Sexualstraftäter stellt sich nach hohem Fahndungsdruck - ein Erfolgsmodell für die Zukunft, aber nicht für alle Fälle geeignet

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 08.08.2009

Wahrscheinlich haben Sie die Meldung gestern ebenfalls den Medien entnommen: Nach einer groß angelegten Öffentlichkeitsfahndung hat sich am Donnerstagnachmittag ein dringend gesuchter Sexualtäter selbst gestellt. Dem Mann wird vorgeworfen, in mehreren Dutzend Fällen Kinder sexuell massiv missbraucht und gefilmt zu haben. Die Videos verbreitete er anschließend im Internet.

Der schnelle Ermittlungserfolg hat die Entscheidung bestätigt, den Mann mit Hilfe von Fotos, Videos und Stimmenproben sowie über die am Mittwochabend ausgestrahlten Sendung "Aktenzeichen XY" zu suchen.

Das auf der Internetseite des BKA veröffentlichten Material war - wenn die Darstellungen auch schockierten - ermittlungstaktisch geschickt gewählt. Die Videosequenzen zeigen den Mann, wie er nackt auf einem Bett liegt, stets in der Nähe seiner Opfer; das Gesicht ist gut zu erkennen. Auch die Zimmer mit prägnanten Eigenschaften wurden gezeigt (lebensgroße graue Figur; reparierte Hirschköpfe an der Wand). Hier ein weiterführender Link (gelöscht am 8.8.2009 um 21:57 mit Blick auf die Zuschrift von Herrn Rechtsanwalt Kompa).

Einen ähnlichen Fahndungserfolg gab es in der Vergangenheit schon in Österreich: In einem Fall von sexuellem Missbrauch wurde ebenfalls Videomaterial veröffentlicht, das den Täter in seiner Umgebung zeigte. Daraufhin erkannte die Mutter des Täters die Zimmereinrichtung und informierte die Polizei.

Die Aufklärungsquote bei dieser Art von Öffentlichkeitsfahndung dürfte bei fast 100% liegen. Aber nur selten liegt ein so völlig zweifelsfreies, den Täter identifizierendes Videomaterial vor. Andernfalls muss diese Form der Öffentlichkeitsfahndung  ausscheiden!

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7 Kommentare

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Das hier in Rede stehende Bildmaterial wurde ja erstmalig von der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst..." ausgestrahlt. Die erhoffte Wirkung der Öffentlichkeitsfahndung wurde dann ja auch erzielt. Allerdings ist es in der Tat entscheidend, dass der Täter, nach dem mit solchen Mitteln gefahndet wird, auch derjenige ist, der auf dem Bild- und Videomaterial zu sehen ist. Denn ein solcher Öffentlichkeitsaufruf erreicht Millionen von anderen Menschen. Stellt sich dann nämlich heraus, dass die gezeigte Person gar nicht die gesuchte war, ist meist nicht mehr viel zu retten. Dies gilt insbesondere bei stigmatisierenden Delikten wie Vergewaltigung und Kindesmissbrauch.

 

Dass trotz aller Sorgfalt dennoch Pannen bei solchen Öffentlichkeitsfahndungen auftreten können, zeigt ein Fall, bei dem das us-amerikanische FBI auf die Hilfe von "Aktenzeichen XY ungelöst..." zurückgriff:

http://www.focus.de/panorama/welt/fahndungspleite_aid_262442.html

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Sehr geehrter Herr Prof. von Heinegg,

darf ich Sie (leicht altklug) dazu anregen, den Link auf das Bildnis zu überdenken?

Das Ihnen wohlvertraute OLG München nimmt nämlich bisweilen bei Links auf Websites mit Bildnissen einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht an und urteilt Unterlassungsansprüche aus. Das Fahndungsfoto ist seit vorgestern keines mehr, vgl. http://www.kanzleikompa.de/2009/08/06/bildberichterstattung-und-fahndung/

So schnell kann es gehen ... ;-)

Mit freundlichen Grüßen

RA Markus Kompa

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Sehr geehrter Herr Lukas, sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Kompa,

besten Dank für Ihre Hinweise!

Ohne es zu kennzeichnen habe ich wegen des offensichtlichen Versehens (des Diktiersystems; den Text habe ich zwar kontrolliert, dabei aber vergessen, nochmals die Überschrift durchzulesen) die Überschrift meines Start-Beitrags verbessert. Natürlich musste es "Fahndungsdruck" und nicht wie zutreffend moniert "Verhandlungsdruck" heissen. Damit ist für spätere Leser festgehalten, wie die ursprüngliche Überschrift versehentlich hieß.

Den Link habe ich herausgenommen, um jedenfalls nichts verkehrt zu machen, und dies auch im Text gekennzeichnet. Sehr dankbar bin ich am Rechtsanwalt Kompa für seinen eingestellten Link.

Ob sich noch eine Diskussion zu dieser Art der Öffentlichkeitsfahndung entwickelt?

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

"war im Jahr 2006 schon einmal wegen sexuellen Missbrauchs aufgefallen. Damals hatte die Staatsanwaltschaft Trier gegen den Mann aus der Eifel ermittelt [...] Es sei damals jedoch nicht zu einem Verfahren gekommen, weil die Geschädigten keine Angaben machen wollten. [...] Es habe damals ausreichend Hinweise gegeben, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Trier. Daraufhin habe man die Kinder auch angehört. Sie hätten aber zum Teil differierende Angaben gemacht, so dass ein Glaubwürdigkeitsgutachten angefertigt werden musste, das aber kein eindeutiges Ergebnis erbrachte. Deshalb habe es nicht zu einer Anklage kommen können."

http://www.faz.net/s/Rub77CAECAE94D7431F9EACD163751D4CFD/Doc~E5106A1F063...

Man liest im Internet ja häufig von Verfolgungshysterie sobald es um Kindesmissbrauch ginge. Dass die Behörden schon beim kleinsten Verdacht gleich das SEK schicken und das Ansehen völlig Unschuldiger durch haltlose Vorwürfe zerstören würden. Die Realität sieht anscheinend doch anders aus.

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Zum Thema Glaubwürdigkeitsgutachten (genauer: aussagepsychologisches Gutachten zur Glaubhaftigkeit) ist hier doch eine Ergänzung angebracht. Nicht nur in Zeitungen liest man gelegentlich Formulierungen wie "das [damalige]  Glaubwürdigkeitsgutachten hat kein eindeutiges Ergebnis erbracht", sondern auch manche Juristen wissen mit solchen Gutachten nicht sachgerecht umzugehen, obwohl der BGH in seiner Entscheidung 1 StR 618/98 nicht nur Mindestanforderungen an solche Gutachten aufgestellt hat, sondern auch deren Methodik und deren mögliche Ergebnisse ausführlich diskutiert hat.

So ist es eben methodenbedingt, dass ein Glaubwürdigkeitsgutachten eigentlich NIE ein eindeutiges Ergebnis liefern kann in dem Sinne "das Kind hat eindeutig die Wahrheit gesagt" oder gar "das Kind hat eindeutig gelogen". Solche positiven Nachweise kann es nicht geben.

Vielmehr werden verschiedene, dem jeweiligen Fall angemessene Hypothesen gebildet, die eine unwahre Aussage annehmen, und diese dann jeweils mit den vorliegenden Tatsachen abgeglichen (meist zusätzlich auch mit dem Aussageverhalten im Rahmen einer Exploration).

Wenn also zunächst als Unwahr-Hypothese ein reines Phantasieprodukt zugrundegelegt wird, und das Kind dann sehr detailreich die Handlung schildert (und andere Realkennzeichen nach Steller und Köhnken (1989) vorhanden sind) so kann die Phantasiehypothese verworfen werden und es ist von der Glaubhaftigkeit der Aussage auszugehen.

In Fällen, in denen es aber darum geht, nur Anreicherungen eines unstrittigen Geschehens auszuschließen, wird es schon komplizierter. Diese Unwahrhypothese ("die Kinder haben Kontakt mit diesem Mann gehabt, aber einige entscheidende Details z.B. wegen suggestiver Vorbefragung erfunden") kann oftmals nicht widerlegt werden. Das Ergebnis des Gutachtens heißt dann eben: die Glaubhaftigkeit der kindlichen Zeugen kann nicht bestätigt werden.

Ein solches Gutachten besagt aber weder, dass die Kinder tatsächlich gelogen haben, noch fehlt es diesem Gutachten an Eindeutigkeit. Das Ergebnis des Gutachtens ist vielmehr nur eines von zwei möglichen Ergebnissen: a) die Erlebnisbasiertheit kann bestätigt werden b) die Erlebnisbasiertheit kann nicht bestätigt werden.

Ganz unsinnig wird es aber, wenn manche Gerichte ein Gutachten als nicht eindeutig ansehen, weil "die Glaubhaftigkeit der Zeugen zwar nicht bestätigt werden konnte, aber auch nicht ausgeschlossen wurde". Wenn dann dieses Gutachten also die Erlebnisbasiertheit nicht bestätigen konnte, aber umgekehrt den Nachweis der Lüge auch nicht führen konnte, so ist das genau eines von zwei möglichen (normalen) Ergebnissen gemäß der BGH-Kritierien und keineswegs ein Zeichen dafür, dass das Gutachten nicht eindeutig, unklar oder gar schlecht ist. Auch solche dubiosen Ansichten von angeblich nicht eindeutigen Gutachten liest man nicht nur in Zeitungen wie der FAZ, sondern auch in manchen Urteilen. Manchmal werden auch Formulierungen verwendet wie "das Glaubwürdigkeitsgutachten konnte zwar die Erlebnisbasiertheit des kindlichen Zeugen nicht bestätigen. Es konnte aber umgekehrt auch nicht den positiven Nachweis führen und das Kind der Lüge überführen". Auch solche Formulierungen werden aus o.g. Gründen der Methode der Glaubhaftigkeitsbegutachtung nicht gerecht und werfen dem Gutachten zu Unrecht ein "nicht eindeutiges" Ergebnis vor oder nutzen dieses scheinbar nicht eindeutige Ergebnis sogar, um dann entgegen dem Gutachten zu entscheiden (was natürlich ohnehin immer möglich ist, da neben der Unabhhängigkeit des Richters diesem u.U. auch noch weitere Beweise zur Verfügung stehen).

Im vorliegenden Fall kam das damalige Gutachen wohl zu dem Ergebnis, dass die Erlebnisbasiertheit nicht bestätigt werden konnte. Dieses Ergebnis hat nichts mit "kein eindeutiges Ergebnis" zu tun. Die Staatsanwaltschaft hätte natürlich trotzdem anklagen können, insbesondere wenn weitere Beweise vorgelegen hätten, aber bei kindlichen Zeugen ist es unter diesen Voraussetzungen äußerst schwer, eine solche Anklage auch durchzubringen.

Fazit: ein aussagepsychologisches Gutachten ist nicht nur dann eindeutig, wenn es "eindeutig" die Lüge nachweist oder "eindeutig" die Wahrheit der Aussage. Ein solches scheinbar eindeutiges Gutachten wäre vielmehr vermutlich fehlerhaft, gemessen an den Grundsätzen o.g. BGH-Entscheidung. Wenn ein Gutachten "die Glaubhaftigkeit der Aussage der kindlichen Zeugen" im Endergebnis nicht bestätigen kann und somit die Unwahr-Hypothese nicht verworfen werden kann, so macht der Aussagepsychologe im Grunde genommen nichts anderes als der Richter, wenn er am Ende seiner Prufung sagt: im Zweifel für den Angeklagten. Die Unschuldshypothese konnte nicht widerlegt werden.

Die Forderung mancher (einiger weniger) Gerichte und Staatsanwaltschaften nach einem aussagepsychologischen "eindeutigen", positiven Nachweis der gelogenen Aussage oder umgekehrt des postiiven Nachweises der wahren Aussage ist hingegen blanker Unsinn. In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich leider doch so manche Formulierung in dieser Richtung lesen müssen.

Sehr geehrte Frau Ertan,

die Strafbarkeit der Beschaffung und des Besitzes von Kinderpornographie beruht ja auf zwei Annahmen: Einerseits ging der Gesezgeber davon aus, dass durch eine Strafschärfung der Markt "ausgetrocknet" werden könne, also der ökonomische Anreiz zur Produktion von Kinderpornographie. Allerdings beruht dies auf der Spekulation, Kinderpornographie werde (auch) aus ökonomischen Gründen hergestellt. Ob dies (in größerem Umfang) tatsächlich der Fall ist, wird von einigen Experten allerdings bestritten. Jedenfalls macht für diesen Zweck das Verbot der virtuellen Kinderpornographie keinen Sinn. Zum andern soll mit dem Verbot verhindert werden, dass aus (bloßen) Konsumenten von Kinderpornographie irgendwann "hands on"-Täter werden. Dass durch häufigen Konsum von Kinderpornographie eine solcher Anreiz entstehen "kann", wird  immerhin von einigen Experten bejaht. Für diesen Verbotszweck macht auch das Verbot von virtueller Kinderpornographie Sinn.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

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