Und wieder: Anwalt muss schlauer sein als der Richter

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 14.07.2010

Seit Inkrafttreten des FamFG müssen Entscheidungen des FamGerichts mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden (§ 39 FamFG).

Und was passiert, wenn die falsch ist?

Das AG hatte in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz seiner Entscheidung folgende Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt

Gegen diesen Beschluss findet das Rechtsmittel der Beschwerde oder der Sprungrechtsbeschwerde statt. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von 1 Monat beim Amtsgericht … einzulegen.

Tatsächlich beträgt die Frist gemäß gemäß § 63 II Nr. 1 FamFG aber nur 2 Wochen.

Prompt legte der Antragsgegner die Beschwerde verspätet ein.

Nach Aufklärung des Irrtums beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Kommt nicht in Frage, sagt das OLG Karlsruhe.

Zwar ist die Rechtsbehelfsbelehrung des Amtsgerichts vorliegend fehlerhaft, doch führt dies nicht zur Gewährung einer Wiedereinsetzung. Eine unverschuldete Fristversäumung allein reicht nicht aus. Erforderlich ist weiter, dass diese kausal für die Fristversäumung geworden ist. Die Vermutung der Schuldlosigkeit nach § 17 Abs. 2 FamFG bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung lässt das Erfordernis des Kausalzusammenhangs nicht entfallen. Hat ein Beteiligter tatsächlich Kenntnis von seinen Rechtsmitteln und bedurfte daher keiner Rechtsmittelbelehrung, ist eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen. Eine derartige Kenntnis ist bei anwaltlich vertretenen Parteien regelmäßig anzunehmen.

Vorliegend ist der Antragsgegner im gesamten Verfahren anwaltlich vertreten. Dass sein Verfahrensbevollmächtigter sich auf die Rechtsmittelbelehrung verlassen hat, führt nicht zur Kausalität der Fristversäumung. Von einem Rechtsanwalt ist zu erwarten, dass er sich bei der Einlegung eines Rechtsmittels über den Fristenlauf vergewissert

Die Ungleichbehandlung gegenüber der anwaltlich nicht vertretenen Partei rechtfertigt sich gerade aus der Tatsache, dass diese keinen rechtskundigen Vertreter zur Seite hat.

OLG Karlsruhe, Beschluss v. 06.07.10 - 16 UF 76/10

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14 Kommentare

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Im Verwaltungsrecht wird eine solche Differenzierung doch auch nicht vorgenommen, wenn ich mich nicht täusche? Dort wird eine zu lang bemessene Widerspruchsfrist wohl auch allenfalls mit dieser Länge laufen, nicht etwa mit der gesetzlich vorgesehenen.

Wie steht es in der Gedankenwelt des OLG Karlsruhe, wenn ein "Rechtskundiger" in eigener Sache auftritt? Ist hier zu differenzieren nach OLG-Richtern, Rechtsanwälten, Amtsrichtern*, sonstigen Volljuristen, Referendaren, Rechtspflegern, Justizsekretären usw.? Am besten noch nach Fachgebieten?

Nach dieser Auffassung wäre es ja sogar vorteilhaft, sich nicht anwaltlich vertreten zu lassen. Wie steht es da mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzees? Wer einen Anwalt mitbringt, wird mit verkürzten Fristen bestraft? Sehr zweifelhaftes Ergebnis.

*In der Rangfolge der Rechtskundigkeit stehen Amtsrichter nach dem OLG ja offenbar unterhalb der Anwaltschaft.

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'Tschuldigung aber das ist doch argumentativer Unsinn.

1. Argumentationsschritt: Die Partei wusste von der kurzen Frist, weil sie anwaltlich vereten war.

2. Argumentationsschritt: Die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung war daher nicht kausal für die Fristversäumung.

3. Argumentationsschritt: Dass der Anwalt sich auf die Rechtsbehelfsbelehrung verlassen hat, führt nicht zur Kausalität der Rechtsbehelfsbelehrung für die Fristversäumnis, weil der Anwalt sich besser hätte informieren müssen.

 

Die Schritte 1 und 3 schließen sich aber logisch aus. Entweder wusste die Partei von ihrem Anwalt von der kurzen Frist, dann ist die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung nicht kausal für die Fristversäumnis. Oder der Anwalt hat sich auf die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung verlassen. Dann war sie aber kausal für die Fristversäumnis.

Anwälte sollen ja grundsätzlich in der Lage sein, eine Menge verschiedener Dinge zu glauben, wenn's dem eigenen Mandanten nützt.

Dass ein Anwalt aber gleichzeitig die Feherhaftigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung erkennt, seinen Mandanten hierüber aufklärt und sich dann dennoch auf die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung verlässt, wie das OLG hier annimmt, dürfte logisch auszuschließen sein.

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M.E. hätte das Gericht - vielleicht wird das aber in der auszugsweisen Wiedergabe der Entscheidungsgründe auch nicht klar - auf § 11 S. 4 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO rekurrieren müssen. Danach ist eine entsprechende Zurechnung des Verschuldens des Verfahrensbevollmächtigten statuiert (vgl. Bumiller/Harders, FamFG, § 17 Rn. 17).

Grundsätzlich müsste nach § 17 Abs. 1 FamFG eine unverschuldete Fristversäumnis gefordert werden, die nach § 17 Abs. 2 FamFG vermutet werden würde. Diese Vermutung ist dem Gegenbeweis zugängig, wenn nachgewiesen ist, dass die fehlerhafte RMB überhaupt keine Relevanz für die Versäumnis der Frist hatte. So hat es dazu auch im Reg-Ent. zum FamFG auf S. 405 f., dass

"eine Widereinsetzung in denjenigen Fällen ausgeschlossen ist, in denen der Beteiligte wegen vorhandener (Anm. des Autors: nicht erwarteter!) Kenntnis über seine Rechtsmittel keiner Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung bedarf".

Den Ansatzpunkt, den das OLG Karlsruhe wählt, ist aber nun ein anderer: Nämlich das Kennenmüssen der zutreffenden Frist seitens des Anwalts. Damit wird nicht auf eine tatsächliche Kenntnis, sondern auf eine (zumindest fahrlässige) Unkenntnis abgestellt.

Diese müsste aber vielmehr Ansatzpunkt zur Widerlegung des Verschuldensvermutung des § 17 Abs. 2 FamFG sein, nicht die Frage der Kausalität.

Im Übrigen ist interessant, dass der Reg-Ent., a.a.O., auf eine Entscheidung des BGH (BGHZ 150, S. 390 ff.) Bezug und diese wiederum ausführlich die Rspr. des BGH zu § 44 S. 2 StPO (dort unwiderlegliche Vermutung fehlenden Verschuldens bei falscher RMB) aufgreift. Für § 44 S. 2 StPO hat der BGH ebenso bzw. zunächst das Erfordernis einer Kausalität fehlender Kenntnis von den Rechtsbehelfsfristen durch Fehlen der RMB angenommen und diesbezüglich eine Feststellungslast des Verfahrensbeteiligten angenommen (vgl. BGH NStZ 2001, S. 45).

Da davon auszugehen ist, dass der anwaltliche vertretene Beteiligte durch diesen (als Eingestädnis einigen Fehlverhaltens) wohl nicht vortragen ließ, dass er nicht über die Frist ordnungsgemäß infomiert worden war, könnte man letztlich doch das Ganze an der Kausalität (aber mangels Darlegung) scheitern lassen.

Das OLG steht nicht allein. Es beruft sich ausdrücklich auf:

Senat, B. v. 23.04.2010, 16 UF 2/10; BT-Drucksache 16/6308 S. 183; MünchKomm zum FamFG/Pabst, 3. Auflage, § 17 Rdn. 9; Musielak/Borth, FamFG, 1. Auflage, § 17 Rdn. 2; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Auflage, § 17 Rdn. 37; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Auflage, § 17 Rdn. 3; vgl. auch OLG Koblenz, B. vom 26.03.2010, 13 UF 159/10 und OLG Stuttgart, B. vom 04.03.2010, 17 UF 13/10).

Den Ansatzpunkt, den das OLG Karlsruhe wählt, ist aber nun ein anderer: Nämlich das Kennenmüssen der zutreffenden Frist seitens des Anwalts. Damit wird nicht auf eine tatsächliche Kenntnis, sondern auf eine (zumindest fahrlässige) Unkenntnis abgestellt.

Anderenfalls müsste man jedem raten, sich einen möglichst ahnungslosne Anwalt zu suchen

Hopper schrieb:

Den Ansatzpunkt, den das OLG Karlsruhe wählt, ist aber nun ein anderer: Nämlich das Kennenmüssen der zutreffenden Frist seitens des Anwalts. Damit wird nicht auf eine tatsächliche Kenntnis, sondern auf eine (zumindest fahrlässige) Unkenntnis abgestellt.

Anderenfalls müsste man jedem raten, sich einen möglichst ahnungslosne Anwalt zu suchen

 

Nein, das kann eine Widereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Zurechnung des Verschuldens nicht ermöglichen. Im i.E. stimme ich natürlich zu, dass Nachlässigkeiten des Anwalts nicht zu einer Widereinsetzung in den vorigen Stand führen können, aber die Begründung - bis auf die o.g. Ausnahme, die faktisch aber nie eintreten wird - kann nicht in dem Fehlen der Kausalität, sondern regelmäßig nur in der Verschuldenszurechnung liegen. Die Ahnungslosigkeit des Anwalts bezüglich der zutreffenden Frist ist dann Ansatzpunkt des Verschuldens, das zugerechnet wird.

Hopper schrieb:

Den Ansatzpunkt, den das OLG Karlsruhe wählt, ist aber nun ein anderer: Nämlich das Kennenmüssen der zutreffenden Frist seitens des Anwalts. Damit wird nicht auf eine tatsächliche Kenntnis, sondern auf eine (zumindest fahrlässige) Unkenntnis abgestellt.

Anderenfalls müsste man jedem raten, sich einen möglichst ahnungslosne Anwalt zu suchen

Schon aus ökonomischen Gründen sollten die Gerichte bei jeder Entscheidung Rechtsbehelfsbelehrungen beifügen.

Man wird ja wohl nach erwarten können, dass ein Richter die Rechtsbehelfe für eine Handvoll verschiedener Verfahren kennt, die er tagtäglich durchführt. Wenn ein Rechtsanwalt auf die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrungen nicht mehr vertrauen darf, führt das dazu, dass die Rechtsbehelfe doppelt geprüft werden müssen, was ökonomisch betrachtet unsinnig ist.

Es geht hier nicht um Ahnungslosigkeit, sondern um Ökonomie.

In der VwGO (und auch im SGG) ist die rechtliche Konstruktion anders:

Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist bei einer unrichtigen RBB schon nicht zu laufen.

Einer Wiedereinsetzung bedarf es dann nicht. Auch ein Anwalt kann sich daher auf eine unrichtige oder fehlende RBB verlassen.

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Die Entscheidung halte ich für nicht einmal mehr vertretbar. Sie ist aber symptomatisch für ein System, das juristische Spitzfindigkeiten und Formalienschindereien über das (zu gewährleistende) materielle Recht stellt.

Gerichte und Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege. Wenn ein Gericht eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt, dann wird ein Vertrauenstatbestand geschaffen.

Der Mandant hat so keine Chance, sein gutes Recht zu bekommen. Das dürfte mindestens auch dem nach der Europäischen Konvention gewährleisteten fairen Prozess (Art. 6 EMRK) nicht mehr akzeptabel sein.  

Der Mandant muss sich auf den Anwalt verlassen können, und der Anwalt auf das Gericht.

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Symptomatisch ist mE allenfalls, dass der Gesetzgeber immer weitere Belehrungs- und Hinweispflichten einführt (man sehe sich z.B. einmal im Strafrecht um, welche umfangreichen "Beschränkungsbeschlüsse" in U-Haft-Sachen nach Wegfall der UVollzO erlassen werden, die Belehrung nach 406 h StPO u.a.), die ihrerseits fehleranfällig sind.

Insbesondere im FamFG, wo bei Verbundverfahren zu jeder Teilentscheidung eine gesonderte Rechtsbehelfslbelehrung zu unterschiedlichsten Rechtsbehelfen erteilt werden muss, potenzieren sich die Fehlerquellen.

Sinn dieser Rechtsbehelfsbelehrung ist, laut Burmiller/Harders, Freiwillige Gerichtsbarkeit FamFG:

" Der verfassungsrechtliche Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz gebot jedoch dann eine Rechtsmittelbelehrung, wenn diese erforderlich war, um unzumutbare Schwierigkeiten bei der Rechtsverfolgung auszugleichen (BVerfG, NJW 95, 3173".  Wenn eine Partei anwaltlich vertreten ist, sehe ich aber nicht,dass unzumutbare Schwierigkeiten vorliegen, die überhaupt eine Rechtsmittelbelehrung erfordern würden.

 

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@ Klabautermann

Im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe wäre es konequent und sinnvoll, wenn der Gesetzgeber das Erfordernis der Rechtsbehelfsbelehrung bei anwaltlich vertretenen Beteiligten entfallen lassen würde.

Richitg, weil der Gesetzgeber nach dem FamFG soviele lustige Fristen bestimmt, so dass dies für das Gericht fehlerträchtig ist, wenn es diese benennen soll, werden diese lieber verschwiegen. Da soll sich dann der Rechtsanwalt bemühen. In schwierigen Ausnahmefälllen könnte dann   evtl. die rechtzeitige Anzeige der Niederlegung helfen und den Ball so wieder an das Gericht abgeben.

Hier wird doch nur eines deutlich: Das Gericht ist mit den Fristen überfordert und überträgt dann die Verantwortung auf den Rechtsanwalt.

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