Ende der Schonzeit (Vorsicht Schleichwerbung)

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 14.09.2010

Nach dem Inkrafttreten des FamFG am 01.09.2009 war streitig, ob in Verfahren, die vor dem 01.09.2009 anhängig geworden und nach dem 01.09.2009 entschieden worden sind, altes Rechtsmittelrecht (= Berufung, einzulegen beim OLG) oder neues Rechtsmittelrecht (Beschwerde, einzulegen beim AG) anzuwenden ist. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., Einl. FamFG Rdnr. 54 und Prütting/Helms, FamFG, 2009, Art. 111 FGG-RG Rdnr. 5 vertraten die Auffassung, neues Recht sei anzuwenden.

Und so geschah es:

In einem vor dem 01.09.2009 eingeleiteten Scheidungsverfahren wurde das Verbundurteil am 03.12.2009 zugestellt. Die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) endete somit am Montag, den 04.01.2010.

Am 29.12.2009 sandte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen mit „Beschwerde“ überschriebenen Schriftsatz an das AG, wo er um 15.42 Uhr einging und an diesem Tage nicht mehr bearbeitet wurde.

Am Folgetag, dem 30.12.2009, verfügte die Familienrichterin die Versendung der Akte an das OLG. Dies wurde wegen des dienstfreien Silvestertages, des Neujahrstages und des anschließenden Wochenendes erst am 04.01.2010 ausgeführt. Schließlich traf die Akte am 07.01.2010 bei dem OLG ein.

Das OLG Hamm hat die Berufung mit Beschluss vom 06.05.2010 als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen.

Der Senat betrachtet den Streit spätestens mit den Entscheidungen des BGH vom 25.11.2009 (NJW 2010, 440, bespr. von Norpoth, FamFR 2010, 37) und vom 01.03.2010 (FGPrax 2010, 102) nicht nur als entschieden, sondern geht noch einen Schritt weiter: Es stelle ein anwaltliches Verschulden dar, die Berufung nicht beim OLG, sondern beim AG eingelegt zu haben.

Das Urteil des BGH vom 25.11.2009 sei ab dem 18.12.2009 in die Homepage des BGH eingestellt worden, so dass der Bevollmächtigte des Antragstellers rechtzeitig vor Fristablauf hiervon hätte Kenntnis nehmen können. Im Übrigen hätten auch Zöller und Prütting/Helms auf die Streitfrage hingewiesen. Notfalls hätte der Anwalt zweigleisig fahren müssen.

OLG Hamm, Beschluss vom 06.05.2010 - 2 UF 4/10 in FamFR 2010, 398 (mit Anmerkung von mir)

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3 Kommentare

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Tja - sowas tut natürlich weh! Aber wer als Anwalt in der Übergangsphase Fortbildungsveranstaltungen besucht hat, der wusste um dieses veritable Problem. Letztlich war eine Zeit lang einfach ungeklärt, welches Recht anwendbar war. Ich selbst habe - sokratischer Einsicht folgend, dass ich weiss, dass ich nichts weiss - in solchen Fällen sowohl beim judex ad quem als auch beim judex a quo, also "unten" und "oben" nicht Berufung oder Beschwerde, sondern einfach "Rechtsmittel" eingelegt.

Das birgt zwar die Gefahr, für eins der beiden Rechtsmittel die Kosten selbst übernehmen zu müssen (was mir nie passiert ist, weil der Schriftsatz einfach an die zuständige Instanz weitergeleitet und dort als Doppeleinreichung behandelt wurde). Aber auch hier gilt natürlich die alte Anwaltsregel: "Ich gehe lieber mit den Kosten als mit der Hauptsache in die Haftung" ;-)

Was mir an der Entscheidung des OLG Hamm viel dramatischer erscheint ist das vom Gericht zugrunde gelegte Timing: Zustellung des Urteils am 3.12.09, Veröffentlichung des BGH-Urteils auf der Homepage am 18.12.09, Einreichung des Rechtsmittels am 29.12.2009 beim falschen Gericht, Fristablauf 04.01.2010.

Das bedeutet nichts anderes, als dass sich der Anwalt mit der Kenntnisnahme von der Rechtsprechung nicht mehr Zeit lassen darf, bis ihm die NJW oder die FamRZ auf den Tisch flattert. Er muss nun regelmäßig die Internetseite des BGH abchecken und die dortige Rechtsprechung auf Relevanz zu seinen aktuellen Fällen prüfen. Und das auch noch 5 Tage vor Weihnachten, wenn man ja sowieso nichts Besseres zu tun hat, als auf den Seiten des BGH zu surfen, sich 30-seitige PDFs herunterzuladen, auszudrucken und dem aktuellen Wissen einzuverleiben.

Irgendwie wird das Leben nicht einfacher...

Vorsicht! Schleichwerbung: Wer sich schnell über die aktuelle Rechtsprechung des BGH informieren will: www.fokus-familienrecht.de

Das Problem ist, dass nur Zöller und Prütting/Helms zur Frage des Übergangsrechts eine abweichende Ansciht vertreten. Wer sich z.B. im Standardwerk Keidel informiert hat, konnte dort schon seit Mitte September (2009) lesen, wie Art. 111 FGG-RG auszulegen ist.

Das Kammergericht sagt in seiner Entscheidung vom 2.2.2010 (FGPrax 2010, 104) wörtlich: "Von einem Rechtsanwalt wird erwartet, dass er bei zweifelhafter Rechtslage vorsorglich so handelt, wie es bei einer für seine Partei ungünstigen Entscheidung zur Wahrung ihrer Belange erforderlich ist. Engelhardt (in Keidel Art. 111 Rn. 4) verweist ausdrücklich auf die Problematik verschiedener Instanzenzüge..."

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