Finanz- gegen Strafgericht - BGH ruft EuGH an

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 12.08.2009

Zwischen deutschen Finanz- und Strafgerichten ist ein Streit über die Behandlung von "Umsatzsteuerkarussellen" entbrannt, den nunmehr auf Vorlage des BGH der EuGH entscheiden muss:

Das LG Mannheim hatte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, weil er den deutschen Fiskus innerhalb von zwei Jahren um mehr als 2,5 Millionen EURO geschädigt haben soll. Durch Scheinrechnungen soll er dafür gesorgt haben, dass die Abnehmer seiner Autos in Portugal die dort anfallende Mehrwertsteuer umgehen konnten.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg (Az. 1 V 4305/08) kam jedoch ein halbes Jahr später zu dem Schluss, der Geschäftsführer habe trotz unzutreffender Rechnungen an die Abnehmer die Abgaben auch bei der Ausfuhr nicht entrichten müssen, weil "innergemeinschaftliche Lieferungen" im Land der Ausfuhr generell von der Steuer befreit sind.

Der BGH hat mit Beschluss vom 7.7.2009 - Az. 1 StR 41/09 - den "Streit" dem EuGH vorgelegt.

Wenn der EuGH sich dem Finanzgericht anschließt, hat die Revision des des Angeklagten Erfolg. Statt der verhängten Freiheitsstrafe käme dann nur wegen eine Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 5000 EURO in Betracht. Denn die Beteiligung an Steuersünder in Portugal ist in Deutschland nicht strafbar, weil es an der "Verbürgung gegenseitiger Strafverfolgung" fehlt, die § 370 AO voraussetzt.

Für mich überzeugend hält der BGH dies nicht für gerechtfertigt. Der Geschäftsmann habe durch ein "aufwendiges Täuschungssystem" die Identität der tatsächlichen Käufer verschleiert und dazu Bescheinigungen für das Bundeszentralamt  für Steuern ebenso manipuliert wie seine eigene Buchführung. Bei der organisierten Hinterziehung von Umsatzsteuer entsteht auch ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Redliche Mitbewerber erleiden Wettbewerbsnachteile, weil diese wegen der einzuhaltenden Steuerpflichten von ihren Kunden höhere Preise verlangen müssen.

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5 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Prof. v. Heintschel-Heinegg,

wenn Sie schon meinen F.A.Z.-Artikel in Ihren ersten fünf Absätzen geradezu wörtlich und so prompt wiedergeben, ohne ihn zu nennen -- warum verlinken Sie dann nicht wenigstens auf dessen Online-Fundstelle?

www.faz.net/recht ("Justizstreit um Steuerpflicht")

Mit freundlichen Grüßen

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Sehr geehrter Herr Jahn,

besten Dank für Ihren Link! Wenn Sie das Strafrecht im Blog verfolgen, werden Sie feststellen, dass ich für jeden weiterführenden Link froh bin und als Beleg verlinke (sofern ich es schaffe, was mir leider bislang nicht bei der zitierten BGH-Entscheidung gelungen ist). Leider war ich nicht im faz.net/recht. Darauf will ich künftig gerne achten!

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

49      Demzufolge verwehrt das Unionsrecht es den Mitgliedstaaten nicht, die Ausstellung unrichtiger Rechnungen als Steuerhinterziehung anzusehen und in einem solchen Fall die Befreiung zu verweigern (vgl. in diesem Sinne Urteil Schmeink & Cofreth und Strobel, Randnr. 62, sowie Beschluss vom 3. März 2004, Transport Service, C‑395/02, Slg. 2004, I‑1991, Randnr. 30).

50      Die Verweigerung der Befreiung in dem Fall, dass eine nach dem nationalen Recht vorgesehene Verpflichtung nicht eingehalten wurde – hier die Verpflichtung zur Angabe des Empfängers der innergemeinschaftlichen Lieferung –, hat nämlich eine abschreckende Wirkung, die die Durchsetzung dieser Verpflichtung gewährleisten und Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen verhüten soll (vgl. entsprechend in Bezug auf die Einbehaltung eines Teils der von der geschuldeten Mehrwertsteuer abziehbaren Vorsteuer Urteil Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski, Randnr. 28).

51      Demzufolge kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Steuerbefreiung gestützt auf die Befugnisse versagen, die ihm nach dem ersten Satzteil von Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch eingeräumt sind.

52      In bestimmten Fällen jedoch, in denen ernsthafte Gründe zu der Annahme bestehen, dass der mit der fraglichen Lieferung zusammenhängende innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland – trotz gegenseitiger Amtshilfe und Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten – der Zahlung der Mehrwertsteuer entgehen könnte, muss der Ausgangsmitgliedstaat grundsätzlich dem Lieferer der Gegenstände die Befreiung verweigern und ihn verpflichten, die Steuer nachzuentrichten, um zu vermeiden, dass der fragliche Umsatz jeglicher Besteuerung entgeht. Nach dem Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems wird diese Steuer nämlich auf jeden Produktions‑ oder Vertriebsvorgang erhoben, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (vgl. u. a. Beschluss Transport Service, Randnrn. 20 und 21, Urteile Optigen u. a., Randnr. 54, sowie Collée, Randnr. 22).

53      Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu festzustellen, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein an einer Steuerhinterziehung beteiligter Lieferer verpflichtet ist, für die von ihm durchgeführte innergemeinschaftliche Lieferung die Mehrwertsteuer nachträglich zu entrichten, soweit seine Beteiligung an der Steuerhinterziehung ein bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Maßnahme zu berücksichtigender maßgeblicher Gesichtspunkt ist.

54      Außerdem stehen weder die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Rechtssicherheit noch der Grundsatz des Vertrauensschutzes der vorstehend in Randnr. 51 getroffenen Feststellung entgegen. Ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet, kann sich nämlich nicht mit Erfolg auf diese Grundsätze berufen.

55      Demzufolge ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der ihm nach dem ersten Satzteil von Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie zustehenden Befugnisse die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen kann.

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