Fall Winnenden - Anklage gegen den Vater vor dem LG, Hauptverhandlung im Gerichtssaal Stuttgart-Stammheim (Ort des RAF-Prozesses)?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.12.2009

Wie die Süddeutsche berichtet (Quelle), hat die Staatsanwaltschaft (die zunächst einen Strafbefehl erwogen hat) auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft jetzt Anklage erhoben wegen tateinheitlicher fahrlässiger Tötung in 15 Fällen, fahrlässiger Körperverletzung in 13 Fällen und einem Verstoß gegen das Waffengesetz (zum juristischen Hintergrund unsere Diskussion im blog).

Dass durch eine öffentliche Hauptverhandlung der Fall transparent aufgeklärt wird und die Öffentlichkeit zugleich über die juristische Subsumtion und Strafzumessung informiert wird, scheint mir ein positives Signal.

Aber warum ist das LG zuständig?

Die Straferwartung (§ 222 StGB droht maximal 5 Jahre Freiheitsstrafe an) rechtfertigt diese Anklage jedenfalls nicht, vgl. § 24 Abs.1 Nr.2 GVG. In Betracht kommt nur eine Zuständigkeit nach § 24 Abs.1 Nr.3 GVG "wegen der besonderen Bedeutung des Falles". Die Anklage vor dem LG ermöglicht die spätere Revision zum BGH und die damit verbundene bundesweite Klärung von Rechtsfragen, die in einer Vielzahl von Fällen relevant sind bzw. werden können.

Geht man wie  der Hamburger Strafverteidiger Baumhöfener in seinem blog (hier) davon aus, dass es sich nur um die Klärung handeln kann, ob der Vater des Täters die Tat seines Sohnes subjektiv vorhersehen konnte, wäre dies eine individuelle tatsächliche Frage, die keineswegs die übergeordnete Bedeutung hätte, die nach § 24 Abs.1 Nr.3 GVG eine LG-Zuständigkeit begründet.

Jedoch: Geht es darum, ob in solchen Fällen überhaupt eine Erkennbarkeit der Tatneigung erforderlich sein soll, oder ob schon die Sorgfaltswidrigkeit allein die strafrechtliche Mitverantwortung für mit der Schusswaffe begangene Taten Dritter vermittelt, könnte dies durchaus ein Thema für den BGH sein. Immerhin hat das OLG Stuttgart eine entsprechende These aufgestellt:

(OLG Stuttgart NStZ 1997, 190) "So wird beispielsweise der Besitzer einer Waffe, der diese nicht ausreichend gegen unbefugten Gebrauch sichert, wegen fahrlässiger Tötung bestraft, wenn ein Dritter die Waffe an sich bringt und für einen Mord mißbraucht (vgl. S/S- Cramer 24. Aufl., § 15 Rn 154); ein Kraftfahrzeugbenutzer, der durch mangelnde Sicherung eines Kraftfahrzeugs die Unfallfahrt eines Dritten mit Körperschaden beim Unfallgegner fahrlässig ermöglicht, macht sich wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung strafbar (vgl. BGH VRS 20, 282; OLG Hamm NJW 1983, 2456)."

Dazu passt es dann allerdings wiederum nicht, wenn die Staatsanwaltschaft laut Presseberichten gerade klären lassen will, "ob der Angeschuldigte hätte erkennen können, dass sein Sohn die Waffe möglicherweise zu einem Verbrechen benutzt." (so etwa die Pforzheimer Zeitung).

Noch etwas anderes irritiert mich. Die SZ berichtet: "wegen des großen öffentlichen Interesses wird das Verfahren möglicherweise im Gerichtssaal Stammheim geführt, wo auch die RAF-Prozesse statt gefunden haben" (Süddeutsche Zeitung)

Solche Ankündigungen haben m. E. eine ungute Symbolkraft, weil dann die mögliche Verantwortlichkeit des Vaters (schon vorab!) in die Nähe des Terrorismus gerückt wird. Man bedenke: Zunächst wurde ein Strafbefehlsverfahren für angemessen erachtet, jetzt soll daraus eine Verhandlung der Strafkammer im bunkerartigen RAF-Gerichtssaal werden.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Da würde ich mich ja richtig wohl fühlen. Und um es mit den Worten von Otto Schily zu sagen, es würde einem in Beton gegossenen Urteil gleich kommen.

0

Kommentar hinzufügen