Elektronisch gefesselt in Baden-Württemberg

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 30.07.2009

Heute macht die Nachricht die Runde, dass in Baden-Württemberg in einem 4-jährigen Pilotprojekt die elektronische Fußfessel bzw. der elektronisch überwachte Hausarrest getestet werden wird  (Zeit-Online). Herr v. Heintschel-Heinegg hatte die Thematik schon einmal hier im blog angesprochen. Geplante Zielgruppe sind Probanden aus drei Gruppen, nämlich

a) solche, die ansonsten Ersatzfreiheitsstrafen absitzen müssten, da sie eine Geldstrafe nicht zahlen können oder wollen

b) Strafgefangene des geschlossenen Vollzugs in den letzten sechs Monaten vor Entlassung

c) Strafgefangene des geschl. Vollzugs bei Lockerungen, die ihnen sonst nicht gewährt werden könnten.

Zunächst sollen aber 75 Probanden der erst genannten Gruppe in den Genuss der Fußfessel kommen.

In der politischen Debatte wird im Vordergrund kritisiert, es handele sich um einen Einstieg in die Privatisierung des Strafvollzugs, weil die Überwachung selbst durch eine Privatfirma durchgeführt werden solle. Zudem mangele es an individueller Betreuung der Betroffenen.

Einen ähnlichen Pilotversuch gab es bereits in Hessen, die Ergebnisse der Begleitforschung (einschließlich der Zustimmungs- bzw. Ablehnungsquoten bei verschiedenen beteiligten Berufsgruppen) sind hier veröffentlicht.

 Ich möchte einmal darauf verzichten, vorab meine Auffassung zu diesem Instrument der Strafverfolgung zu äußern und rege (im Anschluss an den Hinweis eines Lesers) erneut eine Diskussion an.

 

 

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2 Kommentare

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Man wird nicht umhin kommen, sich bei der Diskussion um Sinn und Zweck der elektronischen Fußfessel die Frage nach Sinn und Zweck des Strafvollzugs zu stellen, um so zu ergründen, ob die Fußfessel diese gesetzliche Zielvorgabe erreichen kann. Gehen wir vom noch in den meisten Bundesländern Geltung beanspruchenden Bundes-StVollzG aus, kommen wir auf § 2 und erfahren, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe den Gefangenen resozialisieren und dass er die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten schützen soll (wobei alle kasuistisch-didaktischen Probleme der Vorschrift hier mal außen vor bleiben sollen).

Den Schutz der Allgemeinheit kann man nach meinem Dafürhalten zumindest bei einem Täter, der eine zeitige (oder natürlich auch lebenslange) Freiheitsstrafe verbüßt, nur dann gewährleisten, wenn vorher eine eingehende Risikoabwägung stattgefunden hat, die in etwa den Kriterien entspricht, die die §§ 10, 11 und 13 StVollzG nebst den VV’en an vollzugliche Lockerungen bzw. an eine Verlegung in den offenen Vollzug aufstellen. Mit anderen Worten: kann bei einem Verurteilten gesagt werden, dass er nicht (mehr) gefährlich ist, gehört er meines Erachtens in den Kreis der potentiellen Kandidaten für eine elektronische Fußfessel.

Als weiteres Kriterium muss indes zwingend hinzukommen, dass der Strafvollzug in Sachen Resozialisierung nichts (mehr) für den Verurteilten leisten kann. Das ist bei Menschen der Fall, bei denen der Resozialisierungserfolg bereits eingetreten ist und die trotz dieses Erfolges nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden oder werden wollen. Und das ist bei Menschen der Fall, die nicht eine klassische Freiheitsstrafe absitzen, sondern eine Ersatzfreiheitsstrafe. In der Regel sind Ersatzfreiheitsstrafen derart kurz, dass vollzugliche Maßnahmen nicht greifen können, ja: es gibt sogar starke Stimmen, die sagen, dass vollzugliche Maßnahmen auch nicht greifen sollen (weil die entsprechende Person ja gar nicht zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist). Wenn diesen Menschen mit einer Fußfessel Haft erspart werden kann, wird man kaum Argumente gegen eine solche Maßnahme finden – erst recht dann nicht, wenn man bedenkt, dass bei einem Verzicht auf eine Unterbringung im Strafvollzug menschenwürdige (Einzel-) Haftplätze geschaffen werden könnten, die mit Blick auf zahlreiche Klagen auf Schadensersatz dringend vonnöten sind.

Der „klassische“ Kandidat für eine elektronische Fußfessel ist aus meiner Sicht daher derjenige, der eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen hat.

Ob die Fußfessel von Privaten überwacht werden kann oder ob dies zwingend die Justiz tun muss…? Ich bin mir nicht ganz sicher und bin gespannt auf die Diskussion hierzu. Der Türöffner in Richtung Privatisierung wäre das jedenfalls nicht, denn diese Tür ist durch diverse andere Maßnahmen schon lange auf – oder zumindest leicht geöffnet.

Kleine Ergänzung: Heribert Prantl hat zum Thema einen wunderschönen  Kommentar geschrieben, und zwar hier: http://www.sueddeutsche.de/politik/757/482221/text/

 

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