Herausgabeanspruch auf Eizellen?

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 20.04.2010
Die Tagespresse berichtet heute über eine junge Witwe, die vor dem OLG Rostock um die Herausgabe ihr zu Lebzeiten ihres Mannes entnommener Eizellen kämpft. Hier das Urteil der ersten Instanz (LG Neubrandenburg Urteil vom 12.08.2009 2 O 111/09)

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Herausgabe kryokonservierter Eizellen der Klägerin, die sich im Vorkernstadium befinden.

Die Klägerin und ihr Ehemann unterzogen sich bei der Beklagten einer Behandlung zur In-vitro-Fertilisation. Am 13.03.2008 entnahm die Beklagte der Klägerin neun Eizellen, die sie nach einer morphologischen Kontrolle mit dem Samen des Ehemannes der Klägerin entweder in einem Reagenzglas oder Petrischälchen in speziellen Zellkulturmedien befruchtete – fertilisierte - und im Vorkernstadium kryokonservierte.

Die Parteien schlossen einen nicht zur Akte gereichten Vertrag über die Einlagerung der kryokonservierten Eizellen der Klägerin. Gegen ein jährliches Entgelt in Höhe von € 55,00 verpflichtete sich die Beklagte zur Einlagerung (Auf- und Verwahrung) der kryokonservierten Eizellen.

Anfang Juli 2008 verstarb der Ehemann der Klägerin an den Folgen eines Motorradunfalls.

Die Beklagte lehnte eine Implantation der kryokonservierten Eizellen im Vorkernstadium in die Gebärmutter der Klägerin unter Berufung auf § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG ab. Daraufhin nahm die Klägerin, den bereits mit ihrem Ehemann angebahnten Kontakt zum Westpommerschen Kinderwunschzentrum für die Infertilitätsbehandlung im polnischen Szczecin (Stettin) wieder auf. Das Institut erklärte sich bereit, die von der Klägerin stammenden kryokonservierten Eizellender Klägerin zu implantieren.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.07.2008 forderte die Klägerin die Beklagte zur Herausgabe der Eizellen zum Zwecke der Fortsetzung der Behandlung in Polen auf. Die Beklagte lehnte das Herausgabeverlangen der Klägerin mit Schreiben vom 26.11.2008 unter Berufung auf die möglicherweise gegebene Strafbarkeit bei der Ermöglichung der postmortalen Beendigung des durch die Kryokonservierung unterbrochenen Befruchtungsvorganges ab.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich die Beklagte durch die Herausgabe der EizellenEizellen schon vor dem Tod ihres Ehegatten befruchtet worden seien. Schließlich sei der Transfer eines Embryos nach dem Tod des Samengebers keinen Einschränkungen unterworfen. nicht strafbar machen könne und diese daher ihr gegenüber zur Herausgabe verpflichtet sei. Sie meint, § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG sei nicht einschlägig.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die neun unter dem Namen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemanns eingelagerten befruchteten kryokonservierten Eizellen an sie herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.Sie ist der Ansicht, dass eine Herausgabe der Eizellen jedenfalls als strafbare Beihilfe zu einer Tat nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG zu werten wäre. Sie sei berechtigt, die Herausgabe der kryokonservierten Vorkernzellen zu verweigern, weil sie in Kenntnis der von der Klägerin beabsichtigten Implantation in Polen, die in § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG normierte Handlung erfüllen würde. Da die Befruchtung erst mit der Kernverschmelzung abgeschlossen sei, laufe sie Gefahr, auch bei der postmortalen Verwendung der kryokonservierten Eizellen zur Vollendung des unterbrochenen Befruchtungsvorganges durch die Eizellengeberin, den Straftatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG zu erfüllen, weil sie Kenntnis von der Verwendungsabsicht der Klägerin erhalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und die in Bezug genommenen Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 12.08.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Herausgabe der kryokonservierten Eizellen im Vorkernstadium. Die Klägerin kann ihr Herausgabebegehren weder auf § 985 Abs. 1 BGB noch auf § 695 BGB stützen.

Der Klägerin steht ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB nicht zu.

1.

Die Klägerin ist Eigentümerin ihrer kryokonservierten mit dem Samen ihres verstorbenen Ehemannes imprägnierten Eizellen, die jedoch noch nicht als befruchtet gelten.
a)Nach der Rechtsprechung des BGH gehören vom Körper eines Menschen getrennte Körperteile wie Haare, Blut und Sperma weiter zum Schutzgut des Körpers, wenn sie zur Bewahrung der Körperfunktionen oder zur Wiedereingliederung in den Körper bestimmt sind (BGHZ 127, 52). Anderenfalls werden sie bewegliche Sachen. Mit der Trennung wandelt sich die Herrschaft analog § 953 BGB ipso facto in Eigentum, welches übertragen werden kann, etwa an einen Arzt oder eine Forschungseinrichtung. Allerdings unterliegt die Übertragung von Körperteilen und die Verfügungsbefugnis des Eigentümers engen gesetzlichen Schranken.
Nach einhelliger Ansicht, sind sonach die menschlichen Keimzellen (Gameten) vor der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, anders als Embryonen als Sache anzusehen und grundsätzlich eigentumsfähig. Das Eigentum erwirbt unmittelbar derjenige, zu dessen Körper die Keimzelle vor der Abtrennung oder Absonderung gehörte (vgl. Taupitz in Günther/Taupitz/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 1 Abs. 1 Nr. 1, Rdn. 17 m.w.N.)
Die unter dem Namen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemanns bei der Beklagten eingelagerten kryokonservierten Eizellen befinden sich im Vorkernstadium und sind damit eigentumsfähige Keimzellen. Nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien ist davon auszugehen, dass die Samenzellen bereits in das Zytoplasma der Eizellen eingedrungen oder injiziert worden sind. Eine Verschmelzung von Samen- und Eizelle hat aber noch nicht stattgefunden.
Mit dem Eindringen der Samenzelle in das Plasma der Eizelle (Imprägnation) entsteht die Zygote. Durch Stoffwechselvorgänge formieren sich aus den haploiden Chromosomsätzen der Ei- und Samenzelle je zwei Vorkerne (Pronuklei), die von Membranen umgeben sind. Es beginnt in jedem Vorkern die Verdopplung (identische Reduplikation). Die Vorkerne wandern aufeinander zu, die Membranen lösen sich auf und die haploiden Chromosomensätze der Vorkerne vereinigen sich (Konjugation) zur ersten gemeinsamen Teilung (Furchung). Dieser Vorgang dauert 15 bis 18 Stunden. Erst damit ist die Befruchtung abgeschlossen. (vgl. Günther in Günther/Taupitz/Kaiser, a.a.O., Einf. A Rdn. 36). Mit dem Eindringen des Spermiums in die Eizelle ist die Befruchtung folglich noch nicht abgeschlossen. Vielmehr liegen in diesem Stadium noch Vorkernzellen vor, die sich noch nicht vereinigt haben.
Vor der Verschmelzung der Zellen liegt nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 ESchG auch noch kein Embryo vor. Denn nach der gesetzlichen Definition gilt die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an als Embryo.
2.Der aus dem Eigentumsrecht resultierenden Herausgabeanspruch der Klägerin gegen die Beklagte als Besitzer der Eizellen ist jedoch gem. § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Das Herausgabeverlangen der Klägerin zu dem angestrebten Zweck zielt auf eine rechtlich unmögliche Leistung ab.
a)Es ist anerkannt, dass von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung auch dann ausgegangen werden kann, wenn die Verpflichtung des Schuldners auf die Herbeiführung eines Rechtserfolges gerichtet ist, den die Rechtsordnung nicht anerkennt (BGH, NJW 2008, 1070). Der Schuldner kann die Herausgabe verweigern, wenn er durch die Herausgabe eine strafbare Handlung begeht und sich selbst der Gefahr eigener strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. In diesen Fällen besteht ein gesetzliches Verbot zu Erfüllung des Herausgabebegehrens. Das Herausgabeverlangen kann der Schuldner, ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen, nicht erfüllen, es ist mithin rechtlich unmöglich; hierzu darf auch das Gericht den Schuldner nicht verpflichten.
b)Vorliegend steht der beabsichtigten Nutzung der kryokonservierten Eizellen § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG entgegen, der die beabsichtigte Weiterverwendung der imprägnierten Zellen zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft in Deutschland unter Strafe stellt.
aa)Die freiwillige Herausgabe durch die Beklagte würde den Tatbestand der Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) zu einer Straftat nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG erfüllen. Nach dieser Vorschrift ist strafbar, wer wissentlich eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tod künstlich befruchtet.
bb)Die kryokonservierten Eizellen im Vorkernstadium sind noch nicht als befruchtet zu betrachten, so dass sie Fortsetzung des eingeleiteten Befruchtungsprozesses als wissentliche künstliche Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tod zu werten ist.
Das ESchG differenziert lediglich zwischen befruchteten und unbefruchteten Eizellen; eine weitere Differenzierung nimmt das Gesetz nicht vor. Eine im Befruchtungsvorgang befindliche (imprägnierte) Zelle ist - wie schon oben aufgezeigt - noch nicht (fertig) befruchtet und ist damit noch als unbefruchtet im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG und den weiteren Vorschriften des ESchG zu betrachten.
(1)
Aus der Gesetzesbegründung ergeben sich keine sicheren Anhaltspunkte dafür, ab welchem Stadium von einer befruchteten Eizelle ausgegangen werden kann und wie die im Befruchtungsstadium befindliche Eizelle zu behandeln ist. Dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Fortpflanzungsmedizin" vom 29.11.1988 lässt sich entnehmen, dass eine Eizelle nach dem Eindringen der Samenzelle als befruchtet zu betrachten sei (Taupitz in Günther/Taupitz/Kaiser, a.a.O., § 1 Abs. 1 Nr. 1, Rdn. 19).
Dieser weiten Auslegung des Begriffes "befruchtet" kann jedoch nicht gefolgt werden. Schon nach dem allgemeinem Sprachgebrauch ist die Zelle erst mit Abschluss des Befruchtungsvorgangs auch tatsächlich befruchtet. Die Zuordnung der im Befruchtungsvorgang befindlichen, noch nicht fertig befruchteten Eizelle als befruchtete Eizelle würde zu inhaltlich nicht begründbaren Strafbarkeitslücken führen. Gegen ein solches Verständnis kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass der Befruchtungsvorgang ohne Zutun des Täters regelmäßig bereits mit der Zugabe der Samenzellen in Gang gesetzt worden ist, ohne dass es einer weiteren Handlung bedürfte. Die in der Praxis übliche und gesetzeskonforme Kryokonservierung von Vorkernzellen zeigt jedoch, dass auch eine Fortsetzung des Befruchtungsvorgangs gegebenenfalls nur durch eine weitere Handlung, wie das Auftauen der Zellen, möglich ist und der durch die Kryokonservierung unterbrochene Befruchtungsvorgang infolge des Auftauens zur Vollendung gelangt. Folglich ist es naheliegend, die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG dahingehend zu auszulegen, dass die Befruchtung der Eizelle erst mit der nach dem Auftauen stattfindenden, sich dann aber selbständig fortsetzenden Prozess der Kernverschmelzung erfolgt (so auch Taupitz a.a.O.).
(2)Dieses Verständnis ist auch vom Wortlaut der Vorschrift noch gedeckt.
Art. 103 Abs. 2 GG erhebt den Rechtsgrundsatz nulla poena sine lege auf Verfassungsrang. Das Analogieverbot gebietet es, strafrechtliche Vorschriften eng auszulegen. Der teleologischen Auslegung von Strafvorschriften zum Zwecke der Schließung von Strafbarkeitslücken sind durch den Wortlaut des Strafgesetzes und strafrechtlichen Nebengesetze enge Grenzen gesetzt. Zwar mag sich zum Verständnis des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG aufdrängen, dass dieser auf das Befruchten der EizelleEizellen durch Zugabe beziehungsweise Injektion von Samenflüssigkeit abstellt, dies schließt jedoch ein weiteres Verständnis, dass auch das Auftauen kryokonservierter als Befruchtung erfasst, nicht schlechterdings aus. Denn der Auslegung der Vorschrift ist die fortpflanzungsmedizinische und biologische Begriffsbestimmung zu Grunde zu legen.
cc)Soweit das Auftauen der Eizellen in Polen durch polnische Ärzte erfolgt, handelt es sich um eine Auslandstat, deren Ahndung in Deutschland § 7 StGB entgegensteht. Eine Verfolgung scheitert jedenfalls daran, dass nach dem unbestrittenen Vortrag der Parteien das Befruchten von Eizellen mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tod in Polen nicht unter Strafe gestellt ist. In Deutschland besteht für die Frau gem. § 4 Abs. 2 ESchG ein persönlicher Strafausschließunggrund, der den behandelnden Arzt gem. § 28 Abs. 2 StGB jedoch nicht zu Gute kommt.
Ob eine entsprechende Strafnorm im polnischen Recht existiert, kann aber letztlich auch dahingestellt bleiben, da § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB die Strafbarkeit des im Inland handelnden Teilnehmers an einer Auslandstat unter andere Voraussetzungen stellt. Hiernach ist der im Inland handelnde Teilnehmer auch dann nach deutschem Recht zu bestrafen, wenn die Tat im Ausland nicht mit Strafe bedroht ist.
Die in Deutschland erfolgende Herausgabe der kryokonservierten Eizelle zum Zwecke der Befruchtung im Ausland fördert die Haupttat und ist in Deutschland als Beihilfe zur postmortalen Befruchtung gemäß § 27 StGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG strafbar.
c)Nach Ansicht der Kammer bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG, die eine Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht rechtfertigen könnten.
aa) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, bei Androhung von Freiheitsstrafe auch im Hinblick auf die Gewährleistung der Freiheit der Person durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, dass eine Strafnorm dem Schutz anderer oder der Allgemeinheit dient (BVerfGE 90, 145; BVerfG, NJW 2008, 1137).
bb) Der Gesetzgeber hat das Risiko gesehen, dass durch die künstliche Befruchtung ein Eingriff in die nicht steuerbare Entwicklung menschlichen Lebens erfolgen könnte und hat mit dem ESchG der Verwendung von menschlichen Eizellen und Embryonen enge Grenzen gesetzt. Der Verabschiedung sind über die Parteigrenzen hinaus umfangreiche ethisch moralische Diskussionen vorausgegangen. Bei der Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Gemeinschaft drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann (BVerfGE 90, 145).
Auf dieser Grundlage stellt sich § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG als verfassungsgemäß dar. In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden Bedenken für das Wohl des zu zeugenden Kindes darin gesehen, dass dieses in dem Bewusstsein aufwachse, keinen Vater zu haben. Hiergegen wird vorgebracht, dass sich bei von hirntoten Müttern abstammenden Kindern keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür ergeben hätten, dass diese ihre Herkunft schwer verkraften könnten (Roxin/Schroth-Liegesalz, Medizinrecht, 349; Taupitz in Günther/Taupitz/Kaiser, a.a.O., § 4 Abs. 1 Nr. 3, Rdn. 26 ff.). Diese Bedenken verfangen jedoch nicht, da eine Beeinträchtigung für die kindliche Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann und die moralischen und ethischen Bedenken bei einer hirntoten Hochschwangeren, deren Leibesfrucht anders als die Vorkernzelle gerade nicht als Sache zu behandeln ist, anders zu beurteilen sind, als die geplante künstliche Befruchtung. Bei der Leibesfrucht steht der Schutz des ungeborenen Lebens im Vordergrund. Soweit hinreichend sichere Erkenntnisse über frühkindliche Entwicklungsstörungen aus künstlicher Befruchtung entstandener, von verstorbenen Vätern abstammender Kindern, etwa aus Ländern, in denen eine vergleichbare Strafnorm nicht besteht, nicht vorliegen, besteht zumindest eine ernsthafte Befürchtung von Fehlentwicklungen, die die Wertung des Gesetzgebers unter Berücksichtigung des bestehenden Beurteilungsspielraums als verfassungsrechtlich unbedenklich erscheinen lässt.

Für eine Strafbarkeit der postmortalen Befruchtung spricht auch, dass nach geltender Rechtslage der Samenspender gem. §§ 1592 Nr. 1, 1593 BGB nicht als Vater anerkannt werden könnte, da ausgeschlossen werden kann, dass die Klägerin binnen 300 Tagen nach Auflösung der Ehe durch Tod entbinden wird. Zwar mag man dem mit Taupitz entgegen halten, dass für diesen Fall gegebenenfalls eine Fristenlösung für die Durchführung der Befruchtung hätte erwogen werden können. Wollte man die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG jedoch verfassungskonform auslegen, so würden Bedenken gegen eine Strafbarkeit jedenfalls dann nicht bestehen, wenn eine Vaterschaftsanerkennung innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht mehr möglich ist.

Die Kammer sieht sich nach allem nicht berufen, ethisch moralische Wertungen des Gesetzgebers, die sogleich auch die Wertvorstellungen der Gesellschaft reflektieren, durch eigene moralisch ethische Erwägungen zu ersetzen.

Der Klägerin steht ein Herausgabeanspruch auch nicht nach § 695 BGB oder einer sonstigen Anspruchsnorm zu.

Auch insoweit steht dem Herausgabeanspruch der Klägerin der Einwand der rechtlichen Unmöglichkeit der Erfüllung ihres Begehrens gem. § 275 Abs. 1 BGB entgegen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert ist in Anwendung von § 3 ZPO auf 10.000,00 € zu bemessen.
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10 Kommentare

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Jetzt hab ich mich doch durch diesen unsäglichen Text durchgekämpft. Der Knackpunkt hierbei ist: Wann handelt es sich um befruchtete Eizellen? Man sollte meinen, diese Frage ist einfach zu beantworten. Offensichtlich gilt dies jedoch nicht bei Juristen, zumal diese wohl einige medizinische Experten gefunden haben, die mit geradezu diabolischer Spitzfindigkeit uns erklären, dass es auch "ein bisschen befruchtet" gibt und dass das durchaus nicht gleichzusetzen ist mit "vollständig befruchtet".

Besonders gut gefallen haben mir dann die geradezu akrobatischen geistigen Klimmzüge des Gerichtes an folgender Stelle:

Die Zuordnung der im Befruchtungsvorgang befindlichen, noch nicht fertig befruchteten Eizelle als befruchtete Eizelle würde zu inhaltlich nicht begründbaren Strafbarkeitslücken führen. (Aha, daher weht also der Wind!)  Gegen ein solches Verständnis kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass der Befruchtungsvorgang ohne Zutun des Täters regelmäßig bereits mit der Zugabe der Samenzellen in Gang gesetzt worden ist, ohne dass es einer weiteren Handlung bedürfte. Die in der Praxis übliche und gesetzeskonforme Kryokonservierung von Vorkernzellen zeigt jedoch, dass auch eine Fortsetzung des Befruchtungsvorgangs gegebenenfalls nur durch eine weitere Handlung, wie das Auftauen der Zellen, möglich ist und der durch die Kryokonservierung unterbrochene Befruchtungsvorgang infolge des Auftauens zur Vollendung gelangt. Folglich ist es naheliegend, die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG dahingehend zu auszulegen, dass die Befruchtung der Eizelle erst mit der nach dem Auftauen stattfindenden, sich dann aber selbständig fortsetzenden Prozess der Kernverschmelzung erfolgt (so auch Taupitz a.a.O.). (eindeutig falsch. Genau zu diesem Zeitpunkt entsteht der Embryo. Es gibt lediglich Zellen in verschiedenen Stadien der Befruchtung. Befruchtet sind die Eizellen allemal).

Dieses Verständnis ist auch vom Wortlaut der Vorschrift noch gedeckt.

In gängiger medizinischer Alltagspraxis gelten jedoch andere Definitionen: 

Unbefruchtete Eizellen lassen sich nicht einfrieren, die Überlebensrate nach dem Auftauen ist sehr schlecht. Erstaunlicherweise ist dies bei befruchteten Eizellen im Vorkernstadium möglich. Das Einfrieren ist in Deutschland nur zu dieem Zeitpunkt erlaubt, denn im Vorkernstadium handelt es sich nur um befruchtete Eizellen, nach der Verschmelzung der Vorkerne oder der ersten Zellteilung handelt es sich definitionsgemäß um einen Embryo, der dem Embryonenschutzgesetz entsprechend nicht eingefroren werden darf.

http://www.wunschkinder.net/theorie/behandlungen-methoden/kryokonservier...

Man sieht: es gibt nicht nur "ein bisschen schwanger" sondern mit Hilfe des LG Neubrandenburg jetzt auch "ein bisschen befruchtet". Ein bisschen befruchtet ist aber sozusagen "gar nicht befruchtet", somit darf das Material auch nicht herausgegeben werden (obwohl es ja eigentlich befruchtet ist, es sich nur weiterentwickeln müsste und der Samen eines toten Mannes gar nicht mehr benötigt wird).

Im übrigen wird die unsinnige Argumentation schon dann deutlich, wenn man sich eine andere Konstellation vorstellt: es erfolgt eine IVF, es entstehen befruchtete Eizellen im Vorkernstadium. Diese Zellen könnten auch schon implantiert werden. Eine Kryokonservierung findet nicht statt oder wurde noch nicht eingeleitet. Wenn jetzt der Mann genau zu diesem Zeitpunkt stirbt, müssen dann alle Vorkernzellen sofort durch den Arzt vernichtet werden? Ohne ärztliches Tun würde ja der "Befruchtungsvorgang" unweigerlich zum Abschluss kommen, die Vorkerne verschmelzen und genau dann ist der Embryo entstanden. Wenn der Mann aber wenige Stunden später stirbt, dann ist wieder alles in Ordnung - die Vorkerne sind verschmolzen, der Embryo entstanden und eine Implantation möglich.

Deshalb kann im Sinne des ESchG nur auf den Zeitpunkt der Verschmelzung des Samens mit der Eizelle abgestellt werden. Ist das geschehen, so ist der Samen des Mannes eben zu dessen Lebzeiten verwendet worden und er darf im Sinne des ESchG danach auch sterben, ohne dass eine Strafbarkeit begründet wird. Das neue Leben darf sich weiterentwickeln und muss nicht vernichtet werden. Jegliche andere Sichtweise führt zu absurden Ergebnissen.

Die Anwältin der Witwe argumentiert ähnlich wie Sie, Frau Dr. Ertan.

Sie sieht ein «verfassungsrechtliches Problem» in der Frage, wann genau eine künstliche Befruchtung abgeschlossen sei. Sie ist der Ansicht, dass dies bereits im Moment des Einfrierens vor der Zellteilung geschehe, also wenn das Spermium in die Eizelle eindringe.

Man darf auf die Entscheidung des OLG Rostock, die am 07.05 verkündet werden soll, gespannt sein.

Ja, die Argumentation ist ähnlich.

Verwirrung schafft ja nur das zusätzliche Einfrieren. Außerdem geht es um ein paar Definitionen. Die Anwältin, ich selbst und  der Großteil der Mediziner gehen davon aus, dass unter der Befruchtung das Verschmelzen von Ei- und  Samenzelle zu verstehen ist (Zelle, nicht etwa Kerne!). So hat es seinerzeit wohl auch der Gesetzgeber verstanden. Es sollte vermieden werden, dass der  Samen eines toten Mannes mit der Eizelle einer Frau verschmolzen wird.

Was aber, wenn der Samen des Mannes schon zu Lebzeiten übertragen wurde? Das LG hat sich jetzt auf Überlegungen gestützt, dass ja der Vorgang erst mit der Kernverschmelzung "abgeschlossen" sei. Das ist aber eher eine sprachliche Trickserei. Die Befruchtung ist in der Medizin durch Zellverschmelzung (s.o.) defniert. Danach durchläuft die BEFRUCHTETE Zelle zwar weitere Stadien, bis es dann zur Kernverschmelzung (der Vorkerne) kommt. Dieser Vorgang ist als Entstehung des Embryo definiert. Das heßt aber nicht, dass erst mit der Entstehung des Embryo die Befruchtung abgeschlossen sei. Diese Definition habe ich hier (bzw. beim LG) zum ersten Mal gelesen.

Es gibt einen Zeitpunkt der Befruchtung (Zellverschmelzung) und es gibt einen Zeitpunkt der Embryoentstehung (Kernverschmelzung). Dazwischen läuft aber keine weitere Befruchtung ab, vielmehr entwickelt sich die befruchtete  Eizelle eben weiter, bis durch Kernverschmelzung ein Embryo entsteht. Auch der Embryo entwickelt sich die nächsten 9 Monate weiter, ohne dass man auf die Idee käme zu behaupten, die Embryoentstehung sei noch nicht abgeschlossen.

Was nach Embryoentstehung folgt, ist die Embryoentwicklung, und was nach der Befruchtung der Eizelle folgt ist die Entwicklung der befruchteten Eizelle. So einfach war das bisher.

Ausdrücklich verboten wurde im ESchG die Verwendung von konserviertem Samen eines Verstorbenen. Das ist der Wille des Gesetzgebers. Hätte der Gesetzgeber hingegen jegliche künstliche Schwangerschaft verstorbener Eltern verbieten wollen, so hätte man das im Gesetz auch so formulieren können. Dann hätte man jeglichen  Transfer von Embryonen (!) oder auch von befruchteten Eizellen (was man kaum macht) in die Gebärmutter einer Frau verboten, wenn der Mann verstorben ist.

So aber entsteht jetzt die groteske Situation, dass die Klinik glaubt, sie müsse den Gefriervorgang aufrechterhalten, damit ja nicht in wenigen Stunden das Stadium des Embryos entsteht (den man dann ja völlig legal übertragen dürfte).

Letztendlich sollten diese grundlegenden ethischen Fragen aber weder OLG noch Bundesverfassungsgericht entscheiden, sondern der Gesetzgeber durch eine präzisere Formulierung des Gesetzes.

Etwas Information (mit Stellungnahmen auch des Sprechers des OLG) gibt es noch beim SPON:

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,689870,00.html

iris6000 schrieb:

Ausdrücklich verboten wurde im ESchG die Verwendung von konserviertem Samen eines Verstorbenen. Das ist der Wille des Gesetzgebers. Hätte der Gesetzgeber hingegen jegliche künstliche Schwangerschaft verstorbener Eltern verbieten wollen, so hätte man das im Gesetz auch so formulieren können. Dann hätte man jeglichen  Transfer von Embryonen (!) oder auch von befruchteten Eizellen (was man kaum macht) in die Gebärmutter einer Frau verboten, wenn der Mann verstorben ist.

Ihre Argumentation erweckt den Eindruck, als hielten Sie den Samen eines Verstorbenen für gesondert schutzwürdig, was dem ESchG nach nicht der Fall ist. Verboten ist nicht die abstrakte Verwendung des Samens, sondern die Erzeugung eines Embryos mittels des Samens eines Toten. Dabei kommt ein weitgehend verrechtlichter Befruchtungsbegriff zum tragen. Dagegen ist auch nach Auffassung des Gerichtes die künstliche Schwangerschaft mit dem Embryo aus dem Samen eines Toten nicht verboten, wenn der Embryo eben bereits zum Zeitpunkt des Todes vorhanden war, sprich die Eizelle befruchtet.

Das Verlangen der Klägerin beruht offenbar auf den beiden miteinander verflochtenen Annahmen, die Eizellen seien "praktisch" schon befruchtet und die Befruchtung sei ohne Zutun zu vollenden. Beides halte ich für sich genommen nicht für schlüssig, und insbesondere nicht in der Kombination.

Das ESchG bemüht sich um eine zeitlich und sachlich klar bestimmte Trennung des geschützten Rechtssubjekts nasciturus von den Objekten der Vorstadien und stellt dabei auf die Befruchtung ab. Um dem Zweck gerecht zu werden, grenzt das Gesetz den medizinischen Begriffsinhalt bewusst ein. Wenngleich der Wortlaut des § 8 I ESchG das Vorliegen der Befruchtung vor der Kernverschmelzung zuließe, definiert § 8 III die Befruchtung im rechtlichen Sinne als zeitlich zusammentreffend mit der Kernverschmelzung. Die Interpretation von "befruchtet sein" als Zustand des objektiven Vorliegens der legaldefinierten, abgeschlossenen Befruchtung liegt erheblich näher als die Auffassung, dies beschreibe den Abschluss aller erforderlichen menschlichen Einwirkungen, um eine Befruchtung auf den Weg zu bringen (wohl die Position der Klägerin). Schon deshalb, weil mit Blick auf den Rücktrittshorizont des § 4 I Nr. 3 die abgeschlossene Befruchtung i.S.d. § 8 III für das Befruchten maßgeblich sein muss. Die Schaffung einer nicht gemäß § 8 I als Embryo geschützten, "lediglich befruchteten" Eizelle wäre nicht strafwürdig. Die Konzeption des ESchG lässt erkennen, dass das Befruchten der Eizelle als Synonym für die (vollendete) Erzeugung eines Embryos genommen wird. Wo es nicht allein auf die Verhinderung des Embryo als Resultat, sonder auch auf den Vorgang selbst ankommt, wie in § 4 I Nr. 1, spricht es daher vom Unternehmen der Befruchtung. Ein Unternehmen dürfte beispielsweise in der Imprägnation zu sehen sein.

Inkonsequent ist die Argumentation der Klägerin insofern, als dass ein Herausgabeverlagen nach § 985 BGB die gerade entgegenstehende Ansicht impliziert, bei den konkreten Eizellen handle es sich um eigentumsfähige Sachen, also jedenfalls um - i.S.d. ESchG - unbefruchtete Eizellen. Der Embryo ist auch im nichtimplantierten Zustand nicht nach § 985 BGB herauszuverlagen.

In der Frage, ob das Auftauen als Tun oder Unterlassen zu qualifizieren ist, wird man eine Parallele zum Abschalten medizinischer Geräte zum Zweck der Strebehilfe ziehen können. Die Klinik, welche die Eizellen verwahrt, würde das Auftauen sicherlich durch rechtliches Unterlassen der Kühlung verwirklichen.

iris6000 schrieb:

So aber entsteht jetzt die groteske Situation, dass die Klinik glaubt, sie müsse den Gefriervorgang aufrechterhalten, damit ja nicht in wenigen Stunden das Stadium des Embryos entsteht (den man dann ja völlig legal übertragen dürfte).

Ausgehend vom Schutzzweck des ESchG ist dies keineswegs grotesk, da der Embryo, man könnte auch einfach sagen "ein ungeborenes Kind", gerade nicht künstlich von einem Toten gezeugt werden soll. Die Anforderungen an den Umgang mit einem nasciturus, dessen Vater sodann verstirbt, welche natürlich die Fortentwicklung nicht ausschließen sondern sie als Normalfall annehmen, sind in dem Zusammenhang irrelevant.

Ein Arzt, der Eizellen mit Einwilligung der Eltern imprägniert, hat bereits die Garantenpflicht, wenn der Wille der Eltern der vollständigen Befruchtung entgegensteht und stattdessen auf Kryokonservierung gerichtet ist, nicht durch Unterlassen den Abschluss der Befruchtung zuzulassen. Ich sehe kein Problem, aus dieser Überwacherposition des Arztes für den vom Tod des Mannes wissenden Arzt eine entsprechende Garantenpflicht abzuleiten.

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Richard schrieb:

Ihre Argumentation erweckt den Eindruck, als hielten Sie den Samen eines Verstorbenen für gesondert schutzwürdig, was dem ESchG nach nicht der Fall ist. Verboten ist nicht die abstrakte Verwendung des Samens, sondern die Erzeugung eines Embryos mittels des Samens eines Toten.

Überprüfen Sie bitte den Wortlaut von § 4 Abs. 1 Nr. 3 ESchG. Wäre dort die "Erzeugung eines Embryos" verboten, so bräuchten wir nicht zu diskutieren. Die Erzeugung eines Embryos ist in diesem Gesetzestext definiert durch die Verschmelzung der beiden Vorkerne, das ist unstrittig bisher noch nicht geschehen, und wenn der Gesetzestext so lauten würde, dann hätte die Klägerin keinerlei Aussicht auf Erfolg.

Der Wortlaut ist aber ein anderer:  es ist verboten, eine Eizelle mit dem Samen eines verstorbenen Mannes zu befruchten. Der Gesetzestext spricht hier unzweifelhaft die Zelle an, die nicht befruchtet werden darf, und nicht etwa den Embryo, der nicht erzeugt werden darf.

Die Zelle der Klägerin ist befruchtet, denn es finden sich zwei Vorkerne innerhalb der Zelle. Dies ist das Kriterium für die erfolgte Befruchtung der Zelle, wesentlich auch für die Selektion zur Kryokonservierung. Nur bis hierhin ist ein menschliches Zutun erforderlich. Außerdem gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Samen mehr, sondern lediglich eine Eizelle mit zwei Vorkernen. Somit geht auch der Wortlaut des ESchG fehl, welches ausdrücklich die Verwendung des Samens eines Toten zur Befruchtung verbietet. Ein nicht mehr vorhandener Samen kann auch nicht verwendet werden.

Schwierigkeiten entstehen nur dadurch, dass je nach Kontext Mediziner den Begriff "Befruchtung" durchaus unterschiedlich gebrauchen und insbesondere auch der Begriff "befruchtete Eizelle" gerade im Zusammenhang mit der Auswahl zur Kryokonservierung definiert wird als "Zelle mit zwei Vorkernen". Demnach wäre die Befruchtung im Sinne der Reproduktionsmedizin zu diesem Zeitpunkt als medizinischer Vorgang abgeschlossen. In anderem Kontext wird Befruchtung wiederum definiert als der Vorgang der Verschmelzung der beiden Vorkerne. Danach entsteht die Zygote.

Man kann sich nun trefflich darüber streiten, ob der Gesetzgeber nur die Einleitung des Befruchtungsvorganges verbieten wollte (also die Herstellung einer befruchteten Eizelle im Vorkernstadium) oder aber den Abschluss, die Verschmelzung der beiden Vorkerne zur Zygote (bzw. zum gesetzlich so definierten Embryo).

Richard schrieb:

Dagegen ist auch nach Auffassung des Gerichtes die künstliche Schwangerschaft mit dem Embryo aus dem Samen einesToten nicht verboten, wenn der Embryo eben bereits zum Zeitpunkt des Todes vorhanden war,

so weit so richtig

Richard schrieb:

sprich die Eizelle befruchtet.

Ein Embryo ist nicht dadurch definiert, dass die Eizelle befruchtet ist.

Richard schrieb:

Das Verlangen der Klägerin beruht offenbar auf den beiden miteinander verflochtenen Annahmen, die Eizellen seien "praktisch" schon befruchtet und die Befruchtung sei ohne Zutun zu vollenden. Beides halte ich für sich genommen nicht für schlüssig, und insbesondere nicht in der Kombination.

Sofern man berrücksichtigt, dass zur Kryokonservierung nur befruchtete Eizellen taugen und unbefruchtete Eizellen nicht kryokonserviert werden können, so ist die Annahme, es handele sich um "befruchtete Eizellen" in jeder Hinsicht korrekt. Sofern der Mensch jetzt nicht mit Kälteschock den weiteren natürlichen Ablauf im wahrsten Sinne des Wortes im letzten Moment unterbricht, so entstünde auch ohne weiteres Zutun die Zygote (nach Gesetzestext: Embryo). Es braucht nur eine Unterbrechung der Kühlung, und der natürliche Vorgang setzt sich fort. So die Argumentation der Klägerin, für die auch medizinisch vieles spricht.

Richard schrieb:

Das ESchG bemüht sich um eine zeitlich und sachlich klar bestimmte Trennung des geschützten Rechtssubjekts nasciturus von den Objekten der Vorstadien und stellt dabei auf die Befruchtung ab. Um dem Zweck gerecht zu werden, grenzt das Gesetz den medizinischen Begriffsinhalt bewusst ein. Wenngleich der Wortlaut des § 8 I ESchG das Vorliegen der Befruchtung vor der Kernverschmelzung zuließe, definiert § 8 III die Befruchtung im rechtlichen Sinne als zeitlich zusammentreffend mit der Kernverschmelzung.

Das lesen Sie falsch. Leider fehlt es dem Gesetz gerade an der von Ihnen angenommenen "zeitlich und sachlich klar bestimmten Trennung". Der von Ihnen zitierte § 8 III soll definieren, was unter "Keimbahnzellen" zu verstehen ist, und ist in Zusammenhang mit § 5 zu lesen (Künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen) und bezieht sich nicht auf § 4 (künstliche Befruchtung nach dem Tod). Aber auch wenn man, wie das LG, hieraus die Definition der Befruchtung übernimmt, so ist doch nur zu lesen, dass die Befruchtung mit der Kernverschmelzung abgeschlossen ist. Das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass vor der Kernverschmelzung keine befruchteten Eizellen vorliegen. Der Gesetzgeber möchte sicherlich ein bestimmtes menschliches Handeln untersagen, und dieses Handeln des Arztes ist eben nur zu Beginn der Befruchtung erforderlich. Alles andere, einschließlich des Abschlusses der Befruchtung durch Kernverschmelzung, erledigt die Natur allein.

Das LG hat nun darin ein menschliches Zutun gesehen, dass im Falle der Kryokonservierung zumindest aktiv die Kühlung unterbrochen werden müsse und somit doch eine Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 gesehen, da es durch Beenden der Kryokonservierung zur Kernverschmelzung und damit zum Abschluss des Befruchtungsvorganges käme.

Ob dies aber die Intention des Gesetzgebers war und ob dieser sich über diese Konstellation überhaupt Gedanken gemacht hat, wage ich sehr zu bezweifeln. Eine solch grundsätzliche Frage sollte auch nicht von einem OLG entschieden werden, sondern nach Anhörung einer Expertenkommission vom Gesetzgeber selbst klargestellt werden. Das OLG hat jedenfalls schon jetzt mitgeteilt, dass die Revision zum BGH zugelassen wird.

Richard schrieb:

Die Schaffung einer nicht gemäß § 8 I als Embryo geschützten, "lediglich befruchteten" Eizelle wäre nicht strafwürdig.

Wenn man der Ansicht der Klägerin folgt, so würde es sich allerdings verbieten, den Samen eines verstorbenen Mannes zu verwenden und damit befruchtete Eizellen zu erzeugen. Das riskiert auch kein Arzt. Ich glaube nicht, dass man mit der Aussrede durchkäme, man habe ja lediglich mit der Befruchtung begonnen und diese nicht vollendet, da es noch nicht zur Kernverschmelzung gekommen sei. Aber auch diese Frage wird nach diesem Verfahren geklärt sein.

Richard schrieb:

Inkonsequent ist die Argumentation der Klägerin insofern, als dass ein Herausgabeverlagen nach § 985 BGB die gerade entgegenstehende Ansicht impliziert, bei den konkreten Eizellen handle es sich um eigentumsfähige Sachen, also jedenfalls um - i.S.d. ESchG - unbefruchtete Eizellen. Der Embryo ist auch im nichtimplantierten Zustand nicht nach § 985 BGB herauszuverlagen.

Die Argumentation der Klägerin ist durchaus konsequent, sofern man als wesentlichen Teil der Befruchtung die Imprägnation ansieht. Danach handelt es sich um befruchtete Eizellen, die dann als befruchtete Eizellen auch erst zur Kryokonservierung geeignet sind. Unbefruchtete Eizellen lassen sich überhaupt nicht kryokonservieren. Mangels Kernverschmelzung ist aber der Befruchtungsvorgang noch nicht abgeschlossen, es ist noch kein Embryo entstanden und somit handelt es sich immer noch um eine Sache.

Richard schrieb:

Ein Arzt, der Eizellen mit Einwilligung der Eltern imprägniert, hat bereits die Garantenpflicht, wenn der Wille der Eltern der vollständigen Befruchtung entgegensteht und stattdessen auf Kryokonservierung gerichtet ist, nicht durch Unterlassen den Abschluss der Befruchtung zuzulassen. Ich sehe kein Problem, aus dieser Überwacherposition des Arztes für den vom Tod des Mannes wissenden Arzt eine entsprechende Garantenpflicht abzuleiten.

Die Klinik hat übrigens genau diese Frage jetzt vertraglich geregelt und einen entsprechenden Passus aufgenommen. Somit ist zumindest für die Zukunft klar, dass diese Klinik es nicht zulassen wird, dass eine befruchtete, kryokonservierte Eizelle sich nach dem Tod des Mannes zu einem Embryo entwickeln kann.

Nun ist die Entscheidung gefallen. Ich nehme an, das OLG Rostock hat ein wenig bei mir abgeschrieben. Ich argumentierte vor ein paar Tagen:

Die Zelle der Klägerin ist befruchtet, denn es finden sich zwei Vorkerne innerhalb der Zelle. Dies ist das Kriterium für die erfolgte Befruchtung der Zelle, wesentlich auch für die Selektion zur Kryokonservierung. Nur bis hierhin ist ein menschliches Zutun erforderlich. Außerdem gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Samen mehr, sondern lediglich eine Eizelle mit zwei Vorkernen. Somit geht auch der Wortlaut des ESchG fehl, welches ausdrücklich die Verwendung des Samens eines Toten zur Befruchtung verbietet. Ein nicht mehr vorhandener Samen kann auch nicht verwendet werden.

DAS OLG hat jetzt die Pflicht zur Herausgabe wie folgt begründet:

Die Rostocker Richter argumentierten, dass es strafbar sei, eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tode künstlich zu befruchten. Im Fall der Neubrandenburgerin sei der Samen aber schon vor dem Tod des Ehemannes der Klägerin verwendet und untrennbar von der Eizelle eingeschlossen worden.

Ganz genau genommen gibt es zu diesem Zeitpunkt natürlich keinen Samen mehr, somit auch keine Sache, deren Verwendung durch das Gesetz verboten wäre. Aber ganz so pingelig will ich mal nicht sein :-)

http://www.sueddeutsche.de/panorama/430/510549/text/

iris6000 schrieb:

Nun ist die Entscheidung gefallen. Ich nehme an, das OLG Rostock hat ein wenig bei mir abgeschrieben.

 

Das stand zu erwarten ;-)

 

Glückwunsch, Frau Dr. Ertan

 

Leider verkennt das Gericht, dass es hier kaum darauf ankommen kann, (ihrerseits umstrittenen) medizinischen Begrifflichkeiten zu entsprechen, zumal das Gesetz selbst recht manifeste Definitionen aufstellt, die andere Schlüsse zulassen. Vielmehr wäre das Gesetz nach seinem Schutzzweck im Lichte der Strafrechtsdogmatik auszulegen. Dass die Herstellung einer beweglichen Sache - der imprägnierten Eizelle - dem Gesetzgeber nur deshalb strafwürdig erscheinen solle, weil der Spender eines Ausgangsmaterials verstorben ist, ist nicht plausibel. Nicht minder abwegig, dass in dieser Lesart nach dem Unternehmensdelikt des § 4 I Nr. 1 ESchG i.V.m. § 11 I Nr. 6 StGB bereits der Versuch der Imprägnation gegen den Willen der Spender mit demselben Strafmaß bedroht wäre.

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