Innenminister Schäuble hält die Akten des Verfassungsschutzes in Sachen Verena Becker verschlossen

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 10.09.2009

Die geheimen Akten des Verfassungsschutzes in Sachen Verena Becker dürfen nach der Entscheidung des Bundesinnenministers wegen der zugesicherten Vertraulichkeit nicht in einem etwaigen Strafverfahren verwertet werden. Die Bundesanwaltschaft beharrt dagegen auf der Freigabe; die Akten seien von wesentlicher Bedeutung um die konkrete Rolle von Verena Becker an der Ermordung des einstigen Generalbundesanwalts Siegfried Buback und seiner beiden Begleiter zu klären.

Das Argument überzeugt jedenfalls insoweit nicht, als zwischenzeitlich in der Öffentlichkeit bekannt ist, Verena Becker  mit dem Verfassungsschutz kooperiert und für ihre Aussagen Geld bekommen und vermutlich steht auch ihre verhältnismäßig schnelle Begnadigung damit in Zusammenhang.

Warum also diese Geheimniskrämerei, die Raum für weitere Spekulationen gibt? Die zugesicherte Vertraulichkeit ist für den Verfassungsschutz, der auf Informationen und Aussteiger angewiesen ist, ein hohes Gut. Die Quellen könnten gerade derzeit, da der Verfassungsschutz die gewaltbereiten Islamisten im Visier hat, schnell versiegen.

Der Vollständigkeit halber ist aber noch darauf hinzuweisen, dass der Innenminister nach dem Bericht von Peter Carstens in der heutigen FAZ S. 10 (hier faz.net) den Bundesanwälten angeboten hat, "alle für das Ermittlungsverfahren gegen Verena Becker möglicherweise relevanten Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz aus dem RAF-Komplex umfassend einzusehen und sichten zu lassen." Falls sich in diesen Unterlagen konkrete Anhaltspunkte für Ermittlungsansätze ergäben, sei der Innenminister zu einer neuerlichen Prüfung bereit.

So sehr der Name des Buback-Mörders interessiert, zwischenzeitlich geht es auch darum, die Motive der staatlichen Schweigens während drei Jahrzehnte aufzuklären; denn offenkundig passt einiges nicht zusammen - und der Staat schweigt weiterhin. Mit einer offiziellen Untersuchung der Ungereimtheiten könnte einer Legendenbildung in einem sehr wichtigen Punkt deutscher Nachkriegsgeschichte offensiv entgegengetreten werden. 

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5 Kommentare

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"alle für das Ermittlungsverfahren gegen Verena Becker möglicherweise relevanten Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz aus dem RAF-Komplex umfassend einzusehen und sichten zu lassen."

Das Recht auf ein faires Verfahren, namentlich das Recht auf Einsicht in alle prozessrelevanten Unterlagen (cvulgo: Akteneinsicht) für die Verteidigung scheint wohl niemanden zu interessieren.

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Sehr geehrter Herr v. Heintschel-Heinegg,

meines Erachtens verkennt der Bundesinnenminister die verfassungsrechtlichen Implikationen seiner Sperrerklärung und beachtet bei seiner Abwägung nicht die durch das BVerfG (E 57, 250 ff.) aufgestellten Maßstäbe. Herr Schäuble müsste nämlich die Geheimhaltungsinteressen (das mit der Geheimhaltung geschützte "Wohl der Bundesrepublik", also nicht lediglich das Interesse des Verfassungsschutzes daran, dass seine Machenschaften im Jahr 1977 nicht ans Licht kommen) abwägen gegen das Wahrheitsfindungsinteresse des Strafprozesses, wobei die Schwere der Straftat eine entscheidende Rolle spielt. Bei Mordermittlungen (und erst recht, wenn es zur Hauptverhandlung kommt) geht es um die schwerste Straftat des StGB, weshalb das Aufklärungsinteresse ganz besonders hoch einzustufen ist. Demgegenüber ist kaum denkbar, dass ein Vorrang der Geheimhaltung von Vorgängenbestehen bleibt, die vor über 30 Jahren stattfanden - die RAF ist schließlich längst Geschichte, auch von irgendwelchen verspäteten Racheaktionen hat man bislang nichts gehört.

Worauf Schäuble wohl abstellen will, ist der (angeblich) geringe Stellenwert der Akteninhalte für die aktuellen Ermittlungen, weshalb er ja der Bundesanwaltschaft einen Vorab-Blick in die Akte gewähren will. Sicher, der Stellenwert des Beweismittels wird auch vom BVerfG als Kriterium genannt, aber wie aus dem Fall Astrid Proll bekannt ist, ist die Einschätzung der Behörden hier nicht immer vertrauenswürdig: Die Verfassungsschutzbehörden hatten damals einen Observationsbericht für geheimhaltungsbedürftig gehalten und dessen Stellenwert für den Prozess gegen Proll als gering eingestuft. Eine neue Hauptverhandlung mehrere Jahre später führte gerade aufgrund dieses Berichts zum Freispruch vom Vorwurf des Mordversuchs (vgl. Preuss, StV 1981, 312 f.).

Den Stellenwert des Beweismittels kann letztlich nur das Gericht richtig beurteilen, und, insofern hat JLloyd Recht, die Akten, die das Gericht vorliegen hat, müssen auch der Verteidigung vorgelegt werden. (Allerdings könnte es ja hier so sein, dass die Verteidigung gar nicht so sehr an der Öffnung der Akten interessiert ist.) Jedenfalls entspricht es nicht einer rechtsstaatlichen Verfahrensweise, wenn die Bundesanwaltschaft die im Übrigen geheim gehaltenen Akten vorgelegt bekommt, um sich dort die "Rosinen" herauszupicken, die Frau Becker belasten.

Vgl. zu Sperrerklärungen und ihrer Bedeutung für die Verteidigung im Strafprozess (bitte um Verzeihung für ein bisschen Eigenwerbung): Henning Ernst Müller, Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten, Tübingen 1992)

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Danke für Ihren Link. Hier noch ein aktuelles Interview mit Michael Buback zur Entscheidung von Schäuble auf Zeit-online.

Und hier ein Bericht in jetzt.süddeutsche , in dem für die Vermutung argumentiert wird, Gabriele Kröcher-Tiedemann (gestorben 1995) sei an dem Buback-Mord beteiligt gewesen.

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