20 Jahre genetischer Fingerabdruck

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 16.09.2010

Der «genetische Fingerabdruck» revolutionierte die Kriminalistik. Vor 20 Jahren erklärte der Bundesgerichtshof die Methode zu einem zulässigen Beweismittel. Neben zahllosen Erfolgen gibt es aber auch vereinzelt Pannen.

 

BGH erklärt genetischen Fingerabdruck 1990 als Beweismittel für zulässig

Sommer 1988, ein Dorf in Niedersachsen: Nach einem Discobesuch bricht ein junger Mann in ein Haus in der Nachbarschaft ein. Die Bewohnerin, eine 78-jährige Frau, überrascht ihn. Der Einbrecher fesselt und knebelt die alte Frau, vergewaltigt und ersticht sie anschließend. Dann nimmt er ihren Schmuck und verschwindet. Anderthalb Jahre später steht der 26-Jährige vor Gericht. Dass er wirklich der Täter war, ergibt sich unter anderem aus einer Gen-Analyse.

Die 1985 an der britischen Universität Leicester entwickelte Methode war bis dahin vor deutschen Gerichten kaum bekannt. Der Verteidiger hielt den «genetischen Fingerabdruck» für ein von vornherein unzulässiges Beweismittel. Der Angeklagte legte schließlich Revision zum BGH ein. Mit dem am 05.09.1990 veröffentlichten Grundsatzurteil entscheid Karlsruhe: Die DNA-Analyse ist als Beweismittel zulässig – jedenfalls, sofern es um die Aufklärung schwerer Verbrechen geht (BGH NJW 1990, 2944).

 

DNA-Analyse ermöglicht nahezu sichere Feststellung der Identität eines Menschen

Beim genetischen Fingerabdruck werden bestimmte Teile der Desoxyribonukleinsäure (DNA), des Trägers der menschlichen Erbsubstanz, untersucht. Bei der Aufbereitung ergibt sich eine Art Strichcode. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Code bei zwei Menschen identisch ist, liegt bei etwa eins zu 500 Millionen. So kann mittlerweile durch die Untersuchung dieser DNA-Teile die Identität eines Menschen nahezu sicher festgestellt werden. Inzwischen reichen schon mikroskopisch kleine Spuren mit nur wenigen DNA-haltigen Körperzellen zur Identifizierung aus. Und: Für Straftäter ist es nahezu unvermeidbar, biologisches Zellmaterial am Tatort zurückzulassen, z.B. Hautschuppen nach Berührungsvorgängen.

 

1998 errichtet das BKA eine Gen-Datei

1998 richtete das Bundeskriminalamt in Wiesbaden eine Gen-Datei ein. Mittlerweile sind dort etwa 680.000 Menschen erfasst sowie mehr als 170.000 Tatortspuren. So wurde der Mörder des Münchner Modeschöpfers Rudolph Moshammer überführt: Am Kabel, mit dem Moshammer erdrosselt wurde, war Hautabrieb. Die Zellen zeigten dasselbe DNA-Muster wie Spermaspuren aus einer früheren Vergewaltigung. Oder der Sexualmord an einer Ulmer Schülerin im Jahr 1973: Die Polizei hatte zwar Spermareste sichergestellt, konnte sie jedoch damals nicht auswerten. 27 Jahre später wurde das Material genetisch untersucht. Dann lud die Polizei 120 Männer aus dem Umfeld des Mädchens zur Speichelprobe. Als der Täter den Brief erhielt, stellte er sich.

 

Massen-DNA-Test klärt Sexualmord an elfjährigem Mädchen

Im April 1998 riefen die Ermittler nach dem Sexualmord an der elfjährigen Christina aus Strücklingen (Niedersachsen) zum ersten Massen-DNA-Test in Deutschland auf. 18.000 Männer ließen sich Speichelproben entnehmen, unter ihnen der Täter. Der damals 30 Jahre alte Mann, ein Familienvater mit drei Kindern, gestand weitere Missbräuche und einen zweiten Mord. Im Prozess erhielt er die höchstmögliche Haftstrafe.

 

Genetischer Fingerabdruck wurde auch Ex-RAF-Terroristin Becker zum Verhängnis

Jetzt könnte der Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern Wolfgang Göbel und Georg Wurster am Gründonnerstag des Jahres 1977 eine neue Wendung erhalten: Ab dem 30.09.2010 muss sich die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim als mögliche Mittäterin des Attentats verantworten. Die Ermittler fanden mehr als 30 Jahre nach der Tat DNA-Spuren Beckers auf den Bekennerschreiben.

 

Panne: Suche nach «Phantom»

Einen vermeintlicher Serientäter der jüngeren Kriminalgeschichte hätte es allerdings ohne DNA-Tests nie gegeben: Jahrelang fahndete die Polizei nach einer «Frau ohne Gesicht». Ihre DNA-Spur fanden die Ermittler zum ersten Mal nach einem Raubmord im Jahr 1993. An rund 40 Tatorten hinterließ die rätselhafte Serientäterin Spuren, unter anderem beim Mord an einer Polizistin in Heilbronn. Dreimal wurde in der Sendung «Aktenzeichen XY ungelöst» nach ihr gefahndet. Dann stellte sich heraus: Die Frau hatte für den Hersteller der Wattestäbchen gearbeitet, mit denen DNA-Proben gesichert wurden. Dabei waren ihre Spuren auf die Stäbchen gelangt. Das «Phantom» war enttarnt.

 

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3 Kommentare

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Auch ein Artikel aus der Berliner Zeitung (2006) zu einer Panne bei der DNA-Spurensicherung. Eine Hautschuppe gelangt, vermutlich durch statische Aufladung, von einem Tatort zu einem anderen.

Artikel: "Ein Verdächtiger zu viel"

Schwere Panne bei DNA-Spurensicherung der Polizei erschwert Mordprozess

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2006/0...

 

 

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Die teilweise exorbitanten (Un)wahrscheinlichkeiten, mit denen von Anfang an für den DNA-Beweis argumentiert wurde, täuschen eine Sicherheit vor, die in der Realität nicht gegeben ist. Zwar stimmt die Wahrscheinlichkeitsangabe  (theoretisch) für die Identität bzw. Nichtidentität zweier Personen, jedoch wird die Beweiskraft dieser Wahrscheinlichkeiten nach oben begrenzt von der Wahrscheinlichkeit von Laborirrtümern/Verwechslungen sowie (unentdeckter) Spurenverbringungen, wie Sie im von Joachim (#1) geschilderten Fall wie auch im Phantom-Fall gegeben waren. Diese Irrtumswahrscheinlichkeiten sind inzwischen weit, weit höher anzusiedeln als die Unwahrscheinlichkeit der Identität zweier DNA-Profile. Leider ist das Bewusstsein dafür bei den polizeilichen Spurenfachleuten  unterentwickelt. Wegen ihres unerschütterlichen Glaubens an ihre Methode kommt es dann zu so erstaunlichen Fehlern wie im Phantom-Fall. Ein bisschen Skepsis tut auch bei diesem regelmäßig überzeugenden Beweismittel gut.

DNA-Profilierung spielt auch bei der Entlastung zu Unrecht Verurteilter v.a. in den USA eine große Rolle. Einige sind aus langjähriger Haft, manche sogar aus der Todeszelle befreit worden, weil ihre Unschuld durch DNA-Spuren gezeigt werden konnte.

Treffer in der Deutschen DNA-Analyse-Datei (DAD) führen oftmals dazu, ein Treffergutachten einzuholen, in dem eine biostatistische Beurteilung des Datenbankleffers vorgenommen werden soll. Die Frage, ob und in welchem Umfang bei einem solchen Gutachten auch die Wahrscheinlichkeit eines "zufälligen" Datenbank-Treffers unter Einbeziehung der Datenbankgröße in die Bewertung einfließen muss, ist Gegenstand der in NStZ-Heft 2010/8 S. 433 ff abgedruckten allgemeinen Empfehlungen der Spurenkommission zur statistischen Bewertung von DNA-Datenbank-Treffern von Peter M. Schneider, Harald Schneider, Rolf Fimmers und Bernd Brinkmann. 

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