BVerwG zu LKW-Überholverbot: Zumeist ok!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 23.09.2010
Rechtsgebiete: BVerwGDr. KettlerÜberholverboteVerkehrsrecht19|5720 Aufrufe

Na, ich hoffe zunächst einmal, dass sich der Klägervertreter RA Dr. Kettler hier zu Wort meldet. Das BVerwG hat nämlich heute zu der Klage gegen LKW-Überholverbote auf Autobahnen entschieden. Nur wenige Überholverbote sind nicht ok. Wichtig für die Praxis ist die Entscheidung vor allem auch für die Widerspruchsfrist gegen Verkehrszeichen. Hier die Meldung bei Beck-Aktuell auszugsweise:

"...Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berufungsurteile der beiden Verwaltungsgerichtshöfe bestätigt, auch soweit sie angenommen hatten, dass die Rechtsmittelfrist gegen ein durch Verkehrszeichen bekannt gegebenes Verkehrsgebot oder -verbot nicht bereits mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens zu laufen beginnt, sondern erst dann, wenn der dagegen Rechtsschutz begehrende Verkehrsteilnehmer zum ersten Mal auf dieses Verkehrszeichen trifft. Die Revisionen des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht in beiden Verfahren zurückgewiesen. Diese Lkw-Überholverbote hätten den Anforderungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO entsprochen. Nach dieser Bestimmung dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung insbesondere von Leib, Leben und Eigentum erheblich übersteigt...."

 

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19 Kommentare

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Zum Thema Überholverbote für Lkw / Elefantenrennen weiß bisher nur das VG Schleswig eine überzeugende Antwort (3 A 216/02): ohne ausreichende Differenzgeschwindigkeit zum Überholten ist das Überholen sowieso verboten. ("Überholen darf ferner nur, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt." § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO). Das könnte die Polizei auch gerne überprüfen.

Und wer behauptet, alles Gefährliche müsse extra noch einmal durch Schilder verbotenwerden, müßte auch das Überholen von Fahrrädern auf zweispurigen Straßen verbieten (bzw. erst einmal ein Zeichen dafür erfinden). Denn da wird auch immer wieder und zum Teil massiv gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO verstoßen ("Beim Überholen muß ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere zu Fußgängern und Radfahrern, eingehalten werden.").

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Zum Thema Widerspruchsfrist: eine nette Entscheidung, wenn auch zu spät. Wieviel Bäume (sprich Papier) die unseelige Diskussion über diese Frage wohl gekostet haben mag, seit der VGH Kassel im Jahr 1999 das Faß aufgemacht hat, möchte ich lieber nicht wissen. Lustigerweise, hat das BVerwG heute ein Urteil just dieses VHG gebilligt, mit dem er nach nur einem Jahrzehnt die Trümmer seiner früheren Entscheidungen wieder einsammelte.

In der Praxis dürfte allerdings gerade die Feststellung der Verfristung zukünftig ein Problem sein, weil eigentlich niemand genau weiß, wer wann erstmals mit einem Verkerszeichen konfrontiert war. Da helfen noch mal die Smartphones mit lückenloser Dokumentation aller Wege des Klägers, denn ist man z.B. als Beifahrer von einem Verkehrszeichen konfrontiert? Soll das wirklich demnächst vom BVerwG entschieden werden?

Und nicht zuletzt hat die Möglichkeit einer Bescheidungsklage einigen Dampf aus der Diskussion genommen, weil sie jedenfalls nicht an der Verfristung scheitert (z.B. VG Berlin 11 A 606.03). Sie hat zwar ihre speziellen Probleme. Aber dadurch, daß den Richtern nicht aufgegeben wird, in der Sache schlauer zu sein, als die Fachbehörde, ist es eigentlich auch für sie ganz befreiend, einmal zu urteilen: "Liebe Behörde entscheide selbst, welchen Weg zur Nachbesserung Du gehen willst; so wie bisher geht' aber nicht weiter".

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Ich kann mich hier zu Wort melden, Herr Krumm. Aber was wollen Sie von mir hier lesen?

Anekdoten aus dem Gerichtssaal? Ich hätte da hübsche Geschichten, aber die soll lieber ein Anderer berichten.

Urteilsschelte, bevor die Urteilsgründe vorliegen? Das ist nicht mein Stil.

Eine Würdigung der dürren, wenigen Worte bei der mündlichen Urteilsverkündung? Das mag etwas für die Tagespresse sein, eine inhaltliche Auseinandersetzung ist damit kaum möglich.

Dass ich hier den gesamten Streitstoff anführe und warum ich denke, dass mein Mandant Recht hat(te)? Das ließe den Blog explodieren.

Eine Stellungnahme, ob das Glas halb voll oder halb leer ist? Das bringt uns auch nicht weiter.

Eine Jubel-Stellungnahme bezüglich der Teile, wo wir obsiegt haben? So ähnlich vielleicht, wie sie der eine Beklagte noch gestern nachmittag umgekehrt in die Welt setzte? Ohje.

Eine Stellungnahme, dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei sei? Das könnte man hier zu jedem (Fehl-) Urteil schreiben.

Die Richter sahen sich anscheinend wegen der engen Grenzen des Revisionsrechts außer Stande, das, was sich die beiden VGHe geleistet hatten (und das waren m.E. wirklich grobe, revisionsrechtlich relevante Schnitzer), zu korrigieren. Soll ich also über eine Sinnentleerung des Revisionsverfahrens lamentieren? Soll ich schreiben: "Anscheinend muss man spätestens in der zweiten Instanz gewinnen, um zu gewinnen"? Das ist nun auch keine Erkenntnis, die wirklich weiter führte - zumal sie wörtlich genommen nicht ganz (oder: nicht immer) richtig ist.

Zu der Problematik der statusnahen verkehrsrechtlichen Anordnungen fanden die Richter kein Wort in der mündlichen Urteilsbegründung, auch nicht zu der Störer-/Nichtstörer-Problematik, zu der Eignung der Maßnahme und vielen anderen wichtigen Fragen des Streits. Dazu jetzt hier etwas in dem Blog zu schreiben, wäre wohl verfrüht.

Bliebe der sachliche Kern: Die Richter haben der Verkehrssicherheit einen Bärendienst erwiesen. In rund zwei Jahrzehnten hat die Verkehrssicherheitsforschung (soweit veröffentlicht) nirgendwo in Deutschland einen signifikanten Nutzen solcher LKW-Überholverbote auf BAB für die Verkehrssicherheit finden können. Im Gegenteil erwiesen sich die Kontrollstrecken (ohne Maßnahme) oft als effektiver bei der Unfallbekämpfung als die Strecken mit solchen Überholverboten. Selbst in Bayern hatte ein Kleeblattversuch (eine Strecke LKW-ÜV 6-20 Uhr, eine Strecke Tempo 120 plus LKW-ÜV 6-20 Uhr, eine Strecke Tempo 120, eine Kontrollstrecke ohne jedes Verbot) des Beklagten auf miteinander und der gestern streitgegenständlichen Strecke vergleichbaren Strecken ergeben, dass einfaches Nichtsanordnen (=Untätigbleiben) die Unfallziffern mehr absinken lässt, als das Anordnen von LKW-Überholverboten. Einfaches Untätigbleiben der Behörden würde also wohl auch auf den gestern streitgegenständlichen Strecken und auf vielen weiteren Strecken Tote und Verletzte vermeiden. Stattdessen betreiben die Behörden mit großem Eifer das Geschäft, an möglichst vielen und langen Strecken, LKW-Überholverbote aufzustellen. Sie wachsen in vielen Bundesländern wie Pilze aus dem Boden - oft in konzertierten Aktionen, wie wir es in den Achtzigern in einigen Bundesländern mit allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen erlebt haben, die nur Feigenblatt-Strecken übrig ließen (und die dann rechtlich unzulässig waren, schon weil sich die örtlichen Behörden damit Entscheidungsbefugnisse angemaßt hatten, die nur der Bund hätte). Die Begründung in der Akte lautet für diese nun aufgestellten LKW-Überholverbote dann schon mal einfach nur: "sinnvoll" oder fehlt gänzlich. Manchmal findet sich in der Akte glasklar der politische Wille, der hinter den Verboten steht. So findet sich beispielsweise in verschiedenen niedersächsischen Akten (die gestern nicht verhandelt wurden) in der verkehrsrechtlichen Anordnung als einzige Begründung die Bemerkung, dass sie in Umsetzung des Erlasses des (unzuständigen) Landesverkehrsministers vom Soundsovielten (einigen Tage bis Wochen zuvor) ergehe. Und in einer Akte fand sich auch dieser "Erlass": Minister Hirche wies die zuständigen Behörden per einfachem Schreiben u.a. an, auf den BAB 1 und 7 LKW-Überholverbote anzuordnen "auf allen zweistreifig ausgebauten Streckenabschnitten, auf denen bisher keine entsprechende Beschränkungen bestehen". Begründung: keine. Der Glaube "Viel Verbot hilft viel" ist anscheinend unerschütterlich. Oder der Glaube, sich trotz der Privilegienfeindlichkeit der StVO freie Bahn für freie Bürger verschaffen zu können - Ellenbogenmentalität für schnellfahrwillige Verkehrsteilnehmer/Entscheidungsträger auf der linken Spur. Ein Teil der zu LKW-Überholverboten Beklagten entnimmt die Eignung der Maßnahme dem Umstand, dass nach der Anordnung die Unfallzahlen um mehrere hundert Prozent zurückgegangen seien - dass das schlechterdings nicht geht, ficht niemanden an. Signifikanztest? Fehlanzeige. Unfalltypensteckkarte als Basis der Entscheidung? Fehlanzeige. Die jeweiligen Unfalltypensteckkarten würden wohl "des Kaisers neue Kleider" zeigen, wohl deshalb werden sie in den Verfahren trotz jahrelangem Drängen des Klägers einfach nicht vorgelegt.

Und die LKW-Staus auf der rechten Spur werden immer länger.Eine Wand von LKW, durch die man sich beim Auffahren auf die BAB und beim Abfahren von der BAB unter Missachtung des Sicherheitsabstandes der Brummis durchquetschen muss. Im Radio immer wieder Meldungen wie "Fünf Kilometer Stau für LKW, ein Kilometer Stau für PKW": Aha, wie kann das sein? Das LKW-Überholverbot mutiert zudem zum Vorfahrtrecht für PKW, weil die einfach bis zur gewünschten Ausfahrt nach vorne fahren (können und dürfen) und sich dann vorne durch die LKW-Schlange (oder in sie hinein: jenachdem) rausquetschen.

Von Lichtung des Schilderwaldes ist nichts in Sicht. Da könnte man dann über den Sinn der Gesetzesnovelle von 1997 (Einfügung des Paragrafen 45 Absatz 9 StVO) sinnieren, wenn Richter dann SOWAS durchwinken.

Bleibt die Fristfrage. Das ist ja rechtsdogmatisch vielleicht sogar die spannendere von den gestern zu entscheidenden grundsätzlichen Fragen. Und sie hat auf viel mehr (potenzielle) Klagebegehren Einfluss. Wer klagt schon, wenn er mit einiger Wahrscheinlichkeit schon an dieser formalen Frage scheitern wird, weil erstinstanzliche Gerichte leider immer wieder missverstandene, unglückliche Formulierungen aus dem vorigen Jahrhundert und mittlerweile sogar explizit aufgegebene, überholte Rspr. nachplappern? Die Fristfrage ist als Problem seit gestern weitgehend ausgeräumt und geklärt. Dass sich das Gericht auch da nicht zu einer wirklich rechtsdogmatisch stimmigen Aussage durchringen konnte, ist bedauerlich, aber hoffentlich nur selten von praktischer Relevanz.

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Sehr geehrter Herr Dr. Kettler

mit Ihrer etwas launigen Einleitung haben Sie natürlich recht. Trotzdem schon einmal Danke für die erste Einschätzung der Entscheidung.

 

Was die Überholverbote selbst angeht, so kann man sicher gezeilter Ansicht sein (hier möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, da meine verwaltungsrechtlichen Ausbildungsabschnitte nun schon etwas zurück liegen).

Gut scheint auch mir die Klarstellung des BVerwG hinsichtlich des Fristenproblems - ich verweise die Leser hierbei auf Ihren Aufsatz. Vgl. also Kettler, SVR 2010, 293. 

@#3

Auch wenn das Forum eher der Diskussion der rechtlichen Problemstellungen dient, einige Anmerkungen.

Sie reklamieren, dass in den meisten Anordnungen eine Begründung schlichtweg fehle. Andererseits bemängeln Sie aber, dass keine Nachweise hinsichtlich Unfallzahlen/Verkehrssicherheit vorgelegt würden. Wozu auch, wenn das gar nicht die Grundlage ist?

Zumindest auf nur zweistreifigen Strecken ist das Problem der "Elefantenrennen" wohl nicht weg zu diskutieren. Führen Sie doch mal eine Umfrage unter Berufspendlern auf solch einer Strecke durch. Weshalb soll der Pkw-Verkehr auf Lkw-Geschwindigkeit reduziert werden, nur damit der Lkw mit 85 km/h den anderen mit 81 km/h überholen kann? Das ist die leidige Praxis. So ein Überholvorgang dauert 1,5 bis 2 km, wenn gleich mehrere Lkw überholt werden sind es gar 5 bis 6 km. Das ist faktisch ein Tempolimit für alle auf 85 km/h. Damit ist ja dann wirklich viel gewonnen, denn hinter dem Lkw hat sich der Verkehr auf der linken Spur stauartig verdichtet. Sagen Sie nicht, Sie kennen das nicht.

Und man könnte es auch anders sehen mit dem Reinquetschen zwischen die Lkw. Wenn von diesen der korrekte Abstand eingehalten würde, wäre das Ein-/Ausfahren an Anschlussstellen möglich. Anders herum können Lkw bei der üblichen Verkehrsdichte und den auf der linken Spur gefahrenen Geschwindigkeit gar nicht gefahrlos zum Überholen ausscheren.

Das war jetzt etwas einseitig, nur um eine Gegenmeinung zu Ihrem Standpunkt aufzuzeigen. Vernunft liegt wohl in der Mitte.

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@#5

Wozu Unfallzahlen, "wenn das gar nicht die Grundlage ist"? Nun, einen andere Ermächtigungsgrundlage als die Verkehrssicherheit findet sich in der StVO nicht für diese Verbote. Um Reisezeiten der schnellfahrwilligen Pkw-Fahrer zu verringern, sind keine Verbote an Lkw-Fahrer erlaubt. Und um die Verkehrssicherheit einzuschätzen, böten sich an erster Stelle eben detaillierte Unfallzahlen und Unfalltypensteckkarten an. Dass Sie hier offen sagen, dass Verkehrssicherheit "nicht die Grundlage" der Verbote ist, ist hübsch: Vielleicht nennen Sie uns einen Absatz in Paragraf 45 StVO, der dann statt dessen zu diesen Verboten ermächtigen soll?

Aber Sie befinden sich in guter Gesellschaft: Verkehrssicherheit ist nach meiner Wahrnehmung in noch keiner der von mir bearbeiteten Akten mit diesem Thema der wirkliche Grund für diese Verbote gewesen. Die werden dann höchstens vorgeschoben, um das Politische zu verdecken.

Auch Ihr Hinweis auf eine "Umfrage unter Berufspendlern" ist hübsch. Grundrechte lassen sich indes nicht abzählen. Auch ein 100-Prozent-Ergebnis einer solchen Umfrage unter den (vermeintlichen) Profiteuren eines solchen Verbots könnte dieses (an und gegen andere gerichtete!) Verbot nicht rechtfertigen. Straßenverkehrsrecht ist Gefahrenabwehrrecht und da sind Einzelfallentscheidungen keiner politischen Mehrheitsbildung zugänglich. So nachzulesen in der ständigen Rechtsprechung zu Verkehrszeichen.

Es geht auch gar nicht um Elefantenrennen. Elefantenrennen sind nach der StVO unmittelbar verboten. Und Verkehrszeichen, die lediglich solche unmittelbar in der StVO enthaltenen Verbote wiederholen, sind nach geltendem Recht verboten. Im Übrigen kann die Polizei Elefantenrennen auch ohne ergänzende-wiederholende Lkw-Überholverbotszeichen ganz simpel verfolgen und ahnden. Die Elefantenrennen eignen sich daher nur am Stammtisch für die "Rechtfertigung" der Verbote.

Es geht darum, dass Lkw-Fahrer auch dann hinter dem Langsamsten bleiben müssen, wenn der 70, 60, 50, 40, 30 fährt. Und das kommt leider ziemlich häufig vor. Und der Langsamste ist in der Regel gerade kein anderer Lkw, sondern ein Pkw mit seitenwindempfindlichem Anhänger (Pferdeanhänger mit jungem Fohlen, Imbissbude und Obstverkaufswagen auf dem Weg zum nächsten Markt, Campingwagen auf dem Weg in den Urlaub) und ansonsten: Schaustellerfahrzeuge, Kranfahrzeuge mit 62km/h-Schild, Pkw-Fahrer mit abgerissenem Auspuff und sonstigen Defekten, die den Abschleppwagen sparen wollen und hoffen, dass es noch bis nach Hause reicht, etc pp. Bis dieser Langsamfahrer abfährt, fährt die gesamte Lkw-Kolonne mit diesem jeweiligen Minimaltempo dahinter her, obwohl die Lkw-Fahrer allemal eine gute Differenzgeschwindigkeit hätten, sie also in jeder Hinsicht StVO-gerecht überholen könnten. Genau diese Überholmanöver werden von den fraglichen Blechschildern / Prismenwendern / Streckenbeeinflussungsanlagen verboten. Die, die Sie ärgern, sind sowieso verboten; um die geht es dem Kläger nicht. Aber er möchte nicht 30, 50 oder auch 100 Kilometer auf einer womöglich sogar gähnend leeren Autobahn hinter einen solchen Langsamfahrer gezwungen werden (das hessische Berechnungssystem führt tatsächlich dazu: desto leerer die Autobahn, desto mehr wird eine Lkw-Überholverbot für nötig gehalten).

Nein, ich kenne die von Ihnen geschilderte Situation eines "faktischen" Tempolimits auf 85 km/h wirklich nicht. Mir macht es auch als Pkw-Fahrer nichts aus, mal gerade vom Gas zu gehen, wenn ein Lkw-Fahrer überholt. Wenn der Verkehrs so dicht ist, dass alle Nase lang ein Lkw links ist, ist er zugleich so dicht, dass auch ohne jedes Lkw-Überholmanöver deutlich unter hundert gefahren wird. Und dann stellt sich zudem erst recht die Frage, warum und wie soll der Lkw-Verkehr auf der rechten Spur abgewickelt werden? Stoßstange an Stoßstange in Schritttempo? Nur, um Pkw-Fahrern Tempo 100, 120 oder mehr zu ermöglichen? Das widerspricht der Privilegienfeindlichkeit der StVO. Die BAB ist in ganzer Breite für Kfz gewidmet, die 60 km/h schnell fahren können.

Und die von Ihnen beschworenen stauartigen Verdichtungen des Pkw-Verkehrs sind wiederum ein Phänomen, dass es nur in den Köpfen von schnellfahrwilligen Pkw-Fahrern gibt. Die Reisezeitgewinne der Pkw-Fahrer sind bei solchen Lkw-Überholverboten allenfalls minimal, tendenziell nur eingebildete. Aber um das zu wissen, müsste man sich mit der wissenschaftlichen Forschung zum Thema beschäftigen.

Gerade zu gefährlich ist Ihre Meinung, dass "das Ein-/Ausfahren an Anschlussstellen möglich" sei, wenn Lkw-Fahrer den korrekten Abstand einhalten. Durch dieses Reinquetschen wird der bis eben gerade noch "korrekte" (also aus Sicherheitsgründen minimal zulässige) Sicherheitsabstand auf knapp die Hälfte verringert. "Möglich" ist das Ein- und Ausfahren sehr wohl. Aber was soll der Lkw-Fahrer machen, dessen Sicherheitsabstand Sie gerade auf weniger als die Hälfte des Notwendigen reduziert haben? Ihnen auf den Kofferraum fahren? Oder soll er bremsen, um den von Ihnen mutwillige geraubten Sicherheitsabstand wieder zu gewinnen? Damit sofort der nächste Pkw-Fahrer sich in den soeben wiedergewonnenen Sicherheitsabstand reinquetscht?

Sie meinen zuletzt, "bei der üblichen Verkehrsdichte und den auf der linken Spur gefahrenen Geschwindigkeit" sei es gar nicht möglich, gefahrlos zum Überholen auszuscheren. Ich weiß ja nicht so genau, was Sie mit der üblichen Verkehrsdichte meinen. Ich vermute, dass Sie eine Dichte meinen, wie sie sich auf manchen Ballungsraumnahen BAB morgens und abends einstellt. Die gibt es zwar nicht auf den hunderten Kilometern mit Lkw-Überholverbot, die in den letzten Jahren aus dem Boden sprossen. Aber durchdenken wir mal, was da passiert: Die BAB nähert sich ihrer Kapazitätsgrenze, links und rechts wird mit 80 bis 110 gefahren. Sie überholen wie alle übrigen Pkw-Fahrer mit kaum Differenzgeschwindigkeit, was rechts fährt. Gelegentlich schiebt sich sogar die rechts Schlange nach vorne. Sie verstoßen wie alle anderen Pkw-Fahrer links gegen jene fälschlich "Elefantenrennen"-Regel genannte Norm. Nach diesem alltäglich millionenfach begangenen Verstoß gegen Paragraf 5 StVO kräht kein Hahn; nur wenn ein Lkw-Fahrer sowas ähnliches macht, ist der Aufschrei groß. Warum kann ein Lkw-Fahrer hier nicht gefahrlos ausscheren? Kann der schlechter in die Spiegel gucken, als ein Smart- oder Ente- oder PriusFahrer? Natürlich ist da ein gerfahrloses Ausscheren möglich. Der Eine setzt den Blinker, der andere lässt den rein (statt krampfhaftes Lückezuziehen!), der eine überholt den Langsamfahrer, und nach dem Überholmanöver ist alles wieder wie zuvor: 80-Fahrer rechts, 90- bis 110-Fahrer rechts und links. Oder meinten Sie viel niedrigere Verkehrsdichten? Da sind die Abstände auf der linken Spur erst recht so groß, dass nach einer Spiegelschau ein gefahrloses Ausscheren möglich ist.

Ich rege an, mal in die StVO zu gucken. Und ich rege an, etwas mehr Gelassenheit an den Tag zu legen.

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Lieber Herr Kollege Kettler,

Mich würde dann doch einmal interessieren, was sie dazu sagen, dass auf der dreispurigen A 2 zwei Laster nebeneinander und dann noch auf der dritten Spur ein Bus, diese wiederum überholend, fahren. Da kam bei mir heute richtig Freude auf!

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@ Dietmar Kettler

Ich hatte nicht geschrieben, dass die Überholverbote nicht der Verkehrssicherheit dienen, sondern nur die Frage gestellt, weshalb Sie Unfallzahlen fordern, wenn die Überholverbotsanordnungen schon das Argument der Verkehrssicherheit nicht enthalten (das hatten Sie doch reklamiert, oder hab ich das missverstanden?).

Aber vielleicht sehen die Behörden das ähnlich wie ich. I. d. R. bestehen die Lkw-Überholverbote auf nicht geschwindigkeitsbegrenzten Strecken. Folglich treten zwischen dem Schwerverkehr und dem Pkw-Verkehr hohe Geschwindigkeitsdifferenzen auf. Gerade das bedeutet eben ein hohes Gefahrenpotenzial bei Spurwechseln und daher ist es auch ohne explizite Erwähnung der Verkehrssicherheit dienend, das (durch Überholverbote) zu verhindern. Eine Diskussion, ob Gefahren zu verhindern sind, wenn sich jeder 100% korrekt verhalten würde, sind sicher sinnlos, da illusorisch.

Den Begriff "Elefantenrennen" habe ich bewusst in Anführungszeichen gesetzt (entgegen anderer Beiträge), da mir sehr wohl bekannt ist, dass es sich um das Überholen ohne ausreichende Differenzgeschwindigkeit handelt. Entgegen Ihrer Aussage ist das aber nur vage in der StVO geregelt, denn dort steht nur, dass man nur mit wesentlich höherer Geschwindigkeit überholen darf, ohne diese zu benennen. Dies hat lediglich die Rechtsprechung präzisiert.

Ich möchte auch gar nicht bestreiten, dass korrektes Ausscheren und Überholen möglich ist. Nur meine berufliche tägliche Anwesenheit auf der Autobahn zeigt, dass es gerade beim Ausscheren langsamer Fahrzeuge (natürlich nicht nur Lkw) ständig zu Gefahrensituartionen kommt.

Ansonsten stimme ich Ihrem letzten Satz gerne zu und plädiere persönlich sogar für eine generelles Tempolimit.

 

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@#7:

Ja, Sie haben etwas missverstanden. Ich fordere nicht abstrakt-generell, dass Unfallzahlen vorgelegt werden. Die Behörden können auch bei der Wahrheit bleiben und die wahren Gründe in die Anordnung reinschreiben. Oder sie können es lassen, diese Verbote aufzustellen. Aber wenn sie sie aufstellen und sich dabei (spätestens im Streitfall) auf Verkehrssicherheitsgründe berufen, fordere ich, dass sie etwas vortragen, was den Tatbestand von Paragraf 45 IX StVO ausfüllen könnte. Und dazu kommen (jedenfalls bei so speziellen Verboten wie dem hier streitgegenständlichen) zuallererst Unfallzahlen und Unfalltypensteckkarten in Betracht.

Ich finde es auffällig und bezeichnend, dass man diese Zahlen in solchen Verfahren nicht in der Akte findet und zumeist auch nicht nachträglich vorgelegt bekommt. Ich gehe davon aus, dass man in nahezu jedem dieser Anordnungsfälle mithilfe der Zahlen, wenn sie denn vorgelegt würden, nachweisen könnte, dass es vorher keine konkrete, örtliche, weit überdurchschnittliche Gefahrenlage gab (in dem hessischen Verfahren gab die Bekl. zu, dass auf einigen der Abschnitte die Gefahr vor der Verbotsanordnung weit unterdurchschnittlich war) und/oder jedenfalls dieses Mittel ungeeignet zur Gefahrenabwehr ist (Denn es ist einfach unwahrscheinlich, dass man ausgerechnet in diesem jeweiligen Verfahren etwas findet, was man noch nirgends in der außerordentlich umfangreichen wissenschaftlichen Forschung zum Thema hat finden können). Nun muss der jeweiligen Kläger ja gar nicht nachweisen, dass es die Gefahrenlage nicht gegeben hat und/oder dass das Mittel ungeeignet ist, sondern umgekehrt die Behörde, dass es für den belastenden VA eine Ermächtigungsgrundlage gibt und dessen Tatbestandlichkeit vorliegt und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde (also Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i.e.S.). Umso erstaunlicher ist es, wenn die Behörde die ihr vorliegenden Daten nicht vorlegt und sich auch in jahrelangen Prozessen auf das gebetsmühlenartige Wiederholen von allenfalls abstrakten Gefahren beschränkt.

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Ich bin nun Ihrem Rat gefolgt und habe mal einen Blick in den Wortlaut des Gesetzes (StVO §45 sowie die VWV zu Zeichen 276 StVO) geworfen. In der StVO steht neben der Sicherheit auch die Ordnung (des Verkehrs) als Grund für Einschränkungen, bzw. Regelungen. Dies ist präzisiert in der VWV zu Zeichen 276:

VwV-StVO zu Zeichen 276 Überholverbot

1

I.

Das Zeichen sollte nur dort aufgestellt werden, wo die Gefährlichkeit des Überholens dem Fahrzeugführer nicht so erkennbar ist, dass er von sich aus nicht überholt, oder wo der störungsfreie Ablauf des Verkehrs es erfordert.

 

 

Den letzten Halbsatz sehe ich genau als den Aspekt, den ich Ihrer Meinung gegenüber gestellt habe.

Jetzt könnte ich an Ihrer Argumentation nur noch gelten lassen, dass keine präzisen Begründungen für die jeweiligen Anordnungen geliefert werden. Aber wir müssen uns ja nicht einig werden.

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@ra.stroecker

Lag auf der A2 ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO vor oder nicht?

Wenn ja (was wahrscheinlich ist, wenn der äußerst rechts fahrende Lkw wenigstens 50 km/h erreichte): wie soll denn da ein durch Schilder angezeigtes Überholverbot wirken, wenn die Überholer die StVO sowieso ignorieren?

Wenn nein: wo liegt das Problem? Ist das nicht das ganz normale "Risiko"?

Ferner: wie kann man solche Manöver auf dreispurigen Autobahnabschnitten verbieten, ohne Lkw und Busse ganz auf den rechten Fahrstreifen zu verbannen? Mindesttempo 120 für die linke Fahrspur anzuordnen fiele mir da noch ein. Aber wäre ja wohl doch ein wenig zuviel des Guten, oder (bei der Richtgeschwindigkeit 130)?

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@h.w.

Tatsächlich könnten sich die Überholverbote auf Autobahnen eigentlich nur auf den "störungsfreien Ablauf des Verkehrs" stützen, da mit Gegenverkehr eher nicht zu rechnen ist. Aber warum muß dann von Behörden - offenbar ohne jeden Beleg - das Tatschlagargument "Sicherheit des Verkehrs" gebracht werden? Und warum fressen die Verwaltungsgerichte in allen Instanzen den Unsinn auch noch? Ferner müssen die Gerichte die VwV-StVO nicht anwenden, soweit sie von der StVO nicht hinreichend gedeckt ist. Oder sie müßten begründen, warum die VwV-StVO insoweit von der StVO gedeckt hinreichend ist. Den Mut hatten die Verwaltungsgerichte mit wenigen rühmlichen AUsnahmen bisher offenbar nicht.

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@DrFB

Einen Punkt sehe ich auch so. Schleicht jemand mit 70, 60 oder gar 50 über die Autobahn, sollte sich ein Kontrollbeamter mal um das Hindernis kümmern und nicht unbedingt um einen Formalverstoß.

Für alle anderen Fälle gilt aber, dass ein (Überholverbotszeichen-)Zeichen eindeutiger signalisiert, was Sache ist. Das mit der Differenzgeschwindigkeit ist im Einzelfall gut machbar, aber im Ergebnis genau so schwammig (?) wie die nicht angepasste Geschwindigkeit. Das legt jeder so aus, wie es ihm gefällt.

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@#9: Da scheint mir doch einiges durcheinander geraten zu sein. Wenn es tatsächlich um das Zeichen 276 ginge, zu dem Sie nachgelesen haben, dann wäre das Urteil wohl anders ausgefallen. Wenn DAS Zeichen an den BAB aufgestellt worden wäre, wäre den Richtern wohl auch das Widmungswidrige mehr aufgefallen. Allerdings wäre DAS wirklich Gefahrenabwehr gewesen...

Dann erlaube ich mir noch den Hinweis auf eine kleine Veränderung der VwV zu Zeichen 277 zum Herbst 2009: Obwohl die VwV drastisch entschlackt werden sollte (so die amtliche Begründung) und an verschiedenenn Stellen tatsächlich entschlackt worden ist, ist gerade diese VwV deutlich aufgeblasen worden. Augenscheinlich eine "Lex O", da hatte ein Kläger zu oft gewonnen.

Aber selbst diese Änderung kann nicht über zwei andere VwV hinweghelfen: VwV I. Rz. 2 zu den Paragrafen 39 bis 43 StVO bewirkt, dass die von den Behörden und hier im Blog immer wieder gewünschten Lkw-Überholverbote gegen "Elefantenrennen" verboten sind, weil und solange es Paragraf 5 II 2 StVO gibt. Und die VwV I.2. Rz. 5 Satz 2 zu den Paragrafen 39 bis 43 StVO verbietet die gewünschten Lkw-Überholverbote gleich aus zwei Gründen: Die unendlich langen Lkw-Schlangen auf der rechten Spur, die die Verbote bei gleichzeitig freier 2./3. Spur erzeugen, widersprechen dieser Norm (Dass die Lkw-Schlangen und -Staus nur von den Verboten erzeugt werden, zeigt sich regelmäßig, wenn mal eins aufgehoben wird.). Und zudem zeigt die umfangreiche Unfallforschung gar, dass das Nichtanordnen dieser Verbote die Unfallraten tendenziell stärker sinken lässt als das Anordnen. Mit anderen Worten: Die Anordnungen sind gefährlich. Und das geht/ginge selbst dann nicht, wenn der Verkehrsfluss für schnellfahrwillige Pkw-Fahrer auf der linken Spur / den linken Spuren tatsächlich durch die Lkw-Überholverbote nennenswert verbessert würde.

@#10: Dass bei Ihnen "Freude" aufkam ist rechtlich irrelevant.

Im Übrigen würde ich in Paragraf 42 VI Nr. 1d StVO a.E. der nach BMV geltenden Fassung gucken (also die bis 2009) bzw. in Paragraf 7 IIIc StVO a.E. der nach BMJ geltenden Fassung (also der ab September 2009) und mich fragen, ob der Bus wohl unter die dortige Regelung fiel. Wenn ja, durfte er dort nicht fahren, wenn nein, durfte er (vorbehaltlich anderer Verbote) da fahren. Wenn der da fahren durfte, können Sie sich da über den Bus freuen, wie über eine Ente oder einen Smart oder einen Prius oder es gelassen sehen. Wie sagte der BayVGH jüngst so hübsch: Das Vorhandensein langsamerer Fahrzeuge auf der Straße spiegelt nur die Gegebenheiten des heutigen Straßenverkehrs wider und ist daher kein Anlass für Verkehrsbeschränkungen an diese Langsameren.

Im Übrigen werden Lkw-Überholverbote in letzter Zeit zunehmend (auch) auf dreispurigen BAB angeordnet; die Begründung lesen sich mit Ausnahme zweier Buchstaben so wie die Begründungen auf zweispurigen an: Weil sie dreispurig ist, muss...

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Achja, schreiben Sie noch etwas zum Radwegbenutzungspflicht-Urteil von gestern?

Der Volltext hier ist vermutlich auch kommentierungswürdig - die Ausführungen zur Frist finde ich ehrlich gesagt ein bisschen dünn ...

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Ich kann Dir nicht ganz folgen: Welche "Ausführungen zur Frist" findest Du etwas "dünn"?

 

Und mit dem "Radwegbenutzungspflicht-Urteil von gestern" meinst Du BVerwG 3 C 42.09?

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Die entsprechenden Absätze in 3 C 32.09 und 3 C 37.09 (müssten gleichlautend sein).

 

Ja, mit dem "Radwegbenutzungspflicht-Urteil von gestern" meine ich BVerwG 3 C 42.09?

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