Bundesjustizministerium plant elektronische Fußfesseln für entlassene Sicherungsverwahrte

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 02.08.2010

Das Bundesjustizministerium strebt für Täter, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, eine Überwachung mit elektronischen Fußfesseln an. Der parlamentarische Staatssekretär Max Stadler (FDP) kündigte am 29.07.2010 in den ARD-«Tagesthemen» an, eine satellitengestützte Überwachung sei geplant . Damit sollen künftig entlassene Strafgefangene kontrolliert werden, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnten.

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7 Kommentare

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Und wie soll diese nachträgliche freiheitsbeschränkende Maßnahme in "Altfällen" mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar sein? Die Regelung, die sich vermutlich in die Vorschriften über die Führungsaufsicht einfügen soll, kann ja ebenfalls nur für "Neufälle" gedacht sein und nicht für die nunmehr aufgrund des Urteils des EGMR Entlassenen.

 

Bei "Neufällen", die auf Bewährung entlassen werden, stützt sich die Entlassung jedoch auf eine positive Legalprognose bzw. den Wegfall der negativen Prognose, so daß nicht einsichtig ist, weshalb man eine elektronische Fußfessel anordnen sollte. Wie langte sollte die Anordnung der Fußfessel überhaupt gelten? 2, 5, 10 Jahre oder für immer? Hier ist eine neue Klatsche vor dem BVerfG oder dem EGMR vorprogrammiert.

 

Zudem dürfte die Fußfessel auch in tatsächlicher Hinsicht nur ein Placebo sein. Wer aufgrund eines Impulsdurchbruches eine neue schwere Straftat begeht, läßt sich hiervon nicht durch eine Fußfessel abhalten. Die Polizei kann jedoch nicht binnen Sekunden reagieren und vor Ort sein.

 

 

 

 

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@Martin: Die Führungsaufsicht wäre eine Maßregel, für die auch nach Ansicht des EGMR (wahrscheinlich) das Rückwirkungsverbot nicht gelten würde. Zudem kann sie nach geltender Gesetzeslage nachträglich geändert werden, § 68 d StGB. Die Einzelheiten (wer, wie und wie lange) müssten natürlich gesetzlich geregelt werden. Zu weiteren Punkten siehe auch schon hier im Blog.

Bloss nicht: In der öffentlichen Meinung ist die Schwere des Eingriffs im Vergleich zur Haft bzw. Sicherungsverwahrung dermaßen niedrig, dass deren Anordnung per Routineanordnung für die Höchstdauer ergehen wird und - vergleichbar mit einer Fahrtenbuchauflage für Nichtautofahrer - bereits mit verminderten Beweisanforderungen verhängbar werden wird.

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Aus rechtsvergleichender Sicht möchte ich auf die in manchen US-Bundesstaaten existierende Möglichkeit hinweisen, Sexualstraftäter nach Verbüßung der Freiheitsstrafe unter der Obhut der Gesundheitsbehörden festzuhalten. Dabei wird ihnen währenddessen eine adäquate psychatrische Behandlung gewährt und regelmäßig - im Abstand von einem Jahr - durch einen Richter geprüft, ob die Inhaftierungsvoraussetzungen nach wie vor gegeben sind.

Als Beispiel nenne ich den Kansas' Sexual Violent Predator Act, der 1997 vom US Supreme Court auf dieselben Punkte hin überprüft worden ist wie die deutsche nachträgliche Sicherungsverwahrung durch den EGMR. Wegen seiner völlig anderen Ausrichtung ist das Gesetz aus Kansas - wie ich finde - mit sehr guter Begründung durch den Supreme Court für verfassungsgemäß erachtet worden s. 521 U.S. 346, 117 S.Ct. 2072 (1997).

Vielleicht findet der deutsche Gesetzgeber ja nicht nur seine Grenzen im internationalen Recht (EMRK), sondern auch mit Hilfe der Rechtsvergleichung eine problemadäquate und rechtsstaatlich "saubere" Lösung...

Angesichts der starken psychischen Auffälligkeiten, die viele Sicherungsverwahrte aufweisen, halte ich eine Unterbringung weiterhin gefährlicher Täter ebenfalls eher für ein Problem des FamFG unter der Freiheitsentziehungsgesetze der Länder. Den Vorgaben des EGMR kann nur genügt werden, wenn die Sicherungsverwahrung aus dem Strafgesetzbuch heraus und in die Gefahrenabwehrgesetze hinein genommen wird. Weshalb die Politik stur daran festhält, eine letztlich gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme systemwidrig im Strafgesetzbuch zu behalten und Strafgerichte mit deren Anordnung und Überwachung zu beschäftigen, erschließt sich nicht. Es genügt m.E. nicht, der Sicherungsverwahrung einen neuen Anstrich zu verpassen und zu behaupten, sie sei jetzt keine Strafe mehr. Das hat schon mit dem Etikett "Maßregel" nicht geklappt.

 

Die Politik schenkt der Bevölkerung keinen reinen Wein ein, wenn weiterhin der Eindruck erweckt wird, die Abwehr der von den Verurteilten ausgehenden Gefahren sei ein Problem des Strafrechts und der EGMR verweigere uns einen angemessenen Umgang mit gefährlichen Menschen.

 

Deutschland muß sich von den anderen Ländern auch die Frage gefallen lassen, weshalb es in solchen Fragen immer einen Sonderweg geht und freiheitsentziehende Maßnahmen erfindet, die kein anderes Land kennt und braucht. Um es polemisch zu formulieren: Schutzhaft und Konzentrationslager haben auf europäischer Ebene auch keinen Anklang gefunden. Natürlich würde das der EGMR so nicht formulieren. Historische Fragestellungen spielen für andere Länder bei der Beurteilung deutscher Maßnahmen jedoch immer eine Rolle. Die nunmehr erwogenen "besonderen Unterbringungsanstalten" werden vor diesem Hintergrund in Europa ebenfalls keine Fans gewinnen.

 

Ein anderer denkbarer Weg, die Bevölkerung zu schützen, sind drastische Freiheitsstrafen, die die EMRK nicht verbietet. Bei der Bemessung der Strafen für gefährliche Intensivtäter verhalten sich die Gerichte oftmals widersprüchlich. Wenn nach der 20. schweren Straftat eine Freiheitsstrafe von nur vier Jahren und anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet wird, fragt man sich, weshalb statt dessen die möglichen Strafrahmen aus generalpräventiven Gründen - immerhin ein anerkannter Strafzweck - nicht ausgeschöpft werden, Ich betreue viele Mandanten, die wegen ihrer letzten Tat nur eine relativ kurze Freiheitsstrafe verbüßen oder verbüßt haben und anschließend in die Sicherungsverwahrung gehen/gingen.

Es wäre sicher ohne weiteres mit der EMRK in Einklang zu bringen, die Strafrahmen für schwere Gewalt- und Sexualstraftaten zu erhöhen und die Rechtsprechung dahingehend zu entwickeln, daß bei Intensivtätern die Strafrahmen von 15, 20, 25 Jahren auszuschöpfen sind. Gegen langjährige Freiheitsstrafen in sibirischen Lagern hat der EGMR offenbar auch keine Einwände.

 

 

 

 

 

 

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Zu Gerd:

 

Den Strafrahmen zu erhöhen und so einen Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Täter zu gewährleisten hat ein Richter des Supreme Courts in seiner dissenting opinion in dem oben von mir genannten Fall vorgeschlagen. In Deutschland stieße dies freilich auf den verfassungsrechtlich abgesicherten Schuldgrundsatz, denn die Strafe wäre nicht schuldangemessen - so der könkrete Täter überhaupt als schuldfähig erachtet würde. Dieser Weg ist daher - nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA - versperrt.

An der Uni Regensburg habe ich in den letzten Tagen mit einer amerikanischen Juristen über das Thema diskutiert und wir waren uns einig, dass nicht die Regeln in Deutschland das Probelm sind, sondern die Vollzugsrealität. Wenn wir also Sicherungsverwahrten eine bessere Therapie bieten, sie stärker von "normalen" Häftlingen trennen und zudem von speziellen Richtern regelmäßig prüfen lassen, ob die Inhaftierungsvoraussetzungen vorliegen, würden nach unserer Einschätzung keine verfassungs- und europarechtlichen Bedenken mehr bestehen. Man kann sich recht gut an den o.g. Regeln in den USA und der Leitentscheidung des Supreme Court orientieren, die exakt die Bedenken des EGMR aufgreifen.

Eine Generalrenovierung des Normgebäudes ist unseres Erachtens nicht notwendig, sondern eine begrenzte, aber kluge Veränderung einzelner Stellschrauben: Es muss deutlich werden, dass Strafe und Sicherungsverwahrung nicht nur begrifflich, sondern auch in der Realität verschieden sind. Um die amerikanische Kollegin zu zitieren: "You have to paint it differently." Manchmal stellen amerikanische Pragmatik und alteuropäische Rechtsstaatlichkeit  keine Gegensätze dar.

Schuldfähigkeit ist natürlich Voraussetzung für eine Freiheitsstrafe, ansonsten ist ohnehin der Weg in die Psychiatrie vorgezeichnet.

 

Ich sehe nicht, daß das Prinzip schuldangemessenen Strafens einer Erhöhung der Obergrenze für zeitliche Freiheitsstrafen in § 38 Abs. 2 StGB entgegensteht.  Der Schuldgrundsatz gilt in erster Linie innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens. Bislang hat - soweit ersichtlich - das BVerfG noch keine gesetzlich angedrohte Höchststrafe wegen Verstoßes gegen den Schuldgrundsatz für unzulässig erklärt. Insofern hat der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative. Innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens dürfen generalpräventive Gesichtspunkte straferhöhend berücksichtigt werden. Bei gefährlichen Intensivtätern dürfte bei der x-ten Tat auch das Maß der Schuld entsprechend hoch sein.

 

Die Sicherungsverwahrung wird nur vorgeblich als "Maßregel der Besserung und Sicherung" angeordnet. In der Praxis ist eine "Das Maß ist voll"-Politik der Gerichte zu beobachten, gleich einer Strafe "durch die Hintertür". Insofern wäre eine Erhöhung der Strafrahmen oder wenigstens deren Ausschöpfung dogmatisch sauberer. Gegen die meisten Täter wird erst mit 30, 35, 40 Jahren Sicherungsverwahrung verhängt. Mit einer zeitigen Freiheitsstrafe von 15 (schon erlaubt, aber kaum je verhängt) bis 25 Jahren wäre ebenfalls weitgehend gewährleistet, daß nach der Entlassung keine schweren Straftaten mehr begangen werden, weil der diesbezügliche Hang erwiesenermaßen im Alter von 50, 60 Jahren erheblich nachläßt.

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