OLG Hamburg zu § 184b StGB: Vorsätzlicher Besitz von Kinderpornographie auch ohne bewusste Speicherung zu bejahen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 15.02.2010

Wie heute Nachmittag berichtet wird, bejaht das OLG Hamburg den Besitz nach § 184b Abs. 4 StGB schon dann, wenn ein Bild oder Film im Internet aufgerufen und angeschaut wird. So berichtet das Hamburger Abendblatt:

"Das Oberlandesgericht Hamburg hob mit dieser Entscheidung am Montag ein Urteil des Amtsgerichts Harburg auf. Dieses hatte vor knapp einem Jahr einen Mann freigesprochen, der 19 kinderpornographische Dateien angesehen hatte. Er habe nach eigenen Angaben nicht gewusst, dass diese im temporären Internet-Speicher automatisch abgelegt worden seien. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts ist es jedoch irrelevant, ob die Videos und Bilder bewusst gespeichert oder nur flüchtig angeschaut werden. Der Wille, Kinderpornos zu betrachten und über die Bilder und Videos verfügen zu können, ist demzufolge mit dem Besitz einer Videokassette gleichzusetzen." (Quelle) 

Trifft diese Darstellung des Entscheidungsinhalts zu, resultiert daraus in der Tat eine faktische Strafbarkeitsausdehnung. Ganz neu ist das aber nicht. Es gab nämlich schon zuvor die (m.E. fragwürdige und von der herrschenden Lehre abgelehnte Auffassung, vgl. Hörnle im Münchener Kommentar Rn. 27 und 33 zu § 184b StGB), das gezielte Suchen und Anschauen solcher Dateien  genüge objektiv und subjektiv für den Besitz bzw. das Unternehmen des Besitzverschaffens, so das OLG Schleswig NStZ-RR 2007, 41:

"Zwar ist es auf Grundlage des angeklagten Sachverhalts zutreffend, dass die Inhalte der aufgerufenen kinderpornografischen Seiten nicht bewusst gespeichert wurden. Dennoch sind aufgerufene Internetseiten nicht aus sich heraus „flüchtig”. Zu solchen flüchtigen Inhalten werden sie nur auf Grund einer autonomen Entscheidung des Betrachters, zumindest wenn dieser - wie der Angesch. im vorliegenden Fall - die alleinige und uneingeschränkte Verfügungsmacht über den benutzten Computer hat. Die Entscheidung, wie lange eine Seite betrachtet wird, ob einzelne Darstellungen vergrößert (Zoomfunktion) werden sollen oder ob aus Sicht des Betrachters besonders interessante Seiten nach zwischenzeitlichem Schließen erneut aufgerufen werden trifft eigenverantwortlich der Betrachter, der insoweit äußeren Einflüssen nicht unterliegt. Insbesondere steht nach jedem Aufrufen einer Internetseite dem Betrachter darüber hinaus immer die eigenständige Entscheidung darüber zu, ob er den noch nicht perpetuierten Besitz an den aufgerufenen Informationen dadurch dauerhafter gestalten will, indem er diese etwa bewusst speichert, ausdruckt, bearbeitet oder in Form einer elektronischen Nachricht an Dritte weiter versendet. Alle diese Möglichkeiten stehen ihm offen. Hieraus ergibt sich, dass der Besitz an den Daten einer aufgerufenen Internetseite „flüchtig” nur durch die Willensentscheidung des Betrachters wird, diese Seite wieder zu verlassen. Damit sind alle Kriterien erfüllt, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an den Begriff des Besitzes - entwickelt im Betäubungsmittelstrafrecht - stellt."

Soweit das OLG Schleswig. Nach der heutigen Auslegung des OLG Hamburg würde sich analog dazu allein aus dem Willen, eine Bilddatei zu betrachten, schon schließen lassen, dass der Betrachter auch eine Verfügungsmacht über das Bild/den Film bewusst erlangt. In dieser Interpretation (immer vorausgesetzt, dies ist in der o.a. Quelle richtig wiedergegeben) wechselt aber der Bezugspunkt des Vorsatzes. Dieser muss sich nämlich auf den Besitz beziehen, nicht darauf, ein kinderpornographisches Bild oder einen Film bloß anzuschauen. Aber möglicherweise bestätigt das OLG Hamburg auch nur die Entscheidung des OLG Schleswig (aus der oben zitiert ist). Man wird für eine endgültige Bewertung noch die schriftliche Entscheidungsbegründung abwarten müssen.

(Dank an einen Blogleser für den Hinweis)

Update: Welt-Online berichtet mit einer etwas anderen Darstellung:

"Der Zweite Strafsenat entschied: Wer sich solche Dateien herunterlädt, hat die „Verfügungsgewalt“ und die „Sachherrschaft“ über die Bilder. Er ist damit im Besitz der Dateien, auch wenn er sie nur für kurze Zeit auf seinem Computer behält. Oberstaatsanwalt Mauruschat hatte zuvor darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob die pornografischen Bilder mit Kindern im Computer gespeichert werden, oder nicht: „Wer die Bilder auf dem Bildschirm hat, kann bestimmen, wie er sie nutzt. Er kann zum Beispiel auch andere Betrachter daran teilhaben lassen.“ (Quelle)  

Update (16.02.): Eine präzisere Angabe, wie das OLG Hamburg argumentiert, wird von juris-nachrichten wiedergegeben. Dort heißt es (Auszug):

"Die dem Besitz eigentümliche Herrschaftsmacht habe der Nutzer bereits dadurch, dass es in seinem Belieben steht, nach Aufruf die Dateien zu speichern, zu kopieren und zu verbreiten. Dass diese Herrschaftsmacht nach Aufruf zum bloßen Betrachten regelmäßig nur kurz ist, ergebe sich aus der dem Medium Internet typischen Schnelligkeit. In Anpassung daran den Besitzbegriff zu modifizieren, überschreite nicht die Grenze des Wortsinns, die der Auslegung des Gesetzes durch das im Grundgesetz verankerte Gebot zur Bestimmtheit eines Straftatbestandes gezogen ist. Mit der 1997 geschaffenen gesetzlichen Gleichstellung von "Datenspeichern" mit Schriften in § 11 Abs. 3 StGB, auf den § 184 b Abs. 4 StGB ausdrücklich verweist, sei dem Bürger hinreichend erkennbar geworden, dass der Besitzbegriff des § 184b Abs. 4 StGB in einer auch unkörperliche , aus dem Internet heruntergeladene Dateien erfassenden Weise zu verstehen ist."

Noch ein Hinweis auf diese Diskussion hier im Blog: Damals (vor einem guten halben Jahr) haben wir schon einmal über das Thema gestritten.


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60 Kommentare

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Mir scheint die Auslegung von Besitz auch von "unkörperlichen Gegenständen" doch etwas eigenwillig. Im Zusammenhang mit der Steuersünder-CD wurde ja gerade erklärt, dass Daten keine Sache sind, somit es auch keinen Diebstahl einer Sache und somit auch keine Hehlerei geben könne. Zwischen Steuersünder-Daten (zudem gebrannt auf eine CD) und Bilderdaten im flüchtigen Speicher des PC scheint mir aber nur ein moralischer Unterschied zu liegen, der eine solch unterschiedliche Auslegung des Besitzbegriffes (und mithin des Sachbegriffes und der Körperlichkeit) nicht rechtfertigt.

Die PNP schreibt hierzu auch etwas ausführlicher:

http://www.pnp.de/nachrichten/dpartikel.php?cid=ticker_headlinesiptc-bdt...

Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin Sprungrevision eingelegt. Jetzt entschied das OLG, dass schon das bewusste und gewollte Abrufen und Betrachten der Kinderporno-Dateien strafbar ist. Der Nutzer habe bereits beim Aufrufen die volle Verfügungsgewalt über die Daten, sagte der Vorsitzende Richter, Gerd Harder. So könne er entscheiden, wie lange er die Bilder anschaut und beispielsweise Ausschnitte vergrößern und heranzoomen.

Harder sprach von einer rechtspraktischen Frage mit großer alltäglicher Bedeutung. Der bisherige Gesetzesparagraf zu Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs 4 StGB) bedürfe einer erweiterten Auslegung. Der für körperliche Gegenstände wie etwa Videokassetten und Zeitschriften dabei entwickelte Besitzbegriff müsse dem Willen des Gesetzgebers auch bei unkörperlichen Gegenständen wie Internetdateien genügen. Die Politik habe die Lücke zwar erkannt, aber die Diskussion einschlafen lassen, sagte der Vorsitzende Richter.

«Es bleibt zu hoffen, dass nun die deutschen Amtsgerichte dieses Grundsatzurteil unverzüglich bei ihrer Rechtsprechung berücksichtigen», erklärte die Deutsche Kinderhilfe am Montag in Berlin.

Sehr geehrte Frau Dr. Ertan,

der Besitzbegriff ist aber nicht unmittelbar gekoppelt an den Sachbegriff, so dass es durchaus ohne Widerspruch möglich erscheint, von einem "Besitz" von Daten zu sprechen, aber trotzdem deren Diebstahltauglichkeit zu verneinen.

Aber Sie haben insofern Recht, als es jeweils erforderlich ist, die Begriffe bezogen auf Daten mit möglichst zutreffenden Analogien zu klären. Bei der Steuer-CD ist man sich ja einig, dass darauf nicht die §§ 242, 259 StGB anwendbar sind, sondern wenn überhaupt eben die "Datenhehlerei" des UWG und das Datenschutzgesetz. Bei der Kinderpornographie war man sich bislang im Schrifttum relativ einig, dass Besitz erst mit dem (dauerhaften) Speichern auf dem PC gegeben sei, und dies müsse bewusst geschehen. Offenbar ist die Rspr. jetzt auf einen anderen Weg eingeschwenkt und bejaht Besitz schon, wenn die Datei auf dem Bildschirm angezeigt wird.

Ein dritter Bereich - bis jetzt soweit ich weiß noch nicht entschieden - ist der Begriff "Vervielfältigen" im Urheberrecht (§ 16 UrhG und § 106 Abs. 1 UrhG). Dort ist umstritten, ob ein Vervielfältigen schon vorliegt, wenn man eine Datei im Streaming-Modus anschaut (etwa das Angebot, neue Kinofilme, die auf ausl. Servern liegen, gestreamt zu betrachten). Überwiegend wird ein "Vervielfältigen" durch die bloße Anzeige auf dem Bildschirm (und dazu erforderlicher Zwischenspeicherung) noch nicht bejaht, aber dies ist sicherlich auch nicht ausgeschlossen.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Aus dem Zitat oben: "Der bisherige Gesetzesparagraf ... bedürfe einer erweiterten Auslegung. Der für körperliche Gegenstände ... entwickelte Besitzbegriff müsse dem Willen des Gesetzgebers auch bei unkörperlichen Gegenständen wie Internetdateien genügen. Die Politik habe die Lücke zwar erkannt, aber die Diskussion einschlafen lassen, sagte der Vorsitzende Richter."

 

Ist das nicht kompletter Blödsinn? Soweit mein Strafrechts-Grundwissen reicht verbietet es der in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Grundsatz "nulla poena sine lege" in Gestalt des Analogieverbots zu Lasten des Angeklagten gerade, aufgetauchte Regelungslücken nach dem Willen des Gesetzgebers selbst durch Analogie zu schließen. Wenn Herr Harder daher also eine vom Gesetzgeber bewusst ("...zwar erkannt...aber einschlafen lassen") gelassene Regelungslücke erkennt, dann muss er sagen "Sorry, aber da hat der Gesetzgeber geschlafen".

Und selbst wenn man die Auslegung als vom Wortlaut gedeckt betrachtet (wofür offenbar die Mindermeinung im Schrifttum plädiert), ist zumindest die Begründung Murks.

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Ausserhalb des Zitierens von Paragraphen:

Jetzt haben wir genau dieselbe Diskussion, wie beim Zensursula-Gesetz. Man erhält einen link untergeschoben, und schon ist man verdächtig. Diese Entscheidung ist m.E. aber noch viel weitergehend, da ableitend quasi jede von der Politik künftig als missliebig eingestufte Seite für den internet-surfer potentiell gefährlich ist. Für mich Zensur reinsten Wassers; d.h., wikileaks ansehen, kann demnächst strafbewehr sein.

 

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Die Argumentation des OLG ist sehr verwirrend.

Sie scheint einerseits aus dem Bewusstsein gewachsen, dass das Bildmaterial auf einem Festspeicher des Beschuldigten abgelegt war, wenn auch unwillentlich. Andererseits macht sie, wie sie hier wiedergegeben wird, durch das Abstellen auf die vermeintliche Verfügungsgewalt des "auf dem Bildschirm Habens" gerade keinen Unterschied zwischen dem Vorhandensein und Nichtvorhandensein auf der Festplatte. Fragwürdig, dass der Tatbestand demnach auch dann erfüllt wäre, wenn das Caching eines Bildes sich auf dem RAM beschränkt, und sogar beim Einsatz echten Videostreamings, bei dem der Betrachter niemals eine auch nur flüchtige Kopie des Materials im Sinne des Werkbegriffes erhält. Wenn ich den Ansatz nicht missverstanden habe, würde damit auch die URL eines kinderpornografischen Inhalts zum Surrogat des kinderpornografischen Inhalts, da ihr Besitz die schwache geforderte "Verfügungsgewalt" über den Inhalt bereits herstellt. Dann würden im Bereich privater Computerforensik Verfahren tatbestandsmäßig, die hier eigentlich Rechtssicherheit bieten sollten. Es wirkt abschreckend bis unmöglich, für jede Maßnahme, die Inhalte identifziert und lokalisiert, nicht jedoch dupliziert, eine "Pflicht" im Sinne des rätselhaften Abs. 5 vorweisen zu müssen.

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@5-Richard: Wäre das dann nicht eine Frage des Vorsatzes? Und für explizit "rechtsreues" Verhalten im Bereich der privaten Computerforensik gilt dann entweder § 184b Abs. 5, oder, wenn das aus irgendwelchen Gründen schief geht meinetwegen der Rechtsgedanke des § 86 Abs. 3 analog für sozialadäquates Verhalten.

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Die "weitreichenden" Konsequenzen sind unter Umständen auch der Verfolgung (bzw wie es jetzt immer heißt, Löschung) des verbotenen Materials abträglich.

Man muss der Bevölkerung jedenfalls ab dem jetzigen Zeitpunkt dringend davon abraten, nicht-anonym gefundene derartige Websites bzw URLs an die Strafverfolgungsbehörden zu melden. Wahrgenommen bedeutet ja wohl hier, sich bereits strafbar gemacht.

Momentan ensteht fast eine Art lose-lose Situation: entweder man meldet, dass man einen potenziell verdächtigen Link gesehen hat (aufgrund der reinen textuellen Beschreibung), womit die Behörden aber wohl kaum sinnvoll arbeiten können (außer man würde jeden Link, der nur verdächtig beschrieben ist, überprüfen), oder aber, der Anzeigende teilt mit, dass das gemeldete Material tatsächlich strafbaren Inhalts ist, womit er sich aber gleichzeitig selbst verdächtig macht.

 

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Das ist postmoderne Hexenjagd.

 

Kindesmissbrauch ist eine schlimme Sache, ob mit oder ohne sexuellem Bezug. Aber bereits das Betrachten von Bildern im Internet strafbar zu erklären ist grotesk. Von den praktischen Problemen mal ganz abgesehen, kann man nicht jedem Betrachter gleich eine Neigung unterstellen. So gibt es z.B. intellektuelle Neugier, die durch die Medienberichte und permanente Wiederholung des Begriffs "Kinderpornographie" regelrecht geschürt wird. Ausserdem kann man in der Tat mit eigentlich unverfänglichen Suchbegriffen schon unabsichtlich in einschlägigen Blogs, Foren oder Gallerien landen.

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Bob schrieb:
Das ist postmoderne Hexenjagd.

Es bleibt daher auch die Frage zu klären, weshalb wir so gerne meinen, unsere ach so demokratische Zeit wäre von solchen Phänomenen frei.

In der Vergangenheit, ja, damals, vor vielen hundert und tausend Jahren, ja, damals war man autoritär, ungerecht, inteolerant. Da hat man Menschen wegen ihrer Überzeugungen und wegen ihres Denkens eingesperrt und umgebracht, ihre Gedanken und Meinungen unterdrückt und zensuriert, und mit Mord, Brand, Totschlag, Inquisition, Folter und Brutalität die Menschenrechte mißachtet.

Einiges ist, vermutlich, stellenweise besser geworden. Aber insgesamt, vermute ich, wird eine (hoffentlich aufgeklärtere) Zukunft über unsere heutige Zeit ähnlich urteilen wie wir das gerne über das angeblich so finstere Mittelalter.

 

 

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Sehr geehrte Diskussionsteilnehmer,

vielen Dank für Ihre Beiträge, auf einige möchte ich kurz eingehen:

@Pascal #3: Wäre es so, wie teilweise in journalistischen Kommentaren jetzt ausgedrückt, das Gericht habe eine "Gesetzeslücke" geschlossen, dann wäre dies tatsächlich eine verbotene Analogie. Es steht dem Gericht nicht zu, den Gesetzgeber zu korrigieren. Spricht  man aber von einer (im Vergleich mit der Lehrmeinung) "erweiterten Auslegung", ist der Vorwurf nicht notwendig berechtigt.  Die Argumentation des OLG Schleswig (im obigen Beitrag zitiert) zumindest - was genau das OLG Hamburg sagt, wissen wir ja noch nicht - besagt ja, dass sie es für "Besitz" halten, wenn der User jedenfalls so lange, wie er es selbst möchte, über die Daten verfügen kann und am Bildschirm anzeigen kann. Ich bin nicht dieser Auffassung, halte diese Auslegung aber für vom "Wortlaut" noch gerade gedeckt.

@GustavMahler #4: Die Auslegung gilt nicht für  jeden "missliebigen" oder "strafbaren Inhalt", sondern derzeit nur für Kinderpornographie, weil das Gesetz nur hier auch den bloßen Besitz und sogar den "Versuch, sich ihn zu verschaffen" bestraft.

@Richard #5: Ich denke, es läuft tatsächlich darauf hinaus, dass das bloße Zwischenspeichern im Bildschirmspeicher oder Puffern im Arbeitsspeicher ausreicht und deshalb auch das Streaming als Besitz erfasst ist. Die bloße URL irgendwo gespeichert zu haben, würde noch nicht als Besitz ausreichen, aber könnte dann für die StA schon ein Indiz dafür sein, dass der Nutzer es "unternommen hat, sich Besitz zu verschaffen". Das ist in der Tat erschreckend weitgehend. Allerdings wird man um eine Vorsatzprüfung nicht herumkommen. Die Staatsanwaltschaften haben auch grds. kein Interesse daran, jeden, der sich einmal "verklickt" hat, zu verfolgen.

Apropos: Das OLG Hamburg macht ja quasi ein Recht des ersten OLG-Urteils in der Sache geltend:

"Die Entscheidung gilt als Grundsatzurteil und ist das bundesweit erste Revisionsurteil zu dieser umstrittenen Rechtsfrage nach dem Besitzbegriff", sagte ein Gerichtssprecher.(Quelle). Es wird aber (mit Nichtwissen) bestritten, dass der Vorsitzende Richter Hegemann heißt.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

zugegeben, mir fällt es schwer, die genaue Argumentation dieser Rechtsprechung überhaupt zu verstehen. Möglicherweise interpretiere ich sie daher falsch, andererseits wirkt sie deshalb recht abwegig auf mich.

Henning Ernst Müller schrieb:
@Richard #5: Ich denke, es läuft tatsächlich darauf hinaus, dass das bloße Zwischenspeichern im Bildschirmspeicher oder Puffern im Arbeitsspeicher ausreicht und deshalb auch das Streaming als Besitz erfasst ist.

Also können wir festhalten, dass intendiert ist, zu einem Besitz des nichtbesitzenden Betrachters zu gelangen, wenn der Betrachter eine "Verfügungsgewalt" über das technisch nichtbesessene Material hat? Das mag ein mit Bauchschmerzen vertretbarer Besitzbegrif für die Dauer der Betrachtung sein. Allein entscheidend ist demnach aber die Willensherrschaft des Betrachters über solche Daten, deren Persistenz durch ein dem Betrachter zugängliches Datennetz gewährleistet wird. Das wirft für mich die Frage auf, wozu in dieser Logik der Betrachter noch betrachten muss. Daraus der Gedanke, schon die Kenntnis der konkreten Erreichbarkeit von verfügbaren Daten oder jedenfalls die Manifestation, z.B. in einem Browserlesezeichen, wären entsprechend ein solcher "Besitz" für die Zeit, in denen die Daten abrufbar sind.

Die Problematik, dabei auf die externe Verfügbarkeit abzustellen, trifft das diskutierte, einen Betrachter betreffende Urteil ebenso, weil ein gewöhnlich konfigurierter Browser die lokal zwischengespeicherten Bestandteile einer Webseite bereits dann nicht mehr anzeigt, wenn die Webseite selbst nicht mehr verfügbar ist. Die selektive Anzeige der lokalen Inhalte oder ihre Extraktion aus dem Cache wären ihrerseits weitere Schritte, vergleichbar einem manuellen Abspeichern zur Zeit der Online-Ereichbarkeit, welche als Verschaffen gewertet werden könnten und die Interpretation desjenigen Anzeigevorgangs, welcher die Cache-Daten erzeugte, überflüssig machen würden.

Mit freundliche Grüßen

Richard

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Habe ich das Urteil richtig verstanden, das wenn ich an harder@olg.justiz.hamburg.de nun nen eine eMail mit Jugendpornographie mit anscheinend Minderjährigen schicke, der Mann sich nach eigenem Urteil bereits strafbar macht?! Und mit ihm ebenso gleich die gesamte technische Adminstration des Mailservers die Zugriff auf das Konto hat. Sie befinden sich ja eindeutig im Besitz, da sie Verfügungsgewalt über diese Daten haben.

Und falls nicht, wo ist dann das Problem des Urteils? Wenn Absicht entscheidend ist, kann man weiterhin problemlos melden was man zufällig findet, und sollte es sogar SOFORT tun um jeglichen Verdacht zuvorzukommen.

 

Irgendwie geht mir in letzter Zeit immer wieder das Wort "Rechtsunsicherheit" im Kopf umher, wenn ich von solchen Urteilen lese.

 

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller!

 

Der springende Punkt dürfte wohl folgende Argumentation sein:

"Alle diese Möglichkeiten stehen ihm offen. Hieraus ergibt sich, dass der Besitz an den Daten einer aufgerufenen Internetseite „flüchtig” nur durch die Willensentscheidung des Betrachters wird"

Durch diesen Kunstgriff umgeht das Gericht die Frage, ob der Beschuldigte Besitz und diesbezüglichen Vorsatz hatte und ersetzt diese Tatbestandsmerkmale durch einen Generalverdacht dahingehend, der Beschuldigte habe den Besitz deshalb, weil er ihn nicht ausgeschlossen habe. Damit wird die strafrechtliche Beweislastverteilung und damit im Ergebnis auch die Unschuldsvermutung konterkariert.

Diese Handhabung beruht offenbar auf der technisch falschen Annahme, der Betrachter habe es in jedem Fall in der Hand, ob die Daten gespeichert werden, wie lange sie gespeichert werden und wie häufig er die (gespeicherten/ungespeicherten) Daten betrachten könne. Bedenklich ist der zu Grunde liegende Ansatz schon alleine deshalb, weil ein Großteil der Anwender keine oder doch so geringe technische Kenntnisse von den erforderlichen Vorgängen haben werden, dass eine diesbezügliche pauschale Annhame willkürlich ist und daher eine diesbezüglichen Handlungsmöglichkeit bis zu deren Beweis a priori ausscheidet.

 

Ebenso neben der Wirklichkeit liegt die Unterstellung einer quasi immer gleichen technischen Umsetzung bei dem Abruf und der Verarbeitung von Webseiten. Es gibt eine unüberschaubare Anzahl an Programmen zum Abruf und zur Anzeige von Webseiten, die ebenso unterschiedliche Konzepte verfolgen. Wie diese Programme die abgerufenen Daten intern verarbeiten ist für den Anwender nicht ersichtlich und selbst wenn dies für den Anwender erfahrbar wäre, so kann eine diesbezügliche Kenntnis nicht pauschal unterstellt werden.

Zu unterstellen, es liege bereits mit jedem Abruf einer Seite eine Perpetuierung des Seiteninhalts auf der Festplatte oder dem Arbeitsspeicher des Anwenders dergestalt vor, dass eine spätere Weiterverarbeitung erlaubt ist, ist unzutreffend. Dies unterstellt nämlich eine bestimmte Funktionsweise des Anzeigeprogramms, die ohne entsprechende Sachverhaltsfestsellungen nicht getroffen werden kann.

Selbst wenn aber der Betrachter die Kenntnisse für ein Abspeichern der Daten hätte, so rechtfertigt dies keinesfalls die Annahme, der Datenersteller habe seine Alleinherrschaft über den Zugang zu den Daten bereits verloren. Wenn die Bilddaten etwa in eine gesriptete Webseite eingebunden wären, so könnte dieses Script selbstverständlich auch den Zugang zu den Bilddaten weiterhin im Sinne des Anbieters steuern und damit dessen alleinige Sachherrschaft begründen. Weiterhin unbeachtet bleiben die Fälle, in denen die zur Anzeige verwendeten Programme eine Kontrolle der Bilddaten überhaupt nicht erlauben. Dies ist etwa der Fall, wenn dem Anwender lediglich beschränkte Nutzungsrechte in dem System eingeräumt sind oder das verwendete Seitenausgabeprogramm nur eingeschränkte Möglichkeiten bietet.

All dies zeigt bereits, dass der pauschale Ansatz der zitierten Entscheidung viel zu weitgehend ist.

 

RA Wiesel
(http://www.ra-wiesel.de)

 

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In der Praxis stellt sich das Problem gar nicht. Wer "nur mal aus Neugier" ein paar kinderpornografische Bilder betrachtet, wird in der Regel nicht erwischt. Doch selbst wenn der Betrachter das Pech hat, in das Visier von Ermittlungen zu geraten, sind die Staatsanwaltschaften bei bis zu 20-30 Bildern in der Regel großzügig und stellen das Verfahren ein, falls keine einschlägigen Vorstrafen vorliegen.

 

Wenn also in dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall eine Anklage erhoben wurde, wird es sich kaum um eine Bagatelle gehandelt haben. Bei mehreren dutzend oder gar hunderten von Bildern auf dem Rechner läßt sich der Schluß auf einen entsprechenden Vorsatz recht leicht ziehen.

 

Trotz gegenteiliger Gerüchte hört man in der Praxis  recht wenig davon, daß man im Internet gleichsam über kinderpornografische Bilder "stolpert" und den Nutzern entsprechende Links "untergeschoben" werden. Selbst wenn das der Fall wäre, werden solche Zufallsnutzungen in der Regel nicht von den Ermittlungsbehörden registriert. Wer mit kinderpornografischen Bildern in der Weise erwischt wird, daß die Fotos in größeren Mengen auf dem Rechner abgespeichert wurden - sei es auch nur automatisch im Browser-Cache - dürfte auch gezielt danach gesucht haben.

 

Ferner wird man unterstellen dürfen, daß Freunde der Kinderpornografie zwischenzeitlich um das Verbotensein ihres Hobbys wissen und sich auch über die Rechtslage informieren. Wer seinen Browser dann gleichwohl  so eingestellt läßt, daß er die Bilder automatisch auf der Festplatte speichert, ist selbst schuld.

 

Das Zwischenspeichern der Bilder allein im Arbeitsspeicher des Computers dürfte hingegen überhaupt nicht nachweisbar sein.

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Sehr geehrte Kommentatoren,

erneut bedanke ich mich für Ihre weiterführenden Beiträge, die viel Nachdenkenswertes enthalten.

@Herr RA Höfinger:
Zu I. Ich hatte mit dem Vervielfältigungsbegriff aus dem Urheberrecht eine Problematik angesprochen, die ebenfalls -aber auf andere Weise - noch einer Klärung bedarf. Sie schreiben, dies sei urheberrechtlich inzwischen unstreitig - das stimmt für § 16 UrhG, nicht aber für § 106 UrhG, also die Starfbarkeit des Vervielfältigens bei bloßem "Streaming". Mir ist bisher kein Urteil bekannt, in dem jemand für Streaming (also das bloße "Konsumieren" eines illegalen Film- oder Musikangebots im Internet), aus § 106 UrhG tatsächlich bestraft wurde, vielleicht können Sie mir ja eines nennen.  Allg. wird da durchaus ein ähnliches Problem gesehen wie bei § 184b Abs.4 StGB, dass nämlich dem User regelmäßig unbekannt ist (bzw. das Gegenteil ihm nicht nachweisbar), dass beim Streaming Datenkopien auf seinem Rechner zwischengespeichert und damit vervielfältigt werden. Es besteht also ein Vorsatzproblem.

Zu II. Ich sehe das genauso wie Sie: aus dem Besitzbegriff des BtMG (in der herrschenden Auslegung) ergibt sich, dass der zum bloßen Konsum erforderliche Durchgangsbesitz nicht ausreicht, und das sollte auch bei § 184b nicht genügen (allerdings würde ich eben diesen Gedanken auch auf das Streamen und § 106 UrhG übertragen). Jedoch orientiert sich das OLG Schleswig (NStZ-RR 2007, 41) ausdrücklich am Besitzbegriff des § 29 Abs.1 Nr.3 BtMG und meint aus der Rspr. entnehmen zu können, dass auch der flüchtige Besitz ("am Bildschirm") für die Strafbarkeit genügt. Entscheidend ist aber wohl, dass es doch gewisse Unterschiede gibt zwischen Daten und Betäubungsmitteln. Betäubungsmittel lassen sich nicht beliebig kopieren und vermehren und ihr Konsum bedarf keiner technischen Hilfsmittel, die die Speicherung einer Kopie bewirken. Alle Analogien haben hier also Haken, weshalb ich auch Ihrem Vorschlag, der Gesetzgeber müsse präzisieren, was gewollt ist, nur zustimmen kann. 

Zu III. Das Zitat des Richters, indem er gesagt haben soll, eine "Gesetzeslücke" zu schließen, ist mir bisher im Original nicht bekannt. Hat er lediglich von einer "Lücke" gesprochen, dann meinte er vielleicht eine "Strafbarkeitslücke". Die Vermeidung solcher (angeblicher) Lücken ist im wissenschaftlichen Diskurs (und leider dann auch in Klausuren) relativ häufig als Standardargument anzutreffen, nach dem Motto: Folgt man  Ansicht A, ergeben sich Strafbarkeitslücken, daher ist Ansicht B zu folgen. Auch wenn ich diesem Argumentationstopos regelmäßig nicht zustimme, so ist darin allein noch keine verbotene Analogie zu sehen.

Zu IV. D´accord im Hinblick auf § 184b Abs.4 S.1 StGB. In S.2 ist aber nicht mehr vom "Verschaffen" die Rede, danach genügt der Besitz des Datenspeichers, auf dem entspr. Daten gespeichert sind. Die genannten OLG meinen, eine temporäre Specherung genüge dafür.

@Anwaltskanzlei Wiesel: Vorab: Das Zitat stammt aus der Entscheidung OLG Schleswig, nicht aus der hier besprochenen, die ja noch nicht veröffentlicht ist. In beiden Fällen soll wohl der Besitz objektiv darin liegen, dass die Dateien bei der Anzeige zumindest im Arbeitsspeicher gespeichert sind. Sie haben Recht: Der "Kunstgriff" liegt nun darin, dass das Gericht den Vorsatz gar nicht mehr auf diesen Besitztatbestand bezieht und damit auf den techn. Sachverstand des Nutzers abheben müsste, sondern es ausreichen lässt, dass der Nutzer bewusst die Datei auf seinem Bildschirm anzeigt.

@Georg: Natürlich wird die Staatsanwaltschaft nicht jeden Nutzer verfolgen können (und wollen), der nur mal zufällig auf ein paar URL geklickt hat. Jedoch liegen Sie falsch, wenn Sie annehmen, es habe sich um eine große Anzahl von Dateien gehandelt. Im Fall OLG Hamburg ging es um 16 (nach anderen Berichten um 19) Fotos und einen (!) Videofilm. Dies ist eine vergleichsweise sehr geringe Anzahl.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Hier wurde jemand wegen 16 Bilddateien aus dem Internet gehenkt.

 

Die Abgründe des Denkens sind nunmal tief, manch ein Rennsport-Manager lässt sich gerne in Uniform auspeitschen, andere schreiben Drehbücher zu Filmen wie "Saw". Und zu allem erdenklichen gibt es Bilder im Internet, die täglich millionenfach angesehen werden und zum Betrachter zurückverfolgt werden können.

 

Und die Neugier der Menschen ist nunmal gross, man guckt sich Rettungsarbeiten auf der Autobahn an oder tödliche Unfälle auf Youtube. Wer diesen "Faszinationen" erliegt, dem kann man aber noch nicht abartige Neigungen unterstellen, geschweige denn ihn öffentlich dafür bestrafen.

 

Die Katastrophe ist, dass das Wort "Kinderpornographie" durch alle Nachrichten und Sender läuft und man damit (ungewollt) Neugier und Faszinationen überhaupt erst weckt.

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Erst mal: Ich denke, die KiPo Keule ist übelste Rabulistik um die eigentlichen Absichten zu verstecken.

Daher halte ich mich mal an's technische.

Wie will man denn den Vorsatz nachweisen?

Javascript, ein Proxy, ein eigener Crawler oder Suchmaschine -

Es reicht ein Browser (also ein *Automat*) der schon mal ein paar Links vorab (in den Cache) holt um einen *eventuell* später erfolgenden Klick schnneller darstellen kann.

Btw. Ob der Cache (und welche Teile davon) auf Platte liegt oder im Hauptspeicher entscheidet der Browser.

Das OLG Hamburg ist immer für eine Überraschung gut.

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Aloah, öhm frage

:" Was passiert, wenn sich z.B. ein Popup auftuen würde? "Nur mal theoretisch, wenn hier auf der Seite aufeinmal Popups aufgehen in denen KiPos sind ( Videos/Bilder etc.)

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Das OLG Hamburg hat auch schon einmal in einem Berufungsverfahren nachträglich den Streitwert einer Abmahnungsklage auf unter € 600,00 herabgesetzt und die Berufung dann als unzulässig abgewiesen (Az.: 7 U 59/01).

 

Es ist müssig, sich hier mit dogmatischen Begründungen auseinanderzusetzen, in Hamburg hat die Justiz einen bizarren Sinn für Pragmatismus. Nun ist eben schon das Betrachten von bestimmten Bildern am Computer strafbar. 

 

Millionen verdächtiger Verbindungsdaten dürften bei den Internetanbietern gespeichert und zu verfolgen sein...

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Auf der "letzten" Systems Computermesse 2008 in München habe ich einem interessanten Vortrag zugehört.

Während der Referent seinen Vortrag hilt, lief auf seinem Rechner ein Programm ab, das der Beamer an die Leinwand geworfen hat.

Das Programm hat zunächst Outlook geöffnet, als Absender den Namen des Referenten eingetragen, als Empfänger Geschäftsleitung@firma.de (ein Verteiler) Das Programm hat darauf eine Erpressung bzgl. der Geschäftszahlen verfasst mit der Drohung "Fakten" an Interessierte Zeitungen zu verteilen, die den Aktienkurs mehr als in den Keller treiben könnten. Nachdem das Programm die Email fertiggestellt hatte, wurde die Email automatisch verschickt und im Ausgangskorb gelöscht, dann Outlook geschlossen.

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Muss ich erwähnen, dass gerade unter Windows ein derartiger Angriff auf die Persönlichkeit eines Menschen realistisch ist? Doch wie wehrt man sich dagegen, etwa mit preventiven eidesstattlichen Erklärungen so etwas nie zu tun?

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Jetzt stellen wir uns mal vor, der Anwender hat wie im Google Fall ein PDF oder Video zugeschickt bekommen, dass eine Backdoor installiert hat. Das wird ausgenutzt um auf einschlägigen KiPo Seiten "remote" zu surfen, Bilder abzuspeichern um die Malware anschliessend zu löschen, nicht ohne zuvor ein paar der Bilder per Email (s.o.) zu versenden.

Siehe auch: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31995/1.html

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Ich würde es wirklich sehr begrüßen wenn die Legislative derartige Verunglimpfungen (Existenzvernichtungen) nicht ganz aus den Augen verlieren würde. Ein Unschuldiger muss immer die Möglichkeit haben, straflos und ohne Ehrverlust aus der Sache herauszukommen.

Trelane

 

 

 

 

 

 

 

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Ich sehe hier insbesondere ein Problem darin, dass das Gericht die technischen Fakten nicht kennt. #16 (javascript) hat das ja bereits wunderbar erläutert. Durch diesen Automatismus, welcher nunmal gang und gäbe ist, bzw. auch ein wesentliches Element des Internets darstellt, gerät man in Gefahr, für etwas verurteilt zu werden, dass ausserhalb der eigenen Entscheidungsgewalt liegt.

Vielleicht mag das Beispiel etwas vereinfacht klingen aber spinnen wir den Faden weiter:
Gehen wir davon aus, dass einer der beteiligten Richter durch den oben geschilderten Umstand (prefetching) selbst in den Verdacht des Konsums von Kinderpornografie kommt. Würde dies zu einem Umdenken führen?

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Hier finden sich einige sehr anschauliche Beispiele, weshalb alleine das Abrufen von Daten aus dem Internet nichts, rein gar nichts darüber aussagt, ob dies durch den Benutzer gewollt ist oder auch nicht. Und dafür bedarf es auch keiner ominösen Vireninfektionen oder dergleichen:
http://www.style-xp.com/www/xp/de/agentur/blog/technische-gruende-gegen-...

Vielen Dank an Herrn Weidhase, der sich hier die Mühe gemacht hat.

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Sehr geehrte Mitdiskutanten (ab #17),

Ihre Einwände halte ich für durchaus relevant, insbesondere wenn man den von Tribble (#21) verlinkten Blogeintrag studiert: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, harmlose Nutzer ohne dass sie es überhaupt bemerken, etwa kinderpornographische Seiten aufrufen zu lassen (und dabei möglicherweise auch noch ihre IP zu hinterlassen).  Dies sind natürlich auch Möglichkeiten für Beschuldigte und ihre Strafverteidiger, die einen Vorsatz abstreiten. D.h. zukünftig müsste die Polizei/Staatsanwaltschaft sich auch noch die Mühe machen nachzuweisen, dass die Links dem beschuldigten Nutzer nicht nur "untergejubelt" wurden. Dies ändert aber nichts daran, dass die Interpretation des Besitzes nach OLG Hamburg zunächst bisherige Verteidigungsmöglichkeiten ("Habe zwar angeschaut, aber nicht bewusst gespeichert") verschließt.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Ich kann mir kaum vorstellen, daß wegen weniger als 20 Fotos Anklage erhoben bzw. ein Strafbefehl beantragt worden ist, wenn nicht einschlägige Vorstrafen vorlagen. Ich habe jedenfalls als Verteidiger noch nie erlebt, daß ein nicht einschlägig Vorbestrafter wegen einer solch geringen Anzahl von Dateien angeklagt worden ist; es sei denn, der Beschuldigte zeigte sich völlig uneinsichtig und hat gleichsam auf einer gerichtlichen Klärung "bestanden". Und falls der Angeklagte einschlägig vorbestraft sein sollte, haben die Gerichte naturgemäß weniger Probleme damit, den Tatbestand in objektiver und subjektiver Sicht zu bejahen.

Das schon das Laden der Dateien in den Arbeitsspeicher einen Besitz begründen könnte, ist übrigens kein ganz neuer Gedanke (vgl. schon BGHSt 47, 55 [59]) und der dargestellte Meinungsstreit in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 184b Rn. 15). Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Meinung an Boden gewinnt. Angesichts des offenbar großen Angebots an Kinderpornografie im Internet ist kein Freund dieser Darstellungen mehr darauf angewiesen, die Bilder auch auf der Festplatte abzuspeichern, um sie jederzeit verfügbar zu haben.

Wenn man das Laden in den Arbeitsspeicher und das reine Betrachten der Bilder auf dem Bildschirm aber nicht unter "Besitz" subsumiert, wäre das für clevere Freunde der Kinderpornografie gleichsam ein Freifahrtschein. Möglicherweise erfolgte die Entscheidung des OLG Hamburg im konkreten Fall vor dem Hintergrund, daß sich ein einschlägig Vorbestrafter auf die Verteidigungslinie "Nichtbesitz wegen bloßen Betrachtens" verlegt hatte.

Theoretisch könnte man ja eine Seite mit tausenden kinderpornografischer Bilder tage-, wochen- oder monatelang geöffnet lassen, sich jederzeit daran "erfreuen" und sich immer darauf berufen, mangels Speicherung auf der Festplatte läge kein Besitz vor. Das wäre ein etwas merkwürdiges Ergebnis.

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@Georg (#23): Sie schreiben "Theoretisch könnte man ja eine Seite mit tausenden kinderpornografischer Bilder tage-, wochen- oder monatelang geöffnet lassen, sich jederzeit daran "erfreuen" und sich immer darauf berufen, mangels Speicherung auf der Festplatte läge kein Besitz vor. Das wäre ein etwas merkwürdiges Ergebnis."

Ja, das wäre ein merkwürdiges Ergebnis, aber nur dann, wenn der Tatbestand (§ 184b Abs.4 S.2 StGB) nicht den "Besitz von Schriften" , sondern den Konsum, das Anschauen selbst eindeutig erfasste. Da wir es aber mit dem Wortlaut  "wer die in Satz 1 bezeichneten Schriften (= Datenspeicher- § 11 Abs.3 StGB) besitzt" zu tun haben, müssen wir definieren, was Besitz bedeutet. Bei solchen Abgrenzungsfragen liegt es in der Natur der Sache, dass man je nach Definition einige Sachverhalte ("merkwürdigerweise") ausschließt oder andere (ebenfalls "merkwürdigerweise" einschließt).  Ob Besitz eben schon im Anschauen am Bildschirm liegt, was im Falle elektronischer Daten aus dem Internet  eben nur über den Umweg einer wenigstens temporären Speicherung geht, ist dann die entscheidende Frage. Die h.L. ist bisher (m. E. zutreffend) der Auffassung, dass eine sinnvolle Begrenzung der einzubeziehenden Sachverhalte darin liegt, eine bewusste langfristige Speicherung auf der Festplatte vorauszusetzen. Dies erfasst nahezu alle einschlägigen Fälle, die im Fokus des Gesetzgebers liegen, und vermeidet eine Verfolgungs-Hypertrophie, die durch die Rspr. der OLGe Schleswig und Hamburg ausgelöst wird.

@Name: "Mord, Brand, Totschlag, Inquisition, Folter und Brutalität" liegt (noch) nicht in der Strafgewalt des AG, vgl. § 24 GVG  ;)

@Richard: Die Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht, aber wie mir scheint (und das OLG Schleswig hat so argumentiert, siehe mein Zitat im Ausgangsbeitrag), soll Besitz schon bejaht werden, solange das Bild am Bildschirm angezeigt wird/werden kann. Denn solange habe der Nutzer die Verfügungsmacht und könne es zoomen, anderen zeigen, abspeichern etc. Die Flüchtigkeit dieses Besitzes sei unerheblich. Insofern sollen die techn. Einzelheiten eben keine Rolle mehr spielen. Ein Datenspeicher ist deshalb im Besitz des Nutzers (Inhabers des PC), weil die Datei lokal jedenfalls temporär gespeichert ist. Zum dann auftretenden Vorsatzproblem (Wechsel des Vorsatzobjekts) habe ich ja in meinem Ausgangsbeitrag bereits Stellung genommen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

@Georg
"Theoretisch könnte man ja eine Seite mit tausenden kinderpornografischer Bilder tage-, wochen- oder monatelang geöffnet lassen, sich jederzeit daran 'erfreuen' und sich immer darauf berufen, mangels Speicherung auf der Festplatte läge kein Besitz vor. Das wäre ein etwas merkwürdiges Ergebnis."

Ein wenigstens genauso merkwürdiges Ergebnis wäre es für mich, wenn die Verurteilung sich lediglich auf den Datenabruf stützte.

Aus meiner Sicht liegt das - weniger juristische als vielmehr technische - Problem darin, daß es denkbar schwierig bzw. gar unmöglich ist, mit einem Browser nur erwünschte Daten abzurufen. Siehe hierzu meinen obigen Verweis. Je nach verwendeter Methode des "untergeschobenen" Datenabrufs hinterließe dieser auch Spuren auf der Festplatte des Betroffenen, die einer forensischen Untersuchung zur Verfügung stehen. Man sollte hierbei auch den Zeitraum zwischen dem vermeintlichen Datenabruf und der Kenntnis über die Beschuldigung bedenken, die einen "Unschuldsbeweis" noch viel unwahrscheinlicher machen.

Wenn als Beweis lediglich ein - wo auch immer - geloggte Datenabruf zur Verfügung steht, dann ließe sich dieser mit obigem plausibel erklären. Und im Sinne der Unschuldsvermutung müßten dies m.E. aber bereits Staatsanwaltschaft oder Richter von sich heraus erwägen.

5

Was mich verwirrt ist, dass es in diesem Fall wohl um Dateien aus dem Browser Cache (also unwissentlich aber nicht flüchtig auf der Festplatte gespeicherte) ging.

In solchen Fällen wurde ja schon öfters von Besitzt gesprochen.

In der Begründung beruft man sich dann aber auf das flüchtige speichern im RAM oder auf dem Bildschirm in der Hoffnung daraus eine Art Präzedenzfall zu machen. Das hat doch gar nicht mit dem vorliegenden Fall zu tun und ein Gericht kann doch nicht eigeninitiativ legislativ tätig werden oder sehe ich das falsch?

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@Prof. Müller (#14): Die Kommentarliteratur geht davon aus, dass "wer [...] vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt" zivilrechtsakzessorisch ist. Eine Normspaltung bei § 106 StGB ist natürlich denkbar. Rechtsprechung gibt es soweit mir bekannt zu flüchtigen Vervielfältigungen nicht, auch keine zivilrechtliche.

Ob § 44a Nr. 2 UrhG dem Betrachter eines rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachten Streams hilft, ist fraglich. Die technisch bedingten flüchtigen Vervielfältigungen müssten dafür eine "rechtmäßige Nutzung" ermöglichen. Rechtmäßig soll nach Erwägungsgrund 33 der Richtlinine 2001/29/EG eine Nutzung sein, "soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetze beschränkt ist". Vom Rechtsinhaber zugelassen (englisch: "authorised") ist das Betrachten eines rechtswidrigen Streamingangebots nicht. Allerdings fällt der bloße Werkgenuss nicht unter ein Verwertungsrecht, sodass er auch nicht "durch Gesetze beschränkt ist" (es geht ja wohlgemerkt um die Handlung des Endnutzers, nicht um das Einstellen ins Netz, was wegen § 19a UrhG unzweifelhaft rechtswidrig ist). Auf die bei der Nutzung entstehenden (wegen § 16 UrhG zustimmungsbedürftigen) Vervielfältigungen abzustellen, wäre zirkulär, denn die ermöglichen ja die Nutzung, nach deren Rechtmäßigkeit gefragt wird. Die Lösung, das Betrachten immer unter § 44a Nr. 2 zu subsumieren, ist aber auch nicht überzeugend, denn dann wäre die Einschränkung völlig funktionslos. Die Privatkopieschranke § 53 Abs. 1 UrhG greift (nur) bei "offensichtlich" rechtswidrigen Quellen nicht, bei § 44a Nr. 2 UrhG gibt es nur rechtmäßig oder nicht rechtmäßig.

Wenn man annimmt, dass der Täter weiß, dass eine Kopie im Arbeitsspeicher entsteht, also Vorsatz hinsichtlich des Vervielfältigens hat, lässt die Klausel "in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten" zwar Raum für einen Erlaubnistatbestandsirrtum. Aber wer sich einlässt, er habe geglaubt, es gebe eine Urheberrechtsschranke für das Betrachten rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachter Online-Inhalte, wird damit kaum Erfolg haben. Wenn er § 44a Nr. 2 UrhG kennt, dann ist kaum anzunehmen, dass er bei der "rechtmäßigen Nutzung" nicht ins Grübeln gekommen ist, also zumindest den bedingten Vorsatz hatte, dass die Schrankenbestimmung nicht eingreift.

Zu § 184b Abs. 4 StGB: Die Paradoxie, die ich meine, schließt natürlich Besitz an Schriften (hier: Arbeitsspeicher) im Sinne der extensiven Auslegung nicht zwingend aus. Sie zeigt aber m.E. doch, dass hier wertungsmäßig etwas nicht stimmt. Strafwürdig ist ja primär das Unternehmen des Verschaffens, also die Nachfrage, die das Angebot an Kinderpornographie induziert. Der Besitz ist, wie auch die Struktur des Gesetzes deutlich macht, nur abgeleitet davon (sowie im Hinblick auf die mögliche Weiterverbreitung) strafwürdig -- oder eben eine fragwürdige Verdachtsstrafe für ein nicht konkret nachweisbares Verschaffen.

Wenn jemand eine WWW-Seite im Browser über längere Zeit geöffnet lässt (und sich damit die Möglichkeit eröffnet, die angezeigten Daten dauerhaft abzuspeichern oder auszudrucken), dann lässt sich Besitz m.E. wegen der stabilisierten Dispositionsmöglichkeit bejahen, und es spricht auch viel dafür, dass die Kopie im Arbeitsspeicher nicht mehr "flüchtig" ist. Bei Kopien im Cache, die bis zum Ende einer Browser-Sitzung im Arbeitsspeicher bleiben oder gar auf der Festplatte gespeichert werden, hätte ich -- Vorsatz vorausgesetzt -- noch weniger Bedenken, von Besitz zu sprechen.

Ich bin gespannt zu erfahren, ob im Fall des HansOLG dem Täter tatsächlich nur der kurzfristige reine "Besitz am Arbeitsspeicher" vorgeworfen wurde. Dann drängt sich die Frage auf, auf welchem Wege er dann überführt wurde (hat ihm jemand über die Schulter geschaut oder wurden seine IP-Adresse und die aufgerufenen WWW-Inhalte protokolliert? wenn ja, von wem?) und mit welcher Begründung der Vorsatz bejaht wurde (wie war dem Täter nachzuweisen, dass er um die technischen Abläufe beim Browsing wusste?).

 

Frank Michael Höfinger schrieb:

Wenn jemand eine WWW-Seite im Browser über längere Zeit geöffnet lässt (und sich damit die Möglichkeit eröffnet, die angezeigten Daten dauerhaft abzuspeichern oder auszudrucken), dann lässt sich Besitz m.E. wegen der stabilisierten Dispositionsmöglichkeit bejahen, und es spricht auch viel dafür, dass die Kopie im Arbeitsspeicher nicht mehr "flüchtig" ist. Bei Kopien im Cache, die bis zum Ende einer Browser-Sitzung im Arbeitsspeicher bleiben oder gar auf der Festplatte gespeichert werden, hätte ich -- Vorsatz vorausgesetzt -- noch weniger Bedenken, von Besitz zu sprechen.

Herr Höfinger, warten Sie nur auf den nächsten Stromausfall. Dann werden Sie sehen, wie sich die Kopie im Arbeitsspeicher (also im RAM, nicht im Festplatten-Cache) schnell verflüchtigt hat und somit auch flüchtig ist ;-)

Aber jetzt ernsthaft:

Das ergibt ja ganz interessante Fallkonstellationen. So treffen sich ja Jugendliche gelegentlich zum gemeinsamen DVD-Anschauen. Einer dieser Jugendlichen hat nun eine Porno-DVD mit auf kindlich getrimmten Darstellern, besitzt also eine verbotene DVD.

Aber was ist mit den anderen Konsumenten, die - vielleicht sogar zunächst nichtsahnend - diesen Film nur betrachten?

Wenn es in der Wohnung des Übeltäters geschieht, so dürfte das Konsumieren nach obigem Urteil weiterhin folgenlos sein. Wenn der Übeltäter aber die DVD zu seinem Freund mitbringt, so kann es schon gefährlicher werden:

1) Der Übeltäter legt die DVD in einen DVD-Player ein. Die Daten kommen zum Bildschirm. Eine richtige Kopiermöglichkeit besteht nicht (allerdings könnte der Fernseher natürlich auch eine Festplatte besitzen, auf die man die Daten theoretisch speichern könnte.

2) Der Übeltäter legt die DVD in einen DVD-Recorder zum Abspielen ein. Hier besteht für den Besitzer (des DVD-Festplatten-Recorders) eine Kopiermöglichkeit. Die DVD muss sofort raus, auch wenn sie nur betrachtet wird und nicht kopiert.

3) Der Übeltäter legt die DVD gar in den PC des nichtsahnenden Freundes ein. Die Daten strömen in den Arbeitsspeicher, wie bei einer Website auch (technisch kein Unterschied). Der PC-Besitzer hätte jetzt auch die Möglichkeit, die Bilder jetzt auf seinem PC abzuspeichern oder die DVD zu kopieren. Er tut es aber nicht. Trotzdem macht er sich jetzt eindeutig strafbar, wenn er nicht sofort die DVD aus seinem PC entfernt, sobald er das verbotene Video-Material erkennt.

4) Im übrigen könnte man natürlich auch jedes derartige Foto (auf herkömmlichem Material), welches ein Freund zeigt, auch mit dem Fotohandy abfotografieren (duplizieren). Man tut es nur nicht (und man versucht es nicht mal, man lässt das Fotohandy in der Tasche). Dennoch hätte man nach der obigen Argumentation des OLG theoretisch die Möglichkeit dazu. Es braucht also gar kein Internet und keinen PC. Die theoretische Möglichkeit des Duplizierens besteht immer.

Kurzum: Das Gesetz muss jetzt umformuliert werden. Nicht nur das "Sich Verschaffen" oder "Besitzen" ist strafbar, sondern jegliches längere Betrachten (was dann vorsätzlich geschieht). Ansonsten entstehen die wildesten Fallkonstellationen, und das Gesetz wird völlig unbestimmt.

 

 

Frank Michael Höfinger schrieb:

Wenn man annimmt, dass der Täter weiß, dass eine Kopie im Arbeitsspeicher entsteht, also Vorsatz hinsichtlich des Vervielfältigens hat,

Um das Vervielfältigen geht es aber nicht.
Zumal beim Aufbau einer Webseite auch noch fraglich ist,
wer hier die Vervielfältigung überhaupt vornimmt. Denn die
Daten werden ja vom Server verschickt, der genau hierzu vom
Anbieter bereitgestellt wird.  Ihr Rückgriff aufs Urheberrecht
ist für die Frage des Besitzes und den hierauf gerichteten
Vorsatz nicht hilfreich.Der Betrachter weiss vor Abruf der
Seite außerdem überhaupt nicht, wie der Inhalt aussieht
und welche Bescchränkungen der Urheber dem Inhalt durch
eingebaute Scripte mitgibt.

Frank Michael Höfinger schrieb:

Wenn jemand eine WWW-Seite im Browser über längere Zeit geöffnet lässt (und sich damit die Möglichkeit eröffnet, die angezeigten Daten dauerhaft abzuspeichern oder auszudrucken),

Diese Annahme ist technisch gesehen grundfalsch.
Dass und wie lange eine WWW-Seite im Browserfenster geöffnet bleibt,
bstimmt nicht, ob der Anwender die Möglichkeit hat, die angezeigten Daten
dauerhaft abzuspeichern oder auszudrucken. Ob diese Möglichkeiten
bestehen, hängt von ganz anderen Faktoren ab: Nämlich in erster Linie
von der zur Anzeige verwendeten Software, den Zugangsrechten des Anwenders
in seinem System.der Ausstattung der verwendeten Hardware und der Ausgestaltung der
Webseite durch den Anbieter. Schon die Verwendung einfacher Scripte
schliesst für den Großteil aller Nutzer jegliche Speicher- oder Ausdruckmöglichkeit
mit Leichtigkeit aus.

Die Probleme des Prefetchings mittels gescripteter Seiten und die daraus
folgende Unzurechenbarkeit wurde hier schon von anderen Autoren dargestellt.

All dies zeigt, dass der pauschale Ansatz über die angebliche
"Möglichkeit etwas zu tun" den Besitz und einen hierauf gerichteten
Vorsatz zu konstruieren, keine Trennschärfe besitzt und in seiner
hieraus folgenden Uferlosigkeit viel zu weit geht.

RA Wiesel

(http://www.ra-wiesel.de)

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Ich bin Laie, aber auch für Laien sollten die Gesetze ja grob im Wesentlichen verständlich sein - damit ich mich überhaupt dran halten kann. Dieses Urteil kann ich nicht ernst nehmen und gehe davon aus, dass dies in der Rechtsprechung keinen Bestand haben wird.

Die Rechtsprechung kann Begriffe des Gesetzestextes (die sie selbst nicht explizit definiert), nicht völlig vorbei am allgemeinen Sprachgebrauch auslegen.

Wenn ich mir beispielsweise die öffentlich verfügbare Definition von Besitz ansehe:

(Zitat Wikipedia)" Im Bürgerlichen Gesetzbuch bezeichnet der Begriff Besitz die tatsächliche Gewalt einer Person über eine Sache (Recht) (§ 854 Abs. 1 BGB) unabhängig von der rechtlichen Beziehung zu dieser Sache. Maßgebend für die Frage, ob jemand eine Sache in Besitz hat, ist also nicht, ob diese Sache seinem Eigentum zuzurechnen ist, sondern ob er die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt. Erforderlich hierzu ist neben einem räumlichen Herrschaftsverhältnis über die Sache auch ein Besitzwille."

soll heißen?: Besitz soll tatsächliche Gewalt + Besitzwille sein,

was als Definition leider unbrauchbar ist, weil Besitz nicht durch Besitzwillen definiert werden kann. Bleibt für mich die tatsächliche Gewalt, auf die das Urteil des OLG Hamburg sich ja auch (wie es lese) stützt.

Beispiele: Ich nehme mir in einer Buchhandlung eine Buch mit kinderpornografischer Schrift aus dem Regal, setze mich auf eine Bank und lese darin. Bisher gehe ich davon aus, dass der Besitz auch hier bei der Buchhandlung bleibt, da ich das Buch zwar nutze, die tatsächliche Gewalt aber bei der Buchhandlung bleibt. Erst wenn ich das Buch aus der Buchhandlung entferne oder es käuflich erwerbe kann ich tatsächliche Gewalt ausüben.

Nach OLG Hamburg habe ich jetzt also schon Besitz, wenn ich das Buch lese. Auch wenn ich es nur kurzzeitig nutzen will, es befände sich dann kurzzeitig in meinem Besitz.

Ich habe gehört, dass jemand ein kinderpornografisches Bild an einen Laternenpfal in der Nachbarstrasse angebracht hat, ich gehe bewusst und willentlich dahin um  mir das anzuschauen. In bin in räumlicher Nähe und habe tatsächliche Gewalt über das Bild könnte es mitnehmen, aber auch dort belassen um es mir jeden Tag wieder anzusehen. Das müsste jetzt nach dem OLG Hamburg Besitz an dem Bild sein.

Den Willen des OLG Hamburg mag man ja verstehen können, aber alleine die technische Ausgestaltung von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen (Computer, Browser usw) losgelöst vom Anwender zu betrachten wirkt für mich sehr unsinnig.

Aus dem aktiven Speichern auf einem Datenträger Bezitzwillen (Willen zur Ausübung tatsächlicher Gewalt / Herrschaft ? ) abzuleiten ist gut verständlich, aber das Betrachten unter Beteiligung des Arbeitsspeichersund Bildschirms als Besitz auszulegen kann ich dann nur noch als geistige Verwirrung beurteilen.

Darüberhinaus bleibt dann für mich die Frage, inwieweit der Willen des Gesetzgeber hier von der Rechtsprechung ignoriert wird, wenn im dieser das Betrachten und Nutzen kinderpornografischer Schriften und Bilder nicht ausdrücklich unter Strafe stellt, das OLG faktisch aber diesen Vorgang mit einem solch abenteuerlichen Vehikel  im Medium "Internet" unter Strafe stellen will.

Ein bewusstes absichtliches und willentliches Betrachten von Kinderpornogarfie ist nicht strafbar soweit ich das Gesetz richtig lesen kann.

Und dies finde ich auch gut und ich hoffe es bleibt so. (Ich finde Kinderpornografie sehr schlimm und wünsche mir, dass die Gesellschaft dagegen arbeitet, aber bitte mit vernünftigen Mitteln und nicht mit Methoden des Mittelalters)

Mein Bekannte ist Grundschullehrerin. Sie sagt: Wenn Kinderpornografie in den Medien als grosses Problem dargestellt wird (so von alleine kommt man da ja vielleicht gar nicht  drauf) sieht sie sich eigentlich "beruflich" verpflichtet, sich in dem Thema kundig zu machen. Hier könne sich sich sehr gut vorstellen, im Rahmen einer objektiven Meinungsbildung auch aktiv und bewusst Zugang zu solchen Bildern zu suchen, wenn sie frei zugänglich sind.

Mein Fazit: weder logisch, noch sinnvoll das Urteil. Und echte Hilfe im Kampf gegen Kipo mit grosser Sicherheit auch nicht.

 

 

 

 

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Sehr geehrte Kommentatoren,

Ihren Ausführungen kann ich großteils zustimmen. Um die sowohl bei Herrn david (#29) als auch bei RA Höfinger (#30) aufkommende Frage zu klären, ob denn im Fall des OLG Hamburg tatsächlich nur eine flüchtige Speicherung vorgelegen habe: natürlich nicht. Wie sich aus der Berichterstattung entnehmen lässt, waren die Daten durchaus auf der Festplatte (wohl im Browser cache) vorhanden. Es fehlte nur am Nachweis des Vorsatzes. Offenbar hatte der Beschuldigte die (nachvollziehbare) Verteidigungsstrategie verfolgt, er habe sich zwar diese Bilder angeschaut, aber nicht bewusst abgespeichert, man könne ihm deshalb keinen vorsätzlichen Besitz vorwerfen. Um diese Veteidigungsstrategie (auch für künftige Fälle) "abzuschneiden", kam das OLG Hamburg auf die Idee (bzw. "übernahm" die Idee des OLG Schleswig), schon die flüchtige Speicherung ausreichen zu lassen und diese zum Bezugspunkt des Vorsatzes zu machen. Dieser sei gegeben, wenn der Betrachter bewusst Bilder auf seinem Bildschirm anzeige (wie mehrfach gesagt, ist dies derzeit eine Vermutung, denn die schriftl. Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht).

Es geht also nicht um die  Frage, ob sich ein solcher "flüchtiger Besitz" überhaupt nachweisen lässt. Anhaltspunkt wird in der Praxis nach wie vor sein, dass man etwa auf der beschlagnahmten Festplatte solche Bilder findet. Aber die Verteidigung: "Das habe ich nicht bewusst abgespeichert", wird dann nicht mehr möglich sein.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Über mögliche Folgen des Urteils berichtet das Abendblatt:

Gelangt ein OLG zu einer anderen Rechtsauffassung, muss der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden. Ob der BGH das Urteil halten wird, ist für den Kriminologen Arnd Hüneke (Leibniz-Universität Hannover) fraglich. "Der Besitzbegriff ist sehr weit ausgelegt worden. Ich glaube daher, dass das Urteil nicht nur von der Wissenschaft mit Kritik überhäuft wird, sondern auch von anderen Gerichten nicht berücksichtigt wird."

Allerdings hat das Urteil schon für die Staatsanwaltschaft Hamburg direkte Auswirkungen:

Immerhin lasse sich nun ein Anfangsverdacht leichter begründen. Nicht selten hängt ein Ermittlungsverfahren von der Menge ab - in Hamburg etwa liegt der Schwellenwert für eine Anklage bei rund 100 Dateien. Eventuell werde die Staatsanwaltschaft häufiger auch "Fälle anklagen, in denen dem Beschuldigten nur das Betrachten, nicht aber der Wille zu einer Speicherung der Dateien nachweisbar ist", sagt Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn.

http://www.abendblatt.de/hamburg/article1386134/Kinderporno-Urteil-Das-b...

Offensichtlich war es Intention des OLG Hamburg, auch das bloße Betrachten von KiPo zu bestrafen, um auf diesem Weg die (angeblich) nachfrageinduzierte Produktion von KiPo einzuschränken. Das ist ja alles sehr löblich, und niemand (auch ich nicht) will sich auch nur in der Nähe von KiPo-Befürwortern sehen. Aber es stellt sich doch die Frage, warum der Gesetzgeber diese einfache Formulierung nicht einfach in das Gesetz mit aufnimmt, wenn die Unterbindung des Konsums von KiPo (angeblich) wahre Absicht war. Oder schreckte der Gesetzgeber davor zurück, solch weitgehende Zensurmaßnahmen (auch Betrachten bestimmter Webinhalte ist strafbar) gesetzlich zu fixieren? Sollte - im Hinblick auf den Wähler - die "Drecksarbeit" durch die Gerichte erledigt werden, die hier den Besitzbegriff so weit auslegen, dass de facto auch das Betrachten unter Strafe steht? Über die Gründe kann man nur spekulieren.

Und der Gerichtssprecher meinte hierzu:

http://justiz.hamburg.de/2097812/pressemeldung-2010-02-16.html

Bekämpft werden soll unter weit nach vorn verlagerter Strafbewehrung der schon im Aufrufen einer einschlägigen Internetseite liegende Konsum kinderpornographischer Darstellungen, weil schon dieser einen Anreiz für die kommerziellen Anbieter schafft, bei der Produktion derartiger Bilder und Videofilme Kinder zu missbrauchen.

"Anhaltspunkt wird in der Praxis nach wie vor sein, dass man etwa auf der beschlagnahmten Festplatte solche Bilder findet. Aber die Verteidigung: 'Das habe ich nicht bewusst abgespeichert', wird dann nicht mehr möglich sein."

Diese Verteidigung, etwas nicht bewußt abgespeichert zu haben, sollte bei einem Browsercache gar nicht erst notwendig sein. Denn wie bereits dargestellt, sollte man - im Sinne Unschuldsvermutung - zunächst annehmen, daß der Datenabruf gar nicht gewollt war auch untergeschoben worden sein kann.

Ich habe Zweifel, daß die Rechtsprechung dahin gehen wird, aus einem Datenabruf - dessen Daten möglicherweise noch im Browsercache verblieben sind - grundsätzlich auf einen Vorsatz des Datenabrufs zu schließen und dem Beschuldigten die Beweislast des Gegenteils aufzubürden. Es wäre unvereinbar mit der technischen Realität.

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Es handelt sich um Hexenjagd. Der Angeklagte war als "Perverser" entdeckt und sollte dafür bestraft werden. Das ist schlicht archaisch und es ist albern, sich mit der Begründung des OLG Hamburg auseinanderzusetzen.

 

Kindesmisshandlung muss verfolgt werden, aber nur weil man an die Täter nicht immer herankommt, kann man nicht hysterisch auf jeden einschlagen, der sich vielleicht aus Langeweile mit ein paar Mausklicks durch das Internet bewegt. Und gerade die Abscheu hat etwas faszinierendes, wie eine Flut erfolgreicher Horrorfilme oder "Ekel-TV"-Berichte über Krankheiten oder Schicksale anderer Menschen zeigen.

 

Es bleibt zu hoffen, dass andere OLG oder der BGH der Hamburger Justiz (einmal mehr) die modernen rechtstaatlichen Grundsätze aufzeigen.

 

 

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@Prof. Müller, Herr Höfinger:

Es wäre ebenso denkbar, den Nachweis der Betrachtung anhand eines Browserverlaufs zu führen. Insbesondere bei einem solchen, der für den Anwender nicht ohne weiteres einsehbar und administrierbar ist, muss - die Integrität der Daten vorausgesetzt - angnommen werden, dass der Inhalt einer dort aufgeführten URL einmal mit dem Browser angezeigt wurde. Eine Rechtsprechung, die das Bewusstsein über den Besitz nicht für notwendig erachtet, wird in diesem abgewandelten Fall nicht minder den bewussten Konsum unterstellen als im diskutierten.

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Sehr geehrter Herr RA Wiesel,

die Diskussion zum "Vervielfältigen", die ich hier mit Herrn RA Höfinger geführt habe (#2. #11, #4) war sozusagen ein "Nebenstrang". Gerade Herr Höfinger hat bestritten, dass es hier eine Parallele gebe; ich denke also nicht, dass er hier Vervielfältigen im Sinne des UrhG mit Besitz im Sinne des § 184b StGB gleichsetzen wollte.

Zu Ihrer Annahme, das angezeigte kinderpornographische Bild könne nicht so einfach abgespeichert werden, habe ich große Zweifel: Ein screenshot dürfte immer möglich sein, auch wenn ein script die Speicher- und Ausdruckmöglichkeit einschränkt. Aber: Auch darauf kommt es dem OLG HH wohl nicht an: Allein, dass der "Besitzer" des Bildschirms dessen Anzeige kontrolliert (so habe ich es verstanden), soll zum Besitz genügen. Und da haben Sie Recht: Das ist uferlos.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Hallo Herr Prof. Dr. Müller!

Henning Ernst Müller schrieb:

Zu Ihrer Annahme, das angezeigte (...) Bild könne nicht so einfach abgespeichert werden, habe ich große Zweifel: Ein screenshot dürfte immer möglich sein, auch wenn ein script die Speicher- und Ausdruckmöglichkeit einschränkt.

Ein Screenshot ist nichts anderes als die Anfertigung eines Bildschirmfotos
mittels einer externen Kamera, die das Bild im Kameraspeichermedium ablegt.
Dieser Vorgang an sich erfüllt natürlich §184b IV. Um solche unproblematischen Fälle
geht es aber nicht. Die bloße Möglichkeit, mit einer externen Kamera ein Bildschirmfoto
anzufertigen, erfüllt den Tatbestand aber noch nicht. Warum sollte dies aber bei
der hinzugedachten Möglichkeit zur Anfertigung mittels des PC anders sein?

Sofern Sie also auf die Anfertigung eines Screenshots im anzeigenden System abstellen,
ist außerdem keineswegs technisch sichergestellt, dass dies überall möglich ist.
Dies hängt viel mehr von den von mir genannten Faktoren ab. Um mal ein plakatives Beispiel
zu nennen: Wenn etwa zur Anzeige der Webbrowser der Spielkonsolen Wii oder PS3
genutzt wird, ist ein Abspeichern der Billdaten nicht möglich. Die Anzahl der
Negativbeispiele ließe sich beliebig verlängern. Es hängt also von den Gegebenheiten
des Einzelfalls ab, ob eine Möglichkeit zum Abspeichern tatsächlich bestanden hat.
Und selbst wenn eine solche bestand, erfüllt die Möglichkeit nicht den Tatbestand
des §184b IV StGB. Denn die schiere denkbare Möglichkeit ersetzt nicht das Unternehmen
zur Besitzverschaffung.

Würde die Möglichkeit genügen, würde schon der abstrakte Besitz einer Kamera
ausreichen, um einen Schuldspruch zu erzielen. Denn PC-Bildschirme abzufotografieren ist
nahezu überall möglich.

Henning Ernst Müller schrieb:

Aber: Auch darauf kommt es dem OLG HH wohl nicht an: Allein, dass der "Besitzer" des Bildschirms dessen Anzeige kontrolliert (so habe ich es verstanden), soll zum Besitz genügen. Und da haben Sie Recht: Das ist uferlos.

Ja, es ist Uferlos. Aber auch hier ist die pauschale Annahme einer Kontrolle des Bildschirms
unzutreffend. Denn der Inhalt der Webseite steht in erster Linie unter der
Kontrolle des ursprünglichen Autoren. Dieser kann im Alleingang bestimmen, welcher
Mittel er sich zur Anzeige seines Inhalts bedient. Durch die von Ihm definierten Mittel kann
er bestimmen, was wie lange beim Client angezeigt wird. Die Verwendung von Scripten
oder von Plugins zur Anzeige von gekapselten Bild-Daten genügt schon, um die Kontrolle
über die Daten zu behalten. Das ist übrigens auch das Prinzip von DRM (Digital Rights Management).
Das Ziel der Gerichtsentscheidung ist offensichtlich, ein Werkzeug zu begründen,
das es den Gerichten zukünftig erlaubt, ohne komplizierte Sachverhaltsuntersuchungen,
Schuldsprüche zu erreichen. Da kann man nur sagen: Wehret den Anfängen!

RA Wiesel

(http://www.ra-wiesel.de)

 

 

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Nochmals möchte ich davor warnen, die technischen Begrifflichkeiten zu locker zu handhaben:

http://www.daten-strafrecht.de/kritik-an-anmerkung-besitz-von-digitaler-...

Weiterhin muss festgestellt werden, dass jedenfalls die PM des OLG anders gelesen werden kann - nämlich so, dass schon gar nicht auf den Festplatten-Cache (welchen dann im Detail auch immer) abzustellen ist, sondern bereits auf den Arbeitsspeicher. Daher die (unzulässige) Analogie: Ansehen am Rechner ist zugleich Besitzen.

Die Tatsache, dass ein angezeigtes (nur im flüchtigen RAM hinterlegtes) Bild mit einem einfachen Klick gespeichert werden kann, darf m.E. die Strafbarkeit nicht begründen, da ansonsten ein Handlungsdelikt zu einem (abstrakten) Gefährdungsdelikt umgemünzt wird. Es geht beim §184b StGB nicht um das, was man tun könnte, sondern um das, was man getan hat.

Andernfalls, um es ganz ad absurdum zu führen, könnte ich feststellen, dass jeder mit einem Internet-Anschluss und PC in der Lage ist, solche Seiten aufzurufen - wenn er denn wöllte. Und dann könnte er auch Bilder speichern, wenn er denn wöllte. Also müssen wir den §184b StGB bei allen anwenden, die PCs haben - das wäre die Konsequenz, wenn er zum abstrakten Gefährdungsdelikt mutiert.

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jens.ferner schrieb:

Nochmals möchte ich davor warnen, die technischen Begrifflichkeiten zu locker zu handhaben:

http://www.daten-strafrecht.de/kritik-an-anmerkung-besitz-von-digitaler-...

Dass sich die Problematik prinzipiell um den Browsercache - entweder im Arbeitsspeicher oder auf der Festplatte - dreht, ergibt sich meines Erachtens bereits daraus, dass der vorwerfbare Besitz kinderpornografischen Materials (egal ob flüchtig im RAM oder semipermanent in einem Festspeichercache) eine gewisse Konsistenz der besessenen Daten gegenüber den angebotenen voraussetzt. Ein mit dem Browser angezeigtes jpg-Bild liegt im Normalfall bei der Betrachtung entweder in einem RAM- oder HDD-gehosteten Browsercache in derselben Datei-Datenstruktur vor, in der es sich auch auf dem Server befindet. Bei zwischengeschalteten Gerätespeichern ist dies nicht der Fall. Die Problemfälle bilden hier wohl Webtechnologien, bei denen aus unterschiedlichen Gründen diese Konsistenz der an den Client ausgegebenen und durch ihn rekonstruierten Daten mit den serverseitigen gerade vermieden wird. Lösungsansatz könnte dabei der Vergleich der technisch seitens des Servers intendierten Darstellung, und damit des vorgesehenen Browsercache-Inhalts, mit dem tatsächlichen sein. Demgegenüber scheint es mir noch fernliegend, weitere, technisch begleitende Zwischenspeicher in die Überlegung einzubeziehen. Anlass dazu besteht aber sicher dann, wenn die Rechtsprechung geneigt ist, auch Besitz am Inhalt kontinuierlicher Datenströme einschließen zu wollen, die in einer inhaltlich deutbaren Fassung niemals vollständig im Rechtskreis des Empfängers abgelegt werden.

In dem Kontext muss man meines Erachtens auch die zitierte Annahme sehen, der Browser-Cache sei für Benutzer in der Regel nicht deaktivierbar. Sie ist in verschiedener Hinsicht zutreffend, auch wenn die Autoren einen auf der Festplatte befindlichen Cache meinten. Einerseits bedarf es eines Browser-Caches, auf welchem Medium er sich nun befinden mag, der sich dadurch auszeichnet, die aus dem Internet abgerufenen Daten in einem universellen, eben ihrem originalen, mit den vom Server ausgebenen Daten konsistenen Format vorzuhalten (wenn auch mölicherweise innerhalb eines proprietären Containers). Andererseits stellen die von Ihnen beschriebenen Möglichkeiten, "den Cache zu deaktivieren", auch keine zulängliche Möglichkeit dar, Festplattencaching des Browsers zu vermeiden. Die dafür angebotenen Betriebsmodi verhindern lediglich das Anlegen einer Historie und temporärer Dateien, wie sie für den Browser selbst nachträglich nutzbar wären oder durch externe Betrachtung ungelöschter Dateien nachvollziehbar wären. Die tatsächliche, auf eine solche Sitzung oder zeitliche Bruchteile davon begrenzte Ablage forensisch verwertbarer Daten auf der Festplatte wird dabei nur gröbstens oder gar nicht verhindert.

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@Jo, vielen Dank für Ihren Hinweis.

Nach meiner Sichtweise liegt aber Herr Vetter nicht ganz richtig. Er sagt:

"Dass der Wortlaut des Gesetzes das Urteil nicht deckt, wird an folgender Überlegung deutlich. Wenn ein Computerbesitzer einem Besucher Kinderpornos auf dem eigenen Rechner zeigt, müsste auch der Besucher durch das Anschauen plötzlich “Besitzer” der Kinderpornographie auf dem fremden Rechner sein? Wie man durch bloßes Anschauen aber etwas besitzen kann, lässt sich nicht begründen."

Dieses argumentum ad absurdum deckt sich nicht mit der Auffassung des Urteils (soweit sie aus den bisherigen Verlautbarungen erkennbar ist) und mit der des OLG Schleswig: Denn dort wird die Herrschaftsmacht ja daraus geschlossen, dass derjenige, der die Datei aufruft und anzeigen lässt, dann damit nach Belieben verfahren könne - deshalb komme es nicht darauf an, ob er die Daten tatsächlich abspeichert, er habe die Daten bereits vorher im Sinne des Gesetzes in Besitz. Dies setzt aber voraus, dass er über das Anzeigegerät verfügen kann, ein bloßer Besucher, der mitschaut, wäre also nicht betroffen.

Vetter weiter: "Besitz wird definiert als willentliche, tatsächliche Herrschaft über eine Sache. Dateien sind als “sonstige Schriften” Sachen gleichgestellt. Ich kann auch also auch Daten besitzen."

Ebenso das OLG HH (aus der im Ausgangsposting von juris wiedergegebenen Nachricht) : "Mit der 1997 geschaffenen gesetzlichen Gleichstellung von "Datenspeichern" mit Schriften in § 11 Abs. 3 StGB, auf den § 184 b Abs. 4 StGB ausdrücklich verweist, sei dem Bürger hinreichend erkennbar geworden, dass der Besitzbegriff des § 184b Abs. 4 StGB in einer auch unkörperliche , aus dem Internet heruntergeladene Dateien erfassenden Weise zu verstehen ist."

Diese Auffassung ist  falsch: Schriften gleichgestellt sind nach § 11 Abs.3 StGB eben nicht "Daten" oder "Dateien" (wie sowohl das OLG HH als auch Vetter irrtümlich meinen) , sondern eben nur "Datenspeicher" (siehe auch schon RA Höfinger, oben #11), das ist etwas anderes. Aus § 11 Abs. 3 StGB ergibt sich also , dass es bei § 184b StGB nicht auf den Besitz der Daten ankommen kann, sondern auf den Besitz am Datenspeicher.  Und genau darauf, dass die Daten im eigenen Datenspeicher gespeichert werden, muss sich auch der Vorsatz beziehen, so die bisher h.L. Dem OLG HH gelingt es also, durch die Gleichsetzung von Datenspeicher und Dateien einen Vorsatzwechsel zu verdecken - es soll nun der Vorsatz, die Datei zu besitzen, ausreichen. Das ist aber nicht der Vorsatz, auf den es lt. Gesetz ankommt. Aus diesem Grunde ist das Urteil falsch. Herr Vetter legt seine Finger aus meiner Sicht  in die falsche Wunde.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

(editiert nach #43)


Ich finde es weiterhin faszinierend, wie hier (anhand einer PM) über ein Urteil diskutiert wird, das immer noch nicht vorliegt. Beispiel:

Dieses argumentum ad absurdum deckt sich nicht mit der Auffassung des Urteils: Denn dort wird die Herrschaftsmacht ja daraus geschlossen

Sofern man nicht irgendwo doch das Urteil schon zur Verfügung stehen hat, wäre es besser von der "Auffassung der PM" zu sprechen. Solange niemand das Urteil selbst hat bzw. nicht gelesen hat, ist es etwas befremdlich, über eben dieses Urteil zu sprechen.

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Sehr geehrter Herr Müller,

Henning Ernst Mueller schrieb:

Dieses argumentum ad absurdum deckt sich nicht mit der Auffassung des Urteils: Denn dort wird die Herrschaftsmacht ja daraus geschlossen, dass derjenige, der die Datei aufruft und anzeigen lässt, dann damit nach Belieben verfahren könne - deshalb komme es nicht darauf an, ob er die Daten tatsächlich abspeichert, er habe die Daten bereits vorher im Sinne des Gesetzes in Besitz. Dies setzt aber voraus, dass er über das Anzeigegerät verfügen kann, ein bloßer Besucher, der mitschaut, wäre also nicht betroffen.

das Beispiel von RA Vetter ist nur nicht konsequent zu Ende gedacht. Ich hatte eine ähnliche Argumentation weiter oben (#31) ins Feld geführt und ebenfalls von einer Gruppe gesprochen, die gemeinsam verbotene Filme konsumiert, jedoch weitere Fälle unterschieden. Es spielt natürlich keine Rolle, ob die Jugendlichen oder jungen Männer sich die Daten gemeinsam aus dem Internet laden oder aber von einer mitgebrachten DVD angucken (der Besitzer der DVD wäre natürlich auf jeden Fall dran).

Jedenfalls macht die ganze Gruppe dasselbe: sie schaut verbotene Kinderpornos. Aber wer von der Gruppe ist tatsächlich zu bestrafen? Zu bestrafen wäre nach Argumentation des OLG (außer einem eventuellen DVD-Besitzer) aber nur der Eigentümer des PC (oder des DVD-Festplatten-Rekorders) auf dem die DVD abgespielt wird oder die Daten heruntergeladen werden. Nur dieser hat Verfügungsgewalt. Herr Vetter müsste nur einen Schritt weitergehen: Was passiert, wenn nicht der Besitzer des PC den PC bedient, sondern gerade der Besucher - im Beisein des PC-Besitzers - die verbotenen Filme im Internet sucht?  Ist dann der (unschuldige) PC-Besitzer auch Besitzer der verbotenen Daten auf seinem Monitor? Er hätte als PC-Besitzer unzweifelhaft jetzt die Möglichkeit, die Daten weiter zu verarbeiten / auszudrucken / abzuspeichern. Oder aber macht sich nur der schlimme Besucher strafbar? Der kannte zwar die Internet-Adresse und hat die Bilder auf dem fremden PC aufgerufen. Doch hat er keine Verfügungsgewalt über den fremden PC, auch der Cache gehört nicht ihm. Er könnte nur mit (weiterer) Zustimmung des PC-Besitzers die Daten jetzt auch ausdrucken oder dauerhaft auf die Festplatte speichern. Und was passiert  mit den übrigen Jugendlichen, die auch um den PC stehen und ebenfalls verbotene Filme konsumieren?

Haben sich dann (aus Sichtweise des OLG Hamburg) beide (PC-Besitzer und tatsächlicher Surfer) als Betrachter der Bilder strafbar gemacht? Oder nur der Besucher, der am fremden PC die Bilder anschaut, aber über den PC und den Datenspeicher keine Verfügungsgewalt hat? Oder der PC-Besitzer als Eigentümer des Datenspeichers? Oder kommt es jetzt darauf an, wie schnell der PC-Besitzer die Handlungen des bösen Besuchers unterbindet? Und was ist mit den übrigen interessierten Betrachtern? Die sind doch von einer möglichen Hardcopy auch nicht so weit entfernt. Wir erinnern uns: Derjenige, der Verfügungsgewalt über den PC hat, könnte ja Bilder auch ausdrucken oder speichern. Das genügt dem OLG schon, um den Besitz neu zu definieren. Aber mit diesem Konjunktiv kann man genauso argumentieren, dass auch die anderen Betrachter sich eigene Kopien erstellen könnten (sie brauchen ja nur ein Fotohandy dabei haben und sind somit schon in der Lage, aus eigener Willensentscheidung heraus sich Verfügungsgewalt über das verbotene Material zu verschaffen). Ich sehe zwischen einer Hardcopy-Möglichkeit (Knöpfchen drücken) und einer Fotografie mit dem Fotohandy (Knöpfchen drücken) keinen großen Unterschied.

Die Konstellationen lassen sich beliebig erweitern. Das führt alles in eine Sackgasse. Wenn der Gesetzgeber das (vorsätzliche, bewusste) Anschauen von Kinderpornographie unter Strafe stellen will (wollte), dann muss er das auch so in das Gesetz schreiben. Ich sehe hierin kein großes Problem. Ansonsten sollen die Gerichte die Finger davon lassen, Handlungen unter Strafe zu stellen, von denen auch der verständige Bürger bisher gar nicht wissen konnte, dass sie strafbar sein sollen.

 

Zu Jens Ferner:

Die Pressemitteilung setzt natürlich den Verfasser des schriftlichen Urteils gehörig unter Druck. Denn das schriftliche Urteil wird doch hoffentlich nicht von der Argumentation der Pressemitteilung abweichen? Oder gibt es da manchmal Differenzen (man munkelt ja, dass sich manchmal auch die Urteilsgründe von der mündlichen Verhandlung oder gar mündlichen Urteilsverkündung unterscheiden sollen).

Sehr geehrter Herr Ferner,

Sie haben natürlich Recht, aber ich habe selbst hier schon mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir noch keine schriftl. Entscheidungsbegründung haben (#9, #26, #33), es sich also bei dem Urteilsinhalt derzeit um Vermutungen handelt (habe es jetzt in #42 auch noch mal eingefügt). Leider lässt sich die Diskussion nicht einfach auf später verschieben, das Thema ist jetzt aktuell, wurde durch das OLG HH und die dortige StA u.a. in der Tagesschau selbst "befeuert" (Motto: Wir sind die Ersten!)  und ich versuche hier im Blog die mir seriös erscheinenden Informationen über den Inhalt der Entscheidung für erste Einschätzungen zu verwerten. Ich halte das für legitim.

Bsten Gruß

Henning Ernst Müller

Ich halte das für legitim.

Das ist es auch, es ging mir nicht um Kritik hier an der Diskussion, zumal ich von den Diskussionsteilnehmern hier erwarte, den Unterschied zu kennen.

Aber wie wir sehen, wird "das Urteil" ja nun auch in der Presse als solches diskutiert - das ist mir, vor allem mit Blick auf die mitlesenden Laien, zu gefährlich. Ganz besonders, da mir aus Hamburg bzgl. der PM zur Zeit zwei sehr verschiedene Statements vorliegen.

Jedenfalls wurde mir gerade eben mitgeteilt, dass das Urteil in Kürze im Volltext verfügbar sein soll.

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OMG!
Bei der Logik, die hier durchschimmert, ist ja bereits die Feststellung, dass eine Abbildung kinderpornographisch sei, vollzogene strafbare Handlung. Dadurch wird - letzten Endes - die Überprüfung von Straftaten durch die Öffentlichkeit entzogen - ein Aspekt, der niemandem auffällt? Das Raindancing bei diversen Akten von "Diensten" vor Gericht, wo ja immerhin sozusagen das "Staatswohl" auf dem Spiel stehe, für jeden und alle?
Die Dateien auf unseren Servern, die Versuche von illegalen ssh-Zugriffen loggen, haben in der Regel pro Monat so ~30.000 Einträge. Die allermeisten Herkunftsadressen sind offensichtlich verseuchte End-User-Rechner - in diesen Botnetzen braucht nur der Port auf 80h ("www") umgestellt werden und einige hundert Bildi-Adressen verschickt werden: Millionen User kriegen dann das Stop-Schild zwar zugesandt, aber nie zu sehen oder das womöglich gar gleich mit Bösen Bildern. Dann darf der PC/Laptop-Besitzer selber erfahren, was Beweisumkehr heisst, denn die Koryphäen der Ermittlungsbehörden, die ja selber gar nicht ins Internet dürfen, werden diese Möglichkeiten guten Gewissens und von diesen ihren Möglichkeiten aus betrachtet zurecht abstreiten ("..ist uns nicht bekannt").
Aber ich halte ja diese geistlose Eigentums------ für die Crux schlechthin: Da Expansion nach Art der Kolonialisierung ausgereizt ist, wird neues, virtuelles, Land urbar gemacht: Die Welt ist zu klein, wir schaffen uns ein paar weitere Welten, das „geistige” Eigentum, da kann noch kolonialisiert werden. Nur die Übertragung der Begriffe Eigentum und Besitz machen bei Fehlen handfester, materiell-stofflicher Güter noch Probleme.
Bevor solcher Schwachsinn in Gesetze gegossen wird, möge man denn doch einmal die Sicherheitsleute von - nehmen wir vorerst Banken - fragen (anonym, fürs erste), was die denn so für Probleme mit sicherer Authentifizierung haben...
Stuff, aus Bratislava

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Professor Müller, vielen Dank für Ihre Erhellungen zum Interview mit RA Vetter, in conclusio halte auch ich das Urteil des OLG HH für falsch.

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