BAG-Präsidentin warnt vor gesetzlicher Festschreibung der Tarifeinheit

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.07.2010

Die Entscheidung des BAG, nicht länger am Grundsatz der Tarifeinheit festzuhalten und stattdessen Tarifpluralität zu akzeptieren (BAG 4. Senat, Beschl. vom  27.1.2010. NZA 2010, 645 und BAG 10. Senat, Beschl. vom 23.6.2010, NZA 2010, 778), hat eine selten gesehene Allianz von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Politikern auf den Plan gerufen, die sich für eine gesetzliche Verankerung des Prinzips der Tarifeinheit ausspricht. Auch Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat schon zu erkennen gegeben, dass sie sich dieser Forderung anschließen könnte. Hintergrund dieser breiten Initiative sind Befürchtungen, dass insbesondere kleinere schlagkräftige Gewerkschaften erstarken und ihre Positionen durch Streiks durchsetzen werden, deutsche Unternehmen mithin künftig von Dauerstreiks bedroht sein könnten. Der Lokführerstreik der GDL bei der Bahn wird meist als abschreckendes Beispiel zitiert. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Interview der Präsidentin des BAG, Frau Schmidt, gegenüber der FAZ (Ausgabe vom 19.7., S. 13). Ihre skeptische Haltung stimmt nachdenklich. Frau Schmidt äußerte sich wie folgt: "Ich plädiere für Gelassenheit. Ein Gesetz in dieser aufgeheizten Atmosphäre kann eigentlich nicht gutgehen. (...) Ein Gesetz müsste also eine eine enorm hohe verfassungsrechtliche Hürde nehmen. Es geht schließlich nicht um die Ausgestaltung der Tarifautonomie, sondern um einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Eine Arbeitnehmervereinigung hat doch überhaupt keine Daseinsberechtigung, wenn sie die Früchte ihrer Arbeit nicht ernten kann." Abgesehen davon müßten auch schwierige Detailprobleme bedacht werden: "Zu welchem Zeitpunkt soll die Repräsentativität festgestellt werden? Welche Organisationseinheit soll gelten: der Betrieb? (...) Und was heißt repräsentativ? Was ist in den Fällen, in denen die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer gar keiner Gewerkschaft angehört? Wie soll die notwendige Transparenz hergestellt werden?"

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Eine Einschätzung mit Augenmaß und gebotener Zurückhaltung. Tarifpluralität ist keine Dystopie, sondern schon längst gelebte Realität. Und es gab bisher verhältnismäßig wenige gerichtliche Auseinandersetzungen aufgrund kollidierender Tarifverträge. Die Unternehmen kommen also scheinbar damit klar.

Um es mit den weisen Worten Montesquieus zu formulieren:

"Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, so ist es notwendig, es nicht zu erlassen."

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