Einfach mal so ein "paar Leute wegklatschen" - rechtlich gehen in der Schweiz die Uhren noch anders als in Deutschland

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 06.07.2009

Entsetzen herrscht in München nach dem „Amoklauf mit Faustschlägen und Fußtritten" (so die Staatsanwaltschaft) von Schweizer Schülern im Stadtzentrum, wenige 100 m vom Justizpalast entfernt, am vergangenen Dienstag. Die Münchner Polizei hält die Tat für noch besorgniserregender als den Angriff zweier junger Männer auf einen pensionierten in der Münchner U-Bahn; damals war dem Verbrechen immerhin noch ein Wortwechsel vorausgegangen.

Sie hätten „ein paar Leute wegklatschen" wollen, sagten die Täter nach ihrer Festnahme lapidar. Zunächst prügelten sie auf drei ältere Männer ein. Dann schlugen sie einen Geschäftsmann zu Boden und traktierten ihn in einer Weise, dass er schwere Kopfverletzungen erlitt: beidseitige Kieferhöhlenfraktur, Bruch des Jochbeins, Bruch des seitlichen Begrenzung der Augenhöhle. Schließlich streckten sie einen Studenten mit Hieben nieder.

Gegen drei der Schweizer Schüler erging Haftbefehl wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Gegen zwei weitere Schüler, die nach ihrer vorläufigen Festnahme wieder in ihre Heimat zurückkehren durften, wird noch ermittelt.

Über diese sinnlose Jugendgewalt herrscht auch Entsetzen in der Schweiz. Dort betrug die Höchsttrafe im Jugendstrafrecht zunächst ein Jahr, jetzt sind es immerhin vier Jahre  (in Deutschland: 10 Jahre). In der Schweiz gerät die „Kuscheljustiz" zunehmend in die Kritik: Im Januar 2007 schlug unweit von Zürich ein 16-Jähriger einem Passanten mit einem Faustschlag nieder, der tags darauf starb. Gegen diese und einer anderen Gewalttat erhielt er zweieinhalb Jahre  Freiheitsstrafe auf Bewährung. Im Juli 2008 wurde ein Mann in einem S-Bahnhof der Stadt verprügelt und auf die Gleise geworfen. Helfer konnten ihn nur knapp vor dem herannahenden Zug retten. Die 17 und 19 Jahre alten Täter kamen mit einer Bewährungsstrafe von einem Monat davon (Quelle: Albert Schäffer /Jürgen Dunsch FAZ Sonntagszeitung vom 5.7.2009 Nr. 27 S. 12)

Im Zuge der aktuellen Amoktat  erfahren die Schweizer, dass die Jugendstaatsanwaltschaften nur in Ausnahmesituationen die Schulen über Vorstrafen ihrer Schüler informieren. Dass die drei Täter aus München einiges vorzuweisen haben, ist zwischenzeitlich aus den Medien hinreichend bekannt. Das soll jetzt  in der Schweiz geändert werden: Gewaltsstraftaten müssten in jedem Fall der Schule gemeldet werden.

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9 Kommentare

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Lieber Herr von Heintschel-Heinegg,

vielen Dank, dass Sie dieses Thema aufgreifen. Der Fall ist in der Tat erschreckend und lässt einen sprachlos zurück. Dennoch möchte ich in einigen Punkten widersprechen.

Ob es in der Schweiz so viel anders zugeht, erscheint mir fraglich: Die Höchststrafe nach dem deutschen § 18 JGG beträgt 5 Jahre Jugendstrafe und nur bei Verbrechen, die mit einer Höchststrafe von mehr als zehn Jahren bestraft werden können, beträgt sie zehn Jahre. Auf Heranwachsende (also alle von 18 bis 20) kann in Deutschland Jugendstrafrecht angewendet werden, in der Schweiz aber nicht - insofern ist die Schweiz also sogar "härter" gegen ihre jungen Leute ab 18.

In D gilt also zwar bei versuchtem Mord die Höchststrafe von 10 Jahren. Ob dieser allerdings von Staatsanwaltschaft und Gericht im vorliegenden Fall bestätigt werden wird, ist fraglich. Bleibt es bei gefährlicher Körperverletzung, bliebe in Deutschland die Höchststrafe von 5 Jahren Jugendstrafe, die also ein Jahr länger ist als in der Schweiz. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Tat damit zu tun hat, dass in der Schweiz im JStG eine geringere Höchststrafe gilt. Die Argumentation mit der abschreckenden Strafe ist zudem im Jugendstrafrecht systemwidrig; insofern muss der FAZ-Sonntagszeitung und den dortigen Beispielen widersprochen werden. Wer ohne jegliche Hintergrundinformation einfach nur Tat und Strafhöhe nebeneinanderstellt, argumentiert einfach am Jugendstrafrecht vorbei oder will es abschaffen.

Zu den Forderungen nach härterer Bestrafung im Jugendstrafrecht: So nachvollziehbar dieser Wunsch in der ersten Empörung über solche und ähnliche Fälle ist, so wissen doch alle Experten, dass eine Jugendstrafe, die länger dauert als 5 Jahre, erzieherisch kaum vertretbar ist.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Lieber Herr Müller,

ob die genannten Beispiele aus der Schweiz in dem zitierten Artikel zutreffend wiedergegeben sind, kann ich nicht sagen. Sollte dem aber so sein, glaube ich, dass die Justiz in München härtere Urteile verhängt hätte: Eine einmonatige Bewährungsstrafe für das Verprügeln und Schubsen des Opfers auf das Gleis vor der einfahrenden S-Bahn bleibt mir ebenso unverständlich wie eine generelle Höchststrafe von vier Jahren. Wer mit großer Wucht mit den Füßen gegen den Kopf des Opfers tritt, muss jedenfalls in München - wie geschehen - mit einer Verurteilung wegen versuchten Mordes rechnen.

Grundlose Prügelattacken dürfen nicht in Mode kommen. Der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden Prof. Rudolf Egg fordert deshalb auch ein härteres Vorgehen gegen jugendliche Schläger. Dazu, ob bei fünf Jahren Schluss sein sollte, äußert er sich - soweit ich sehe - nicht.

Beste Grüsse

Bernd von Heintschel-Heinegg

Lieber Herr v. Heintschel-Heinegg,

eine  "Mode", wie sie Herr Egg hier aufkommen oder gar gegeben  sieht, wäre in der Tat keine gute Nachricht. Allerdings führt er in dem Interview leider nicht seine empirischen Belege dafür an, und im Netz habe ich auch nichts dazu gefunden. Die Einschätzung von Herrn Prof. Egg, man könne diese Mode (wohl nur) durch harte Bestrafung eindämmen, deckt sich m.E. jedoch nicht mit einer täterstrafrechtlichen Beurteilung, wie sie im Jugendstrafrecht derzeit gefordert wird. Bestrafung zur Abschreckung anderer ist im JGG nicht vorgesehen. Der BGH würde negative Generalprävention in einem Urteil auch nicht akzeptieren, sondern neben "schädlichen Neigungen" nur  "Schwere der Schuld" (nach § 17 Abs. 2  JGG), die im Jugendstrafrecht auch nicht (allein) am äußeren Taterfolg gemessen werden darf (ebenfalls nach BGH-Rechtsprechung), sondern täterbezogen begründet werden muss. Daher meine Kritik an der bloßen Gegenüberstellung von Taterfolg und Strafhöhe (dass die gewählten schweizer Beispiele irritierend sind, räume ich ein).

Dass eine längere Jugendstrafe erzieherisch kaum sinnvoll ist, hat auch der bundesdeutsche Gesetzgeber so gesehen (vgl. BT-Drs. 1/3264 S. 41: "Anstaltserziehung [könne] nur innerhalb eines Zeitraumes von etwa vier Jahren erfolgversprechend" sein).

Ich gebe zu, dass ich auch keine bessere Lösung habe als diejenige einer rechtsstaatlich korrekten Überführung und täterstrafrechtlich begründeten, möglichst erzieherisch nicht schädlichen Bestrafung der Täter.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

 

wenn Sie für die von Herrn Prof. Dr. Heintschel - Heinegg aufkommende Mode mal "empirische" Belege haben wollen, so bitte ich Sie doch mal an einem nachts am Wochenende durch einschlägige Viertel Ihrer Stadt zu ziehen, aber bitte ohne Begleitung.
Ich persönlich wohne in der Nähe einer eher kleinen Stadt in Norddeutschland und dachte, dass solche Probleme nur in größeren Städten vorkämen. Aber da habe ich mich getäuscht.
So erfuhr ich von einem Fall aus dem Freundeskreis, dass jemand mit einem Baseballschläger und Schlagring übelst zugerichtet wurde, der einem "Verletzten" in einer Seitenstraße zu Hilfe eilte. Es stellte sich jedoch sehr, sehr schnell heraus, dass der vermeintlich Verletzte nur schauspielerte und das Opfer von mehreren und dem Schauspieler in einen Hinterhalt gelockt wurden. Man könnte meinen, dass jetzt noch so etwas kam wie der Raub des Handys, der Geldbörse und anderer Gegenstände. So "traurig" es ist, dem war nicht so. Den Tätern ging es nur darum jemanden übelst zusammenzuschlagen.

Die Bilanz: Schädelbasisbruch, Prellungen, aufgeplatzte Stellen im Gesicht und andere Knochenbrüche. Von der Demütigung gar nicht zu reden ...

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Sehr geehrte/r Herr/Frau Kant,

selbstverständlich ist mir bekannt, dass es solche Fälle immer wieder gibt, und ich bestreite nicht die gravierenden Folgen für die Opfer.  Da ich seit einigen Jahrzehnten in Innenstädten von Großstädten wohne, brauche ich auch nicht den von Ihnen empfohlenen Test zu machen. Von Einzelerfahrungen kann dennoch nicht auf Gesamtentwicklungen geschlossen werden.  Wenn ich meine Einzelerfahrungen als Opfer verallgemeinern würde, käme insbesondere die Polizei nicht gut weg, denn meine Erfahrungen als Gewaltopfer betrafen ausschließlich Situationen unberechtigter Polizeigewalt (die Täter wurden übrigens gar nicht bestraft). Ich weiß aber, dass die große Mehrheit von Polizeibeamten sich korrekt verhält. Und dies gilt auch für die Jugendlichen.  Deshalb bin ich vorsichtig bei dem Ausruf einer "Mode".

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Stam,

ohne der Antwort Ihrer Frage an Prof. von Heintschel-Heinegg vorgreifen zu wollen, gebe ich gern folgende Info: In Deutschland regelt die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) in Nr.33:

(1) In Strafsachen gegen Jugendliche und Heranwachsende sind Mitteilungen
an die Schule nur in geeigneten Fällen zu machen. Es wird in
der Regel genügen, die Schule von dem Ausgang des Verfahrens zu
unterrichten. Die Einleitung des Verfahrens oder die Erhebung der
öffentlichen Klage wird mitzuteilen sein, wenn aus Gründen der Schulordnung,
insbesondere zur Wahrung eines geordneten Schulbetriebs
oder zum Schutz anderer Schülerinnen oder Schüler, sofortige Maßnahmen
geboten sein können.
(2) Die Mitteilungen sind an die Leiterin oder den Leiter der Schule
oder die Vertretung im Amt zu richten.
(3) Die Mitteilung ordnen Richterinnen oder Richter, Staatsanwältinnen
oder Staatsanwälte an.

(Quelle)

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

So schlecht fahren die Schweizer mit ihrem Rechtssystem und insbesondere mit ihren recht milden Strafen gegen Jugendliche nicht, wenn man die Entwicklung der Straftatanzeigen zum Maßstab nimmt.

http://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/dokumentation/medieninformatio...

Insbesondere sind in der Statistik zum vierten Mal hintereinander die Tötungsdelikte (-18.7%) und die Körperverletzungen (-7.8%) deutlich rückläufig.

Der Anteil der Minderjährigen daran bleibt prozentual gleich (19.5%).

Erschreckend hoch ist der Anteil der daran beteiligten ausländischer Staatsbürger mit 50,9%.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Schweiz der Einbürgerungsprozess im Vergleich zu Deutschland erheblich erschwert ist. Verbrechen in der Schweiz scheint fest in ausländischer Hand zu sein (zu den Ausländern zählen selbstverständlich auch die zahlreichen Deutschen).

Was nun das konkrete Vorgehen gegen gewalttätige Jugendliche angeht, so scheint mir ein Mittelweg sachgerecht: im Erstfall milde Strafen zur Ermahnung, im Wiederholungsfall und insbesondere bei Serientätern jedoch knallharte Strafen ähnlich dem Erwachsenenrecht. Hier werden die Schweizer wohl nicht umhin können, ihre 4 Jahre Höchststrafe nach oben anzupassen.

 

 

Lieber Herr Müller,

zunächst vielen Dank für Ihr zutreffendes insisitieren darauf, dass im Jugendstrafrecht nicht lediglich Tat und Strafhöhe nebeneinander gestellt werden dürfen! An der täterstrafrechtlichen Beurteilung wollte ich auch nicht rütteln (ein Mehr an Informationen lag mir nur nicht vor und die Infos sind doch bemerkenswert). Die zitierten Beispiele aus der Schweiz legen allerdings für mich die Vermutung nahe, dass in diesen Fällen der Bogen zugunsten der Täter überspannt wurde.

Denkbar ist es deshalb auch, dass die jetzt Inhaftierten wenig/kein Unrechtsbewusstsein hatten, weil sie u.U. glaubten, die deutsche Justiz würde ähnlich milde reagieren wie in der Schweiz.

Heute ist in der Presse zu lesen, dass die Polizei ein weiteres Opfer ermittelt hat, einen behinderten, wehrlosen Mann, auf den ebenfalls eingeschlagen worden sei. Das ist nochmals eine neue Dimension, wenn die Aggression nicht einmal davor halt macht. Bei dem am schwersten verletzten Opfer seien bleibende Schäden am Auge nicht ausgeschlossen.

Bislang lese ich nichts von einem Wort des Bedauerns. Was soll mit jugendlichen Gewalttätern geschehen, die sich dem Erziehungsgedanken (selbst auch noch während der Haft; siehe Jugendgefängnis Regis-Breitingen) völlig verschließen?

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

Es wird Passanten einfach nicht zumutbar im Sinne von 323c StGB sein, "ohne erhebliche eigene Gefahr" fünf jungen Tätern entgegenzutreten, immerhin riefen sie (nach deren Flucht) die Polizei. Denkbar ist daher auch, dass sie zum Opfer eilten, nachdem die Täter flüchteten und so die eigene Gefahr entfiel. Hätten sie nicht einmal die Polizei gerufen, was durchaus zumutbar war, wäre erst Raum für eine unterlassene Hilfeleistung, wenn auch Vorsatz vorliegt. Wenn man die Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Hilfeleistung als TB-Merkmal sieht, könnten Irrtümer darüber den Vorsatz entfallen lassen.

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