Bundesjustizministerium plant zügige Reform der nachträglichen Sicherungsverwahrung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 16.01.2010Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur nachträglichen Sicherungsverwahrung von Sexualstraftätern will das FDP-geführte Bundesjustizministerium die bestehende Regelung rasch reformieren. Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU) sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung», er sei zuversichtlich, dass schon in den nächsten Monaten die Weichen für eine Reform gestellt werden. Die restriktive Anwendung der Vorschriften durch die Gerichte führe zu unbefriedigenden Ergebnissen. Unabhängig von der geplanten Reform will Deutschland außerdem das kürzlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefällte Urteil zur Sicherungsverwahrung in Deutschland anfechten. Der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium und FDP-Rechtsexperte Dr. Max Stadler sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung», das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines Sexualstraftäters abgelehnt worden war, zeige erneut, dass die Regelungen überarbeitet werden müssten. «Die ständigen Einzelreparaturen am Gesetz gilt es durch eine Lösung aus einem Guss zu ersetzen», sagte Stadler. Dabei müssten etwaige Schutzlücken geschlossen werden.

Ministeriumssprecher Staudigl betonte, dass die Reform der Sicherungsverwahrung zügig auf den Weg gebracht werden solle, zugleich sei dies aber ein sehr komplexes Thema. Zum einen gelte es, die Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern zu schützen, zugleich müsse die Sicherungsverwahrung eine absolute Ausnahme bleiben. Der Bundesgerichtshof hatte wiederholt die Verhängung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung an strenge Voraussetzungen geknüpft. So müssen während der Haftzeit gravierende neue Umstände aufgetreten sein, die auf ein Rückfallrisiko schließen lassen. Das bloße Versäumnis, bereits mit dem Urteil eine Sicherungsverwahrung anzuordnen, kann laut BGH nicht über deren nachträgliche Verhängung korrigiert werden.

Am 13.01.2010 hatte der BGH geurteilt, dass ein Sexualtäter, der seit seiner Haftentlassung im nordrhein-westfälischen Heinsberg lebt, auf freiem Fuß bleiben darf. Das Landgericht München II hatte im Februar 2009 eine nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt, obwohl Gutachter den verurteilten Sexualverbrecher für gefährlich halten. Der BGH verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft.

Unabhängig von der nun geplanten Reform plant Deutschland, das kürzlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefällte Urteil zur Sicherheitsverwahrung in Deutschland anzufechten. Die Kleine Kammer des EGMR hatte am 17.12.2009 geurteilt, dass Deutschland mit der rückwirkenden Sicherungsverwahrung eines Gewaltverbrechers gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.

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11 Kommentare

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Sehr geehrter Kollege von Heintschel-Heinegg,
will man im Zuge der Reform auf "neue Tatsachen" bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung verzichten, zugleich aber nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, stellt das eine Quadratur des Kreises dar: Wie soll denn die nachträgliche "Korrektur" eines rechtskräftigen Urteils zu Lasten eines Verurteilten begründet werden, wenn man dies nicht einmal mit neuen Tatsachen begründet?

Im Übrigen kann man, wenn man das Urteil des EGMR genauer studiert hat, prognostizieren, dass das Rechtsmittel Deutschlands dagegen keinen Erfolg haben wird. Das bedeutet, es ist hinsichtlich der Verurteilten, deren Sicherungsverwahrung nachträglich (ohne neue Tatsachen!) gesetzlich verlängert wurde - von höchstens zehn Jahren auf "unbestimmte" Länge - eine relativ schnelle Lösung notwendig: Die Bundesrepublik Deutschland würde sich sonst dem Vorwurf aussetzen, weiterhin ohne Rechtsgrundlage Menschen zu inhaftieren und damit fortgesetzt gegen die Menschenrechtskonvention zu verstoßen.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller

@corax: Der von Ihnen verlinkte Artikel von Darnstädt, wenn auch in der Tendenz zutreffend, geht von einem fehlerhaften Verständnis des Urteils aus Straßburg aus. Dort wurde nicht über die nachträgliche Sicherungsverwahrung oder über die Sicherungsverwahrung überhaupt verhandelt, sondern über die rückwirkende Verlängerung einer angeordneten Sicherungsverwahrung. Aus dem Urteil können sicherlich Schlüsse gezogen werden für die (insbesondere die nachträgliche) Sicherungsverwahrung. Wie diese Schlüsse aussehen, ist aber nicht so eindeutig. Eindeutig ist das Urteil nur darin, dass die rückwirkende Verlängerung (d.h. Aufhebung der vorherigen Höchstfrist von zehn Jahren) gegen die Menschenrechtskonvention verstößt.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller

Aus meiner Sicht hat das Gesetz keine Lücke. Das ganze Instrument der Sicherungsverwahrung gehört schon systematisch nichts ins Strafgesetzbuch, da es sich um materielles Gefahrenabwehrrecht handelt. Wie will man dogmatisch begründen, daß über die Verwahrung weiterhin gefährlicher Täter nach der vollständigen Verbüßung ihrer Strafe deutsche Strafgerichte entscheiden, die Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch verankert ist, in Strafvollzugsanstalten vollstreckt wird und für die Untergebrachten die Strafvollstreckungskammern zuständig sind, wenn man dem EGMR gleichzeitig erzählt, das sei keine Strafe, sondern eine Maßnahme der Gefahrenabwehr?

Gefahrenabwehr ist in erster Linie Ländersache. Schon heute kann man psychisch Gestörte, die eine Gefahr für sich oder andere Menschen sind, nach den Unterbringunggesetzen der Länder einweisen lassen. Im Fall des Karl D. soll - laut einem Bericht im aktuellem SPIEGEL - ein Sachverständiger zu dem Ergebnis gelangt sein, Karl D. sei nicht psychisch krank. Eine Einweisung nach Unterbringungsrecht scheide daher aus.

Also bitte! Es werden auf amtsgerichtliche Anordnung tagtäglich weit weniger "Gestörte" eingewiesen. Insofern ist die Rechtsprechung auch nicht ganz konsequent. Wenn ein Beschuldigter um einen Pflichtverteidiger nachsucht, weil er nicht in der Lage sei, sich selbst zu verteidigen, oder er die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB geltend macht, sind die Gerichte oftmals kleinlich und erklären den Betroffenen für geistig "kerngesund" und voll einsichts- und verteidigungsfähig. Während der Strafvollstreckung, wenn er um eine vorzeitige Entlassung nachsucht, entdecken die Sachverständigen sodann in vielen Fällen "schwere dissoziale Persönlichkeitsstörungen" im Grade einer "schweren seelischen Abartigkeit", die es unverantwortlich machen, ihn vorzeitig zu entlassen. Muß der Gefangene dann mit Erreichen des Endstrafenzeitpunkts zwangsläufig auf freien Fuß gesetzt werden, reichen die diagnostizierten Störungen angeblich wieder nicht aus, um die relativ geringen Hürden der Landesunterbringungsgesetze zu überwinden.

Wenn jemand, der solche brutalen und sadistischen Taten begangen hat wie Karl D., nicht "psychisch gestört", z.B. im Sinne von § 1 Abs. 2 PsychKG NRW ist, wer dann? Ich habe den Eindruck, man will die Unterbringung weiterhin gefährlicher Täter gar nicht im Gefahrenabwehrrecht verankern, sondern weiterhin unbedingt im Strafgesetzbuch belassen, wo sie rechtshistorisch betrachtet erstmals im Jahre 1933 in Grundzügen verankert worden ist. Warum konzipiert man vor diesem Hintergrund nicht etwas völlig Neues, das dogmatisch treffend ist, den praktischen Erfordernissen und den Vorgaben des EGMR entspricht?

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Es gibt selten Kommentare und Ansichten zum Thema Sicherungsverwahrung, so wie von Ilse, die sachlich hinterfragen, ob die angewandte Praxis überhaupt einem rechtsförmigen Verfahren entsprechen. Im täglichen Vollzugsgeschehen ist verankert, dass in Wahrheit absolut nichts dafür getan wird, dass Betroffene eine Sicherheitsverwahrung erst gar nicht anzutreten brauchen. Die Vermittlung von Werten findet in Deutschland im Vollzug in der Regel gar nicht statt. Es ist ein Wunder, wenn bei der Vollzugspraxis Betroffene NICHT rückfällig werden. Menschen, die über Jahre eingesperrt sind und nur Ablehnung und Verachtung erfahren, können auch später nicht positives Denken entwickeln. In Deutschen Gefängnissen wird verachtende Bürokratie als Folter und brutale Menschenverachtung durch die Vollzugsbehörden vorgelebt. Ein demokratisches Rechtssystem sieht anders aus als die Praxis in Deutschland.

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Wer garantiert oder sichert, dass die Gutachten auch real und wahr sind? und keine Gefälligkeitsgutachten?

Da "Geisteskrankheiten" im Gehirn nicht nachweisbar sind - bleiben alle Diagnosen nur Behauptungen der Gutachter. Es fehlen jegliche Beweise.

Bei diesen Begutachten wird meist nur die Akte begutachtet - also nur der Autor der Akten und nicht der Mensch

Psychiater sind in ihren Diagnosen hervorragende Gedankenleser. Sie unterstellen den Patienten diese und jede Gedanken und diagnostizieren dann diese erfundenen Gedanken. Das wird von allen Patienten bemängelt.

Darüberhinaus sind die Psychiater Experten in Wahrsagerei.

Kein Mensch kann so präzise und zum eigenen Nutzen die Zukunft vorhersagen wie die Psychiater - denn die Unterbringung bringt ein hübsches Sümmchen ein.

Dann sind  Psychiater besonders Fantasiebegabt, denn die Lügen gehen ihnen glatt von der Zunge. Sie werden nicht rot dabei und die Gerichte fragen nie nach - egal was der Patient einwendet - Jede Diagnose rechtfertigt Folter und Misshandlung und die Zerstörung des Gehirns und des Körpers  mit Psychopharmaka. Aber weil diese psychisch kranken nicht mehr als Mensch gelten sondern minderwertig und lebensunwert gehandelt werden kann mit ihnen nach Gutdünken umgegangen werden. Besonders in den geschlossenen Psychiatrien. Dabei haben die Psychiater besonderes Geschick in Isolation und Verhinderung von Zeugenaussagen. Die Pfleger sind abhängig vom Einkommen und werden wohl sich selbst kaum anzeigen und die Mitpatienten bekommen selbst Diagnosen und sind somit per Gesetz als Zeugen unglaubwürdig und stimmlos.

Es gibt kein Kontrollorgan oder eine Kontrollstelle oder eine Stelle, die sich verantwortlich fühlt und hin-sehen-will.

Wie die 3 Affen: ich sehe nichts, ich höre nichts, ich sage nichts verhalten sich alle kompetenten Gehaltsempfänger gleich.

Wenn 9 Pfleger einen Psychiatrie-Patienten zusammenschlagen und der Patient vor panischer Angst sich wehrt, dann steht laut Staatsanwalt von Mühlhausen und laut Generalstaatsanwalt von Thüringen den 9 Pfleger das Recht auf Notwehr zu, den einzelnen Patienten stéht dieses Recht nicht zu. Denn er ist staatlich anerkannt bekloppt und hat den Mund zu halten und seinen Körper für alle Versuche, Test und Misshandlungen zur Verfügung zu stellen.

Sie diskutieren hier um Worte - weit ab von der Realität.

Sie tun mir leid.

Rosel Zierd

 

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Die Sicherungsverwahrungsproblematik zeigt, daß es auch Deutschland mit seinen internationalen Verpflichtungen leider nicht immer so genau nimmt. In der Tat geht es in der M.-Entscheidung des EGMR nicht generell um die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Sicherungsverwahrung oder gar anderer Maßregeln (was allerdings ein interessantes Thema wäre). Es geht um diejenigen Altfälle, die noch unter altem Recht bei einer absoluten Höchstfrist der SV von zehn Jahren verurteilt wurden und daher mit einer Haftentlassung nach Strafverbüßung + maximal zehn Jahren bei Tatbegehung und Urteil sicher rechnen durften. Diese Entlassung enthält man ihnen nun nachträglich durch eine rückwirkende Gesetzesänderung vor. Ein Verstoß gegen Art. 7 EMRK meint der EGMR richtigerweise.

Zwar ist eine Maßregel nach deutscher Lesart bislang kein Strafe gewesen. Doch diese Unterscheidung war - seien wir ehrlich - immer Augenwischerei. Natürlich sind auch freiheitsentziehende Maßregeln Strafen und zwar besonders schlimme, weil sie nicht ans Schuldprinzip gebunden sind und das Verhältnismäßigkeitsprinzip meist kaum beachtet wird. Was die Forensik-Maßregel angeht, die Frau Zierd an spricht, so ist diese besonders grundrechtsintensiv, weil sie auch die physische Integrität des Gefangenen, ja mitunter sogar sein Leben verletzt. Der EGMR hat indes in der M-Entscheindung gesehen, daß deutsche Maßregeln eben auch Strafen sind und daher dem Rückwirkungsverbot des Strafrecht selbstredend unterfallen. Der BGH fängt an sich an diese selbstverständliche Rechtslage zu gewöhnen. Nicht so BMJ und Gesetzgeber. Hier scheint die öffentliche Meinung ("Wegsperren für immer") über rechtsstaatlichen Regeln zu stehen. Daher traut es sich Deutschland nicht, entgegen seinem Volksempfinden zu handeln und die völkerrechtlichen Regeln einzuhalten. Eine äußerst bedenkliche Entwicklung in einem ehedem liberalen Rechtsstaat!

Der liberale Rechtsstaat wurde indes in den 70gern gerade auch im Bereich des Sexualstrafrechts verstanden. Gerade dort war "Abrüstung" angesagt. Völlig zu recht. Die 90ger Jahre des 20. Jh. haben diesen Trend umgekehrt und zu einer nachgeraden Hysterie im Sexualstrafrecht geführt. Doch das Sexualstrafrecht, so unverständlich mir dessen Verschärfungen der letzten Jahre auch sind, war nicht die letzte Station des gesetzgeberischen Amoklaufs: Sicherungsverwahrung für Räuber, Einbrecher, Diebe, Betrüger und andere Kleinkriminelle folgten. Am liebsten würden Richter heute schon Beleidigungs"täter" für immer wegsperren. Mandanten von mir werden in der SV gehalten mit der Begründung, sie würden zu viele Briefe schreiben. Und wen man nicht in die SV bekommt, der ist eben verrückt und kommt in die Klapse; wir sehen den Zusammenhang aktuell mit dem völlig überflüssigen Therapieunterbringungsgesetz. Und in der Forensik wird der Betroffene physisch und psychsisch zu Grunde gerichtet.

Von einem liberalen Rechtsstaat darf ein Jurist heute nicht mehr sprechen. Es ist ungeheuerlich war sich dem Professionellen heute für ein Zustand des deutschen Rechtsstaats offenbart und mit welcher Überheblichkeit die Kanzlerin gleichzeitig auf andere Länder zeigt. Das hat weder etwas mit christlichem Handeln noch mit Humanismus gemein. Es hält eher zum Denken an, ob es nicht auch in Deutschland demnächst eine Erhebung wie in den nordafrikanischen Staaten geben muß.

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Herr Rechtsanwalt, wenn Sie schreiben, dass auf den "gesetzgeberischen Amoklauf" in den 90er Jahren des 20. Jhd "SV für Räuber.... folgten", haben Sie anscheinend nicht mitbekommen, dass die SV für Räuber, Betrüger etc. schon seit dem Gewohnheitsverbrechergesetz der NS-Zeit, dem 42e StGB a.F und später 66 StGB möglich war und tatsächlich auch verhängt wurde. 

Lustig ist, dass Sie einerseits schreiben, Deutschland traue sich nicht, entgegen dem Volksempfinden zu handeln und Völkerrecht einzuhalten und andererseits genau das Volk (das ja so völkerrechtswidrig empfindet)  mit diesem Empfinden zu einer Erhebung aufzurufen. Sie wissen entweder im zweiten Absatz nicht, was Sie im vorherigen geschrieben haben oder Sie ziehen nicht in Erwägung, dass von Ihnen für sein Empfinden gescholtene (und vielleicht ge(BILD)ete Volk) vielleicht entgegen Ihren Erwartungen an einen liberalen Rechtsstaat bei einer Erhebung viel eher geneigt wäre, die unbegrenzte SV  und möglicherweise auch die Todesstrafe wieder einzuführen und sich dabei recht wenig um völkerrechtliche Belange scheren würde.

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Zum letzten Schreiberling: zunächst halte ich die Seriosität anonymer Beiträge für zumindest fraglich.

Inhaltlich haben Sie recht, daß bereits die Nazis Erfinder der SV waren. Es gab jedoch in der BRD ein stetiges Auf und Ab in Ausweitung und Einschränkung jenes Instituts. Ich habe mich in meinem Beitrag auf die jüngste - hier interessierende - Entwicklung bezogen, die nunmal eine Ausweitung der SV gegenüber den relativ liberalen 70gern und 80gern erkennen läßt.

Hinsichtlich einer Erhebung habe ich nichts von "Volk" geschrieben. Ich denke eher an eine Erhebung der geistigen Elite.

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C. Herre, 22.04.20121

Zum verlinkten Spiegel-Artikel:

"Und die Beweisführung über die Gefährlichkeit der Bürger wird zunehmend einfacher, seit Neurobiologen über Methoden zu verfügen glauben, verbrecherische Neigungen im Hirn des Menschen nachweisen zu können."

Die Diskussion über die krimminelle Hirnrindenwölbung (Phrenologie, 1800-irgendetwas) oder das Mörder-Chromosomen (um 1970, man glaubt es kaum) hatten wir bereits. Solange die Neurobiologen nicht in der Lage sind, die genauen chemisch-physiologischen, kaskadenartigen Abläufe der beteiligten Zell-und Organsysteme in die daraus resultierende, zu erwartende Bildgebung zu transformieren, gelingt ihnen auch nicht die Umkehrung vom Bild zur Reaktions-Kaskade. Ohne Kenntnis der Reaktionkaskade "permanent aufrechterhaltene Zerstörungswut" kann es keinen Nachweis von verbrecherischen Neigungen im Hirn geben. Die funktionelle Magnetresonanztomographie ist eine indirekte Methode, die unspezifisch auf den Energieverbrauch einzelner Hirnregionen schließen läßt und eine Aussage zuläßt, ob struckturelle Normabweichungen vorhanden sind oder nicht. Aus struktureller Normabweichung über - wie auch immer bezeichnete - Korrelate auf Verhaltenseigenarten oder Anlagen zur Aggression zu schließen, ist Phrenologie des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Pharmakologische Einwirkungen, die sich im Energieumsatz ausdrücken können, lassen nur darauf schließen, dass eine Veränderung der Abläufe statt gefunden hat, jedoch nicht, ob diese gewünscht oder unerwünscht oder gar bedeutungslos ist. Chemisch-physiologische Reaktionen können auch ohne Sauerstoffbeteiligung statt finden. Im MRT-Bild sieht man dann nichts.

Es ist hochgefährlich, sich auf diesen Unsinn einzulassen(Fehlerfortplanzungsgesetz, Messungen können allenfalls präzise-falsch sein).

Meine Ausführungen haben zunächst natürlich nichts mit dem Thema "Sicherungsverwahrung" zu tun. Es ist jedoch eine Entwicklung denkbar, die die Ergebnisse solcherlei "Methoden" als Kriterien für eine "notwendige" weitere Unterbringung heranziehen könnten.

Überdies möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich als Mensch, den die Problematik nie sonderlich interessiert hat, schockiert war, zu erfahren, dass längst nicht nur "schwere Jungs" (bestialischer Mord, Kinderschänder) in Sicherungsverwahrung sind - wohl auf unbestimmte Zeit, wie derzeit gültig.

Auch der verlinkte Spiegel-Artikel suggeriert ja dieses Bild. Wie übrigens fast immer über "psychisch auffälige Personen" berichtet wird, die einer Tat beschuldigt werden. Video-Aufnahmen über einen maskierten Tankstellenüberfall, die im Fernsehen gezeigt werden, werden seitens von Kriminalbeamten kommentiert: "Wahrscheinlich handelt es sich um eine psychisch kranke Person." Im Nebensatz dann die Begründung von einer angeblich seelenruhigen Durchführung ohne Hektik. Die Sorte "Psychisch-Auffällig" kann also wohl schon am Laufen erkannt werden. Das müsste sich dann wohl Psychopodologie nennen statt Psychopathologie.

Gibt es eigentlich ein individuelles Gefahrenabwehrrecht? Ein Abwehrrecht gegen das Abwehrrecht der Psychopodologen?

Mit freundlichen Grüßen

C. Herre

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