Leider schon wieder: Zwei Jugendliche prügeln in einem Münchner S-Bahnhof einen 50-jährigen Mann zu Tode

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 13.09.2009

Wie T-Online heute berichtet ist der Mann am gestrigen Nachmittag dazwischen gegangen, als zwei Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren eine Gruppe jüngerer Jugendlicher bedrohte. Mit massiven Faustschlägen und Fußtritten wurde der Mann daraufhin zusammengeschlagen und getreten, als er schon am Boden lag. Erst als er bewusstlos war, ließen die Täter von ihrem Opfer ab. Der Ermittlungsrichter erließ Haftbefehl wegen des Verdachts auf Mord aus niedrigen Beweggründen.

Dass das Strafverfahren nun seinen Lauf nimmt, das allein kann es nicht gewesen sein. Jeder will, dass solche Fälle jugendlicher Brutalität sich nicht wiederholen. Aber wo sind die richtigen Konzepte?

 

 

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10 Kommentare

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Sehr geehrter Herr v. Heintschel-Heinegg,

der Mann hat sich vorbildlich verhalten. Leider ist ein solcher erschütternder Fall geeignet, die ohnehin bestehende Zurückhaltung, in der Öffentlichkeit so couragiert zum Schutz von Mitmenschen feigen Angriffen entgegen zu treten, noch zu verstärken. Den eigenen Tod zu riskieren, das ist kaum zumutbar.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk nahm den Fall zum Anlass, erneut höhere Strafen zu fordern und erweiterte Videoüberwachung. Die taz schreibt, mit solchen Forderungen werde das Opfer missbraucht, zumal keine der Forderungen im vorliegenden Fall geholfen hätte. Natürlich ist die Strafforderung aus dem "Sühne"-Gedanken heraus emotional nachvollziehbar. Diesen im Jugendstrafrecht in den Vordergrund zu stellen, würde gleichwohl einen Paradigmawechsel bedeuten, den man nicht spontan in Reaktion auf Einzelfälle  angehen sollte.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Wahrscheinlich geht es vielen so wie mir. Man ist einfach erschüttert, dass so was überhaupt passiert und letzlich niemand ein Allheilmittel kennt wie man es verhandern kann.
Härtere Strafen, mehr Überwachung bringt in diesem Fall absolut nichts. Höhere bzw. härtere Strafen dürften auch an sich nichts bringen wie ein Blick in die Geschichte und ins Ausland sehr leicht belegt.
Partielle Erfolge sind durch konsequente und zeitnahe Anwendung der Gesetze erreicht worden. Ansonsten muss man sich wahrscheinlich eingestehen, dass es eben auch jugendliche Straftäter gibt, die man nicht mehr erziehen kann und vor denen die Gesellschaft nur durch die Härte des Gesetzes geschützt werden kann.

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Man könnte statt höheren eher phantasievollere Strafen einführen und in den Schulen bekannt geben: wer wegen einer Gewalttat verurteilt wurde, verliert ausserdem für eine Zeitlang den Führerschein bzw. kann ihn nicht machen. Motto: "Schlägst Du zu, musst Du zur MPU". Denn wer gewalttätig ist, der ist ein Risiko für den Strassenverkehr, denn da kommt es ja ständig zu Gefahren, Konflikten, Missverständnissen, Fehlern, Stress, etc. (Vielleicht gibts sowas bereits??) In solchen Testosteron-Kreisen ist der Führerschein alles.

Ansonsten weiter daran arbeiten dass Straftaten zeitnah verfolgt und verurteilt werden, nicht erst nach Monaten.

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Diese Aufregeung über den Einsatz von Gewalt durch Jugendliche/ Heranwachsende ist nur teilweise nachvollziehbar.

Kinder lernen das, was man ihnen vormacht....Wenn die Stadt Köln am "Ultimate Fighting" nur die Altersgrenze moniert, dann darf man schon von einer öffentlichen Verrohung sprechen....

....und zu meinen Zeiten wurde noch darüber diskutieret, ob Paintball ein Verstoß gegen die Menschenwürde sei...welch lächerliche Diskussion im Vergleich dazu...

Ob das Jugendrecht passt oder nicht, diesen Tätern wird es nicht helfen können. Diese Täter sind weiter. Die Anwendung des Jugendrechts wird die kriminelle Karriere aktenmäßig jeweils nur verzögern, aber nicht aufhalten.

Diese Täter haben sich über rotten.com oder ähnlichen Seiten ihre soziale Prägung geholt....trauig, aber wahr.

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Der Gewaltbereitschaft zu begegnen bedarf es mE eines zeitlich viel früheren Ansatzes, als sich die Frage zu stellen, was passieren soll, wenn es geschehen ist. Härtere Strafen allein setzen die Hemmschwelle für Gewalt nicht herauf, das dürfte mittlerweile allen klar sein.

Ob es eine Patentlösung gibt, mag ich zu bezweifeln, dafür ist der Mensch zu individuell.

Allerdings denke ich, das der Grundstein einer Gewaltbereitsschaft - oder besser gesagt die Hemmschwelle der persönlichen Gewaltbereitschaft - in einem erheblichen Maße bereits im Kindesalter angelegt wird. Das Umfeld prägt den Menschen. Und in Zeiten, in denen durch zunehmende Wege der Informationsaufnahme (was für sich genommen natürlich zu begrüßen ist) auch die Darstellung von Gewalt in den -auch schon kindlichen- Alltag gebracht wird, muss man sich nicht wundern, wenn Gewalt als "normal" qualifiziert wird.

Leider ist es so, dass ich das Autoradio morgens, wenn ich meinen Sohn zu Schule bringe, ausstelle, nur um zu vermeiden, dass er sich die Morgensnachichten anhören muss, in denen wieder einmal berichtet wird, dass ein Familienvater seine Ehefrau vor den Augen der gemeinsamen Kinder erschlagen hat, oder dass irgendwo ein Leiche mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden worden ist. Was soll bei solchen Nachichten - die uns im Alltag ständig verfolgen und Naturgemäß auch Kindern nicht verborgen bleiben - im Kopf eines Kindes vorgehen? Klar, die Eltern sind gefragt, "psychologische Betreuung" zu leisten, damit ein Kind solche Informationen verarbeiten kann. Das Grundproblem, nämlich die tägliche Konfrontation mit Gewalt - und damit deren "Normalität" bleibt.

Und was passiert in der Schule? Schon die Kinder in der Grundschule reden von "Ballerspielen", die "richtig cool" seien. Der Mitschüler A. erzählt in der Schule, dass er mit dem PC seines großen Bruder spielen durfte; er hat zwei "Feinde abgeballert" - kein Ansatz, darüber nachgedacht zu haben, was das bedeutet. Klar, das was virtuell. Nur wann und wie erkennt der Mensch, zwischen Fiktion und Reallität zu differenzieren? Das ist die eine Seite, die es anzugehen gilt.

Die andere Seite betrifft das enge familiäre Umfeld. Ist dieses Intakt, ist die Wahrscheinlichkeit von Gewalttätigkeiten gering.Ich bin davon überzeugt, gewalttägige Menschen werden nicht diejenigen, welche die Liebe und Achtung ihrer "Erzieher" - seien das die Eltern oder sonstige enge Personen im Leben eines jungen Menschen - erlebt haben. Niemand wird als Gewalttäter geboren. Und hier ist eine brauchbare Familienpolitik gefordert.

 

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Auch in der heute Abend im dritten Programm des bayerischen Rundfunk ausgestrahlten Sendung "Münchner Runde" waren sich die Gäste einig: Härtere Strafen schrecken nicht ab. Die bayerische Justizministerin wies in der Diskussionsrunde allerdings erneut daraufhin, dass es bei der Forderung, die Höchststrafe im Jugendstrafrecht auf 15 Jahre anzuheben, auch um eine Frage der Sühne geht. Das Problem, dass bei statistisch rückläufigen Gewalttaten die Tatausführung allerdings immer menschenverachtender wird, lösen härtere Strafen nicht. Der Sühnegedanke ist bei Heranwachsenden aber sicher ein Aspekt.

  

Wie Herr Jörg L. bin ich der Auffassung, dass bereits die Familienpolitik, aber auch die Schule sowie die Jugendämter in sozialen Brennpunkten und schließlich selbstverständlich auch die Polizei/Justiz bei jungen Intensivtätern gefordert ist, die häufig Gewalt in der Familie erfahren haben und meinen, damit  auch die Probleme auf dem Schulhof und auf der Straße lösen zu müssen. - Die Aufgabe ist riesig. Dies sollte aber nicht davon abhalten, sie jetzt engagiert anzugehen - und nicht erst beim nächsten Mal, wenn die Fassungslosigkeit wieder um sich greift.

 

Einen weiteren Vorschlag möchte ich noch in die Diskussion einbringen: Wer Zivilcourage zeigt und dadurch verletzt oder sogar getötet wird, diesem und dessen Angehörigen muss der Staat in erhöhtem Maß beistehen! Die Familie desjenigen, der durch seinen couragierten Einsatz sein Leben verliert, soll z.B. nicht befürchten müssen, aus der finanzierten Eigentumswohnung ausziehen zu müssen, nur weil jetzt die Raten nicht aufgebracht werden können. Persönlich würde ich mir wünschen, dass sich viele Politiker rasch dieser Forderung anschließen.

 Die Strafzwecke "Sühne" oder "Vergeltung" spielen aus gutem Grunde seit ca. 100 Jahren im Jugendstrafrecht keine Rolle mehr: Die höheren Strafen sind schädlich (das heißt, sie führen zu höherer Rückfallgefahr). Kein Wunder, dass man kaum einen einzigen Experten des Jugendstrafrechts und der Kriminologie finden wird, der mit den CSU-Vorschlägen zum Jugendstrafrecht übereinstimmt. Man traut sich leider kaum angesichts solch tragischer und schlimmer Ereignisse (die auch mich wütend machen), den sich zu Sühne-Experten aufschwingenden Politikern deutlich entgegenzutreten, aber die von ihnen propagierten höheren Strafen werden nicht nur nicht wirksam sein, sondern sie werden das Gegenteil des erwünschten Effekts erzielen.

Ich weiß, dass ich mir im Folgenden den Vorwurf zuziehe, die Straftat in München/Solln zu verharmlosen - dies ist keineswegs meine Absicht und natürlich muss alles getan werden, um solche Taten künftig zu verhindern. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass keiner der Vorschläge, die jetzt gemacht werden, geeignet ist, solche Taten wirklich zu 100% auszuschließen. Worauf wir einwirken können, sind - wie auch etwa hinsichtlich wirtschaftlicher Fragen - die "Rahmenbedingungen", also in Erziehung, in Schule, in Alkoholprävention, in Jugendhilfe und Angeboten für "schwierige" Fälle, Lehrstellenangebote, Integrationsleistungen. Entsprechende Wirkungen können nur statistisch aufgezeigt werden, nicht an Einzelfällen - die wird es leider immer geben. Leider ist es nun so, dass gravierende Einzelfälle wie der jetztige und die im vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, hier sei eine Zunahme dieser Delikte zu verzeichnen, man müsse sich gegen eine "Gewaltflut" der Jugendlichen  wehren, es müsse "endlich" etwas getan werden, zur Not mit höheren Strafen. Dieser Eindruck ist aber falsch. Es wird bereits etwas getan und dies zeigt auch durchaus Wirkung. Ich möchte dazu eine unverdächtige Quelle nennen, nämlich das Polizeipräsidium München, speziell zu Gewaltdelikten im Öffentlichen Nahverkehr - es geht um das Jahr 2008:

"Wie im gesamten Stadtgebiet, wurde auch im ÖPNV wesentlich weniger Gewaltkriminalität
registriert. Insgesamt zählten wir 251 (326) Gewaltdelikte, 75
Fälle oder 23,0 % weniger als im vergangenen Jahr. Diese positive Entwicklung
dürfte nicht zuletzt auch der erhöhten polizeilichen Präsenz zuzuschreiben
sein. Der Anteil an allen Delikten im ÖPNV verringerte sich damit auf
2,6 % (3,4 %)
." (Polizeipräsidium München, Sicherheitsreport 2008, S. 22, Hervorhebung von mir)

"Noch deutlicher nahm die Gewaltkriminalität im U-Bahnbereich ab. Es wurden
142 (193) Delikte angezeigt, 51 Fälle oder 26,4 % weniger als im Jahr 2007.
Leider wird der insgesamt gute Sicherheitszustand immer wieder durch einzelne,
Aufsehen erregende Taten beeinträchtigt.
" (ebenda, S. 22)

"Die Deliktsstruktur der Taten im öffentlichen Personennahverkehr unterscheidet
sich deutlich gegenüber den Straftatenanteilen im Allgemeinen. So sind
anteilsmäßig weniger Rohheitsdelikte (-5,7 %-Punkte) und Diebstähle
(-19,4 %-Punkte) erfasst
." (ebenda, S. 23)

Die Polizei hat also etwas getan und es hat - jedenfalls nach allem was wir wissen - auch positive Wirkung in der Sicherheitssituation, bisher bezogen auf die U-Bahn, künftig wahrscheinlich auch in der S-Bahn. Aber natürlich kann nicht an jedem Bahnhof jederzeit und auch nicht in jedem Waggon eine Streife unterwegs sein, weshalb auch in Zukunft solche Fälle nicht ganz verhindert werden können. Aber: Gutes Personal ist teuer. Und da sind wir beim Kern der Forderung nach höheren Strafen: Diese ist sehr billig und erzielt beim Wahlvolk trotzdem eine gute Wirkung: "Wir tun etwas gegen Gewalt, die anderen Parteien nicht."

Schon an anderer Stelle habe ich angeführt, dass der in der Öffentlichkeit bestehende (zum Teil auch gezielt erzeugte) Eindruck, die Jugendgewalt nehme "überhand" und man müsse nun endlich etwas tun, nicht zutrifft. 2008 sind - im Hellfeld! - auch diese Zahlen (leicht) rückläufig.

Nachdem sich die tiefe Ergriffenheit ein wenig gelegt hat, ist festzuhalten: Diese Tat hat sich tief in die Herzen der Menschen und sicher auch in ihr Gedächtnis eingeprägt. Deshalb war der Tod des Unternehmers Dominik Brunner zwar sinnlos, aber sein beispielhaftes Handeln war nicht umsonst.

Die Staatsanwaltschaft München I hat nunmehr gegen die beiden jungen Männer Anklage wegen Mordes vor der Jugendkammer erhoben. Bei dem älteren wird das Gericht entscheiden müssen, ob er dem Jugend- oder dem Erwachsenenstrafrecht unterliegt. Das Jugendstrafrecht sieht eine Höchststrafe von 10 Jahren vor. Bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts und einem Schuldspruch wegen Mordes droht lebenslange Freiheitsstrafe.

Ich gehe mal davon aus, dass der Prozessbeginn Anlass gibt, einen Blogbeitrag einzustellen. 

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