OLG Frankfurt a.M.: ein Telekom-Kunde hat keinen Anspruch auf unverzügliche Löschung der für die Internetnutzung vergebenen IP-Adressen

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 21.06.2010

Mit einem Urteil vom 16.6.2010 hat das OLG Frankfurt am Main eine Entscheidung des Landgerichts Darmstadt bestätigt, wonach ein Telekom-Kunde keinen Anspruch auf unverzügliche Löschung der für die Internetnutzung vergebenen IP-Adressen (Internet-Protokoll-Adressen) hat.

Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung (der Urteilstext liegt wohl noch nicht vor...)

Hintergrund
Der Kläger hat mit der beklagten Telekom AG vor Jahren einen Internet-Zugangsvertrag nach dem sog. "T-Online dsl flat-Tarif" geschlossen. Er verlangt von der Telekom, dass diese die ihm zur Internetnutzung jeweils zugeteilten "dynamischen IP-Adressen" sofort nach Beendigung der Verbindung löscht.
Zur Zeit der Klageerhebung speicherte die Beklagte die IP-Adressen nach dem Rechnungsversand noch 80 Tage. Das Landgericht gab der Klage im Juni 2007 insoweit statt, als es der Telekom untersagte, die Daten länger als sieben Tage zu speichern. Im selben Jahr änderte die Telekom ihre Praxis dahin, dass sie die Speicherzeit auf sieben Tage reduzierte. Diese neue Speicherpraxis entspricht einer Absprache mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz.

Mit der Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, die Beklagte müsse die IP-Adressen jeweils sofort nach Beendigung einer Internetverbindung löschen. Hierzu sei die Beklagte im Interesse des Datenschutzes und des Schutzes seiner Privatsphäre verpflichtet. Weil über die IP-Adressen die Möglichkeit bestehe, das Nutzerverhalten auszuspähen und daraus Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des jeweiligen Teilnehmers zu ziehen, sei auch ein Speicherzeitraum von (nur) sieben Tagen nicht hinnehmbar.
Die Beklagte meint, sie sei berechtigt, die IP-Adressen zur Erkennung, Eingrenzung und Beseitigung von Fehlern und Störungen an ihren Anlagen sowie zur Abrechnung mit den Nutzern zu erheben und zu verwenden.

Rechtliche Erwägungen des Oberlandesgerichts

Der für die Berufung zuständige 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts mit Sitz in Darmstadt wies die Berufung nunmehr zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es sei kein Rechtsgrund ersichtlich, nach dem die Telekom verpflichtet sei, die IP-Adressen sofort nach Beendigung der Internetverbindung zu löschen.
So habe das Bundesverfassungsgericht in einschlägigen Urteilen nicht einmal ansatzweise die Rechtmäßigkeit von Datenspeicherungen durch Dienstanbieter im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr in Zweifel gezogen.
Nach den derzeitigen technischen Gegebenheiten sei davon auszugehen, dass der Telekom bei einer Löschung der IP-Adressen "sofort" nach Beendigung der Internetverbindung eine Abrechnung mit ihren Kunden gar nicht möglich sei. Bei den IP-Adressen handele es sich daher um für die "Berechnung des Entgelts erforderliche Daten" im Sinne des Telekommunikationsgesetzes (TKG). Dass die Telekom aktuell über bessere technische Möglichkeiten verfüge, habe der Kläger nicht darlegen können.
Es komme hinzu, dass es der Telekom bei einer sofortigen Löschung der IP-Adressen derzeit praktisch unmöglich wäre, einen relevanten Teil von Störungen und Fehlern an Telekommunikationsanlagen zu erkennen, einzugrenzen und zu beseitigen.
Unter diesen Voraussetzungen könne der Kläger allenfalls die "unverzügliche" Löschung verlangen, worunter nicht die "sofortige" Löschung zu verstehen sei, sondern eine solche "ohne schuldhaftes Zögern". Dass es der Telekom möglich sei, die IP-Adressen schneller als nach Ablauf von sieben Tagen zu löschen, ohne dass dies ihre Abrechnung mit ihren Kunden und die Störungserkennung beeinträchtige, habe der im vorliegenden Zivilprozess darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht vortragen können.

Bedeutung der Entscheidung
Gibt es Kommentare zu der Entscheidung?  Das BVerfG hat bekanntlich die zum 1.1.2008 in Kraft getretenen Regelungen §§ 113 a, 113 b TKG, die eine sechsmonatige Speicherung der Daten vorsah, am 2.3.2010 für verfassungswidrig erklärt. Zur Neuregelung (mit Löschungsanordnung für die TK-Anbieter) ist es bislang nicht gekommen. Siehe in Blog: http://blog.beck.de/2010/03/02/bverfg-vorratsdatenspeicherung-verstoesst-gegen-verfassung

Link zur Pressemittleilung:

http://www.olg-frankfurt.justiz.hessen.de/irj/OLG_Frankfurt_am_Main_Internet?rid=HMdJ_15/OLG_Frankfurt_am_Main_Internet/sub/fe0/fe076b9e-ba81-921f-012f-31e2389e4818,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm

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2 Kommentare

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Artikel und Überschrift vermengen die Begriffe "unverzüglich" und "sofort". Eine Löschung innerhalb von sieben Tagen mag durchaus noch unverzüglich sein - falls die Daten so lange noch gebraucht werden bzw. die Einleitung und Vornahme der Löschung so lange dauert. Aber sie erfolgt nicht mehr sofort.

Die Überschrift deutet an, das Urteil erteile der Löschungspflicht eine Absage. Das Gegenteil ist wahr: Sie wird bestätigt. Sie wird nur von der bereits siebentägigen Frist nicht auf "sofort" verkürzt.

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Ich halte die Argumente für die Befugnis einer Speicherung für schwerlich mit dem TKG vereinbar.

- Das oft vorgebrachte Argument, die Provider müssten zu Abrechnungszwecken 6 Tage die Daten über die Zuweisung dynamischer IP-Adressen speichern, führt in die Irre, da es bei Flatrates keine erkennbaren Abrechungsprobeme gibt. Das gilt jedenfalls für nicht volumenbegrenzte Providerverträge. Es ist ja bekannt, dass z.B. HANSENET diese Daten nicht speichert, auch nicht für verhältnismäßig kurze Zeiträume. Wenn es aber Provider gibt, die nicht speichern, und trotzdem über mehrere Jahre einwandfrei mit ihren Kunden abrechnen konnten, beweist das nur, wie fadenscheinig das Argument ist.

- Kaum besser steht es um das Argument, dass es der Telekom bei einer sofortigen Löschung der IP-Adressen praktisch unmöglich wäre, einen relevanten Teil von Störungen und Fehlern an Telekommunikationsanlagen zu erkennen, einzugrenzen und zu beseitigen. § 100 Abs. 1 TKG  erlaubt dem Diensteanbieter die Speicherung zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern an Telekommunikationsanlagen. Dabei müsste aber eine Abwägung mit den Interessen des Kunden hinsichtlicher seiner Grundrechte (informationelle Selbstbestimmung) erfolgen. Das AG Bonn hat in seinem Urteil vom 05.07.2007, Az. 9 C 177/07 ausgeführt: „In Abwägung der beiderseitigen Rechte und Interessen der Parteien ist eine Speicherung  für den Zeitraum von 7 Tagen verhältnismäßig. Innerhalb dieser Frist muss ein betroffener nicht damit rechnen, dass der Staat z.b. durch § 100g StPO Zugriff auf die Daten erlangen kann. Das Risiko eines Zugriffs Dritter auf diese Daten ist ebenfalls in diesem Zeitraum gering. Durch diese Frist erhält die Beklagte auf der anderen Seite die Möglichkeit, Missbrauch aufzuspüren und zu beseitigen.“ Gerade diese Prämisse des AG Bonn hat sich nämlich als falsch erwiesen. Denn die Speicherung weniger Tage erlaubte selbst nach Angaben der Staatsanwaltschaften, in der überwiegenden Anzahl der Fälle Internetvergesehen wie in den "Filesharing"-Fällen (Urheberstrafrecht) aufzuklären. Die Speicherung wird nur formell mit § 100 TKG begründet, in Wirklichkeit handelt es sich um eine klar strafprozessual ausgerichtete Datenspeicherung, für die es einer ausdrücklichen Grundlage bedürfte. Die Argumenation ist: Die Daten werden nach § 100 TKG zur Beseitigung technischer Störungen der Provider gespeichert --> Damit sind die Daten in der Welt --> Damit dürfen sie auch zu Zwecken der Strafverfolgung genutzt werden. Das erscheint zunächst korrekt. Aber wenn die Speicherung SYSTEMATISCH zweckentfremdet wird und die Staatsanwälte und einige Provider sich hinter vorgehaltener Hand einig sind, dass EIGENTLICH nur zu Strafverfolgungszwecken gespeichert wird, dann ist dieses Vorgehen kaum rechtsstaatlich. Man müsste an der Schnittstelle von Strafprozess- und Datenschutzrecht dazu kommen, dass zu bestimmten Zwecken erhobene Daten auch nur zu diesen Zwecken genutzt werden können. Die nach § 100 TKG gespeicherten Darten dürften dann nicht zur Strafverfolgung instrumentalisiert werden. Dies würde dne Gesetzgeber - systematisch überzeugender und rechtsstaatlich transparanter - zwingen, die Datenerhebung und -nutzung zu Zwecken der Strafverfolgung dezidiert und en detail hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen und Rechtsfolgen zu regeln.

 

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