Altersgruppen bei Sozialauswahl - Vorlage des ArbG Siegburg

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 15.05.2010

Die Diskussion um die Zulässigkeit der Bildung von Altergruppen kommt auch nach den klärenden Entscheidungen des BAG nicht zur Ruhe. Zwar hatte BAG hatte mir Urteil vom 6.11.2008 (NZA 2009, 361) entschieden, die nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmende Sozialauswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer könne grundsätzlich auch in der Weise vorgenommen werden, dass zum Zwecke der Erhaltung der Altersstruktur Altersgruppen gebildet werden, innerhalb derer die Sozialauswahl vorzunehmen ist. Das Arbeitsgericht Siegburg (Beschluss vom 27.1.2010, 2 Ca 2144/09, BeckRS 2010, 66327) hat im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH (zitiert wird EuGH Urteil vom 5.3.2009, C-388/07, NZA 2009, 305) jedoch Zweifel, ob hierin nicht eine mit der Richtlinie 2000/78/EG unvereinbare Altersdiskriminierung liegt. Vor allem bezweifelt die Kammer, ob die Ungleichbehandlung wegen des unterschiedlichen Alters durch das Ziel der Erhaltung der Altersstruktur legitimiert werden könne. Zwar wirke die Altersgruppenbildung insbesondere bei Massenentlassungen einer Überalterung der Belegschaft entgegen und relativiere die durch die Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl entstehende Ungleichbehandlung wegen des Alters. Die Bildung der Altersgruppen liege aber vordringlich im Interesse des Arbeitgebers. Diese Zweifel haben das ArbG Siegburg bewogen, den EuGH zur Vorabentscheidung anzurufen. Die Vorlagefrage lautet wie folgt:
Ist Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die es erlaubt, bei der Auswahl der aus betrieblichen Gründen zu kündigenden Mitarbeiter zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur Altersgruppen zu bilden und die Auswahl unter den vergleichbaren Mitarbeitern dergestalt zu vollziehen, dass das Verhältnis der Zahl der aus der jeweiligen Altersgruppe auszuwählenden Mitarbeiter zur Zahl der insgesamt zu kündigenden vergleichbaren Mitarbeiter dem Verhältnis der Zahl der in der jeweiligen Altersgruppe beschäftigten Mitarbeiter zur Zahl aller vergleichbaren Mitarbeiter des Betriebes entspricht?
Die Mitverfasserin der sehr kontrovers diskutierten und im Instanzenzug aufgehobenen Osnabrücker Karman-Urteile hat die Vorlage in einer Anm. für Juris (Brors, in: jurisPR-ArbR 16/2010 Anm. 1) mit den Worten begrüßt: "Ganz Gallien? Nein! Endlich wird die Altersgruppenbildung vorgelegt". Das soll hier unkommentiert bleiben. Anschließen können wird man sich ihrem Fazit, das da lautet: Vorsicht vor Altersgruppen in Sozialplänen. Erst nach der Entscheidung des EuGH oder möglicherweise erst nach einer höchstrichterlichen Anschlussentscheidung wird sich die Rechtslage klären."

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7 Kommentare

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Zwar ist richtig, dass auf den konkreten Fall bezogen die Altersgruppenbildung in der Sozialauswahl primär dem Interesse des Arbeitgebers an einer ausgewogenen Altersstruktur im Betrieb dient. Jedoch ist es darüber hinaus auch möglich, ein sozialpolitisches Ziel aus dem Bereich der Beschäftigungspolitik in der kündigungsrechtlichen Altersgruppenbildung zu verorten. Denn sie dient in der Summe auch der Vermeidung einer strukturellen Überalterung der Gesamtwirtschaft. Würde man auf die Altergruppenbildung verzichten, würde das bei Beibehaltung des Alters und Betriebszugehörigkeit (Koppelungseffekt!)mittelfristig zu einer Freisetzung ausschließlich Jüngerer führen, so das Alter als Kriterium nicht massiv herabgewertet wird.

Im Bezug auf die Altersgruppenbildung in Sozialplänen:

Vorsicht ist hier sicherlich geboten. Aber der vorgelegte Fall bzw. die Altersgruppenbildung im Kündigungsschutz unterscheidet sich von Sozialplanaltersgruppen in einem wichtigen Punkt. Der Aspekt der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur ist hier irrelevant, die Entscheidung, wer geht oder nicht, ist bereits getroffen. Bei der Sozialplan-Altersgruppenbildung geht es (nur) noch um die Typisierung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt bzw. der zukünftigen Nachteile für den Arbeitnehmer. Dies ist zweifelsohne ein legitimes Ziel nach Art. 6 2000/78/EG, an welchem der Arbeitgeber, im Gegensatz zur Alterstrukturarhaltung, kein eigentliches Interesse hat. 

 

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Welches Alter wird bei einer Altersgruppenbildung gegenüber welchem Alter diskriminiert? Wer trägt bei Anwendung einer Altersgruppenbildung im direkten Vergleich ein höheres Kündigungsrisiko - ein 35-jähriger oder ein 55-jähriger? Solange man diese Frage nicht eindeutig beantworten kann, verbietet es sich, überhaupt von einer Benachteiligung zu sprechen, so dass man über eine Rechtfertigung gar nicht nachzudenken braucht.

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Rasmus schrieb:

Welches Alter wird bei einer Altersgruppenbildung gegenüber welchem Alter diskriminiert? Wer trägt bei Anwendung einer Altersgruppenbildung im direkten Vergleich ein höheres Kündigungsrisiko - ein 35-jähriger oder ein 55-jähriger?

Jeweils das Alter im unteren Bereich der entsprechenden Altersgruppe, soweit es in der Gesamtschau um fortgeschritteneres Alter geht. So wird etwa ein 51 Jähriger bei 10er-Schritten (also etwa 20-30, 31-40, 41-50, 51-60) erheblich schneller gekündigt werden (er hat ja in der Gruppe am wenigsten "Alterspunkte") als bei einem Gesamtvergleich (hier hat er ja mehr "Alterspunkte als alle 20-50 Jährigen. Das ist eine strukturelle Benachteiligung und der Altersgruppenbildung gerade immanent.

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Das gilt aber nur, wenn man innerhalb der Gruppen das Alter nochmals berücksichtigt, was m. E. nicht zwingend ist, zumal die Altersdifferenzen wegen der Beschränkung auf die Gruppe ohnehin gering sind.

Und selbst wenn man die Differenzen berücksichtigt, wären die Auswirkungen des Alters auf die Kündigungswahrscheinlichkeit wesentlich geringer als ohne Gruppenbildung. Das zeigt sich auch daran, dass Sie meine Frage zum Vergleich 35 - 55 nicht beantworten konnten.

Daraus ergibt sich aus meiner Sicht Folgendes:

Wenn die Altersdifferenzierung des KSchG ohne Gruppenbildung noch zulässig sein sollte, ist es die Altersgruppenbildung erst recht, denn sie berücksichtigt das Alter in weit geringerem Maße. Oder anders formuliert: Wer schon die Altergruppenbildung für richtlinienwidrig hält, kann kann die soziale Auswahl ohne Gruppenbildung erst recht nicht für richtlinienkonform ansehen. Die Vorlage des ArbG Siegburg ist daher ein Widerspruch in sich.

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Hallo Rasmus,

mir scheint, wir haben unterschiedliche Konstellationen im Kopf. Ich verstehe unter der kündigungsschutzrechtlichen Altersgruppenbildung, dass entsprechend der Kriterien nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG für jeden Arbeitnehmer in gleicher Weise Punkte vergeben werden (unter Berücksichtigung des Alters), jedoch kein Vergleich aller betroffener Arbeitnehmer miteinander und die Kündigung derjenigen mit der geringsten Punktzahl erfolgt, sondern dass der Vergleich orientiert an der Altersstrukutr des Status Quo im Betrieb in Altersgruppen erfolgt, wobei innerhalb der Altersgruppen die Zahl der zu kündigenden Arbeitnehmer in prozentualem Gleichlauf zur aktuellen Altersverteilung im Betrieb erfolgt. Entsprechend variert die für eine Vermeidung der Kündigung notwendige Mindestsozialpunktezahl nach Gruppe.  

Maßgeblich ist, dass ein älterer Arbeitnehmer dann etwa mit 60 Sozialpunkten im Gruppenvergleich gekündigt werden kann, wohingegen sein jüngerer Kollege mit zB 40 Sozialpunkten in seiner Gruppe im Arbeitsverhältnis bleiben kann.  

Strukturell stehen die Chancen des 55 Jährigen zum 35 Jährigen bei Altersgruppenbildung also wesentlich schlechter, dass er in seinem Arbeitsverhältnis bleibt. Bei einem Gesamtvergleich hätte er schon alleine aufgrund der aus dem Alter resultierenden Sozialpunkte gute Chancen, in der Summe mehr Sozialpunkte als sein 35 jähriger Kollege aufzuweisen.

 

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Hallo Unknown,

ich glaube, so weit liegen unsere Vorstellungen von der Altersgruppenbildung (abgesehen von der Frage, ob man bei Altersgruppenbildung überhaupt noch Punkte für das Alter vergeben sollte) gar nicht auseinander. Wir haben nur ein anderes Vergleichsobjekt. Man darf m. E. bei der Suche nach einer Benachteiligung durch Altersgruppen nicht prüfen, ob der 55-jährige Arbeitnehmer mit Gruppenbildung ein größeres Kündigungrisiko trägt als ohne. Das trägt er selbstverständlich. Die Frage muss lauten, ob er bei Gruppenbildung ein größeres Risiko trägt als der 35-jährige bei Gruppenbildung. Vergleichsobjekt ist nach § 3 I AGG "eine andere Person (35-jähriger) in einer vergleichbaren Lage"(Gruppenbildung), nicht die gleiche Person (55-jähriger) in einer anderen Lage (ohne Gruppenbildung).

Und wenn man diese Frage allein anhand des Alters nicht beantworten kann, spricht viel dafür, dass das Alter in der Lage "Gruppenbildung" keinen Einfluss auf die Kündigungswahrscheinlichkeit hat und daher eine (unmittelbare) Altersdiskriminierung bei Gruppenbildung nicht festgestellt werden kann.

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Hallo!

Eine Nivellierung im Gegensatz zur strikt linearen Berückscihtigung des Alters tritt bei Altersgruppen ein, das stimmt. Eine Ungleichbehandlung aufgrund der Zuweisung in Gruppen wegen des Alters bleibt aber.

Und diejenigen am Anfang der Gruppe sind dabei immer schlechter dran. Auch wenn das Alter innerhalb der Gruppe recht homogen ist, haben sie einen strukutrellen Nachteil.

Aber im Bezug auf dei Gruppenbildung haben Sie wohl recht. Zwar ist in einem gewissen Rhamen der hypothetische Vergelich möglich ("erfahren würde"), aber für die voerliegende Kostellation greift das wohl nicht. Diesbezüglich Danke für den Hinweis!

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