Anhörung des Arbeitnehmers vor jeder Kündigung in betriebsratslosen Betrieben?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.06.2010
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungAnhörungKleinbetrieb5|5944 Aufrufe

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen ist der Auffassung, dass der Arbeitgeber in Betrieben ohne Betriebsrat den Arbeitnehmer vor einer Kündigung persönlich anhören muss. Anderenfalls sei die Kündigung unwirksam (Urt. vom 17.03.2010 - 2 Ca 319/10, EzA-Schnelldienst Nr. 13/2010, S. 5). Dies ergebe eine verfassungskonforme Auslegung des § 242 BGB mit Rücksicht auf Art. 1 GG (Menschenwürde), Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Ob das Gericht auch die in gleicher Weise betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers bedacht hat, ist nicht bekannt.

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5 Kommentare

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Sollte sich das so fortsetzen, wäre eine neue Hürde für Kündigungen geschaffen. Ergibt nicht die Regelung zur Anhörung des Betriebsrats den Umkehrschluss, dass ein AN offenbar nicht anzuhören ist (weil nicht geregelt)?

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Ich denke, dass dieses Urteil - sollte es angefochten werden, was ich schwer hoffe - vom LAG Nordrhein - Westfalen aufgehoben wird. Zum einen halte ich die Hürden für eine ordentliche Kündigung seitens des Arbeitgebers ohnehin für recht hoch; die verfassungsrechtlich geschützten Rechte finden bspw. bei einer ordentlichen Kündigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle eine entsprechende Resonanz - eine Kündigung stellt sich stets als "ultima ratio" dar. Außerdem ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 102 BetrVG, dass eine Anhörung die Ausnahme bleiben muss. Hätte der Gesetzgeber stets eine Anhörung gewollt, so hätte es entweder einer Regelung im BGB bedurft oder einer Ausnahmenorm wie bspw. § 23 Abs. 1 KSchG, der die §§ 4, 7 sowie 13 KSchG auch mangels persönlichem sowie sachlichem Anwendungsbereich für anwendbar erklärt.
Darüber hinaus ist § 242 BGB aufgrund von Art. 20 Abs. 3 GG sehr, sehr restriktiv zu handhaben, da ansonsten der Wille des Gesetzgebers mittels Generalklauseln in Fällen erweitert wird, die dieser nicht vorgesehen hat.

 

MfG,

Kant :-)

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Sehr geehrter Herr Prof. Rolfs,

da das Urteil bereits über Juris verfügbar ist vermute ich, dass Ihr letzter Satz ironisch gemeint war. Soweit für mich ersichtlich, erwähnt das ArbG ledilgich in einem Satz, dass ein "verfassungskonformer, angemesserer Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer" erfolgen müsse, beschränkt sich dann jedoch lediglich auf die Aufzählung der Interessen des Arbeitnehmers. Am Ende wird apodiktisch festgestellt, dass "überwiegende Interessen der Beklagten ... nicht ersichtlich" sind. Ich habe jedenfalls noch kein Urteil gelesen, bei dem die Entscheidungsgründen in einem solchen Maße aus einem Urteil des gleichen Gerichts (andere Kammer) zitiert wurden.

 

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@ PH

1998 war es zwar eine andere Kammer, aber (vermutlich) unter dem gleichen Vorsitzenden, Herrn Zumfelde. Er wird in NZA-RR 1999, 137 (140) nämlich als Einsender der damaligen Entscheidung (Urt. vom 26.6.1998 - 3 Ca 3473/97, NZA-RR 1999, 137) angegeben (der Geschäftsverteilungsplan 1998 ist im Internet nicht mehr zugänglich). Ausweislich des aktuellen Geschäftsverteilungsplans ist er heute Vorsitzender der 2. Kammer. Also: Nur von sich selber abgeschrieben. Keine neue Idee, aber auch kein Plagiat.

Hallo zusammen,

ist dieses Urteil rechtskräftig?

Am besten finde ich diesen Satz der Urteilsbegründung: "Ein Gerichtsprozess allein [....] bietet keine ausreichende Gewähr, dass die Beilegung des Streits über die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung im Sinne von Recht und Gesetz erfolgt....."

Ein Gericht bzw. ein Richter, das/ der einen Prozess nicht im Sinne von Recht und Gesetz beilegen kann, ist schon sehr fragwürdig und hat sich damit seiner Daseinsberechitgung beraubt. Schließlich ist genau die Streitbeilegung seine Aufgabe.

Ist mit einem weiteren Umsichgreifen dieser Rechtsprechung nach Ihrem Dafürhalten zu rechnen? Es wird auch ein Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund zitiert (30.10.2008 - 2 Ca 2492/08), das ebenfalls eine Anhörungspflicht des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung begründet hat. Herr Zumfelde scheint also nicht ganz alleine zu sein mit seiner Meinung....

Grüße aus Hessen

Cassie

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