OLG Hamm: Wenn der Fahrgast eines Zuges zu spät kommt ...muss das Anfahren des Zuges nicht immer Straftat des Lokführers sein

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 19.08.2009

Der Lokführer ist eigentlich der Triebwagenführer, das ist das Erste was man aus dem Beschluss des OLG Hamm vom 16.6.2009 - 3 Ws 140/09 lernen kann. Aber auch sonst ist die Entscheidung lesenswert, geht es doch um eine eher selten angewendete Vorschrift des Verkehrsstrafrechts, nämlich § 315a StGB. Der Antragsteller kam offenbar zu spät zum Zug, welcher dann doch tatsächlich auch anfuhr. Nun wehrte er sich gegen die Einstellung des von ihm angestrengten Verfahrens gegen den Lokführer durch die StA. Das OLG hat aber weder eine versuchte Körperverletzung des Lokführers, noch einen § 315a StGB hierin sehen können:

"...Zweifelhaft ist schon, ob überhaupt eine Gefährdung von Leib oder Leben des Antragstellers gegeben war. Erforderlich ist eine konkrete, nicht bloß eine abstrakte, Gefährdung. Vielmehr muss aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose ein Schadenseintritt in so bedrohliche Nähe gerückt sein, dass seine Vermeidung sich nur als Zufall darstellt (Fischer, StGB, § 315a Rdn. 8 i.V.m. § 315c Rdn. 15 m.w.N.; König in: Leipziger Kommentar, StGB 12. Aufl. § 315a Rdn. 30 i.V.m. § 315 Rdn. 56, 60 ff.m.w.N.). Bereits dies ist hier fraglich. Selbst wenn man nahe an einem gerade anfahrenden Zug steht, besteht erfahrungsgemäß kaum die Gefahr, von diesem erfasst zu werden (anders, bei einem mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahrenden Zug). Es ist geradezu eine Normalsituation, dass Reisende im letzten Moment, auch noch bei Anfahren des Zuges, versuchen, in diesen zu gelangen, ohne dass dabei etwas passiert. Dies gilt erst recht, wenn – wie der Antragsteller in seiner Beschwerdeschrift ausführt -der Zug „moderner, glatter Bauart“ (und er selbst die Gefahr des Erfasstwerdens bei diesem nicht als gegeben ansieht). Als konkrete Gefährdung kommt hier also allenfalls in Betracht, dass der Antragsteller, wie er in seiner Einstellungsbeschwerde in einem Nebensatz ausführt, (warum auch immer) hingefallen ist. Ob dies überhaupt glaubhaft ist, kann allerdings dahinstehen. Zweifel bestehen, weil der Antragsteller in seiner Strafanzeige hiervon überhaupt nichts berichtet und auch nur von „versuchter Körperverletzung“ spricht. Indes wäre es naheliegend gewesen, gerade dieses Hinfallen schon in der Strafanzeige zu schildern, stellt es sich doch nach der Gesamtbetrachtung des vom Antragsteller geschilderten Verfahrensgangs als die schwerwiegendste Beeinträchtigung dar. Danach drängt sich der Eindruck auf, dass letztlich eher Unmut über das Nichterreichen des Zuges Grund für die Strafanzeige war. Jedenfalls liegt kein hinreichender Tatverdacht für ein nach § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB erforderliches grob pflichtwidriges Verhalten gegen Rechtsvorschriften des Schienenbahnverkehrs vor. Grobes Fehlverhalten liegt dann vor, wenn der Beschuldigte entweder gegen weniger bedeutsame Pflichten in krasser Weise oder aber gegen eine Sicherungspflicht mit hohem Stellenwert an sich verstoßen hat (König a.a.O. § 315a Rdnr. 28). Grundsätzlich hat sich der Zugführer vor Abfahrt zu vergewissern, dass keine Personen mehr im Gefahrenbereich des Zuges sind. Diese Pflicht ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Nr. 9 und Abs. 2 EBO, wonach der Triebfahrzeugführer (u.a.) für die sichere Durchführung des Eisenbahnbetriebes zu sorgen hat. Hierbei handelt es sich auch um eine Verpflichtung mit hohem Stellenwert, so dass ein Verstoß als solcher ausreicht, um die grobe Pflichtwidrigkeit zu begründen. Nach seiner Einlassung hat der Beschuldigte einen entsprechenden Kontrollblick vor Abfahrt durchgeführt und keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. Dies ist letztlich nicht widerlegbar, da es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, dass der Antragsteller trotz des durchgeführten Kontrollblicks bei Abfahrt des Zuges in dessen unmittelbarer Nähe stand. So ist es naheliegenderweise u.a. nicht auszuschließen, dass der Antragsteller bei Durchführung des Kontrollblicks den Zug bzw. dessen Türen noch gar nicht erreicht hatte...."

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Die entsprechenden Vorschriften für das Verhalten der Reisenden finden sich in § 63 III EBO, wo sogar noch von "Plattformen", also offenen Wagenendbühnen zum Ein- und Ausstieg, die Rede ist:

Solange sich ein Fahrzeug bewegt, ist es verboten, die Außentüren zu öffnen, ein- oder auszusteigen, die Trittbretter zu betreten und sich auf den Plattformen aufzuhalten, soweit dies nicht ausdrücklich gestattet ist.

Die EBO enthält auch in § 64b I Nr. 3 einen entsprechenden OWi-Tatbestand. Den hat der Reisende im Fall des OLG Hamm allerdings nicht erfüllt, weil er die Türen nicht öffnen konnte.

Die bezeichnung Zugführer meint in eisenbahnrechtlicher Hinsicht nie den Lok- bzw. korrekt Triebfahrzeugführer, sondern den leitenden Zugbegleiter (der in ICE´s und IC´s "zugchef" heißt und eine rote Binde trägt. So heißt es in § 19 Eisenbahn-Verkehrsordnung:

Meinungsverschiedenheiten unter Reisenden oder zwischen Reisenden und dem Eisenbahnpersonal entscheidet vorläufig auf Bahnhöfen der aufsichtführende Bedienstete, in den Zügen der Zugführer.

Ob dem Zugführer damit rechtsprechende Gewalt zukommt? Wer entscheidet, wenn es, wie es immer häufiger der Fall ist, gar kein Zugbegleiter mitfährt?

 

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