Obduktionspflicht bei Tod eines Kindes

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 14.04.2010
Rechtsgebiete: GewaltObduktionKindesmisshandlungFamilienrecht12|3359 Aufrufe

Der Bremer Senat hat am 13.04. die umstrittene Obduktionspflicht für tote Kleinkinder auf den Weg gebracht. Damit will Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) künftig routinemäßig klären, ob Gewalt zum Tod eines Kindes geführt hat. Die Bremische Bürgerschaft muss der Änderung noch zustimmen. Bremen wäre dann das erste Bundesland mit einem solchen Gesetz.

Die Änderung des Bremer "Gesetzes über das Leichenwesen" soll Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahrs betreffen. Es soll greifen, wenn die Todesursache nicht zweifelsfrei erkennbar ist, nicht aber, wenn sie zweifelsfrei bekannt ist wie etwa bei schweren Erkrankungen oder Unfällen. Wenn Eltern Widerspruch einlegen, solle ein Gericht das letzte Wort haben.

Bürgerschaft befasst sich im Mai mit dem Thema

Nach Angaben der Grünen wird sich die Bürgerschaft frühestens im Mai 2010 mit der Obduktionspflicht befassen. Nach Einschätzung eines Fraktionssprechers könnte zwischen erster und zweiter Lesung viel Zeit liegen, weil damit zu rechnen sei, dass über das Vorhaben noch in Ausschüssen des Landesparlamentes diskutiert werden müsse. "Es ist ein schwieriges Thema aus ethischen und rechtlichen Gründen", sagte er.

Kirchenvertreter lehnen Entwurf ab

Durchschnittlich vier bis fünf Mal im Jahr können Ärzte im Land Bremen Todesfälle von Kleinkindern unter sechs Jahren nicht mit herkömmlichen Methoden klären. 2009 war ein gewalttätiges Bremer Elternpaar durch eine Obduktion überführt worden. Die Obduktionspflicht soll solche Fälle künftig noch sicherer aufdecken. Wenn die Eltern dem Eingriff widersprechen, soll ein Richter entscheiden. Kirchen, der Kinderschutzbund und psychologische Berater lehnen den Entwurf mehrheitlich ab. Sie sind der Meinung, die Regelung stelle die Eltern unter Generalverdacht und sei eine unzumutbare Belastung.

Rosenkötter: "Baustein für umfassenden Kinderschutz"

"Die vorgeschlagene Regelung zur Obduktionspflicht ist für uns ein weiterer Baustein für einen umfassenden Kinderschutz", erklärte Rosenkötter. "Wir wissen, dass Misshandlungen und gewaltsame Einwirkungen gerade bei kleinen Kindern äußerlich oft nicht sichtbar sind. Das gilt beispielsweise für das Schütteltrauma. Wenn ein Kind gewaltsam zu Tode gekommen ist, dann muss das auch erkannt werden, um beispielsweise Geschwisterkinder schützen zu können." Die Obduktionspflicht war auch innerhalb der Landesregierung umstritten. Schon zwei Mal verschob der Senat das Thema.

Auslöser Tod Kevins 2006

Den Anstoß für die Obduktionspflicht hatte der gewaltsame Tod des zweijährigen Kevin 2006 gegeben. Sein Vater hatte die Leiche monatelang in seinem Kühlschrank verstaut. Nach Entdeckung der des toten Kindes trat die damalie Sozialsenatorin Karin Röpke zurück, Rosenkötter wurde ihre Nachfolgerin.

Quelle: Radio Bremen

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Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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12 Kommentare

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Mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes stellt die Politik mal wieder "eindrucksvoll" unter Beweis, dass sie lediglich zu medienwirksamen Bekämpfung vom Symptomen, jedoch nicht von Ursachen fähig ist. Anstatt das personelle Konsequenzen gezogen und die schon bestehenden rechtlichen Instrumente genutzt werden, um solchen schrecklichen Verbrechen vorzubeugen, wird nur an die Folgen gedacht.

Weitere traurige Beispiele für einen solchen blinden Aktionismus finden sich auf bei dem berühmt berüchtigten Stopp - Schild, das Kinderpornographie bekämpfen sollte und für psychisch kranke Pädophile sicherlich abschreckend genug war. Über das Löschen solcher Inhalte wurde nicht laut nachgedacht - mangels Praktikabilität, weil die Server ja meistens im Ausland stehen würden. Irgendwie paradox; mit der gleichen Argumentation können wir dann ja weiterhin Atomkraftwerke bauen, weil Russland, Frankreich, Polen und Ungarn auch neue und vor allem alte Atomreaktoren haben.
Das selbe Bild stellt sich nach jedem Amoklauf dar. Amoklauf fand statt. Was passiert? Verbietet Killerspiele, verschäft das Waffengesetz, keine Mord- und Totschlagfilme mehr und Heavy - Metal - Musik ist sowieso das Werk des Teufels. Hierdurch kann man ganz einfach und ohne finanziellen Aufwand zeigen, dass man ja etwas tut. Das man aber bei den eigentlichen Missständen der Gesellschaft anfängt und die Psyche solcher Täter und dessen - insbesondere das familiäre - Umfeld beleuchtet, darauf kommt niemand. Würde ja auch mehr Geld kosten und wäre nicht so medienwirksam.

Das ist schon ein wenig traurig. Verhindert wird mit solchen Gesetzen überhaupt nichts. Leute, die für solche Gesetzgebung Zeit verschwenden, haben Blut an ihren Fingern. Das erinnert mich immer an Hernn Bosbach von der CDU, der sich nach der Verschärfung des Waffengesetzes im Zuge des Winnenden - Amoklaufs vor die Kameras stellte und sagte, dass man alles getan habe, um solche Amokläufe in Zukunft zu verhindern. Zynismus par excellence ...

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Lieber Herr Kant,

da muss ich Ihnen widersprechen.

Im Hinblick auf den Umstand, dass die meisten Gerichtsmediziner die Auffassung vertreten, in D würde insgesamt zu wenig obduziert, halte ich die Pflichtobuktion bei dem Tod eines Kindes für eine gute Sache.

Sehr geehrter Herr Burschel,

ich will ihnen nicht widersprechen, dass in Deutschland zu wenig Obduktionen durchgeführt und dadurch die ein oder andere unnatürliche Todesursache niemals ans Tageslicht kommt. Auch ich habe darüber Berichte im SPIEGEL sowie Spiegel.de gelesen. Jedoch ist zwischen der Aufklärung und dem Schutz zu differenzieren. Durch die Obduktion wird vielleicht die Todesursache aufgeklärt. Gewältätigen Familienmitgliedern wird dadurch jedoch nicht die Möglichkeit genommen ihr Kind zu misshandeln. Und um eines vorwegzunehmen: abschreckende Wirkung verspreche ich mir durch eine solche Obduktionspflicht ebenfalls nicht.
Oftmals stellte es sich in der Vergangenheit so dar, dass auch ein Behördenversagen vorlag und durch ein Einschreiten derselben schlimmeres oft hätte verhindert werden können.

Keine Frage halte ich eine Obduktionspflicht für eine gute Entscheidung - jedoch nicht im Hinblick auf den KinderSCHUTZ; dieser fängt nämlich an der Stelle an, an der jede Obduktion leider schon zu spät kommt.

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@ Kant

an die abschreckende Wirkung einer Obduktionspflicht glaube ich auch nicht  -  das ist aber wohl auch nicht Sinn der Sache.

Die Obduktionspflicht könnte

  • Geschwister des getöteten Kindes schützen
  • Gewalttäter und Taten aufdecken (ein Schütteltrauma hinterlässt keine äußerlich sichtbaren Verletzungen)

Wenn es um den Schutz der Geschwister geht und um die Aufdeckung von Gewalttaten (z.B. Schütteltraumen), so ist sicher die Einführung einer Obduktionspflicht das letzte Mittel, an welches ich denken würde. Sinnvoller wäre es, den Jugendämter mehr Kompetenzen zu geben, um beispielsweise in fraglichen Fällen auch gegen den Willen der Eltern ein auffälliges (noch lebendes!) Kind zwangsweise zur stationären Beobachtung und Untersuchung einzuweisen. Mit dieser Maßnahme würde jedes(!) Gewaltverbrechen aufgedeckt, auch Schütteltraumen - ganz ohne Obduktion. Rezidivierende Hirnblutungen durch heftiges Schütteln lassen sich beispielsweise durch eine Kernspintomographie (während des Zwangsaufenthaltes im Krankenhaus) problemlos nachweisen.

Einen einzigen Vorteil hat die Zwangsobduktion: sie lässt sich rechtlich leichter umsetzen, denn da steht nicht das Grundgesetz im Wege. Ein totes Kind ist nur noch eine Sache, auf die die Eltern keinen Anspruch mehr haben.

Liebe Frau Dr. Ertan,

 Sinnvoller wäre es, den Jugendämter mehr Kompetenzen zu geben, um beispielsweise in fraglichen Fällen auch gegen den Willen der Eltern ein auffälliges (noch lebendes!) Kind zwangsweise zur stationären Beobachtung und Untersuchung einzuweisen

diese Möglichkeit gibt es, auf Anordnung des FamG nach §§ 1666, 1666 a BGB

 Mit dieser Maßnahme würde jedes(!) Gewaltverbrechen aufgedeckt, auch Schütteltraumen - ganz ohne Obduktion.

wirklich jedes? Es muss doch erst einmal ein Verdacht bestehen

Ein totes Kind ist nur noch eine Sache, auf die die Eltern keinen Anspruch mehr haben

Nein

Es gibt das Totenfürsorgerecht, deshalb muss ja ein Gesetz geschaffen werden, um die Zwangsobduktion zu ermöglichen

Grüße

Hans-Otto Burschel

@7 Herr Burschel

Sie haben natürlich völlig recht, ich hatte mich da missverständlich ausgedrückt. Nur die Kinder, die auch stationär zwangseingewiesen werden, können auch auf unerkannte Schütteltraumen untersucht werden. Die Zwangsobduktion hingegen ist gewissermaßen ein Massensreening - es wird jeder erfasst. Leider nur im Todesfall.

Nur warum sollen die Rechtsmediziner verdienen, die Radiologen (Kernspin) nicht? Man könnte doch auch ein verpflichtendes Screening bei einer der U-Vorsorgeuntersuchungen einführen, wenn man allen Eltern misstraut? Mit diesem Massenscreening (auf nicht erkannte Schütteltraumen) würde man auch alle Fälle erfassen. Wäre natürlich etwas teurer, da die Zahl der lebenden Kinder die Zahl der toten Kinder doch deutlich übersteigt.

Wie immer: alles nur eine Frage des Geldes.

 

 

Wie immer: alles nur eine Frage des Geldes.

wohl wahr.

I.Ü.: Die Teilnahme an den U-Untersuchungen ist nicht verpflichtend. Die Einführung einer verpflichtenden Teilnahme wäre verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Selbst die Mitteilung der Nichtteilnahme an das JA stösst auf Widerstand

Liebe Diskussionsteilnehmer,

ich denke, dass wir uns jedenfalls über den Punkt einig sind, dass der mit dem verabschiedeten Gesetz bezweckte Erfolg, den Schutz von Kindern zu stärken, nicht eintreten wird. Von daher stimme ich mit Frau Dr. Ertan vollkommen überein.
Dass es gem. §§ 1666, 1666a BGB bereits ausreichend Möglichkeiten gibt ist auch richtig. Die Gerichte werden jedoch oftmals von außerhalb, namentlich die Jugendämter, auf Missstände aufmerksam gemacht, deren Behebung dann dem Familiengericht obliegt. Von daher sind eher die Defizite bei den Jugendämtern zu suchen.

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Von daher sind eher die Defizite bei den Jugendämtern zu suchen.

Jein

Das JA kann nicht abends von Haustür zu Haustür ziehen und nachschauen, ob alle Kinder gut versorgt sind.

Es braucht Informationen von Nachbarn, KiGas und Schulen. Und da hapert es oft.

Kürzlich hat mich ein Mitarbeiter einer ARGE angerufen und mir erzählt, er habe dienstliche Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung. Ob es denn wohl mit dem Datenschutz vereinbar sei, wenn er diese Hinweise an das JA weitergibt?

Einerseits kann ich das sehr gut nachvollziehen, dass es auf der einen Seite von Vorteil wäre. Aber wenn ein Elternteil es nicht möchte, es dann zu einem gerichtlichen Verfahren und eine Obduktion dann doch zustande kommt, wäre der Schaden, der dem Elternteil bleibt viel schlimmer als der alleinige Verlust des Kindes. Ich spreche aus Erfahrung und kann es nicht nachvollziehen, wie die Regierung gesetze macht, ohne Rücksicht auf die Psyche der ltern zu nehmen. Niemand würde tatenlos mit ansehen wie ihm das Kind weggerissen wird und man keinen Anspruch darauf hat, dass das Kind so zu Grabe getragen wird wie er auch auf  die Welt gekommen ist.

Und dass dadurch JEDES Verbrechen bzw jede Todesursache aufgeklärt werden könnte stimmt ebenfalls bei weitem nicht. Ich kenne Fälle, bei denen auch durch ein Obduktion keine Todesursache gefunden wurde und viele Todesfälle sind leider auch so dass man nur rätseln kann - mit oder ohne Obduktion.

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