BGH beanstandet zu geringe Vergütung für junge Rechtsanwälte

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 14.06.2010

In einem bemerkenswerten Beschluss hat der BGH bekräftigt, dass Rechtsanwälte nur zu "angemessenen Bedingungen" beschäftigt werden dürfen (§ 26 BORA). Kanzleien, die Berufsanfänger eine unangemessen geringe Vergütung gewähren, verstoßen ihre Berufspflichten, § 43 BORA (BGH, Beschluss vom 30.11.2009 - AnwZ (B) 11/08; NZA 2010, 595).

Im Streitfall hatte eine Anwaltskanzlei auf ihrer Homepage und über die Bundesagentur für Arbeit eine "Traineestelle für junge Anwältinnen/Anwälte” ausgeschrieben. Die Anzeige enthielt im Anschluss an eine Darstellung des Trainee-Programms folgenden Text: „Der Trainee wird in ein auf zwei Jahre befristetes Angestelltenverhältnis inklusive sämtlicher Sozialversicherungen übernommen. Wir übernehmen zusätzlich die Kosten für die Berufshaftpflicht und die Anwaltskammer. Daneben übernehmen wir noch anfallende Fahrtkosten, die aus dienstlichem Anlass erfolgen. Wir unterstützen den jungen Anwalt auch bei Fortbildungsveranstaltungen durch Übernahme der Seminargebühren. Wir zahlen als Grundvergütung ein Gehalt, welches ein wenig über dem Referendargehalt liegt. Zusätzlich wird eine Umsatzbeteiligung an denjenigen Mandaten gewährt, die der Trainee selbst akquiriert”.

Die Anwaltskammer hatte die Anzeige beanstandet. Ein Gehalt, das "ein wenig über dem Referendargehalt" (von seinerzeit 894,25 Euro monatlich) liegt, bei verständiger Würdigung also um 1.000 Euro brutto monatlich, sei unangemessen niedrig und verstoße gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Dem hat der BGH sich im Ergebnis angeschlossen:

(2) Die angebotene Vergütung steht hier in einem auffälligen Missverhältnis zu der geforderten Gegenleistung.

(a) Die vom Ast. in Aussicht gestellte Grundvergütung sollte nach dem Inhalt der Stellenanzeige „ein wenig über dem Referendargehalt” liegen. Da die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare in NRW im vergleichbaren Zeitraum 894,25 Euro betrug, wird der von der Stellenanzeige angesprochene durchschnittlich informierte Leser, von dem angenommen werden kann, dass ihm die ungefähre Höhe der Referendarvergütung bekannt ist, hierunter ein Bruttogehalt verstehen, welches allenfalls unwesentlich über 1000 Euro liegt. Mit der Behauptung, er habe eine anfängliche Bruttogrundvergütung von 1500 Euro zahlen wollen, kann der Ast., abgesehen davon, dass für die Richtigkeit dieses Vorbringens jeder objektive Anhaltspunkt fehlt, nicht gehört werden. Da es dem Rechtsanwalt – wie dargelegt – nach § 43 S. 2 BRAO i.V. mit § 26 BORA bereits untersagt ist, öffentlich auf den Abschluss von Arbeitsverträgen zu unangemessenen Bedingungen hinzuwirken, kommt es für die Beurteilung einer Berufspflichtverletzung maßgeblich darauf an, wie ein von der Stellenanzeige angesprochener verständiger Durchschnittsempfänger die dort angebotenen Beschäftigungsbedingungen versteht.

Selbst bei Bewertung der zusätzlich in Aussicht gestellten Leistungen (wie der Übernahme der Berufshaftpflichtversicherung, des Beitrags für die Anwaltskammer, der Seminargebühren für Fortbildungsveranstaltungen und möglicherweise des Arbeitnehmeranteils der Sozialversicherungsbeiträge) als Gehaltsbestandteile wird der Leser der Stellenanzeige nicht annehmen, dass der Wert der vom Ast. in Aussicht gestellten Leistungen mehr als 1250 Euro beträgt. Dass die diesbezüglichen Einzelheiten einschließlich der genauen Höhe der Vergütung vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrags noch auszuhandeln sein mögen, steht dieser Beurteilung angesichts des geringen Spielraums, den die Anzeige hierfür lässt, nicht entgegen. Die in Aussicht gestellte Umsatzbeteiligung an eigenen Mandaten ist nicht als Gehaltsbestandteil zu berücksichtigen, weil sich einem Berufsanfänger erfahrungsgemäß kaum die Möglichkeit zu erfolgreicher Akquisitionstätigkeit bietet, so dass mit einem regelmäßigen über die Grundvergütung hinausgehenden Verdienst aus der Umsatzbeteiligung nicht zu rechnen ist.

(b) Der Gesamtwert der vom Ast. in Aussicht gestellten Leistungen ist zu der verkehrsüblichen Vergütung von Rechtsanwälten in vergleichbaren Angestelltenverhältnissen in Beziehung zu setzen. Die verkehrsübliche Vergütung gibt Aufschluss über den für die Beurteilung des (Miss-)Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung maßgeblichen objektiven Marktwert der Arbeitsleistung; sie bestimmt sich, wenn – wie hier – ein Tarifvertrag nicht existiert oder der vereinbarte Tariflohn nicht der verkehrsüblichen Vergütung entspricht, nach dem allgemeinen Lohnniveau in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet (BAG [22. 4. 2009], NZA 2009, 837; BGH [24. 3. 2004] NZA 2004, 971; BGH [21. 7. 2000], NJW 2000, 3589; speziell zur Rechtsanwaltsvergütung ArbG Bad Hersfeld, BRAK-Mitt 2000, 147; bestätigt durch LAG Hessen, NJW 2000, 3372).

Der AnwGH hat, gestützt auf eine Dokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer, ein Gutachten des Instituts für Freie Berufe Nü., eine Studie des Soldan-Instituts für Anwaltsmanagement (BRAK-Mitt 2006, 55) und weiteres Datenmaterial, festgestellt, dass das durchschnittliche Einstiegsgehalt eines angestellten Rechtsanwalts ohne besondere Spezialisierung, ohne besondere Zusatzqualifikation und ohne Prädikatsexamen im Jahr 2006 rund 2300 Euro brutto für eine Vollzeitstelle betragen hat. Hiervon ist auch im Beschwerdeverfahren auszugehen, nachdem der Ast. keine Einwände gegen die genannten Untersuchungen oder deren Auswertung durch den AnwGH erhoben hat.

(c) Der Gesamtwert der in der Stellenanzeige in Aussicht gestellten Leistungen steht zu dem branchenüblichen Einstiegsgehalt in einem auffälligen Missverhältnis i.S. von § 138 BGB. Nach der neueren Rechtsprechung des BAG (BAG, NZA 2009, 837) ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen der erbrachten Arbeitsleistung und der hierfür vereinbarten Vergütung schon dann anzunehmen, wenn diese nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns oder – wenn ein Tariflohn nicht existiert oder nicht der verkehrsüblichen Vergütung entspricht – des allgemeinen Lohnniveaus in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet erreicht. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit diese Rechtsprechung für die Beurteilung der Vergütung von angestellten Rechtsanwälten und die Frage ihrer Sittenwidrigkeit Geltung beanspruchen kann. Jedenfalls dann, wenn – wie hier – die angebotene Gesamtvergütung nur knapp über der Hälfte des branchenüblichen Gehalts liegt, besteht regelmäßig zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis.

(d) Eine abweichende Bewertung ist hier auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass sich die Stellenanzeige ihrem gesamten Inhalt nach gezielt an Bewerber mit vergleichsweise geringer Qualifikation richtet.

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3 Kommentare

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Juristen sind ein schönes Beispiel zur Verdeutlichung, daß die neoklassische Theorie auch auf dem Arbeitsmarkt gilt: Es gibt schlicht und einfach zuviele Juristen. Der junge Jurist merkt dies am Einstiegsgehalt, der gemeine Bürger am Abmahnwahn, wenn der junge Jurist dann verzweifelt versucht, an Geld zu kommen. Anders gesprochen liegt ein klassisches Marktversagen vor.

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Beim Lesen der Entscheidung stellt sich mir die Frage: Könnte man dann mit einer ähnlichen Argumentation einen Vertrag, der gegen § 26 BORA verstößt, als nichtig iSd § 134 BGB erklären?? Oder bedarf es dazu noch zwingend der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB?

 

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