entscheidungen im Sinne des § 1 sind insbesondere (... ) 3. Entscheidungen, die auf den in der Anlage genannten gesetzlichen Vorschriften beruhen]

Da Kriegsverrat nicht aufgeführt war, so war es keine Selbstverständlichkeit, dass man in solchen Fällen die begehrte Bescheinung erhielt.

Auf gut Deutsch: man konnte zwar trotzdem eine Rehabilitierung erreichen, war aber auf eine Einzelfallprüfung angewiesen (und auf das Wohlwollen der Staatsanwaltschaft). Das ändert sich jetzt. So, wie alle Urteile des Volksgerichtshofes aufgehoben sind, sind jetzt auch alle Verurteilungen wegen "Kriegsverrates" aufgehoben.

Es mag zwar sein, dass darunter auch einige Plünderer und Saboteure und Verräter an den eigenen Kameraden sind/waren, die auch nach heutigem Rechtsempfinden zu verurteilen waren. Ganz sicher hatten sie aber nicht die Todesstrafe verdient. Zudem war das "Kriegsverrätergesetz" unter den Nazis derart unbestimmt, dass sowohl der kleine Ladendieb (als Plünderer) als auch der am Endsieg zweifelnde Zivilist zum Tode verurteilt werden konnte. Urteile, die nach einem derart völkerrechtswidrigen Willkür-Gesetz ergangen sind, können aber keinen Bestand haben.

Es ist deshalb Herrn Müller absolut zuzustimmen, der eine pauschale Aufhebung der Verurteilung befürwortet und lieber im Einzelfall auch die Rehabilitierung eines wirklichen Täters in Kauf nimmt, als umgekehrt den Nachkommen der Opfer zuzumuten, eine Einzelfallprüfung anzustreben.

Hier noch ein Auszug aus der Begründung des (mittlerweile hinfälligen) Entwurfes der einzelnen Abgeordneten, der mich ebenfalls überzeugt hat:

Die Generalklausel des § 1
wird durch die Regelbeispiele des § 2 konkretisiert, um die
deklaratorische Feststellung der Staatsanwaltschaft nach § 6,
dass ein bestimmtes Urteil gemäß § 1 aufgehoben ist, zu erleichtern.
Aufgehoben sind nach § 2 alle Entscheidungen des
Volksgerichtshofs, der auf Grund der Verordnung über die
Einrichtung von Standgerichten vom 15.Februar 1945
(RGBl.I S.30) gebildeten Standgerichte sowie alle Entscheidungen,
die auf den in der Anlage zu § 2 Nummer 3 genannten
gesetzlichen Vorschriften beruhen. Die Aufnahme
der Vorschriften des Kriegsverrats in die Anläge zu § 2 Nummer
3 ist geboten, weil diese Strafvorschriften Ausdruck
rechtsstaatswidrigen nationalsozialistischen Rechtsdenkens
sind.

Sehr geehrter Herr Jens,

zunächst bedanke ich mich, dass Sie umgehend die Diskussion in einer in meinen Augen ebenso wichtigen wie interessanten Frage aufgenommen haben. Nachdem Sie mich persönlich angesprochen haben, richte ich meine Antwort auch persönlich an Sie.

Zwei Dinge sind meines Erachtens wichtig:

(1) Kann die Norm des Kriegsverrats mit der alleinigen Strafdrohung der Todesstrafe eine Verurteilung tragen? Ich meine: nein.

(2) Der Widerstandsbegriff ist "schillernd", um die Diktion von Bernd Rüthers in seinem vor kurzem erschienenen Essay "Verräter, Zufallshelden oder Gewissen der Nation? Facetten des Widerstandes in Deutschland" aufzugreifen. Es gibt eben keine (monolithische) Geschichte, es gibt nur "Geschichten", Deutungen dessen, was aus der Sicht der jeweiligen Betrachter geschehen ist (so bei Rüthers S. 36).

Deshalb bin ich -  wie Herr Kollege Müller und Frau Dr. Ertan - für eine pauschale Aufhebung dieser Urteile.

Beste Grüsse

Bernd von Heintschel-Heinegg

Ich halte den Gesetzentwurf für richtig. Wie in der Gesetzesbegründung festgestellt wurde, war § 57 MStGB mit Grundgedanken des Rechtsstaates nicht vereinbar und sollte daher aufgehoben werden. Damit wird allen Verurteilungen rückwirkend die Rechtsgrundlage entzogen.

Dies ist mE unabhängig von der jeweiligen Motivation des "Kriegsverräters" richtig. Denn das Strafmaß des § 57 MStGB knüpft eben nicht an den individuellen Motiven an, sondern pauschal an nationalsozialistischem Gedankengut:

"Die Verratsnovelle war Ausdruck des völkischen Strafrechtsdenkens des Nationalsozialismus, deren Ausgangspunkt eine auf rassischer Artgleichheit begründete Volksgemeinschaft war, aus der sich der Verräter durch Treubruch ausschließe." (S. 4 der Gesetzesbegründung)

Der Vorwurf der Norm bestand im Verrat an der Volks- und Rassengemeinschaft. Erst dieser - in den Augen des NS-Regimes - besonders schweres Vorwurf rechtfertigte die pauschale Verhängung der Todesstrafe. Dieser Vorwurf kann heute aber keinesfalls mehr gebilligt werden, ganz gleich aus welchen Motiven der "Kriegsverräter" handelte.

Deswegen sind alle Urteile pauschal aufzuheben. Anstelle der alten Urteile kann heute keine neue Bewertung mehr gesetzt werden, anhand derer eine Aufhebung im Einzelfall entschieden wird. Auch nach dem bisherigen Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile erfolgte keine Aufhebung im Einzelfall, die Feststellungen der StA haben nur deklaratorische Wirkung.

0

Kommentar hinzufügen