Ist eine Frikadelle eine Bagatelle?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 12.10.2009

Nach den Kündigungsrechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Unterschlagung von Pfandbons, der Entwendung von Maultaschen und Brotaufstrich, dem unerlaubten Aufladen des Handys beschäftigt nun ein weiterer Kündigungsfall die Arbeitsgerichtsbarkeit, vor allem aber die Medienlandschaft. Immerhin wurde der jetzt bekannt gewordene Fall sogar bei Anne Will vor einem Millionenpublikum verhandelt. Stein des Anstoßes ist diesmal eine Frikadelle. Eine seit 34 Jahren beim Bauverband Westfalen beschäftigte 59-jährige Sekretärin hatte sich an einem für andere Zwecke bereitgestellten Imbissteller bedient und neben zwei halben Brötchen auch eine Frikadelle verzehrt. Ihrer Darstellung nach sei das in der Vergangenheit immer geduldet worden. Der Verband hingegen hat ihr die fristlose Kündigung ausgesprochen. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Dortmund ist der Geschäftsführer des Bauverbandes, Hermann Schulte-Hiltrop, hart geblieben. Er wird mit den Worten zitiert: "Nach außen wirkt das natürlich wie eine Bagatelle. Wir haben hier aber hochsensible Daten zu verarbeiten. Und wenn Sie jemandem nicht mehr vertrauen, macht das kein gutes Gefühl." Mittlerweile rudern die Verbandsoberen jedoch wieder zurück. In einem offenen Brief an die gekündigte Mitarbeiterin wird unsensibles Verhalten eingeräumt. Es gebe sicher viele Gründe, "in besonderen Fällen eine fristlose Kündigung aussprechen zu müssen, aber im vorliegenden Einzelfall war ich mit einer fristlosen Kündigung juristisch nicht besonders gut beraten", so die Erklärung des Geschäftsführers. "Selbst wenn meine Vorgehensweise einer rechtlichen Bewertung standhält, so hätte ich mit mehr Fingerspitzengefühl handeln können." An eine Rücknahme der Kündigung ist aber offenbar nicht gedacht. Vielmehr heisst es, der Verband wolle an der Trennung von der Mitarbeiterin festhalten, strebe aber eine gütliche Lösung an.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

9 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Also eine Abfindung. Bei der Beschäftigungsdauer wahrscheinlich um die 8-10.000 Euro letzten Endes.

 

Generell halte ich den Grund "Vertrauensbruch" für richtig aber in diesem Fall - so es stimmt, dass die Dame schon vorher Frikadellen gegessen hat - denke ich, dass es für diesen Einzelfall nur eine Ausrede ist einen ungeliebten MItarbeiter (oder in diesem Falle Mitarbeiterin) loszuwerden. Meines Dafürhaltens leuchtet es nicht ein, dass bei einem 39-jährigen Beschäftigungsverhältnisses UND der Tatsache, dass sie immer schon Buletten gegessen hat und es nie einen gekratzt hat nicht ohne weiteres ein, warum grade jetzt durch diese Frikadelle das Vertrauensverhältnis zerrüttet seien soll. Wenn dem so wäre, stimme ich dafür einen Frikadellenindex zu erstellen anhand dessen man das Vertrauen in eine Person ablesen kann....

Guten Abend,

 

die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit befindet sich momentan auf einem sehr, sehr schmalen Grat der sozialen Akzeptanz. Unabhängig von den Tatbestandsvorraussetzungen des § 626 BGB und den dahinter stehenden durchaus logisch aufgebauten Argumentation, versteht die Bevölkerung nicht wie sich einerseits die Vorstände namenhafter Finanzinstitute bzw. Unternehmen im Allgemeinen nach einem halben Jahr Arbeit und einem maroden Unternehmen mit mehreren Millionen Euros Abfindung aus der Affäre ziehen, aber andererseits langjährige Angstellte wegen einer Frikadelle, einem in den Müll geworfenen Kinderbett oder dem berüchtigten Käsebrötchen fristlos entlassen werden.
Die Arbeitsgerichte sind daher gut beraten ihre Rechtsprechung hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung zu überarbeiten. Es ist natürlich fraglich ab welcher Summe eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, aber ich denke, dass an dieser Stelle durchaus die Umstände im Einzelfall ausschlaggebend sein können (bspw. die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Umstände im Betrieb usw.).

 

Welches Gefühl mich - abseits jeglicher rechtlicher Bewertung - immer mehr beschleicht, ist die Frage, ob durch die in den Medien dargestellten Fälle nicht bloß unliebsame Angestelle aus dem Unternehmen gedrängt werden sollen?!

 

MfG,

 

xxx

0

Die Problematik ist ja lange nicht so neu, wie jetzt in den Medien getan wird.

Während das Arbeitsgericht Wilhelmshaven am 13.11.1958 die Meinung vertrat, dass "auch der Diebstahl bzw. die Veruntreuung geringwertigen Eigentums des Arbeitgebers eine fristlose Entlassung des Arbeitnehmers rechtfertigt", titulierte das Landesarbeitsgericht Hamburg am 09.01.1978 bereits, dass "der Diebstahl eines halben Brötchens nicht die außerordentliche Kündigung rechtfertigt". Die Rechtsprechung war hier noch nie einheitlich, konnte es auch nie sein, weil m.E. immer eine Einzelfallabwägung erfolgen muss.

In der heutigen Zeit kann sich ein Arbeitnehmer "der Öffentlichkeit bedienen", um sich "helfen" zu lassen und so das Thema zu einem sozialen machen.

Zudem ist das, was man zu dem Thema "Bagatellfälle" in der Rechtsprechung und der Literatur finden kann ja eh nur die Spitze eines wahrscheinlich riesigen Eisbergs. 

Die allermeisten dieser Fälle werden wohl per Vergleich erledigt und nie ans Tageslicht gelangen.

 

0

Im vorliegenden Fall ist die Begründung lächerlich.

Das Problem dabei ist in solchen Fällen, das auch ein gewinnen des Prozesses  einem Arbeitnehmer u.U. (oft) nur noch eine Abfindung bringt, denn spätestens mit dem Gerichtsverfahren sollte i.d.R. das Vertrauensverhältnis gestört sein und auch bleiben.

 

 

0

richtig, die sache ist gelaufen. es geht in den konkreten fällen nurnoch um geld. und natürlich um eine "richtschnur" für künftige verdachtskündigungen.

0

Warum heißt es jetzt wieder, die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit sei problematisch oder gar auf einem "schmalen Grat"? Im neuen Frikadellenfall gab es noch keine Rechtsprechung, das Arbeitsgericht hat nur die vorgeschriebene Güteverhandlung durchgeführt. Sie ist gescheitert, verfahrensrechtlich ist letztlich egal, warum. Das Arbeitsgericht wird, wie alle Arbeitsgerichte in allen anderen Fällen wieder eine Einzelfallentscheidung zu treffen haben. Da gibt es hier erhebliche Zweifel, ob der Bauverband mit dieser Kündigung - soweit man den Sachverhalt aus den Medien kennt - Erfolg haben kann. Beim berüchtigten Fall der Kasiererin "Emmely" hat das LAG Berlin-Brandenburg betont, eine Kassiererin müsse absolut vertrauenswürdig sein. Dahinter steht unausgesprochen, aber in einer recht langen Rechtsradition stehend, etwa folgender Maßstab: Muss eine vernünftig handelnde Arbeitnehmerin bei diesem Verhalten nun damit rechnen, den Arbeitsplatz zu verlieren oder nicht? Geprüft werden kann das anhand ihrer vertraglichen Pflichten. Die Kassiererin muss eine Kasse betreuen. Damit ist das Risiko des Arbeitgebers groß (es fragt sich bei jedem Fall auch, ob es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt) und auch bei kleinsten Unehrlichkeiten eine Kardinalpflicht des Arbeitsvertrags verletzt - Folge: Behauptet der Arbeitgeber, der Person nicht mehr vertrauen zu können, ist das akzeptabel. Bei der Frikadelle sieht es doch anders aus. Die Frikadellenbewachung ist nicht die zentrale Aufgabe der Chefsekretärin. Jedenfalls, wenn sie belegen kann, dass immer schon vom Buffet genascht wurde, liegt eine (ärgerliche) Nebenpflichtverletzung vor, bei der man nicht damit rechnen muss, gleich eine fristlose Kündigung zu bekommen, ohne dass der Arbeitgeber zuvor abmahnt. Das zeigt die Äußerung des Arbeitgebers, man gehe mit hochsensiblen Daten um, da müsse man vertrauen können; in der Tat, die Dinge lägen anders, wenn solche Daten als USBStick oder Akte achtlos im Auto der Chefsekretärin liegengelassen oder für die Freundin eben mal kurz ausgespäht würden. Aber bei einer Frikadelle? Das ist doch eher kein Vertrauensproblem, sondern ein Ärgernis. Ich halte dieses System weder für undurchschaubar, noch "ungerecht", noch rechtsstaatswidrig oder unvertretbar. Man kann einen Arbeitgeber für eine solche Entscheidung kritisieren - aber doch nicht die Gerichte, die mit den Folgen umgehen müssen.

0

Ich kann dem Verfasser "Kant" nur zustimmen.

Während Investmentbanker auf ihre Boni klage oder wieder Geschäfte tätigen, muss sich der sogenannte "kleine Mann" für Bagatellen rechtfertigen. Das ist an der Grenze der Lächerlichkeit.

Ich habe selbst 40 Angestellte und unzählige Arbeitsgerichtsprozeße (vor allem wegen der PKH, weil es für die ANer dann imm ein Freifahrtsschein ist).

Aber hier, das ist nicht okay.

Problematisch empfinde ich nur die Tendenz der Richter, vor allem den AG in einen Vergleich reinzwingen. Viele Richter am Arbeitsgericht wollen einfach kein Urteil fällen.

0

Hat zufällig jemand Aktenzeichen von Urteilen, in denen in den letzten Jahren der Diebstahl geringwertiger Sachen zur Kündigung führte? Es wäre schön, wenn die Rechtswegbegehung bereits abgeschlossen wäre, um ein Kippen der Entscheidung im Nachhinein zu verhindern. Ich brauche diese Informationen im Rahmen einer Hausarbeit.

0

Kommentar hinzufügen