Der deutsch-französische Entführungsfall "Kalinka" wirft interessante Rechtsfragen auf

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 26.10.2009

Seit einigen Tagen schlägt der Fall hohe Wellen: Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem möglicherweise gewaltsamen Tod seiner Tochter Kalinka entführt der Vater den Tatverdächtigen aus Deutschland und verschleppt ihn nach Frankreich, wo er inhaftiert wurde (näher zum Fall SPIEGEL ONLINE). Die Staatsanwaltschaft Kempten stellte seinerzeit das Ermittlungsverfahren ein, in Frankreich kam es zu einer Verurteilung zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Frankreich mit der in Abwesenheit des Angeklagten erfolgten Verurteilung und ohne die Möglichkeit, ein Rechtsmittel einzulegen, gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verstoßen habe.

 

Mit den rechtlichen Fragen grenzüberschreitender Entführungen anhand des aktuellen Falls befasst sich der sehr lesenswerte Beitrag von Prof. Dr. Michael Pawlik / Universität Regensburg in der heutigen FAZ Nr. 248 S. 30.

 

Fälle, in denen eine Person von einem Staat in einen anderen entführt werden (regelmäßig hat der Geheimdienst seine Hände im Spiel) gab es immer wieder, etwa den bekannten Fall Eichmann. In diesen Fällen steigt zwischenzeitlich die Tendenz, ein Strafverfolgungshindernis anzunehmen. In der Sache geht es eben nicht mehr um den alleinigen Schutz der Staatensouveränität, sondern verstärkt auch um den völkerrechtlichen Schutz fundamentaler Menschenrechte.

 

Wie man liest, will die französische Justiz (entsprechend dem in Deutschland geltenden § 359 Nr. 6 StPO) das Verfahren wieder aufnehmen. Also trotz Entführung kein Strafverfolgungshindernis annehmen.

 

Das Auswärtige Amt bemüht sich, den verschleppten Mann freizubekommen. Laut SPIEGEL Nr. 44 vom 26.10.2009 S. 44 stehen die Chancen, dass Frankreich den Mann wieder nach Deutschland überstellt, allerdings nicht gut.

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21 Kommentare

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@Jojo: In der Überschrift  ist doch nur vom Aufwerfen von Rechtsfragen die Rede, nicht von deren Lösung. Trotzdem wird doch auch eine angemessene Lösung angedeutet:

Die Entführung über Staatsgrenzen hinweg, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen - unter Umgehung bzw. Ausschaltung der Prozedur, wie sie in Rechtshilfeabkommen vorgesehen ist - sollte ein Strafverfolgungshindernis begründen. Dies ist - im Falle der privaten Entführung - de lege lata aber nicht der Fall.

Zwar ist der Lissabon-Vertrag noch nicht vollständig ratifiziert, doch hätte ich nicht geglaubt, dass es innerhalb Europas zu einer solchen Mehrfach-Strafverfolgung mit zudem noch derart unterschiedlichem Ergebnis kommen kann. Immerhin wurde sogar eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens von München zurückgewiesen, der Fall also in Deutschland durchaus gründlich untersucht.

10. Juli 1982  Kalinka Bamberski wird tot im Haus des Lindauer Arztes Dieter K. aufgefunden. Die deutsche Justiz entscheidet, den Vorfall nicht zu verfolgen.

1985 Aufgrund von André Bamberskis Bemühungen ordnet die französische Justiz die Exhumierung von Kalinkas Leiche an, die in der Nähe von Toulouse begraben liegt.

1986 Die Staatsanwaltschaft Kempten stellt ihre Ermittlungen mangels ausreichenden Tatverdachts ein. Eine Beschwerde Bamberskis wird abgelehnt.

1995 Das Schwurgericht in Paris verurteilt K. in Abwesenheit wegen „Gewalttätigkeit mit fahrlässiger Tötung“ zu einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren.

Problematisch erscheint mir, dass zur Zeit wohl durch EU-Recht nicht verhindert wird, einen Menschen so lange wegen der selben Straftat vor ein anderes europäisches Gericht zu stellen, bis man sozusagen das gewünschte Ergebnis (in diesem Fall: Anklage und Verurteilung) erzielt.

Es müsste also eine EU-Regelung geben, die solche Mehrfach-Anklagen wegen derselben Straftat in verschiedenen EU-Staaten verhindert. Nur so können solche Parallel-Verfahren mit unterschiedlichem Ergebnis verhindert werden.

 

 

 

Könnte mir jemand den letzten Satz des Aufsatzes erläutern? Was meint Herr Pawlik mit:"Nach dem Ende allen Naturrechts liegt vielleicht gerade darin der unzerstörbare Gerechtigkeitskern des Rechtssystems." 

Wie kommt er auf ein "Ende allen Naturrechts"? Gerade die Geltung von Menschen- und Grundrechten (etwa in der EMRK oder im GG) zeugt doch von der fortwährenden Bedeutung des Naturrechts. Oder was meint er?

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@Jojo: Natürlich erwarten Sie im Blog, wenn möglich, auch einen oder mehrere Lösungsvorschläge zum aufgeworfenen Thema, hier also zur privat organisierten Entführung in einen anderen Staat. Aber gerade deswegen habe ich den Link auf faz.net (unter Zitieren des gedruckten Beitrags gesetzt), um mich da nicht mit fremden Federn zu schmücken. Der Beitrag behandelt die Fragen aus meiner Sicht umfassend. Lediglich die von einem anderen Staat organisierte Entführung habe ich zur Abrundung nochmals angesprochen. Aber auch darauf geht der Beitrag von Herrn Pawlik ein.

@Jens: Vielleicht gelingt es mir, dass Herr Pawlik Ihre Frage direkt im Blog beantwortet, bevor ich einen unmaßgeblichen Erklärungsversuch wage.

@Jens und Prof. Dr. von Heintschel-Heinegg

 

Guten Abend, allerseits!

 

Ich bin zwar weder Herr Prof. Dr. Pawlik noch überhaupt Professor, sondern nur Rechtsanwalt, aber ich verstehe den Autor so, dass nach der abschließenden Kodifizierung des Naturrechts in Gestalt der verschiedenen Menschenrechtskonventionen keine Notwendigkeit mehr für einen Rekurs auf das  Naturrecht im Sinne eines ungeschriebenen, sich alleine aus der Natur des Menschen ergebenden Rechts besteht.

Zunächst will ich die weitere Entwicklung des Falls dokumentieren: Die Staatsanwaltschaft Kempten hat gegen den Vater des Kindes, einem französischen Staatsangehörigen, sowie gegen einen Kosovaren - der in Österreich in Auslieferungshaft sitzt und seine Beteiligung an der Entführung zwar nicht bestritten, aber der vereinfachten Auslieferung nach Deutschland nicht zugestimmt haben soll - wegen der Verschleppung des deutschen Staatsangehörigen nach Frankreich einen Europäischen Haftbefehl erwirkt (Quelle: FAZ Nr.250 vom 28.10.2009 S. 9; vgl auch SPIEGEL ONLINE).

 

Die FAZ berichtet auch davon, dass gegen den Deutschen das in Frankreich verhängte Urteil auf "vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge ohne Tötungsabsicht" gelautet habe.

 

@Jens und Herrn Rechtsanwalt Ringhof: Wie versprochen habe ich mich um die Beantwortung der aufgeworfenen Frage bemüht. Voraussichtlich bekommen wir von Herrn Dr. Kubiciel, Habilitand am Lehrstuhl,  die "Auflösung".

Lieber Herr von Heintschel-Heinegg, liebe Blogger,

die Fragen von Jens und Herrn Rechtsanwalt Ringdorf nach dem Verhältnis Naturrecht - Menschenrechte des GG sowie nach einem (vom Naturrecht unabhängigen) Gerechtigkeitskern des positiven Rechts zielen auf die "letzten Gründe" des Rechts. Sie sind daher seit über zweitausend Jahrender Anlass von Diskussionen. Da in diesen Fragen auch subjektive Gerechtigkeitsintuitionen aufeinander treffen, werden sich konsensfähige inhaltliche Antworten nie finden lassen. Ich kann daher letztlich auch nur eine Antwort auf die Fragen geben, die zwar möglichst objektiv und rechtstheoretisch formuliert ist, die aber eben auch meine subjektive Meinung bleibt.

 

Unter Naturrecht versteht man überpositives Recht, das staatlichem Recht vorgeht, das eine gerechte Ordnung vorzeichnet und das deshalb als Kriterium der Richtigkeit des positiven Rechts verwendet werden kann. Naturrecht steht über dem positiven Recht, weil es aus anderen Geltungsgründen abgeleitet wird als den staatlichen Gesetzgebungsakt. Einen Geltungsgrund für das Naturrecht zu benennen, ist indes äußerst schwierig. Seit der Säkularisierung und Pluralisierung moderner westlicher Gesellschaften steht jedenfalls die klassische Quelle der Geltung nicht mehr zur Verfügung: der Wille Gottes. Auch andere Versuche, das Naturrecht ewigkeitsfest zu machen, indem man seine Geltung beispielsweise mit der Natur des Menschen begründet, stoßen auf erhebliche konstruktive Schwierigkeiten. Daher kann man zwar in den Menschenrechtsgarantien des Grundgesetzes sowie den entsprechenden Normen internationaler Übereinkommen positiviertes Naturrecht sehen. Man steht dann aber vor der offenen Frage, weshalb diese Normen „von Natur aus“ gerecht sind und wie die Geltung des von Natur aus Guten -unabhängig vom staatlichen Gesetzgebungsakt - begründet werden kann.   Gleichwohl kann man auch bei der Anwendung des positiven Rechts die Gerechtigkeit am Werke sehen. Das (staatliche und europäische) Rechtssystem ist nämlich, wie der Kalinka-Fall eindrücklich zeigt, in einer Weise strukturiert, die die unüberschaubaren sozialen Aspekte eines Sachverhalts gleichsam „klein arbeitet“, indem es Zuständigkeitsbereiche abgrenzt und jeden Bereich selbstständig beurteilt. Die Entführung wird in einem Strafverfahren gegen den Vater verarbeitet, während sich der Entführte, der den Tod Kalinkas mutmaßlich zu verantworten hat, einem neuen Strafverfahren stellen muss, nachdem der französische Staat in dem ersten Verfahren seine Beschuldigtenrechte verletzt hat.   Viel besser lässt sich dies alles in den Büchern von J. Braun, "Einführung in die Rechtswissenschaft" und "Einführung in die Rechtsphilosophie" nachlesen. Sehr erhellende, meisterhaft geschriebene Werke.   Herzliche Grüße in die Runde, Michael Kubiciel

Eine interessante Frage und Dank auch an Herrn Kubiciel für die kurze Ausführung zum Thema.

 

Der Aussage von Herrn Pawlik "Nach dem Ende allen Naturrechts liegt vielleicht gerade darin der unzerstörbare Gerechtigkeitskern des Rechtssystems." kann ich nicht zustimmen. Vielmehr besteht das Naturrecht übergeordnet fort. Denn auch in Zeiten von Grundrechten und MRKs ist die Entscheidung für deren jeweilige Kataloge immer auch ein Ausschluss von naturrechtlichen Gerechtigkeitspostulaten und eine Fixierung auf mögliche Schwerpunkte. Und solange dann diese noch nicht einmal im positiven Recht der Staaten durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Durchsetzung auch im Einzelfall gelangen, kann man erst Recht nicht von einem Ende des Naturrechts sprechen.

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. v. Heintschel-Heinegg, liebe Blogger,

 

der Annahme vom "Ende allen Naturrechts" in dem lesenswerten Beitrag von Prof. Dr. Pawlik in der FAZ kann ich mich ebenfalls nicht anschließen, zumal es hierfür an einer nachvollziehbaren Begründung fehlt, für die eine Tageszeitung allerdings auch nicht der richtige Ort gwesen wäre.

 

Sowohl in der nationalen Rechtsordnung als auch im internationalen Recht finden sich gewichtige Anhaltspunkte für eine Anerkennung überpositiven Naturrechts.

 

Nach Art. 2 Abs. 1 GG findet die allgemeine Handlungsfreiheit ihre Grenze im Sittengesetz. Auch wenn die verfassungsrechtliche Literatur die Eigenständigkeit dieser Schranke in Zweifel zieht, wurde und wird sie vom Verfassungsgesetzgeber als solche betrachtet, was sich bereits daraus erschließt, dass er sie als solche normiert und nicht beseitigt hat. Das BVerfGE 6, 389, 434 f. bestimmt nun den Inhalt des Sittengesetzes empirisch als Inbegriff jener sozialethisch relevanten Normen, die neben dem positiven Recht das soziale Leben grundlegend prägen und die die soziale Gemeinschaft für sich als allgemein verbindlich anerkennt. Um nicht in Relativismus und Subjektivismus zu verfallen, erscheint mir jedoch die Ansicht des GrSenBGH (St 6, 46, 52; bestätigt BGHSt 17, 230, 233) vorzugswürdig, der unter dem Sittengesetz eine aus sich selbst heraus vorgegebene und hinzunehmende Ordnung der Werte und das menschliche Zusammenleben regierenden Sollenssätze versteht, die unabhängig davon gelten, ob diejenigen, an die sie sich mit dem Anspruch auf Befolgung wenden, sie wirklich befolgen und anerkennen oder nicht. Das BVerwG (E 15, 336, 338; Urteil vom 28.2.2007 3 C 38/05 juris 35) entnimmt die für das menschliche Zusammenleben und ein Mindestmaß an gerechter staatlicher Ordnung unentbehrlichen Grundsätze  dem Sittengesetz und den jeder Rechtsordnung vorgegebenen natürlichen Rechten des Einzelnen. Das BSG (Urteil vom 24.11.2005 B 9a/9 V 8/03 R juris Rdn. 40, 41, 43) leitet die Grundsätze der Menschlichkeit aus der Daseinsordnung ab, in die der Mensch als vernunftbegabtes und empfindungsfähiges Wesen gestellt sei. In diese habe er sich einzufügen, wenn er sich selbst und seine Art nicht auf Dauer existenziell gefährden wolle.

 

Nach der Präambel der Europäischen Grundrechtscharta vom 7.12.2002 gründet sich die Union im Bewußtsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Art. 51 UN-Charta spricht vom natürlichen Recht eines Staates auf Selbstverteidigung.

 

Gegen die Annahme eines überpositiven Narturrechts kann m.E. nicht die geschichtliche und kulturelle Dimension menschlichen Seins und damit auch des Rechts eingewandt werden. Sind nicht - die in der Natur des Menschen und seiner sittlichen Autonomie begründete - Würde der Person und die daraus ableitbaren fundamentalen Gebote der Sittlichkeit in allen Kulturen und unabhängig von Raum und Zeit gleich?

 

Gegen die Annahme eines Naturrechts kann m.E. auch nicht eingewandt werden, es könne nicht erkannt werden. Sein Erkenntnisgrund lieg in der Vernunft des sittlich autonomen Menschen und in seinem Gewissen. Beide Erkenntnisquellen sind insbesondere dem Strafrecht nicht fremd. So wird ein Verbotsirrtum nur anerkannt, wenn der Täter bei gehöriger Anspannung seines Gewissens sowie aller seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen die Einsicht, Unrecht zu tun, nicht erlangen konnte (BGHStGrSSt2, 194, 201).

Grüße

Kostas

 

 

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@BvHH.:

Nun ja, "Auflösung" würde ich das nicht gerade nennen, was Herr Kubiciel hier geboten hat, trotzdem Danke für Ihre Bemühungen.

 

@MK.:

Lieber Herr Kubiciel, Sie haben es gewiss nicht böse gemeint, aber Ihre Antwort könnte ein weniger wohlmeinender Fragesteller auch zum Anlass nehmen, sich ein bisschen auf den Arm genommen zu fühlen. Erst konstatieren Sie, dass zu der angesprochenen Frage ohnehin keine konsensfähige Antwort möglich sei und stellen alles Folgende unter Revisionsvorbehalt (was streng wissenschaftlich natürlich völlig in Ordnung - aber auch ziemlich nichtssagend ist). Dann erörtern Sie kursorisch den Naturrechtsbegriff, treffen Feststellungen, die von niemandem in Zweifel gezogen wurden (etwa:"Gleichwohl kann man auch bei der Anwendung des positiven Rechts die Gerechtigkeit am Werke sehen." - wer hätte dies je bestritten?) und geben dem Fragesteller noch zwei Bücher an die Hand - auf dass er endlich Ruhe gebe? Ich bin kein Anfänger, Herr Kubiciel, und ich hatte lediglich um eine konkrete Erläuterung eines konkreten Satzteils gebeten, der für sich genommen keinen Sinn ergibt. Nun bin ich "so klug als wie zuvor" und hätte genauso gut eine Glaskugel befragen können. Schade.

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Lieber Jens,

 

mein erster Satz sollte auf den Umstand hinweisen, dass man in einem Blog keine abschließende Antwort auf das Verhältnis von  positivem Recht und Naturrecht finden wird. Ich musste mich daher auf das Generalproblem des Naturrechts beschränken: seine geltungstheoretische Verankerung. Ich habe das Problem mit dem Hinweis auf Gott als Rechtsquelle zu illustrieren versucht. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit anderen Begründungsversuchen würde den Rahmen eines Blogs sprengen. Der Hinweis auf die Bücher von Braun war daher als Wegweisung für diejenigen gedacht, die sich näher mit dem Thema beschäftigen wollen. Ich habe meinen eigenen Tip heute auch gleich selbst beherzigt, noch einmal das entsprechende Kapitel nachgelesen und kann Braun insbesondere darin unterstützen, dass er mit der wohl ghM ein überzeitlich und ubiquitär gültiges Naturrecht  ablehnt. Er meint,  allen Menschen an jedem Ort und zu jeder Zeit dasselbe Recht anzuempfehlen entspreche dem Versuch, mit demselben Medikament alle Krankheiten kurieren zu wollen. Bezieht man die gesellschaftlichen Gegebenheiten bei der Beurteilung der Konzeptualisierungsversuche des Naturrechts mit ein, wird denn auch schnell deutlich, dass viele Naturrechtstheorien selbst Ausdruck des common sense ihrer Zeit waren. Der Hinweis auf Gott als Geltungsgrund entspricht den Plausibiltäten spätmittelalterlicher Gesellschaften, die zahlreichen Versuche, das Naturrecht auf die Vernunft zu stützen, folgen dem Geist der Neuzeit und Aufklärung, und der große Siegeszug der Menschenrechte ist von Christoph Menke und Arnd Pollmann in ihrer "Philosophie der Menschenrechte" (S. 9-23) sehr eindrücklich als Reaktion auf die totalitären Barbareien des 20. Jahrhunderts beschrieben worden. Dies vielleicht noch zu dem ersten Punkt.

 

Wichtiger aber war mir der letzte Punkt: dass auch unser vollpositiviertes Recht und das vielgescholtene Rechtssystem durch ihre Fähigkeit zur Zerlegung, Abschichtung und Verabeitung sozialer Konflikte Ergebnisse produzieren, die die Mehrheit, hier und heute, als gerecht empfindet: Der Vater Kalinkas muss sich wegen der Entführung vor Gericht verantworten und der Tod Kalinkas wird in einem neuen Verfahren untersucht, das den Standards des (positiven) europäischen Rechts entspricht. Für ein von Menschen gemachtes Recht ist das, so finde ich, keine schlechte Leistung!

 

Mit herzlichem Gruß, Michael Kubiciel

 

 

 

 

 

 

 

Nun man kann das Naturrecht mit Gott begründen wollen. Vielmehr jedoch finde ich auch für die säkularen Gesellschaftsteile die Sichtweise der Yogis geeignet. Demnach sind alle Menschen Teil des Universums, s. dazu einführend auf Yoga Vidya:

 

"Wir können uns nicht der Natur entgegenstellen, denn wir sind in der Welt und nicht außerhalb von ihr. Von hier aus erwartet das System oder Gesetz von uns, - das hinter der Welt oder dem Universum wirkt, - daß wir dieses Höchste Gesetz in der Welt oder des Universums respektieren..."

 

"Das System des Universums ist so eigenständig und unmittelbar, daß kein zusätzlich unabhängig Handelnder erforderlich ist. Man kann hier durchaus sagen, daß das Universum wie ein großes Computersystem funktioniert, das in eigener Übereinstimmung handelt."

 

"Somit könnte man sagen, daß Yoga jenes notwendige Verhalten der Persönlichkeit oder der Individualität darstellt, das den Anforderungen des Universellen Gesetzes treu bleibt. Häufig schätzen wir aufgrund dessen, daß wir über ein unzureichendes Wissen über die Arbeitsweise des Universums verfügen, unsere Lebensaussichten falsch ein, beurteilen die Dinge nicht richtig und verhalten uns in der Gesellschaft nicht richtig, und darum kennen wir auch nicht unsere wirkliche Beziehung zum Universum. Aus dieser Unwissenheit heraus, kann unsere Lebensführung von den Anforderungen der Gesetze und Regeln des Universums abweichen."

 

Demnach wäre Naurrecht im Detail jenes, was alle Menschen zu gleichen Teilen am Dasein, der Entfaltung Ihrer Persönlichkeit und Ihres Handelns berechtigt, was augenscheinlich durch irdische Gesstzgebung nicht gewährleistet ist. Die Wahrscheinlichkeit ist auch sehr groß, dass der Mensch und Gesetzgeber das Naturrecht nie in seiner Gänze zu erkennen und in blosse irdische und beschränkte Gesetzestexte umzusetzen vermag. Gründe sind in erster Linie mangelndes Wissen von den Zusammenhängen, blosse und insbesondere materielle Eigeninteressen, Fehlinterpretationen o.a.. Keineswegs kann ich somit ein Ende des sog. Naturrechts sehen. Vielmehr besteht dieses auf ewig und ist Grundlage jedes bloss temporären irdischen humanen Gesetzgebers, der das Naturrecht nicht in Ansätzen erfassen kann, sondern lediglich versuchen, sich diesem bescheiden zu nähern.

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Lieber Herr Kubiciel,
entschuldigen Sie die späte Antwort, ich bin gerade erst von einer Reise zurück. Was das Begründungs- bzw. Geltungsproblem naturrechtlicher Regelungen angeht, haben Sie natürlich recht: eine solche Diskussion würde in der Tat den Rahmen dieses Blogs sprengen. Erlauben Sie mir trotzdem einige Anmerkungen. Der Verweis auf Gott ist historisch natürlich richtig, allerdings stellt sich dann sofort die Frage, von welchem Gott eigentlich die Rede ist. Wie selbstverständlich rekurrieren Sie auf den Gott des Christentums, und in der Tat liegt m.E. im jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos, der den Menschen als freies, zur Entscheidung (und zur Schuld!) fähiges Individuum konstituiert, der Urgrund dessen, was wir heute Naturrecht nennen. Es ist insoweit gerade kein Zufall, dass die Aufklärung sich auf dem Boden des Christentums vollzog. Wenn wir die Aufklärung und die Proklamierung von unveräußerlichen Menschenrechten als sittlich-säkularisierte Form des Christentums verstehen, sind wir m.E. auf der richtigen Spur. Begründungstheoretisch ist dadurch freilich noch nicht viel gewonnen, im Gegenteil stellt sich nun die Frage um so drängender, inwieweit solche Rechte tatsächlich den Anspruch universaler Geltung erheben können. Denn sie sind, so betrachtet, nicht mehr als eine kulturspezifische Ausprägung eines in steter Säkularisierung befindlichen Christentums (die naheliegenden Ausführungen zum Stand der Menschenrechte in nicht schuld-, sondern schamgeprägten Kulturen, bzw. solchen, die in der Trennung von Religion und Staat einen blasphemischen Generalangriff auf ihre Existenz als solche sehen, versage ich mir hier aus Platzgründen). Gleichwohl ist das letzte Wort darüber noch nicht gesprochen, ob in der Postulierung eines Menschenbildes, wie es dem Naturrecht zugrundeliegt, nicht doch eine anthroplogische Konstante erfasst ist, die allen Menschen zukommt. Vom Standpunkt der praktischen Vernunft gilt dies allemal: allein der Blick auf das letzte Jahrhundert zeigt allzu deutlich, in welche Abgründe es führen kann, wenn andere Kräfte als solche, die um das das Individuum und seine unveräußerlichen Rechte kreisen, zum Leitmotiv von Gesetzgebung und Gesetzesvollzug mutieren. Von daher läßt sich sagen: es ist vernünftig und sogar pragmatisch notwendig, den Staat (das Gemeinwesen i.w. Sinne) so einzurichten, dass der Einzelne als menschenrechtsfähiges Subjekt vorausgesetzt wird und ihm die institutionellen Mittel an die Hand gegeben werden, seine Rechte im Zweifel auch durchzusetzen. Die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts, wie Sie richtig anmerken, gebieten geradezu diese Einsicht.

Was Ihre Begeisterung für das vollpositivierte Recht angeht, bin ich etwas zurückhaltender: mir scheint es eher so, dass dort, wo die positive Regel keine Bindung mehr an das vorpositive Recht aufweist, die Zustimmung für das "vielgescholtene Rechtssystem" auf der Strecke bleibt. Nur ein Beispiel: dass der ehemalige West-Berliner Oberkomissar und Stasi-Major, Karl-Heinz Kurras, 60.000,- Euro Pension pro Jahr erhält, entspricht gewiss positivem Recht. Nichtsdestotrotz ist die Empörung darüber allgemein. Denn dass auch derjenige, der sein Land verraten hat, von einer (ihrerseits durchaus zweifelhaften) Regelung profitiert, die nur dazu dienen sollte, die ehemaligen Machteliten der DDR als möglichen Unruhefaktor im wiedervereinten Deutschland ruhigzustellen, ist schwer erträglich und bestimmt nicht gerecht. Ebensowenig kann der Kalinka-Fall für die These vom "Ende allen Naturrechts" herhalten. Dass der Entführer des vermeintlichen (oder tatsächlichen) Mörders Kalinkas mit einem Strafverfahren zu rechnen hat, entspricht dem objektivierten Strafanspruch des Staates, der Selbstjustiz verbietet und der ohne das Rechtsstaatsgebot (einem Kind der Aufklärung) nicht denkbar ist. Dass das Opfer der Entführung seinerseits mit Verfahrensgrundrechten ausgestattet ist, die im vorliegenden Fall eventuell dazu führen könnten, einen Prozess gegen ihn unmöglich zu machen, hat seinen Grund in Regeln, die Sie bis zur Magna Charta zurückverfolgen können.

Aber vielleicht hat die Rede vom "Ende allen Naturrechts" auch einen ganz anderen Hintergrund: jetzt erst habe ich nämlich einen Artikel Pawliks vom 25.02. letzten Jahres wiederentdeckt, in dem er unter der Überschrift "Der Terrorist will nicht resozialisiert werden" (ebenfalls in der FAZ) die Umformung des geltenden Tatstrafrechts in ein "Präventionsrecht mit kriegsrechtlichen Elementen" fordert. Im Fahrwasser von Jakobs, Baldus, Depenheuer u.a. und deren "Feindstrafrecht" propagiert Pawlik dort die "Unschädlichmachung" des Gegners, und zwar mithilfe von „Inhaftierung (...) und Tötung(!), und zwar grundsätzlich auch außerhalb(!) konkreter Kampfhandlungen". Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die präventive, anlaßunabhängige Rasterfahndung Unbeteiligter unverhältnismäßig ist, nennt er "dekadent", zugleich plädiert er für die Einführung einer präventiven "Sicherungshaft", die grundsätzlich "bis zur Beendigung der Feindseligkeiten andauern" können soll (einmal abgesehen davon, dass eine solche Sicherungshaft keine Strafhaft wäre, die Frage einer Resozialisierung sich also gar nicht stellt, sei hier nur kurz zur klargestellt, dass es bei der staatlichen Strafe (jedenfalls auch) um Sühne, höflicher formuliert um vergeltenden Schuldausgleich geht, vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Klar ist jedoch, dass die Annahme eines geltenden Naturrechts, das sich insbesondere in Kodifizierungen wie der EMRK oder dem Grundrechtskatalog des GG widerspiegelt, solchen Plänen im Wege stehen würde. Es ist zu hoffen, dass sich Herr Pawlik inzwischen eines Besseren besonnen hat.

Mit freundlichem Gruß
Jens.

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Lieber Jens,

 

Ihren Standpunkt, dass ein Staat Hier und Heute so einzurichten ist, dass der Einzelne als menschenrechtsfähiges Subjekt, als Rechtsperson, zur Geltung kommt, teile ich. Ich bin auch der Auffassung, dass das Recht, das Strafrecht zumal, sich an den herrschenden Wertüberzeugungen einer Gesellschaft orientieren muss, weil es sonst (funktional) seine Steuerungsfähigkeit verliert und es - weit schlimmer - die Freiheit der Bürger zu stark beschränkt, wenn es diesen Normen aufzwingt, die sich zu weit von ihren Interessen, Überzeugungen und Werten entfernen.

 

In der Diskussion um das Feindstrafrecht kann man natürlich das Naturrecht als Argument nutzen. Wenn man aber bspw. die Inhaftierung von Terroristen aufgrund ihrer Gefährlichkeit für per se naturrechts- und menschenrechtswidrig hält, lässt es sich nicht mehr erklären, weshalb die Inhaftierung gefährlicher Sexualstraftäter (und anderer Sicherungsverwahrter) zulässig ist (was mW unbestritten ist). Das ändert nichts daran, dass feindstrafrechtliche Regeln (wie ich finde) in Deutschland politisch inopportun sind. Andererseits kann man das Problem des Umgangs mit gefährlichen Personen auch nicht wegtheoretisieren. Dass die Regierung Obama Guantanamo immer noch nicht geschlossen hat, liegt ja nicht am fehlenden politischen Willen, nicht an fehlenden Menschen- und Naturrechtskonzeptionen, sondern an dem (zugegebenermaßen von den USA mitgeschaffenen) Problem selbst. Ich glaube nicht, dass es für dieses Problem eine Zauberformel gibt, die uns sagt, was stets richtigerweise zu tun ist. Mir fällt jedenfalls keine ein. (Ausgewogen und lesenswert finde ich übrigens die Rezension des Leipziger Kollegen Benno Zabel in der HRRS 2009, online: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/aufsaetze,2009,7.html)

 

Herzliche Grüße, MK

Lieber Herr Kubiciel,

schönen Dank für den Hinweis auf Zabels Beitrag. Ihre Analogie von Sicherungsverwahrung und Pawliks Sicherungshaft vermag ich freilich nicht zu teilen. Zwar haben Sie recht, dass bei der Sicherungsverwahrung als freiheitsentziehender Maßregel die Spezialprävention der einzig übriggebliebene "Straf"zweck ist; und dass dies vor dem Hintergrund eines geltenden Naturrechts kritisch zu beurteilen ist, denn der Adressat einer solchen Maßnahme wird, um mit Kant zu reden, notwendig "unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt". Aber: der entscheidende Unterschied ist, dass der Sicherungsverwahrte selber einen Anlaß geboten hat, überhaupt erst in Sicherungsverwahrung genommen zu werden. Und zwar durch eine (erhebliche) Straftat, die eine konkrete Rechtsgutverletzung zur Folge hatte, wobei darüber hinaus die begründete Vermutung besteht, er werde auch nach Verbüßung seiner Strafe ähnlich schwerwiegende Taten begehen. Pawliks Vorstellung zufolge soll die Einengung auf den präventiven Zweck des Strafrechts jedoch schon dann erfolgen, wenn der "Täter" noch gar kein geschütztes Rechtsgut verletzt hat, sondern sich noch im - eigentlich - straffreien Vorbereitungsstadium befindet. Dass dieses Vorbereitungsstadium inzwischen durch die Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte (§§ 89a, etc.) in den Blickwinkel strafrechtlicher Repression gerückt ist, ist bekannt. Die Frage ist nur, ob mit einer Umdeutung des Tatstrafrechts in ein "Präventionsrecht mit kriegsrechtlichen Mitteln" der Sache gedient und die diesbezügliche Tatbestandsdiarrhoe des Gesetzgebers zu rechtfertigen ist. Meines Erachtens ist das nicht der Fall. Und zwar deshalb, weil Pawliks "Flucht ins Kriegsrecht" gar nicht die von ihm intendierte "Waffengleichheit" zwischen Staat und Terrorismus herzustellen vermag. Das Grundgesetz regelt den Verteidigungsfall nämlich ausdrücklich, ohne eine Einschränkung der Menschenwürdegarantie vorzusehen. H.-J. Papier geht noch weiter:„Selbst im Kriegsfall kann man niemanden rechtlos stellen. Auch die Menschenrechtskonvention hebt zwar klar hervor, dass Menschenrechte, wie zum Beispiel sogar das Recht auf Leben, im Falle der Bedrohung des Lebens der Nation einschränkbar sind. Dies könne aber nur durch rechtmäßige Kriegshandlungen geschehen.“ Daraus ergibt sich m.E. im Umkehrschluß, dass das „Vorfeldkriegsrecht“, das Pawlik etablieren möchte, nicht hinter jenen Rechtsstandards zurückbleiben darf, die für den Ernstfall, den Krieg, gelten. Deshalb ist Papier zuzustimmen, wenn er sagt, es sei „völlig ausgeschlossen, Täter oder Tatverdächtige, Störer oder Störerverdächtige gewissermaßen außerhalb der Rechtsordnung anzusiedeln, sie als Feinde der Rechtsordnung rechtlos zu stellen." Der jetzt begangene Weg vom Tat- und Schuld- hin zum Präventions- und Gesinnungsstrafrecht erinnert fatal an die NS-Strafgesetzgebung, die alle politisch Mißliebigen oder rassisch bzw. geistig "Minderwertigen" zu Volksschädlingen deklarierte, sie rechtlos stellte und ihnen den Krieg erklärte. Diese Art von Strafrecht ist eines freiheitlichen Rechtsstaats völlig unangemessen. Will man das Wertvollste der Verfassung, insbesondere die Geltung von Grund- und Menschenrechten, erhalten und verteidigen, darf man die Probleme, die aus der terroristischen Bedrohung resultieren, nicht ins Verwaltungsrecht, Filiale Gefahrenabwehrrecht, verlagern oder gar das Naturrecht leugnen, um insoweit überhaupt erst freie Bahn zu haben. Denn "die Schranken und Garantien für die Eingriffe, um die es hier geht und die sicherheitsdogmatisch reformuliert werden müssen, sind im Arsenal der Strafrechtstraditionen ausgearbeitet, nicht im Verwaltungsrecht"(Hassemer). Un der tendenziell immer zur Uferlosigkeit neigende Präventionsgedanke kann auf Dauer nur funktionieren, wenn er die Erfahrung von Gerechtigkeit vermittelt, also gebunden ist an die Angemessenheit strafrechtlicher Eingriffe als Antworten auf Straftaten. Von "Angemessenheit" kann ich bei den Vorschlägen Pawliks nicht viel entdecken.

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Lieber Jens!

 

Ich gebe Ihnen in fast allen politischen Aussagen Recht. Noch ein letzter Gedanke sei mir gestattet: Der Anlass von Prävention ist nicht eine Rechtsgutsverletzung (das ist nach hM Voraussetzung der Strafe), sondern ein hinreichendes Indiz der Gefährlichkeit. Bei Personen, die als sexuell gefährlich gelten, ist ein hinreichendes Indiz zweifellos, aber nicht notwendigerweise eine entsprechende Sexualstraftat. Bei Terrorverdächtigen muss man überlegen, ob man als Indiz zwingend einen bereits vom Gefährder vorgenommenen Anschlag verlangt oder ob wir es als ausreichend erachten, dass er in einem Terrorlager war, eine Waffenausbildung und ideologische Schulung genossen hat, weiterhin über Kontrakte zu Terrornetzwerken verfügt und einen Bombenbauplan auf dem Notebook hat. Ich halte die Vermutung (mehr ist zur Prävention weder möglich noch notwendig), dass im letztgenannten Fall eine Gefährlichkeit vorliegt, nicht für von vornherein völlig unvertretbar und glaube auch, dass der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung dies nicht für völlig unvertretbar hält. Andere Gründe (insbesondere die politische Wirkung auf die islamische Bevölkerung) mahnen meines Erachtens zu einem sehr zurückhaltenden Vorgehen. Daher: Ob man für die Verhängung von Sicherungsverwahrung einen Anschlag abwartet oder vorher zugreift, ist eine politische Entscheidung, die in der parlamentarischen Demokratie das Parlament treffen muss, dessen Entscheidungen ggfs. vom Verfassungsgericht auf Menschen- (wenn man will: Natur-)rechtsverstösse überprüft werden. Sollte das BVerfG eine Unterscheidung zwischen den beiden oben genannten Fällen (Sexualgefährder und Terrorverdächtige) treffen, bin ich schon sehr auf die Urteilsbegründung gespannt.

 

Was die "Rechtlosstellung" von Terroristen oder das "Gesinnungsstrafrecht" betrifft, empfehle ich die Lektüre von Pawliks "Das Recht des Terroristen", insbesondere den Abschnitt über die (von Pawlik kritisierte) Kriminalisierung von bloßen Absichten im ggw. StGB und den Abschnitt über die (von Pawlik vorgenommene) Modellierung des Terroristen als Rechtsperson. Noch kompakter kann ich die diesbezüglichen Gedankengänge hier leider nicht wiedergeben.

 

Ich möchte mich für die Diskussionsbereitschaft bedanken und bin mit den besten Grüßen

Ihr

Michael Kubiciel

Oh, nun ist gerade meine Seite abgestürzt...Dabei wollte ich mich nur für den Link bedanken und dem Humboldt Forum Recht ein großes Kompliment aussprechen: eine tolle Zeitschrift, mit spannenden (und wie bei Prantl immer: glänzend formulierten) Beiträgen...MK

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