Wer soll gegen Polizeibeamte ermitteln?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.07.2010

Wie schon an anderer Stelle berichtet wurde (regensburg-digital-link), habe ich vergangenen Freitag auf Einladung der Grünen Landtagsfraktion an einem Fachgespräch im bayerischen Landtag teilgenommen (link). Es ging um das Thema "Polizei unabhängig kontrollieren", das auch hier im Blog schon einmal anlässlich des Falls Tennessee Eisenberg aufgekommen ist (link).

Hauptgast beim  Fachgespräch  war mit Nicholas Long einer der 12 commissioner des englischen ipcc, eine seit fünf Jahren operierende unabhängige Behörde zum Beschwerdemanagement und zur Beschwerdeermittlung. Longs Ausführungen machten Mut, eine unabhängige Polizeikontrolle, die ausdrücklich nicht als polizeifeindliche Einrichtung gedacht ist, zu institutionalisieren.  

Demgegenüber kritisch bis ablehnend zeigten sich die beiden auf dem Podium anwesenden Verteter der Polizeigewerkschaften, sowohl was eine Kennzeichnung von Polizeibeamten als auch was die unabhängige Kontrolle angeht. Schon jetzt existierten etliche Kontrollen der Polizeibeamten (Dienstaufsicht, Strafanzeige, Petition), es könne keine Rede davon sein, dass diese nicht ausreichten. Vielmehr müssten negativ auffällige Beamte durchaus mit harten Konsequenzen rechnen. Eine zusätzliche Kontrollinstanz wäre überflüssig und würde die Sache noch komplizieren. Gegen Korpsgeist der Polizeibeamten müsse man ohnehin intern vorgehen, dagegen helfe eine unabhängige Kontrollinstanz nicht. Allenfalls mit der Vorstellung eines völligen Ersatzes der bisherigen Möglichkeiten durch ein zentrales Beschwerdemanagement konnte sich Herr Schall von der GdP anfreunden.

Nach dem Bericht von Long, dessen ipcc die meisten Beschwerden gegen die Polizei nicht selbst bearbeitet, sondern deren lokale Behandlung nur "überwacht", waren die polizeilichen Vorbehalte in England vor der Einführung ähnlich gelagert. Inzwischen werde die ipcc aber - auch von der Polizei - akzeptiert. Die Kennzeichnung der Polizei in Groß-London, für die er verantwortlich gewesen sei, hätte ähnliche Befürchtungen der Polizisten geweckt wie hierzulande. Die Befürchtungen hätten sich aber nicht bewahrheitet. Weder komme es zu mehr falschen Anzeigen gegen Beamte noch seien deren Familien bedroht worden.

Für Katharina Spieß von Amnesty International fand das Fachgespräch genau zum richtigen Zeitpunkt statt, denn sie konnte zugleich einen frisch gedruckten Bericht "Täter unbekannt" von amnesty vorlegen, der sich mit dem Problem mangelnder Transparenz bei polizeilichem Fehlverhalten befasst. Der Bericht ist Teil einer Kampagne von amnesty für eine unabhängige Polizeikontrolle; es werden 15 konkrete Fälle aus den vergangenen Jahren ausführlich geschildert. Der Bericht kann hier heruntergeladen oder bestellt werden (empfehlenswert).

Eine statistische Analyse der Behandlung von Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt ergibt tatsächlich eine weit geringere Anklage- und Verurteilungsquote bei solchen Anzeigen im Vergleich zu anderen Körperverletzungen. Die Analyse ist bislang allerdings nur unter größeren Schwierigkeiten und Umwegen möglich (drei verschiedene Zahlenwerke, die mit versch. Definitionen arbeiten, sind einzubeziehen); eine zentrale staatsanwaltliche Erfassung solcher Zahlen ist aber ab diesem Jahr vorgesehen.
Dafür, dass tatverdächtige Polizeibeamte seltener angeklagt und verurteilt werden, gibt es meiner Einschätzung nach unterschiedliche Gründe (eine kriminologische Analyse bietet Tobias Singelnstein in Monatsschrift für Kriminologie 2003, S.1 und in CILIP 95.).

Für die Einrichtung muss man sich - insbesondere angesichts der in den 16 BL verschieden aufgebauten  Polizeien (plus Bundespolizei) - natürlich seitens der Rechtspolitik noch intensiv Gedanken machen. Eine kleine Einrichtung wie die Hamburger Polizeikommission, wie sie vor einigen Jahren einmal bestand (vgl. dazu diesen Artikel von Gössner), ist z.B. weniger geeignet, zu konkreten Beschwerden zu ermitteln, wie es die ipcc in England tut.
Zudem wird es wichtig sein, die Polizei an der Diskussion und Errichtung zu beteiligen; eine reine Misstrauensbehörde, die auf generelle Ablehnung unter den Beamten stößt, hätte aus meiner Sicht nur wenig Chancen auf praktische Relevanz.

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