LG Berlin: § 15a RVG ist seit 05.08.2009 anwendbar

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 26.08.2009

Mit einem umfassend und gründlich begründeten Beschluss hat das LG Berlin am 05.08.2009 - 82 T 453/09 - entschieden, dass auch die die Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren regelnde Bestimmung des § 15a Abs. 2 RVG ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 05.08.2009 anzuwenden ist. Besonders „pfiffig“ ist aus meiner Sicht auch das Argument, die Übergangsvorschrift des § 60 RVG könne bereits deshalb nicht angewendet werden, weil diese Vorschrift bestimme, dass die Vergütung unter den näher aufgeführten Voraussetzungen „nach bisherigem Recht zu berechnen ist“. Vorliegend gehe es jedoch nicht um die Berechnung der Vergütung, sondern um die Wirkung der Gebührenanrechnung im Verhältnis zum Dritten.

 

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Dabei mag übersehen sein, dass der Dritte nur die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten hat - vgl. § 91 ZPO bzw. § 162 VwGO. Mit Blick auf die Verfahrensgebühr war dies vor Inkrafttreten des § 15a Abs. 1 RVG nach h.M. die anrechnungsgeminderte Verfahrensgebühr. Ob die Abrechnung nach § 15a Abs. 1 RVG eine hiervon abweichende Berechnung in Altfällen ermöglicht oder wegen § 60 Abs.1 RVG insoweit nicht anzuwenden ist scheint zumindest offen. § 60 Abs. 1 RVG dürfte jedenfalls nicht ausschließlich dem Schutz des Mandanten und des Anwaltes dienen, sondern auch dem Schutz beispielsweise der interessen der Landeskasse bei PKH. Ob er auch dem Schutz eines Erstattungspflichtigen Dritten dienen kann wird zu diskutieren sein. Ohnehin kann sich § 15a Abs. 1 RVG in Altfällen negativ für den Mandanten auswirken - man denke nur an die anzurechnende Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG und eine denkbare Mehrwertsteuerverschiebung (Hansens). Hinzutreten mögen evtl. Nachteile z.B. bei Mehrvergleichen über § 15 Abs. 3 RVG und bei abweichenden Auftraggebern.

In eine ähnliche Richtung - wenn auch mit anderer Argumentation - als das LG Berlin geht ein Beschluss des OLG Stuttgart vom 11.8.2009 - 8 W 339/09, BeckRS 2009 22700. Amtlicher Leitsatz:

Der am 5. August 2009 in Kraft getretene § 15a RVG beinhaltet keine Gesetzesänderung i. S. des § 60 Abs. 1 RVG, sondern enthält lediglich eine Klarstellung des Gesetzgebers zu den bisherigen Anrechnungsregeln (§ 118 Abs. 2 BRAGO und Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV), so dass § 15a RVG auch auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" anzuwenden ist.

 

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Wenn ich mir die Regelung des § 15a Abs. 1 RVG ansehe und mit dem bisherigen Anrechnungsverständnis sowohl der Anrechnungsbefürworter als auch der Anrechnungsgegner vergleiche, dann geht diese Legaldefinition des Anrechnung über das bisherige Verständnis von Anrechnung hinaus. Verfolgt man die Gesetzesmaterialien und Äußerungen des Gesetzgebers, so scheint dieser selbst von einer Gesetzesänderung auszugehen. Die darüber hinaus verbreiteten klarstellenden Worte hingegen beziehen sich m.E. ausschließlich auf ein Anrechnungsverständnis, von dem sich der Gesetzgeber bei Einführung des RVG nach eigenem Bekunden leiten lassen wollte. Dieses Aussage, so zutreffend sie sein mag, steht im Gegensatz zu dem, was der Gesetzgeber nach Auffassung der h.M. dann tatsächlich in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG geregelt hat (neben dem BGH hat nun auch das BVerwG in diesem Sinne entschieden).

Laut OLG Frankfurt/Main, B. v. 10.08.2009 in 12 W 91/09 sind Altfälle in der Kostenfestsetzung wegen § 60 Abs. 1 RVG nach altem Recht zu beurteilen.

A.A. Bayer. VG Ansbach, B.v.2.9.2009, Az. AN 19 M 08.01175.
Nebenaspekt der Entscheidung:
"Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Kostenbeamtin auch zu Recht die Geschäftsge-bühr in Höhe des Gebührensatzes von 0,75 angerechnet hat. Der Klägerbevollmächtigte hat zur Gebührenhöhe der Geschäftsgebühr trotz Anfrage und Gelegenheit zur Äußerung keine Angaben gemacht. Daher ist die Urkundsbeamtin zu Recht vom höchstmöglichen Anrechnungswert nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG ausgegangen."

Hingegen OLG Koblenz, B. v. 01.09.2009 in 14 W 553/09:
". § 15a RVG ist in allen noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Kostenfestsetzungsverfahren unmittelbar anwendbar.
2. Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des § 15a RVG im Kern eine Rechtsprechung bei aus seiner Sicht unveränderter Gesetzeslage ändern und nicht das Gesetz selbst, so dass § 60 Abs. 1 S. 1 RVG nicht anwendbar ist (ebenso OLG Stuttgart v. 11.08.2009, 8 W 339/09 gegen LAG Hessen v. 07.07.2009, 13 Ta 320/09)
Hinweis: Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. "

Über den Tellerrand hinausblickend mag auch der Beschluss des VG Bremen vom 28.08.09 - Az. S 4 E 1189/09 - in einer sozialgerichtlichen Angelegenheit für das Anrechnungsverständnis bei vorgerichtlicher Befassung des Anwaltes von Interesse sein.

Aus den Gründen:
"Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV-RVG bezieht sich nicht nur auf solche Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind (vgl. SG Oldenburg, Beschl. v. 15.08.2005, S 47 AS 169/05 ER). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid voraus, da es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Im Übrigen wird weder bei dem Gebührentatbestand der Nr. 3102 noch bei Nr. 3103 VV RVG zwischen einem Klageverfahren und einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes differenziert. Beide Gebührentatbestände gelten vielmehr insgesamt für das sozialgerichtliche Verfahren. In Sozialgerichtsverfahren wird die für ein Tätigwerden des Rechtsanwalts im Vorverfahren anfallende Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 oder 2401 VV-RVG nicht hälftig auf die Verfahrensgebühr angerechnet; die Vorbemerkung 3 Absatz 4 zu Teil 3 der Anlage 1 zum RVG gilt nur für die in verwaltungsgerichtlichen Verfahren anfallende Geschäftsgebühr (vgl. hierzu VG Bremen, Beschl. v. 15.08.2008, Az. 4 E 823/08). Die mit dem vorprozessualen Tätigwerden regelmäßig verbundene Arbeitsersparnis wird in Sozialgerichtssachen, in denen Betragsrahmengebühren anfallen, durch den geringeren Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG berücksichtigt. Die Nr. 3103 VV-RVG ist gegenüber Nr. 3102 VV-RVG eine Spezialvorschrift für den Fall, dass der Rechtsanwalt bereits im Verwaltungs- oder im Widerspruchsverfahren tätig geworden ist und nun ein „Verfahren vor den Sozialgerichten“ betreibt. Dass Nr. 3103 VV-RVG als Spezialvorschrift der Nr. 3102 VV-RVG vorgeht, ergibt sich aus der Gesetzesformulierung „Die Gebühr 3102 beträgt …“. Hieraus folgt, dass der Gebührenrahmen aus Nr. 3103 VV-RVG in allen Verfahren vor den Sozialgerichten anwendbar ist. Zu diesen Verfahren vor den Sozialgerichten gehören auch die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Das folgt nicht nur aus dem Wortlaut von Nr. 3102 VVRVG, sondern ist auch ausdrücklich in der amtlichen Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 Satz 2 VVRVG festgelegt (abgedruckt bei Hartmann Kostengesetze 37. Aufl., vor Nr. 3200 VV-RVG). Danach sollen die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der Sozialgerichtsbarkeit nach Abschnitt 1 vergütet werden, d.h. also u.a. nach Nr. 3102 VV-RVG und dementsprechend auch nach Nr. 3103 VV-RVG (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 09.08.2007, Az. L 20 B 91/07 AS und v. 29.01.2008, Az. L 1 B 35/07 AS; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 28.02.2007; Az. L 1 B 467/06 SK)."

Beschluss des OVG Münster vom 31.08.2009 in 2 E 1133/08 - vorgehend VG Minden, Beschluss vom 31.07.2008 in 8 K 2249/07.

Aus den Gründen:

"Denn der Senat sieht entgegen der vom Bundesgerichtshof im genannten Beschluss vertretenen Auffassung ebenso wie der 7. Senat des beschließenden Gerichts die vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 zu Teil 3 VV RVG auch mit Rücksicht auf die Historie der Vorschrift weiterhon als auslegungsfähig und -bedürftig an."

"Da der Senat schon zur bisherigen Rechtslage die auffassung vertreten hat und weiterhin vertritt, eine Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr komme im Kostenfestsetzungsverfahren nicht in Betracht, und im vorliegenden Verfahren zudem auch eine Anwendung des § 15a RVG zu keinem anderen Ergebnis führt, kann er die Frage offen lassen, ob eine Anwendung von § 15a RVG nur nach Maßgabe der allgemeinen Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG, deren Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt wären, oder für sämtliche Altfälle in Betracht kommt."

Auf die abweichende Auffassung des 18. Senats des OVG Münster zur Anrechnung geht der Beschluss ebensowenig ein wie auf den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung grade erst bekannt gewordenen Beschluss des BVerwG vom 22.07.2009 in 9 KSt 4.08, in dem für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr höchstrichterlich bestätigt wird.

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