Einträge in sozialen Netzwerken als Alibi?

von Jan Spoenle, veröffentlicht am 14.11.2009

 In den letzten Tagen machte eine Meldung aus den Vereinigten Staaten die Runde, nach der ein 19-jähriger aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, weil er zum fraglichen Zeitpunkt einen Eintrag im sozialen Netzwerk Facebook verfasst haben soll. Das Unternehmen soll gegenüber der Staatsanwaltschaft demzufolge bestätigt haben, dass der Eintrag vom Rechner des Vaters des Verdächtigen aus verfasst worden war, weswegen sich letzterer nicht am Tatort aufgehalten haben könne.

Das mag zwar in der Tat zutreffend sein, doch stellt sich anhand dieser "Nachricht" durchaus die Frage, inwieweit Alibis durch Status-Updates und Nachrichten auf Facebook & Co. gewichtet und bewertet werden müssen. Ob die New Yorker Staatsanwaltschaft sich dessen bewusst war, dass Online-Dienste wie Sendible oder Social Tomorrow (für Twitter gibt es bspw. auch den beliebten Dienst Future Tweets) kostenfrei die Möglichkeit bieten, zeitverzögerte Tweets, Status-Updates und andere digitale Beiträge zu einem vom Nutzer bestimmbaren Zeitpunkt auszuliefern? Wer gesteigerten Wert auf eine möglichst perfekte Illusion legt, kann natürlich auch ein Script am heimischen Rechner oder dem vorgesehenen Alibi-PC samt dessen IP-Adresse verwenden, das zum vorgegebenen Zeitpunkt sogar – in Verbindung mit einem weiteren Bot – eine vermeintliche Unterhaltung im Facebook-Chat führen könnte. Und auch für allseits beliebte Social-Clients wie Socialite & Co. sollten derartige Features im Bereich des Programmierbaren liegen. Die Anfälligkeit für Manipulationen gebietet insofern m.E. größte Zurückhaltung bei der Bewertung "digitaler Alibis" ...

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

9 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Eigentlich ist die Meldung eher für das Justizsystem der USA entlarvend: "Zwölf Tage saß ein junger US-Amerikaner in Untersuchungshaft, bis er seine Unschuld beweisen konnte". Mit anderen Worten: Die haben einfach irgendjemand verhaftet (vermutlich weil er die "falsche" Hautfarbe hatte) um ihm was in die Schuhe zu schieben.

0

Aber das ist doch nicht typisch amerikanisch, das machen doch die deutschen Behörden auch, wo immer es geht. Erstmal einbuchten ("Geständniserzwingungshaft") und dann gilt die Unschuldsvermutung nur noch theoretisch. Praktisch kommt man nur raus, wenn man Glück hat oder eben selber seine Unschuld beweist.

0

Im ersten Moment klang es plausibel, dass der junge Mann sich durch facebook ein Alibi verschaffen konnte. Einzig und allein zweifelte ich daran, dass die Identität eines Rechners nicht gleich bedeutet, dass sie auch von einer bestimmten Person benutzt wurde. So wäre es doch durchau denkbar, dass der Vater die Nachricht absrpachengemäß verfasst hat (er muss ja nichmal wissen, warum er das machen muss, bzw kann wegen des Grundes belogen worden sein).

Doch nach dem zweiten Teil, der viele Möglichkeiten Anspricht, die ich selber kenne und schon in Aktion gesehen habe bin ich mir ziemlich sicher, dass sich durch Einträge in blogs&Co kein hinreichenes Alibi ergibt.

Allerdings ist es Sache der StA herauszufinden, ob da was dran ist. Ansonsten wird man wohl nicht ausschließen können, dass der Delinquent an dem PC saß und er muss in dubio pro reo freigesprochen werden.

 

Um die Situation zu würdigen, würde ich auf diverse Sachen abstellen:

1. Wer hatte das Passwort? / Gibt es einen Passwortmanager?

2. Was wurde vor und nach dem Eintrag an dem entsprechenden PC gemacht? (War er schon vorher bei Facebook eingeloggt, hat er es benutzt? Hat er sich direkt danach ausgelogt etc.)

3. Können auf dem Computer Spuren von Programmierprogrammen gefunden werden?

4. Was sagt der Verlauf aller auf dem Computer verwendeter Browser? (im Abgleich mit den Log-Daten von Facebook)

5. Ist der Beschuldigte regelmäßig zur fraglichen Zeit bei Facebook oder in der Lage Facebook zu bedienen? (War es außergewöhnlich, dass er grade an dem Tag zu der Zeit online war)

6. Hat er andere Passwort geschützte InternetDienste zu der fraglichen Zeit benutzt (wie z.B. Instant Massaging / IRC / Online-Spiele)

 

Alles Sachen, die natürlich keinen Bewesicharakter haben, aber zusammen ein nicht unerhebliches Indizgewicht bilden.

 

lg

Dass der Eintrag zunächst einmal gewürdigt wird, sollte meines Erachtens selbstverständlich sein.

Das aufgezeigte Problem ist ein anderes: Juristen, wie ich es im Bereich der Computerforensik beinahe täglich selbst erlebe, weigern sich bisweilen, sich mit dem objektiven Gewicht einer festgestellten Tatsache in ihrem technischen Zusammenhang auseinanderzusetzen. Dies ist generell erforderlich, nicht nur bei so "verrückten neuen Techniken" wie sozialen Netzwerken. Mit heute haushaltsüblicher Technik lässt sich auch automatisiert ein Telefonanruf auf einen Anrufbeantworter oder eine computerisierte Servicehotline absetzen, einschließlich der nötigen Interaktion. Die Aussagekraft einer sichergestellten Datei auf einer Festplatte wird allzu oft in der Phantasie von Anklage oder Verteidigung überdehnt, und nichts wird unversucht gelassen, dies dem Sachverständigen in den Mund zu legen.

Dabei wäre ansich eine unbefangene logische Einordnung unabhängig vom Sachverständigen erforderlich, wie der Prozess um den Tod von Ursula Herrmann zeigt: Die Phonetikerin Dagmar Boss stellte an dem wichtigsten Beweisstück, einem Tonbandgerät Grundig TK 248, eine Fehlstellung des Aufnahmekopfes fest, sodass die Interferenz bei der Stereowiedergabe eines damit aufgezeichneten 528 Hz-Tones diesen Ton gedämpft erscheinen lässt. Wie es wohl den operativen Anforderungen des LKA entspricht, folgerte sie aus der Übereinstimmung dieser Dämpfung mit den Erpresseranrufen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, mit der der Erpresseranruf von dem sichergestellten Aufnahmegerät wiedergegeben worden sei, und wurde vom Gericht auch gerade hierzu befragt. Für den hier angestrebten Zweck, die Täterschaft des Besitzers festzustellen, dürfte diese Herangehensweise aber ungeeignet sein. Schließlich fehlt der Gutachterin jede Einschätzung, wann und wie die ursächliche Fehlstellung des Aufnahmekopfes zustande kam, und in welchem Umfang vergleichbare Fehlstellungen bei baugleichen Geräten zu finden sind oder (aus dem Wie des Zustandekommens zu schließen) generell auftreten können.

0

 Gratulation!

Ich dachte schon hier seien alle so derart technikfremd.

 

Ist hier bekannt das die Staatsanwaltschaft in München in zumindest einem mir bekannten Fall Digitalbilder als Beweismittel zulässt? Stand in der SZ...

0

 Meine Gratulation bezog sich auf den Eintrag von Richard (der Knopf Antwort scheint entweder nicht zu funktionieren, oder die Antwort wird dennoch einfach "unten dran" gehängt).

0

Lieber Herr Kostic,

Ob Beweise zugelassen werden oder nicht entscheidet in aller Regel nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das zuständige Gericht ;-) Davon abgesehen geht es hier ja keineswegs um die Frage, ob Daten in irgendeiner Form beweistauglich sind (selbstverständlich sind sie das grundsätzlich). Meinen Ausführungen oben werden Sie auch entnehmen können, dass mir technische Zusammenhänge keineswegs fremd sind. Hier soll vielmehr zu der Frage diskutiert werden, welcher Beweiswert im Einzelfall in Betracht kommt, sofern Manipulationen einfach möglich sind (so ist dies etwa auch in Bezug auf die Vorlage von ausgedruckten und/oder am Bildschirm angezeigten E-Mails umstritten).

Kommentar zu Richard vom 14.11.09 - Ursula Herrmann: Tonbandgerät

Bekannt: Die Melodie von Bayern3 wurde bei den Erpresseranrufen von einem Tonbandgerät abgespielt, und von der Polizei aufgenommen. Die Anrufe erfoglten aus Teleofnzellen.

Angeblich: Lt. LKA-Phonetikerin Boos seien die Tonsignale und 'Knack'-Geräusche typisch für das (den angeklagten Werner M. belastende) Tonbandgerät 'Grundig TK 248'.

Technik: Dieses 'Grundig TK 248' wiegt 11 kg, ist 43 x 36 x 17 cm groß, benötigt 220 V-Anschluß. (Zudem haben sich nach 26 Jahren Tonkopf, Antriebsriemen, die Betriebsgeräusche durch Alterungsprozesse drastisch verändert.)

Annahme vom LKA und der Oberstaatsanwaltschat Augsburg: Mit diesem *unauffälligen Jackentaschengerät* ist der Erpesser an mehreren Tagen, untertags, 5 mal in Telefonzellen gegangen! Er muß dort bei *einem Anwohner gefragt haben, ob er ein Verlängerungskabel bis zur Telefonzelle anschließen darf* - in der Telefonzelle ist ja keine 220V-Anschlußdose. Dann erfolgten die Anrufe.

Rückschluß: Diese Bayern3-Signale müssen in der Telefonzelle von einem unauffälligen, handlichen, batteriebetriebenen MC-Kassetenrekorder oder einem Diktiergerät abgespielt worden sein. Somit sind auf den Polizeimitschnitten dessen Abspiel- und 'Knack'-Geräusche! Sollten die Signale vorher von einem stationären Tonbandgerät (z.B. dem 'Grundig TK 248') auf das Taschengeärt überspielt worden sein - auch dann müssen von dem kleinen Abspelgerät dessen Aufnahme- und Wiedergabe-Geräusche die anderen Signale überlagern.

Ergebnis: Dieses Gutachten zum 'Grundig TK 248' ist völlig wertlos.

(Schon ein Gutachten im März 1984 hatte ergeben, daß ein MC-Kassettengerät die typischen Abspielgeräusche verursacht hätte.) (Der jetzt Angeklagte soll um jeden Preis verurteilt werden.)

Anmerkung: Ich kenne die Täter (bisher 4: einer sitzt bereits "lebenslang" seit 7 Jahren in Taiwan im Gefängnis; evtl. 1-2 weitere). Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft.

(Auf mögliche Hintergründe einer vermutlich systematischen 'Vertuschung' will ich hier nicht eingehen.)

 

 

 

0

Kommentar hinzufügen