Die Grenzen der Fiktion

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 30.03.2010

Wer einem minderjährigen Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, hat alles nur Erdenkliche zu tun, um zumindest den Mindestunterhalt sicherzustellen. Den Unterhaltspflichtigen trifft gemäß § 1603 II 1 BGB eine verschärfte Unterhaltspflicht.

Hinsichtlich des Mindestunterhalts muss dabei nicht das Kind die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten, sondern umgekehrt der Verpflichtete seine Leistungsunfähigkeit beweisen.

Bei Arbeitslosigkeit des Verpflichteten  ist zu fragen, was er bei gehöriger Anstrengung zu verdienen wäre,  aufgrund dieses fiktiven Einkommens wird dann der Unterhalt berechnet.

Die Grenzen dieses Fiktion hat das BVerfG jetzt den Familiengereichten (erneut) aufgezeigt (BVerfG Beschluss vom 15.2.2010 – 1 BvR 2236/09):

  • Wird im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit eines barunterhaltspflichtigen Elternteils aufgrund der in § 1603 I, II S. 1 BGB geregelten gesteigerten Erwerbsobliegenheit gegenüber einem minderjährigen Kind ein fiktives Einkommen angenommen, hat das Gericht zunächst festzustellen, dass subjektiv gebotene Erwerbsbemühungen fehlen.
  • Wird dies festgestellt, muss ferner geprüft werden, ob der Unterhaltsschuldner aufgrund objektiv feststellbarer Voraussetzungen überhaupt in der Lage ist, ein Einkommen zu erzielen, mit dem er nicht nur den eigenen notwendigen Selbstbehalt, sondern auch darüber hinaus ein Einkommen erzielen kann, mit dem er ganz oder teilweise den Unterhaltsbedarf des Kindes decken kann.

Für ein 3-jähriges und ein 6-jähriges Kind sind nach der Düsseldorfer Tabelle unter Abzug des hälftigen Kindergeldes derzeit 225 und 272 €, zusammen also 497 €, zu zahlen. Zusammen mit dem Selbstbehalt von 900 € müsste der Unterhaltspflichtige also über ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.397 € verfügen. Das sind brutto - je nach Steuerklasse - mehr als 2.200 €. Ein solches fiktives Einkommen dürfte z.B. bei einem Ungelernten kaum zu unterstellen sein.

 

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2 Kommentare

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Nach so einem Blog-Beitrag fragt man sich, wieso das BVerfG darüber überhaupt entscheiden müsste. Die Leitsätze lesen sich wie absolute Selbstverständlichkeiten. Was hier teilweise an Rechtsprechung im Familienrecht fabriziert wird, ist abenteuerlich.

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"Ein solches fiktives Einkommen dürfte z.B. bei einem Ungelernten kaum zu unterstellen sein."

Warum eigentlich nicht?

Anzunehmen ist doch als Regelfall, dass der gesunde Ungelernte in mindestens 8 Jahren Schulzeit unter Mitwirkung von pädagogisch gebildeten Akademikern (Gehalt ab ...) Rechnen/Schreiben/Lesen lernte. Weiterhin ist anzunehmen, dass Ungelernte durchaus praktische Fähigkeiten haben und diese auch gegen gutes Geld in gewerblichen Vollzeittätigkeiten gewinnbringend einsetzen könn(t)en. In Deutschland durchaus flächendeckend vorhandene Arbeitsangebote, Bildungs- und Sozialeinrichtungen mit einem hohen Anteil an Akademikern (Gehalt ab ...) beschäftigen sich damit, den Arbeitsmarkt sinnvoll zu strukturieren und auf Bedürfnisse auszurichten. Gesellschaftlich gesehen, sollte die Ausrichtung natürlich den Bedürfnissen aller Mitglieder der Gesellschaft entsprechen. Für die Ziele, Regulierung und Sicherstellung des Erfolgs sind wiederum unzählige Akademiker in Politik und Behörden (Gehalt ab ...) aktiv. Letztlich sorgen nicht wenige Akademiker in juristischen Berufen (Gehalt ab ...) dafür, dass auch der Teil des gesellschaftlichen Grundanspruchs der Menschenwürde, nämlich von der eigenen Arbeit leben können, eingehalten wird. So gehen diese Akademiker mit allen Mitteln des Rechts gegen Dumpinglohn und unzulässige Arbeitsbedingungen vor, unterstützt von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Parteien, hauptsächlich vertreten durch Akademiker (Gehalt ab ...). Natürlich sind die Aufgaben nicht immer leicht zu bewältigen, aber Akademiker (Gehalt ab ...) haben ja genau deshalb staatlich geförderte Ausbildungen und Studienabschlüsse und damit auch ein höheres Gehalt als Ungelernte. Aber auch die Anforderungen an Ungelernte sind hoch, oft sind die Tätigkeiten körperlich sehr anstrengend. Gesundheitsvorsorge, Sozialleistungen, sichere und angemessene Arbeitsbedingungen sind oft noch mangelhaft, trotz der vielen Akademiker (Gehalt ab ...), die dafür betrieblich verantwortlich sind oder staatliche Überwachungsfunktionen ausüben.

Unterstelle ich unzumutbar ein fiktives Leistungsvermögen der Nicht-Ungelernten (Gehalt ab ...), wenn schicksalhaft und ohne Nachdenken angenommen wird, dass "Ungelernte" (trotz Lesen, Schreiben, Rechnen) regelmäßig nicht für sich und ihre Familie sorgen können sollen. Lernen Akademiker (Gehalt ab ...) faktisch nur das Telefonbuch auswendig oder gibt es da noch einen Bildungsmehrwert, der sich positiv gestaltend auf die Gesellschaft auswirken könnte?

Der Müll ist doch abgeholt, das Büro ist geputzt, die Instrumente, Stifte, Papiere zurechtgelegt. Wäre es nicht an der Zeit als Nicht-Ungelernter (Gehalt ab ...) endlich anzufangen, sinnvoll zu arbeiten? Die Mehrheit der Ungelernten tut es schon, ob mit oder ohne fiktives Einkommen.

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