Ärzte, die sich von Pharmaunternehmen schmieren lassen: strafbar wegen Bestechlichkeit oder „ganz normales, natürliches Verhalten“?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 17.09.2009

 

Gestern Abend bei „hart aber fair“ stellte der Vorsitzende der Bundesärztekammer Montgomery die Behauptung auf, Ärzte, die für die Verschreibung von Medikamenten der Firma ratiopharm Geld angenommen hätten, hätten sich nicht strafbar gemacht und deshalb handele es sich um „ein ganz normales, natürliches  Verhalten“.

Wörtliches Zitat (nach Spiegel-Online, dort auch Korrektur der teilweise unrichtigen tatsächlichen Behauptungen Montgomerys):

"Vor einigen Monaten hat eine große Zeitung behauptet, dass die Firma Ratiopharm Ärzte schmieren würde. 260 Ärzte sollten angezeigt werden. Die Staatsanwaltschaft hat in sämtlichen Fällen alle eingestellt, weil es nicht strafbar war, was da geschah. Es war ein ganz normales, natürliches Verhalten."

 

Abgesehen davon, dass die Annahme solcher Schmiergelder den ärztlichen Berufsordnungen  widerspricht und schon deshalb die Schlussfolgerung Montgomerys – das Verhalten ist nicht strafbar, also erlaubt -  eher zweifelhafte Moralvorstellungen spiegelt als die allgemeine Erwartung, stellt sich die Frage für den Strafrechtler: Ist es denn zutreffend, dass die Ärzte straflos handeln?

In Betracht kommt § 299 StGB, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.

Allerdings müssen die Täter die Eigenschaft „als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes“ erfüllen. Da ein niedergelassener Arzt kein Angestellter ist, ist zu fragen, ob er „Beauftragter“ ist – hier namentlich der Krankenkassen, die letztlich die verordneten Medikamente bezahlen (müssen).

Dass eine Krankenkasse einen „geschäftlichen Betrieb darstellt“ wird man ohne Weiteres bejahen können. Aber was ist mit der Beauftragteneigenschaft? Immerhin vertritt Bundesrichter Fischer in seinem verbreiteten Kommentar zum StGB (Fischer, § 299 Rz. 10a und 10 b) mit plausiblen Argumenten die Auffassung, niedergelassene Kassenärzte seien in ihrer Vertragsbeziehung zum Pharmaanbieter Vertreter der Krankenkasse und insofern deren Beauftragte. Die Ansicht beruht auf einem Artikel von Pragal NStZ 2005, 133. Widersprochen wird dieser Ansicht vehement von Rechtsanwalt Geis (wistra 2005, 369), der Pragal einer Tatbestandsüberdehnung zeiht: der Arzt sei in seinem Verschreibungsverhalten keineswegs Beauftragter der Krankenkasse, sondern handele völlig frei und eben ohne Auftrag.

 

Im Sinne des Bestimmtheitsgebots würde ich letzterer Ansicht den Vorzug einräumen, jedoch zugleich – angesichts der leider bekannt gewordenen Selbstbedienungsmentalität einiger Ärzte – eine gesetzliche Regelung anmahnen, sofern nicht die Berufsregeln der Ärzteschaft hier genügend Abhilfe schaffen. Letztlich zahlt der Patient und die Kosten sind solche des gesamten Gesundheitssystems. Leider verliert man mit der Äußerung Montgomerys das Vertrauen, dass die Selbstreinigungskräfte der Ärzteschaft ausreichen.

Kriminologisch interessant ist das dictum Miontgomerys, es handele sich um "natürliches" Verhalten. Dies spielt an auf die ökonomische "Natur" des Arztdaseins. Der ökonomisch orientierte rational-choice-Ansatz würde dieses Verhalten wohl auch für natürlich erklären (allerdings zur Abwendung des Verhaltens Strafe und Strafverfolgung empfehlen): Die Ärzte strebten wie jeder Mensch nach Maximierung von (materiellen) Vorteilen bei Minimierung von Nachteilen. Merkwürdig nur, dass ich zu meinem Bekanntenkreis Ärzte zähle, die dies ganz und gar nicht "natürlich" finden und solche Schmiergeldangebote vehement ablehnen würden. In den Augen ihres Verbandsvertreters sind sie wohl "unnatürlich".

 

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Dass eine Krankenkasse einen „geschäftlichen Betrieb darstellt“ wird man ohne Weiteres bejahen können. Aber was ist mit der Beauftragteneigenschaft? Immerhin vertritt Bundesrichter Fischer in seinem verbreiteten Kommentar zum StGB (Fischer, § 299 Rz. 10a und 10 b) mit plausiblen Argumenten die Auffassung, niedergelassene Kassenärzte seien in ihrer Vertragsbeziehung zum Pharmaanbieter Vertreter der Krankenkasse und insofern deren Beauftragte. Die Ansicht beruht auf einem Artikel von Pragal NStZ 2005, 133.

Vertragsärzte (früher: Kassenärzte) stehen in keiner direkten Rechtsbeziehung zu den Krankenkassen. Dies ergibt sich schon aus dem Sicherstellungsauftrag der KVen. Die KVen sind Körperschaften des Öffentlichen Rechts, nur diesen gegenüber leisten die Krankenkassen Zahlungen. Die Zahlungen erfolgen explizit mit befreiender Wirkung, d.h. die Krankenkassen müssen gerade nicht die Ärzte für ihre erbrachten Leistungen honorieren und sind somit auch nicht Auftraggeber der Ärzte. Vielmehr haben sich die Krankenkassen als Vertragspartner die KVen herausgesucht und zahlen diesen eine Art "Kopfpauschale" pro Versicherten. Damit sind die Krankenkassen "befreit" von jeglicher Rechtsbeziehung zu den Ärzten, und insbesondere befreit von jeglicher Zahlungspflicht. Die Kven haben den Sicherstellungsauftrag und zahlen dafür auch aus dem großen Honorartopf.

Etwas anderes gilt allerdings für die Verordnung von Medikamenten. Hier haben die Krankenkassen das Recht (und die Pflicht) gemeinsam mit den KVen das Verordnungsverhalten einzelner Ärzte zu überprüfen. Wenn der einzelne Arzt zu viel oder zu teuer verordnet, gibt es einen Regress (mit persönlicher Haftung und Rückzahlungspflicht des Arztes für die Kosten der Medikamente). Das wiederum hat zur Folge, dass der einzelne Arzt in der Regel sehr sparsam mit dem Rezeptieren ist, schon aus Angst vor diesem Regress.

Allerdings ist natürlich möglich (früher war es fast die Regel), dass die Pharmahersteller mit Präsenten, Fortbildungen, Weihnachtsfeiern und anderen Annehmlichkeiten sich erkenntlich zeigen für die Berücksichtigung ihrer  Produkte. Eine direkte Kopplung von Geldzuwendungen an eine bestimmte Zahl von Verschreibungen ist hingegen recht ungewöhnlich (wurde aber wohl von ratiopharm eine Zeitlang so praktiziert, wobei mir nicht klar ist, wie ratiopharm die Verordnungen kontrollieren konnte).  Es geht also mehr um die Verordnung eines bestimmten Herstellers zu Lasten anderer Hersteller, und nicht um zusätzliche Verordnungen zu Lasten der Krankenkassen. Da Ratiopharm ohnehin ein Generikahersteller ist, so sind die Schäden für die Krankenkassen ohnehin marginal. Denn die Zuwendungen von ratiopharm gab es zu einer Zeit, als ratiopharm noch zu den Billigsten gehörte und zudem die Verordnung von ratiopharm-Medikamenten oftmals die Verordnung teurer Originalpräparate ablöste. Den Patienten und Ärzten wurde damals also gerade eine billigere Alternative schmackhaft gemacht.

Natürlich kann man argumentieren, dass es solche Zuwendungen an Ärzte nicht braucht und lieber "freier Wettbewerb" herrschen soll und der Arzt das beste Medikament verordnen soll (heutzutage eher das billigste). Aber so ist eben Marktwirtschaft: dazu gehören auch Werbung und Provisionen. Wenn ein Banker für den Verkauf bestimmter Finanzprodukte von den Herstellern größere oder kleinere Provisionen erhält, regt sich ja auch keiner darüber auf. Natürlich könnte auch hier der Bankkunde fordern, dass diese Provisionen nur die Produkte verteuern und deshalb abgeschafft werden sollten. Aber das fordert ja auch niemand.

Wenn man also möchte, dass grundsätzlich nur das billigste Präparat verordnet werden darf, dann kann man ganz einfach eine solche Regelung ins SGB einfügen. So lauten übrigens auch die Vorschläge von Ärzten: wenn der Patient dann ein teureres Medikament haben will, so muss er die Differenz zuzahlen. Warum der Gesetzgeber das nicht zulässt, ist unbegreiflich. Wenn man Marktwirtschaft und Wettbewerb zwischen Arneimittelherstellern haben will, dann muss man auch mit den Folgen dieses Wettbewerbes leben.

beste Grüße Dr. med. Heinz Wolters

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Sehr geehrter Herr Dr. Wolters,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme. Im Ergebnis sind wir uns (nach geltendem Recht) einig, dass der Arzt nicht Beauftragter der Krankenkasse ist, wobei das Argument, zumindest in einer Hinsicht sei der Arzt als Stellvertreter anzusehen, durchaus zutrifft: Unser System ist nun einmal so eingerichtet, dass die Auswahl des Medikaments, das der Patient bekommt und das die Krankenkasse zahlen muss, allein vom Arzt bewerkstelligt wird.

Es geht also mehr um die Verordnung eines bestimmten Herstellers zu Lasten anderer Hersteller (...)

Da Ratiopharm ohnehin ein Generikahersteller ist, so sind die Schäden für die Krankenkassen ohnehin marginal.

Mittels § 299 StGB soll eben eine Wettbewerbsverzerrung verhindert wwerden, die letztlich nicht im Sinne der Marktwirtschaft ist, nämlich  (allerdings mittelbar)  zu Mehrkosten führt:  Ich glaube, Ihr Vertrauen darauf, dass der Schaden marginal bleibt, ist zu kurz gedacht. Dass in diesem speziellen Fall den Krankenkassen kein oder nur ein marginaler Schaden entstanden ist,  wird das Unrecht möglicherweise verringern, hat aber nichts mit der grundsätzlichen Tatbestandsmäßigkeit zu tun. Insbesondere, weil Schaden in § 299 StGB (anders als in § 266 StGB) gar kein Merkmal des Tatbestands ist. Und: Ratiopharm wird dieses an die Ärzte bezahlte Geld letztlich doch wieder auf die Preise aufschlagen, andere Pharmafirmen werden bei Generalisierung dieser Praxis genötigt, ebenfalls Ärzte zu bestechen etc.

Aber so ist eben Marktwirtschaft: dazu gehören auch Werbung und Provisionen. Wenn ein Banker für den Verkauf bestimmter Finanzprodukte von den Herstellern größere oder kleinere Provisionen erhält, regt sich ja auch keiner darüber auf.

Auch da bin ich anderer Auffassung. Die Marktwirtschaft beherrscht das Gesundheitssystem aus gutem Grund noch nicht völlig. Und Provisionszahlungen an Banker sind trotz Marktwirtschaft solange problematisch, wie sie nicht transparent sind und dem Kunden eine unabhängige Beratung vorgegaukelt wird. Offeriert mir ein Banker (in der Regel kein Freiberufler, sondern Angestellter!) ein "Produkt", kann ich mich informieren, ob dieses Produkt mit Provisionszahlungen an diesen Banker vertrieben wird. Ich kann zu einer anderen Bank wechseln, ich kann gezielt einen unabhängigen Berater wählen. Analog wäre es im Gesundheitssystem, wenn der Arzt als "Angestellter oder Beauftragter" der Firma ratiopharm offen aufträte - ich wüsste als Patient gleich, dass dieser Arzt v.a. Medikamente dieser Firma verschreiben wird, ähnlich wie bei einem Referenten eines Pharmaunternehmens. Sprich: das Schmierwesen funktioniert eigentlich nur, wenn der Patient über Provisionen im Unklaren gelassen wird. Ich stelle es mir jedenfalls sehr "merkwürdig" vor, wenn wir als Patienten nun jedesmal nachfragen sollen, ob der Arzt Provisionen für seine Verschreibungen erhält und ob es nicht ein anderes sinnvolleres Medikament gibt.  Und an der Basis, im Sprechzimmer,  ist doch immer noch ein wesentlich stärkeres Vertrauen gegeben (und erforderlich) als am Bankschalter.

"Wenn man Marktwirtschaft und Wettbewerb zwischen Arneimittelherstellern haben will, dann muss man auch mit den Folgen dieses Wettbewerbes leben."

Vorsicht, dieses Argument "schlägt zurück". Denn wenn "man" mit den Folgen des Wettbewerbs "leben muss", dann müssen auch die Ärzte mit den strafrechtlichen Regeln leben, die Korruption im Wirtschaftsleben verhindern sollen, das ist genau mein Argument!  Diesem Argument zufolge müsste § 299 StGB unmittelbar auch auf niedergelassene Ärzte anwendbar sein.

Im Übrigen stimme ich überein: Von zwei gleich wirksamen Medikamenten sollte nur das billigere verschrieben werden können. Der Vertrieb teurerer Medikamente über Werbung und Provisionen gehörte dann der Vergangenheit an.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

 

 

 

Ich kann Herrn Prof Müller nur beipflichten. Leider ist mein Glaube an den Aufklärungswillen solcher unerlaubter Praktiken seitens der ärtzlichen Standes -und Selbstverwaltungsinstitutionen in Rückschau des persönlich Erlebten nicht allzu groß. Vielmehr weiß man nur allzuviel, möchte dies auf offiziellem Wege aber lieber nicht erfahren. Auch die Krankenkassen sind nach meiner Erfahrung nur daran interessiert, solche Praktiken zu verfolgen, wenn es um ihr Geld geht. Jagt einer dem anderen die Patienten ab und den Krankenkassen entsteht kein Schaden, sondern " nur " den Patienten, wird lieber weggeguckt. Deswegen könnte eine Klarstellung des BGH, ob Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr bei Vertragsärzten anzuwenden ist, bestimmt kein Nachteil für die Patienten darstellen. Im positiven Falle empfehle ich um bedingt eine Überprüfung der Vergütungspraktiken im Bereich der ambulanten Dialyseversorgung.Ich hoffe, dass das Urteil des BGH in den nächsten Tagen feststeht. Ich persönlich wünsche mir eine Einordnung des Vertragsarztes als Beauftragter der Krankenkassen, da dann auch endlich einmal die Strafverfolgungsbehörden Handhabe gegen fragwürdige Praktiken hätten.

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