AG Berlin-Tiergarten: Absolute Fahruntüchtigkeit nach Drogenkonsum ist möglich!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.07.2010

Das AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 10. 2. 2010 – ( 310 Cs) 3033 PLs 10607/09 (144/09) = SVR 2010, 227 hat Mut bewiesen und im Rahmen eines Verfahrens nach § 316 StGB entgegen der h.M. nach Drogenkonsum absolute Fahruntüchtigkeit angenommen:

"...Der festgestellte Benzoylecgoninwert offenbart einen aktiven, deutlichen und aktuellen Konsum von Cocain. Denn nach der Empfehlung der Grenzwertekommission, die unter der Leitung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – und aufgrund der Entscheidung der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft “Bundeseinheitlicher Tatbestandskatalog” vom 4. 9. 2007 – verbindliche Grenzwerte erarbeitet hat, bei deren Vorliegen sicher eine rauschbedingte Fahruntauglichkeit anzunehmen ist (sog. absolute Grenzwerte), und Grenzwerte, denen sich die Rechtsprechung insoweit angenommen hat, als dass auch Feststellungen darunter zu einer Verurteilung führen können (also erweiterte Anwendung), beträgt der analytische Grenzwert, ab dem sicher mit dem Auftreten von Ausfallerscheinungen, also mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen ist, für Benzoylecgonin 75 ng/ml. Beim Angeklagten lag der festgestellte Wert mehr als 4,6 fache höher als dieser Grenzwert. Damit ist die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit im Sinne von § STGB § 316 StGB erreicht, ohne dass es der Feststellung weiterer Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler bedarf. Auch der hohe THC-Carbonsäurewert beweist einen regelmäßigen Konsum von Cannabis-Produkten. Der THC-Wert betrug mehr als das zweieinhalbfache des von der Grenzwertekommission empfohlenen Wertes von 1,0 ng/ml THC zum Beginn der Fahruntauglichkeit bei Bußgeldsachen. Infolge der Wechselwirkung zum Cocain ist auch hier die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit im Sinne von § STGB § 316 StGB erreicht, ohne dass es der Feststellung weiterer Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler bedarf...."

Man kann da sicher drüber streiten - es ist aber rechtskräftig geworden.

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5 Kommentare

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Mutig? Einspruch Euer Ehren :-) Darüber muss man streiten und warum dieses Urteil rechtskräftig geworden ist, erschließt sich mir nicht. Während die BAK-Werte als gesichert und in der Rechtsprechung anerkannt anzusehen sind, fehlt es an einer dementsprechend sicheren Grenzziehung bei berauschenden Mitteln, ab denen von einer Fahruntauglichkeit ausgegangen werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 03.11.1998, 4 StR 395/98, in Bezug auf Heroin und Kokain). Betäubungsmittel wirken auf das physische oder psychische Leistungsvermögen unterschiedlich und der Abbau verläuft nicht wie bei Alkohol geradlinig, sondern exponentiell in Halbwertzeiten. Allenfalls wird der Nachweis einer relativen Fahruntüchtigkeit möglich sein, wenn entsprechende rauschmittelbedingte Ausfallerscheinungen vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.11.1998, 4 StR 395/98; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.01.2004, 1 Ss 242/03, VRS 106, 288 = DAR 2004, 409 jeweils m.w.N.).

Die Annahme absoluter Fahruntauglichkeit lediglich anhand von "Grenzwerten" wird demzufolge von den Obergerichten auch zurückhaltend gehandhabt. Selbst mit dem sog. „Cannabis-Influence-Factor“ (CIF), u.a. von Daldrup und Meininger (in: Berghaus/Krüger, Cannabis im Straßenverkehr, 1998, S. 181 ff.) für den Bereich des Strafrechts entwickelt, der nach der Formel (THC (ng/ml) + THC-OH (ng/ml) / THC-COOH (ng/ml)) x 100 berechnet wird, sei der Nachweis „absoluter“ Fahruntüchtigkeit infolge des Konsums von Cannabis erst bei einem Wert von 10 oder mehr gegeben (vgl. Drasch/von Meyer/Roeder/Jägerhuber, BA 2003, 269; AG Moers, Urteil vom 10.07.2003, 606 OWi 804 Js 270/03 (220/03), BA 2004, 276 ff.).

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Herr Krumm, dass Sie so schnell von Ihrer Linie abrücken finde ich aber auch nicht gut :-)

Zur Frage, ob man wie bei den BAK-Grenzwerten, bei Cannabis ähnliche Werte einführen könnte, hatte ich mal bei HRRS einen höchst interessanten Aufsatz gelesen (Krause in HRRS 2005, 138 ff (148) http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/05-04/index.php3?sz=7#148) So wird z.B. vertreten, dass bei "normalem" Cannabiskonsum von durchschnittlich 20 mg THC eine THC-Konzentration im Blutplasma von 4 bis 5 ng/ml einer Blutalkoholkonzentration von 0,5‰ entspricht und eine THC-Konzentration von 8 bis 10 ng/ml mit etwa 0,8‰ verglichen werden könnte.  Erst bei einer THC-Konzentration von ca. 15 ng/ml läge absolute Fahruntüchtigkeit analog der 1,1‰-Grenze vor. Ich würde mal behaupten, bei 15 ng/ml könnte man aber auch nicht mehr geradeaus laufen, geschweige denn ein Fahrzeug führen.

Was mich an der Sache in der täglichen Arbeit stört, sind die unterschiedlichen Folgen für die Fahrerlaubnis. Bei einer BAK von 0,8‰ ohne Fahrauffälligkeit gäbe es zwar ein saftiges Bußgeld, Punkte und Fahrverbot, niemand käme aber auf die Idee, die Fahrerlaubnis zu entziehen oder eine MPU anzuordnen. Aber ab 1,0 ng/ml THC im Blut drohen nicht nur Bußgeld, Punkte und Fahrverbot, sondern die Führerscheinstelle möchte ärztliche oder gleich ein MPU-Gutachten, Abstineznachweise und zieht schon mal vorsorglich den Lappen ein.

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zu ra. kuemerle:

Die unterschiedlichen Folgen des Konsums von Alkohol in Beziehung zum BTM liegen wohl auch in der unterschiedlichen Art der rechtlichen Bewertung des Genusses dieser Rauschmittel begründet. Sie dürfen sich halt mit Alkohol volldröhnen, ohne sich strafbar zu machen, wohingegen sie bei übermäßigem Genuss von BTM strafrechtliche Folgen zu gegenwärtigen haben.

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Das ist so nicht richtig. Denn der "Genuss" / Konsum von marihuana ist nicht Strafbar. Wohl aber der Besitz. ;) 

 

Mir wäre nur wichtig.... Ist es nun mitlerweile möglich oder nicht? Sprich, ist mit einer gewissen Menge im Blut eine absolute Fahruntüchtigkeit gem. §316 StGB vorhanden oder nicht? Und wenn ja? Wie hoch sind diese Werte dann? 

 

Übrigens hat Alkohol ebenfalls eine psychische UND physische Wirkung auf den Körper und auch die Reaktionen respektive Ausfallerscheinungen sind hier von Person zu Person unterschiedlich. 

 

Was mich zu der Frage bringt: Ist der Kosnum von Drogen und die "Fahrt danach" dann nicht noch gefährlicher, wie "nur" unter dem Einfluss von Alkohol.... Stichwort: Geradliniger Auf- und Abbau der Wirkung im Vergleich, Alkohol zu Btm.

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