BGH-Entscheidung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung im Fall eines mehrfach wegen Vergewaltigung Verurteilten

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.01.2010

Soeben melden die Presseagenturen, der BGH habe eine Entscheidung des LG München II  aus dem letzten Februar bestätigt (Urteil vom 13. Januar 2010 – 1 StR 372/09).

Hintergrund ist die Entlassung eines (zum zweiten Mal) wegen Vergewaltigung im Jahr 1995 zu 14 Jahren Freiheitsstrafe Verurteilten, der diese Strafe voll verbüßt hat und sich seit ca. einem Jahr unter Führungsaufsicht in (relativer) Freiheit befindet.

Er wurde von Gutachtern zum Zeitpunkt der Entlassung als noch rückfallgefährdet eingeschätzt. Seine Freilassung hatte erhebliche Proteste an seinem Wohnort im nordrheinwestfälischen Heinsberg ausgelöst - vor dem Wohnhaus wird regelmäßig eine Art Mahnwache von Bürgern - teilweise auch von der NPD - organisiert. Zudem wird der Verurteilte von der Polizei überwacht.(RP-Online)

Protest richtete sich auch schon gegen die Entscheidung des LG München II. (in einem Interview mit der SZ hatte einer der beteiligten Richter die Entscheidung begründet). Von politischer Seite wurde diese Entscheidung u.a. als "unverständlich" bezeichnet. (TZ-Online) Der BGH hat die Entscheidung aber nunmehr bestätigt.

Aus der Presseerklärung des BGH: "Tatsachen sind dann nicht „neu“, wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder – wie hier – sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sind Tatsachen insbesondere dann nicht „neu“, wenn der Hang und die Gefährlichkeit aufgrund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Das ist hier der Fall. Deshalb muss die auf gleicher Tatsachengrundlage bloß veränderte Bewertung von Hang und Gefährlichkeit als neue Tatsache ausscheiden. Andere „neu“ bekannt gewordene Tatsachen, insbesondere während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt." (Quelle)

Überraschend ist die Entscheidung also nicht, denn offenbar fehlten "neue Tatsachen", die nach § 66b StGB Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sind. Neue Tatsachen sind erforderlich, damit die Rechtskraft eines Urteils nicht nachträglich zum Nachteil eines Verurteilten faktisch durchbrochen werden kann. Da man bei der Verurteilung 1995  keine Sicherungsverwahrung angeordnet hat (es fehlten lt. BGH schon die formellen Voraussetzungen, aber auch materiell wurde damals ein "Hang" nicht festgestellt) und auch ein Vorbehalt noch nicht möglich war (§ 66a StGB wurde erst 2002 eingeführt), ist die Entscheidung - soweit man das ohne Aktenkenntnis aus den bisherigen Zweithand-Veröffentlichungen entnehmen kann - juristisch zutreffend.

 

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3 Kommentare

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Hier bei uns in den USA gibt es die bundesstaatlichen Register für Sex Offenders, wo jeder über das Internet feststellen kann, wo die verurteilte Person wohnt. Ziemlich bedenklich als Brandmarkung - zumal es keinen Löschungsanspruch gibt.

Dennoch ein nachvollziebarer Gedanke. Dass dieses Register zum Nachteil der Betroffenen gereicht ist sicherlich nachvollziehbar wenn es wie in oben genanntem Fall in einen belagerungsähnlichen Zustand ausartet. Andererseits ist das gesteigerte Bewusstsein für derartige Nachbarn in der Bevölkerung ein bedenkenswerter Punkt.

In dieser gefühlsgelandenen Debatte ist es wohl sehr schwer einen richtigen Weg zu gehen.

Better safe then sorry - oder wie solls weitergehen?

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Ein Blick in die Freiheitsentziehungs- bzw. Unterbringungsgesetze eröffnet neue Perspektiven jenseits der Sicherungsverwahrung. Menschen mit psychischen Störungen, die eine Gefahr für die Allgemeinheit sind, darf die Freiheit entzogen werden. Man wird getrost davon ausgehen dürfen, daß die Gutachter dem Verurteilten Karl. D. eine "schwerwiegende dissoziale Persönlichkeitsstörung" mit allen möglichen gefährlichen Zügen bescheinigt haben werden, ein Fehlen an Empathievermögen, usw. Das dürfte für die Annahme einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung im Sinne der entsprechenden Landesunterbringungsgesetzes genügen. Weit weniger gefährliche Zeitgenossen werden täglich auf amtsgerichtliche Anordnung in Krankenhäusern untergebracht.

Haben die empörten Lokalpolitiker des Heimatkreises des Verurteilten bereits einen Antrag beim zuständigen Amtsgericht eingereicht? Falls nein, warum nicht, wenn ihnen doch nur die Sicherheit der Bevölkerung am Herzen liegt? Läßt man den schwarzen Peter lieber bei der Strafjustiz? Gefahrenabwehrrecht ist Sache der Kreise und Gemeinden.

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