Wikileaks - Grenzen der Neutralität

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 15.04.2010

Wikileaks hat in den vergangenen Wochen viel öffentliches Lob bekommen. Auch ich habe hier das von wikileaks veröffentlichte Video aus den Apache-Hubschraubern über Bagdad verlinkt und zur Diskussion gestellt. Insgesamt scheint eine Einrichtung sinnvoll, in der aus unterschiedlichen Gründen geheim gehaltene Dokumente veröffentlicht werden, um die Transparenz zu erhöhen und auch zu ermöglichen, sonst unter den Teppich gekehrte Skandale aufzuklären. Ein vorbildliches Instrument der Demokratie, oder?

In der taz erschien gestern ein Interview mit Daniel Schmitt, einem der Editoren von Wikileaks ("Wir brauchen die Obskurität noch"). Für die kritischen Fragen muss man den Interviewern (Wolf Schmidt und Daniel Schulz) danken. Denn hier sind zum Teil erstaunliche Antworten zu lesen, bei denen man doch ins Nachdenken gerät. So führt Schmitt aus, Wikileaks prüfe Dokumente nur auf Echtheit, eine inhaltliche (redaktionelle/moralische Kontrolle) erfolge nicht:

"Wir veröffentlichen alles, was nicht von irgendwem selbst verfasst wurde und ein echtes Dokument ist, egal ob es von links oder von rechts kommt. Uns kümmert auch nicht, was eine Quelle motiviert. Ob sie jemanden in die Pfanne hauen oder ob sie die Welt verbessern will - wir veröffentlichen. Viel neutraler geht es nicht."

In diesem Zusammenhang:


"Frage: Sie hatten auch die Mitgliederliste der rechtsextremen BNP in England publiziert, mit Namen und Adressen. Würden Sie das auch bei einer linken Gewerkschaft in einem Staat machen, in dem sie extrem angefeindet wird, in Mittelamerika etwa?

Antwort: Das wäre ein sehr schwieriger Fall. Aber aufgrund unserer Kriterien müssten wir das wohl." 

Auf den Einwand, wikileaks könne nicht neutral sein, wenn die Quelle, die bei wikileaks veröffentlicht, nicht neutral ist, antwortet Schmitt, die Gegenseite könne ja "zurückleaken" und letztlich werde die Öffentlichkeit den Streit entscheiden.

Wikileaks will demnächst auch ein System installieren, nach dem die Quelle mit daraüber entscheidet, welches Medium den ersten (exklusiven)  Zugriff auf ein Dokument bekommt, bevor es dem Rest der Welt bekannt gemacht wird. Darf man sich das kombiniert mit dem obigen Beispiel so vorstellen: Die Liste mit Adressen einer linken Gewerkschaft bekommt erstmal die Zeitung der Rechtsextremen exklusiv zur Verwertung? Ist das wirklich durchdacht, wikileaks? Kann man sich von der Verantwortung für die Folgen einer Veröffentlichung mit dem Hinweis distanzieren, man sei "neutral"?

Daniel Schmitt (der echte Nachname ist jedenfalls auf wikileaks noch nicht geleakt) spricht heute auf der re.publica in Berlin (link)

Hinweis. ich sehe mich in dieser Sache überhaupt nicht als "Experte" - es ist ja auch keine primär strafrechtliche Fragestellung. Mich würde einfach interessieren, welche Auffassungen hier im Blog dazu vertreten werden.



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17 Kommentare

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Wikileaks muss das für sich selbst entscheiden. Wer Einfluss nehmen möchte, hat ja viele Alternativen: Selbst 'ne Seite aufziehen, zu versuchen, bei Wikileaks mitzumachen (und dann mitzuentscheiden) etc.pp. Mir persönlich ist der Ansatz sehr sympatisch, politisch gesehen. Und es ist eine hochpolitische Frage, die sich nicht allein mit Logik etc. entscheiden lässt.

Mit der Neutralität ist das eben nicht so einfach. Sie hat sicher auch politische Dimensionen und kann unterschiedlich komplex entworfen werden. So kann sicherlich auch bestritten werden, dass Wikileaks "neutral" sei - das liefe aber letztendlich auf einen langweiligen Definitionsstreit hinaus.

Wikileaks ist mir zumindest sympathischer als andere politische Konzepte, die so im Umfeld Internet verfolgt werden. Natürlich brauche ich für Wikileaks aber weiter auch die subjektive kritische Aufmerksamkeit, die allen fremden Informationsquellen gegenüber aufzubringen ist - egal, wieviel Transparenz sie behaupten.

Wikileaks leistet in meinen Augen einen wichtigen Beitrag zur politischen Mission, gesellschaftliche Änderungen zu erreichen. Wer diese Änderungen - radikale Publizität, im Ergebnis auch ein Schleifen bzw. eine Modifikation der Idee des Datenschutzes - aber ablehnt, dem kann auch Wikileaks nicht gefallen. Man kann Datenschutz, Geheimnisschutz, die persönliche Ehre etc. nämlich auch als ein Ausfluss einer zutiefst bürgerlich-konservativen Haltung verstehen.

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Hallo,

als jemand, der zum Ende des Kalten Krieges und auch der darin geführten Medienschlacht (James Bond, Jagd auf Roter Oktober usw.) aufgewachsen ist, halte ich es persönlich für extrem spannend, was wikileaks dort tut. Andererseits sind Informationen immer auch Macht und Macht bringt viel Verantwortung mit sich, mit der man keinesfalls leichtfertig umgehen darf. Das ist eine moralische Entscheidung, die die dort Tätigen selber treffen müssen. Jedoch sollte man auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zumindest im Grundsatz wahren. Herr Schmitt gibt zwar im Interview zu an, dass wir in einem Zeitalter des medialen Wandels leben und immer mehr Informationen über uns im Internet veröffentlicht werden. Hier ist jedoch fraglich, wie sind diese Informationen ins Netz gelangt? Durch meinen freien Willen à la soziale Netzwerke? Oder wurde mein Computer von dritter Seite gehackt, um vermeintlich kompromittierendes Material zu sammeln? Das Problem beim reinen Upload von Datenfetzen ist auch, dass man nur eine Seite präsentiert bekommt und die Internetgemeinde sich ziemlich schnell eine Meinung bildet. Der Betroffene ist meist für eine sehr lange Zeit öffentlich beschädigt, ohne das er die Möglichkeit hat sich dagegen zu Wehr zu setzen.
Paradebeispiel ist die chinesische U - Bahnfahrerin, die ihren Hund in der U - Bahn koten lies und die Exkremente nicht entfernte. Davon wurden Bilder im Internet veröffentlicht. Dazu wurde ihr Name, ihre Anschrift und die Telefonnummer genannt. Die Frau wurde durch Anrufe und Belästigungen an den Rand des Suizids gebracht. Eine eigene Stellungnahme der Betroffenen hat hingegen nichts mehr gebracht. Ihr Ruf war beschädigt. Es fragte auch kaum jemand warum sie die Exkremente nicht entfernte. Es kann sein, dass es pure Ignoranz war. Vielleicht hatte sie es sehr, sehr eilig oder gar eine Allergie. Das kann man aufgrund eines Blickwinkels nicht beurteilen.

Genau das gleiche Bild ist bei wikileaks der Fall. Vermeintliche Neutralität kann je nach Präsentation auch ins krasse Gegenteil verkehrt werden.

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Meine Leistungen im Bereich der Grundrechte waren immer eher Bremsen als Förderer eines guten Examens, dennoch ein paar Gedanken, die mir immer kommen, wenn es um Wikileaks geht:

 

1. Wikileaks ist nur spannend, wenn es etwas "allgemein Relevantes" zu verheimlichen und damit zu leaken gibt. Zumindest aktuell habe ich noch das Gefühl, dass man damit immer vergleichsweise große und einflussreiche Einrichtungen/Personen trifft und dass die Relevanz der Veröffentlichung sich aus diesem Einfluss ergibt.

Das erscheint mir durchaus aus sich heraus Antrieb genug, auch ohne zielgerichtetes politisches Lenkungsinteresse Geheimnisse zu veröffentlichen.

 

2. Dennoch werden - aus meiner Sicht - mittelfristig Probleme mit Wikileaks nicht ausbleiben.

a) Es gibt keine Wikileak-Kultur und keine Alternative zu Wikileaks. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass eine einzelne solche Instutution irgendwann aufgeben muss. Sei es wegen finanzieller Unmöglichkeiten, wegen strafrechtlicher Verfolgung, weil sie zu oft auf gefälschte Dokumente hereinfallen, ... die Möglichkeiten sind vielfältig und nicht für alle muss man thrillerähnlichen Verschwörungstheorien zuneigen.

b) Wie wird Wikileaks damit umgehen, wenn irgendwann die Geheimnisse der "Kleinen" oder der "Guten" veröffentlicht werden sollen? Spätestens an dieser Stelle wird man sich fragen müssen, ob Neutralität wirklich wünschenswert ist oder ob nicht zumindest (Wikipedia lässt grüßen) Relevanz und Neutralität einander im Weg stehen.

Beispiel: Wikileaks veröffentlicht ein polizeiinternes Überwachungsvideo, auf dem zu sehen ist, wie der überregional bekannte Herr X. von Polizeibeamten anscheinend beim Verhör geschlagen wird. Zwei Tage später werden Wikileaks als "vs-vertraulich" gekennzeichnete Fotos von Herrn X. zugespielt, die diesen im Bus neben Osama Bin Laden sitzend zeigen. (Das Beispiel ist bewusst schräg gebildet, damit man nicht über Details streiten kann.)

Möchte man an dieser Stelle Neutralität und wie sieht die überhaupt aus?

 

3. Und schließlich die aus meiner Sicht relevanteste Frage: Wäre die Frage der Exklusivität auf Zeit überhaupt eine relevante Größe, wenn die "normale Presse" ihrer Aufgabe noch nachkäme/nachkommen könnte?

Lässt man mal "Thrillerlösungen" außen vor bedeutet das doch nur, dass sich eine Partei argumentativ länger vorbereiten kann. Das dürfte durch die Recherche- und Meinungsbildungsmöglichkeiten der großen Massenpublikationen ausgleichbar sein ... wenn sich alle darum bemühten!

Faktisch aber scheint eine neutrale, freie, furchtlose und engangierte Presse heutzutage entweder nicht gewollt oder nicht rentabel zu unterhalten zu sein. Auch hier will ich gar nicht erst irgendwelche Verschwörungstheorien bedienen, aber es ist doch schon entlarvend, wenn es Wikileaks überhaupt geben muss; und das nicht nur für afrikanische Diktaturen, sondern auch für amerikanische und europäische Sachverhalte, deren sachgerechte Aufarbeitung die "whistleblower" anders nicht mehr gesichert vermuten.

Um also den Bogen zum Einleitungssatz zu schlagen:

Wie müsste ein Presserecht ausgestaltet sein, damit auch heute noch echte Skandale und Affairen aufgedeckt werden könnten und diese dann auch in politische Relevanz erwüchsen?

 

 

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Wenn jemand allergisch gegen Hundekot ist (falls es so etwas überhaupt gibt), sollte er sich einen besseren Weg überlegen, als

a.) überhaupt einen Hund zu halten,

b.) ihn einfach in die U-Bahn koten zu lassen.

Und damit bloße Eile dieses Verhalten entschuldigen könnte, müsste schon eine verdammt gute Geschichte daher.

Wer mit einer Veröffentlichung von etwas, dass er in der Öffentlichkeit (!) vorsätzlich (!) tut, nicht leben kann, sollte den Fehler bei sich selbst suchen, nicht bei denen, die auf sein Verhalten hinweisen.

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Zum Thema:

Die Frage des Interviewers zur Neutralität blendet ein wenig aus, wer überhaupt Interesse daran hat, etwas bspw. über Wikileaks zu veröffentlichen. Die Mitgliederliste einer regierungskritischen Organisation bräuchte kaum jemand anonym zu veröffentlichen - die Regierung des "mittalamerikanischen Staates" oder Arbeitgeber wären sogar besser beraten, die Liste nicht zu veröffentlichen und ohne die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit Konsequenzen aus der Mitgliedschaft zu ziehen.

"Whistleblowing", die Öffentlichkeit um Hilfe zu bitten ist notwendigerweise eher das Mittel dessen, der sich sonst nicht zu wehren weiß.

Problematisch fände ich es allerdings auch, wenn die teilweise überzogenen Forderungen bspw. nach der Publikmachung von wg. Sexualdelikten Verurteilten ohne rechtliche Grundlage über eine solche Seite erfolgen würde. Gegen die Diskriminierung oder unrechtmäßige Verfolgung bestimmter Straftäter, Andersgläubiger, Angehöriger gewisser Ethnien usw. sollte sich WikiLeaks sehr wohl verwahren, wenn man sich nicht irgendwann vorhalten lassen will, selbst Blut an den Fingern zu haben.

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Das ist äußerst schwieriges Terrain.

Fakten sind womöglich neutral. Daten sind jedoch nicht immer Fakten. Und da hat man ein Problem. Es ist keines der Marke Kujau. Das Problem besteht hinsichtlich der zu garantierenden (Menschen)Rechte.

Man nehme einmal einen beliebigen Fall der Vorverurteilung z.B. durch einen gefakten oder auch wahren (aber irreführenden) Leak. Man kann damit jemanden mehr oder weniger töten - gesellschaftlich wie auch real.

Es ist wie bei den Diskussionenüber die Veröffentlichungen durch Staatsanwaltschaften o.ä.. Indizien sind eben dies: Daten. Man kann durch das gezielte streuen von Daten auch vollkommen unschuldigen Menschen große Schäden zufügen indem Daten zu Fakten werden. Wikileaks würde dabei analog den Staatsanwälten hingehen und den Standpunkt einnehmen das man ja das Gegenteil beweisen könne.

Ob man das den Personen welche sich (unschuldig) das Leben nach der Operation Ore genommen haben weil sie von Familie, Nachbarn, Kindern gemieden wurden noch erklären kann?

Dieser Verantwortung kann sich auch Wikileaks nicht entziehen. Und wenn einmal ein Dschihad gegen einen Buchautor ausgerufen wird und Wikileaks bekäme den Aufenthaltsort geleakt würden sie es wohl hoffentlich niemandem sagen.

Absolute Neutralität endet dort wo Menschenleben o.ä. Rechte in Gefahr geraten.

 

Grüße

ALOA

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@ #4 / Ass. iur. :

Sie haben meinen Beitrag offensichtlich nicht verstanden. Es war nur ein Beispiel. Mehr nicht. Dass es an den Haaren herbeigezogen ist, mag ja sein. Ich wollte damit nur darauf aufmerksam machen, dass es sehr schwer ist sich zur Wehr zu setzen, wenn man nur eine Perspektive hat, aus der man das Geschehen begutachten kann. Wenn sie die Abstraktion des Beispiels nicht verstehen, dann sollten sie vielleicht das ass. vor ihrem iur. streichen und wieder ein stud. setzen und ein (1. Semester, Schnupperwoche) dahintersetzen. Es war nur ein Beispiel.

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Aus einem Artikel in der amerikanischen Zeitschrift Mother Jones ("Inside Wikileaks´Leak Factory" von David Kushner, leider hauptsächlich ein etwas einseitiges Porträt von Julian Assange), ergibt sich, dass auch andere Kritik an dem Wikileaks-Ansatz üben:

"Not all were enthusiastic. Steven Aftergood, who writes the Federation of American Scientists' Secrecy News blog and has published thousands of leaked or classified documents, says he wasn't impressed with WikiLeaks' "conveyor-belt approach" to publishing anything it came across. "To me, transparency is a means to an end, and that end is an invigorated political life, accountable institutions, opportunities for public engagement. For them, transparency and exposure seem to be ends in themselves," says Aftergood. He declined to get involved."

 

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

den Mother Jones-Artikel kommentiert Dr. Assange (Kommentar Nr. 2, http://motherjones.com/politics/2010/04/wikileaks-julian-assange-iraq-vi...). Der Bashing-Beitrqag ist ein gutes Beispiel für die Unbrauchbarkeit unserer Medien. Hier habe ich ein weitres: http://www.kanzleikompa.de/2010/04/12/spiegel-schiest-auf-wikileaks-und-...

Mit freundlichen Grüßen

Markus Kompa

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@ # 8 / Ass. iur. : Das wünsche ich mir von Ihnen auch. Ihren obigen Voreintrag kann man ja nur als Polemik verstehen.

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Habe jetzt nicht alles gelesen, nur den Eingangspost. Das Beispiel mit der verfolgten Minderheit, oder z.B. auch die Frage, ob sie eine Liste ihrer eigenen Quellen veröffentlichen würden sind zwar interessant zu diskutieren aber meiner Meinung nach kaum praxisrelevant.

Was könnte die Motivation sein so etwas zu veröffentlichen?
Sie richtet sich doch entweder gegen die Minderheit, deren Daten veröffentlicht würden oder gegen Wikileaks. Zweiteres könnten sie verhindern, indem sie sich raushalten, ersteres nicht.

Jemand der diese Daten hat und sie den Verfolgern zukommen lassen will wird das so oder so schaffen. Ohne Wikileaks vielleicht etwas weniger schnell und komfortabel, der Minderheit wird eine Verweigerung von Wikileaks aber nicht viel nützen.

 

Wenn ich das richtig in Erinnerung habe kümmert Schmidt sich nicht um die NPD Sachen sondern nur um ausländische Angelegenheiten um so wenig AngriffsflÄche wie möglich zu bieten.

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Die Einstellung von WikiLeaks bzgl. Persönlichkeitsrechten und Gefährung Betroffener mag durchaus kontrovers sein und ist immer eine Frage der Abwägung.

Die Entscheidung, was wir von der Welt wissen, wurde bislang den Gatekeepern wie Redaktionen, Staaten und Zensurbehörden bzw. Geheimdiensten überlassen. Wir kennen nur einen minimalen Ausschnitt unserer Geschichte, und zwar nur den, welchen man uns zeigt. Ein Großteil dieses Ausschnitts beruht sogar noch auf Desinformation und falschen Schlussfolgerungen sowie filternder Meinungsführer. Wir wissen nicht, was die Mächtigen hinter verschlossenen Türen besprechen. Die Qualität unserer Beurteilungsgrundlage für Politik ist lächerlich.

Das Internet gibt erstmals die logistische Möglichkeit für jedermann, ohne den Erwerb beträchtlicher Literatur an etliche Informationen zu gelangen, um sich ein Bild über die Welt und die politischen Zusammenhänge zu machen. Während die konventionellen Medien derzeit noch ihre Travestie der Meinungsführerschaft zelebrieren, sucht sich die Informationselite eben selbst ihre (Des)Informationen. Mit Originaldokumenten, die vor ihrer (selektiven!) Freigabe der Welt zur Verfügung gestellt werden, hat die Menscheit erstmals eine Chance, der Wahrheit nahe zu kommen, bevor sie bei den Historikern landet.

Ich verstehe zwar nicht so recht, was es bringen soll, NPD-Emails zu veröffentlichen und warum NPD-Leute keine Persönlichkeitsrechte haben sollten, die man nicht genauso achten muss wie die anderer Leute auch, zumal die NPD nicht wirklich politische Macht hat.

Rechtsansprüche und und faktische Macht, Dinge geheim zu halten, werden vielfach missbraucht, um gegen die Interessen der Leute zu agieren, dass das eine oder andere Persönlichkeitsrecht unterm Strich nicht ins Gewicht fallen wird. Auch die konventionellen Medien verletzen häufig Persönlichkeitsrechte. Und auch die konventionellen Medien töten Menschen, etwa beim Transport staatlicher Lügen.

http://www.youtube.com/watch?v=HBHefedY4fw

http://www.youtube.com/watch?v=u57obYrS1oE

So what?

WikiLeaks ist daher ganz überwiegend eine gute Sache. Erstmals haben die Leute einen von Macht unkontrollierten eigenen Geheimdienst.

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Sehr geehrter Herr Kompa,

Ihren ersten Bemerkungen in #11 stimme ich weitgehend zu - die Klagen über mangelnde Neutralität sind viel stärker angebracht bei den herkömmlichen Medien, deren Agieren wir ja schon seit Langem kennen und mit denen wir auch nicht zufrieden sein können, viel zu viel wird abgeschrieben, viel zu wenig recherchiert. Insofern kann wikileaks ein Segen sein. 

Mich hat aber nachdenklich gemacht, dass Schmitt im Interview aufgrund der angenommenen Verpflichtung zur Neutralität nicht einmal die potentiell gefahrbringende Veröffentlichung von geschützten Personendaten in Frage stellt, obwohl er eine partielle Anonymität  für sich selbst in Anspruch nimmt. Es wäre leicht gewesen, hier eine Grenze zu ziehen und zu sagen, natürlich würde man solche Listen mit Personendaten nicht veröffentlichen, zumindest wenn damit potentiell die (körperliche) Gefährdung von Personen verbunden ist. Die Aufdeckung von Skandalen bliebe ebenso möglich. Warum zieht er also diese Grenze nicht? Warum macht er sich und wikileaks so angreifbar? Wie kommt es zu so einem Widerspruch?

Auch ich habe  den Kushner-Artikel (wie auch oben angedeutet)  nicht für  besonders aussagekräftig gehalten. Hier wird überwiegend die Persönlichkeit Assange platt und teilweise unter der Gürtellinie angegriffen, ohne wikileaks selbst zu untersuchen. Daher auch die überwiegend berechtigte Kritik in den Kommentaren.  Trotzdem: Das oben von mir wiedergegebene wikileaks-kritische Zitat von Steven Aftergood, "To me, transparency is a means to an end, and that end is an invigorated political life, accountable institutions, opportunities for public engagement. For them, transparency and exposure seem to be ends in themselves," wikileaks ziele also auf  "Aufdeckung um der Aufdeckung Willen", hielt ich für bedeutsam. Assange bestreitet dies in seiner Antwort, in dem er (allerdings wenig substantiiert) Fehler des Artikels anmahnt: "4. The article states that I believe all leaks are good. I have never stated this. The claim is an idiotic and false. " Damit bezeichnet Assange genau die Meinung als idiotisch, die Daniel Schmitt als Sprecher von wikileaks im taz-Interview vertritt. Offenbar ist diese Position bei wikileaks selbst nicht geklärt. Vielleicht sollten Assange und Schmitt einmal miteinander telefonieren. (Nebenbei: Ein bisschen lustig ist es schon, dass ausgerechnet wikileaks-Gründer Assange sich darüber beschwert, der Artikel sei ihm vorher nicht gezeigt worden)

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Neues Interview mit Daniel Schmitt (Quelle: Spiegel-Online). Darin räumt er ein, dass die Veröffentlichung des Videos unter dem Titel "Collateral Murder" die Neutralität von wikileaks gefährdet habe, aber man habe aus diesem Fehler gelernt. Bei der Veröffentlichung der BNP-Mitgliederliste habe er auch "Bauchschmerzen" gehabt, es sei aber alles gut gegangen.

zugleich wird ein neues Video angekündigt.

Positiv finde ich die bei Schmitt  zum Ausdruck kommende Bereitschaft auf Kritik zu reagieren.

Bislang sind die Horror-Szenarien hypothetisch - und werden überwiegend von Medien geäußert, die sich unter dem Druck der gegenwärtig schlechten Konjunktur im Printbereich Futterneid nachsagen lassen müssen (FAZ-Schirrmacher usw.).

In dem SPIEGEL-Interview berichtet Schmidt, dass die Veröffentlichung der BNP-Sachen erstaunlicherweise sogar bei vielen Betroffenen positiv aufgenommen wurde, während man hier den Kult um das Persönlichkeitsrecht beschwört.

Ich kenne "Daniel Schmidt" persönlich und habe einen sehr guten Eindruck von ihm. Er arbeitet definitiv gewissenhaft. Umgekehrt finde ich es seltsam, welche subkutane Sensibilität mancher Journalist einerseits gegenüber WikiLeaks entfaltet, wenn es auf der anderen Seite um Aufklärung über Organisationen wie das US-Militär geht, die etwa in Abu Ghuraib, Guantanamo, Folterzentren in Osteuropa usw. bewiesen haben, dass sie sich um Menschenrechte nicht scheren.

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Ich finde man sollte nicht vergessen, welche Aufgabe sich WikiLeaks gegeben hat: primär aus verschiedenen Gründen unter den Teppich gekehrte Informationen zu veröffentlichen und Quellen zu schützen. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr als genau das.

Eine journalistische Aufarbeitung findet dabei in der Regel jedoch nicht statt, weil das nicht Aufgabe von WikiLeaks ist. Die Plattform begreift sich als Teil eines journalistischen Prozesses - jedoch nicht als den gesamten Prozess. Sie liefern Rohmaterial - keine (bzw. nur in Ausnahmen) fertige Artikel.

Eine Art "Open-Source"-Journalismus. WikiLeaks liefert Quellen - andere entscheiden, ob dahinter eine Story ist und ob die Quellenlage ausreicht und es allgemein interessant genug ist, es im Großen zu veröffentlichen.

Ausgerechnet bei "Collateral Murder" haben Sie ausnahmsweise auch - aber nicht ausschließlich - eine journalistische Story geliefert. Diese ist - wie alle journalistischen Produkte - natürlich nicht völlig objektiv. Das kann sie auch gar nicht sein. Da aber nun ausgerechnet dieses Beispiel gerade in der Öffentlichkeit steht ansteht der Eindruck, WikiLeaks erstelle journalistische Produkte und genau das ist eben einfach nicht zutreffend.

Sie verhalten sich wie eine Agentur, die Recherchen durchführt und veröffentlicht, ohne sie selbst zu verwerten. Andere tun genau das Gleiche: allerdings nehmen sie dafür Geld und die Originalquelle bleibt nach Veröffentlichung der abgedruckten oder verfilmten "Story" weiter unter dem Deckel der Verschwiegenheit. Viele Dokumente und Recherchen verschwinden dabei auch ungenutzt.

Genau das ist das Problem und der Grund warum es WikiLeaks gibt: ein Whistle-Blower braucht die Gewissheit, dass seine Quelle eben nicht ungenutzt verschwindet oder zusammengekürzt wird, weil die neue Story über Hansi Hinterseher gerade mehr Quote bringt. Deshalb ist deren Politik und Herangehensweise journalistisch sinnvoll, korrekt und nach reiflicher Überlegung auch die einzig mögliche Art damit umzugehen.

Das ist für uns als Außenstehende vielleicht deswegen ungewohnt, weil wir mit solchen Quellen in der Regel nichts zu tun haben. Weil wir normalerweise nur das fertige (Print-)produkt lesen und uns über die Quellenlage, von der wir i.d.R. nie etwas erfahren, gar keine Gedanken machen.

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