EGMR korrigiert deutsche Rechtsprechung zur Kündigung von Kirchenmitarbeitern

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 23.09.2010

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Urteil vom 23.9.2010, Beschwerde-Nr. 1620/03) hat die Kündigung eines Angestellten der katholischen Kirche für unrechtmäßig erklärt. Der Beschwerdeführer. war seit 19 Jahren im kirchlichen Dienst, zuletzt als Organist und Chorleiter. Mitte der ´90er Jahre hatte er sich von seiner Frau getrennt und war eine außereheliche Beziehung eingegangen. Nachdem die Kirchenleitung hiervon Kenntnis erlangte hatte, sprach sie dem Beschwerdeführer ohne vorherige Abmahnung die Kündigung aus. Die Kirche wertete das Verhalten als Ehebruch und Bigamie und damit als Verstoß gegen die Grundordnung der katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst. Vor den Arbeitsgerichten bis hin zum Bundesarbeitsgericht war der Beschwerdeführer mit seiner Kündigungsschutzklage erfolglos geblieben und auch das Bundesverfassungsgericht entschied im Juli 2002 unter Berufung auf sein Grundsatzurteil vom 4. Juni 1985, die vom Beschwerdeführer eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der EGMR gab nun dem Beschwerdeführer recht und konstatierte eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK). Die Arbeitsgerichte hätten, so die Straßburger Richter, nicht sorgfältig genug zwischen den Rechten des Beschwerdeführers und des kirchlichen Arbeitgebers abgewogen. Zwar habe der Beschwerdeführer vertraglich zugesagt, die Grundsätze der katholischen Kirche zu beachten, was sein Recht auf Achtung des Privatlebens "in gewissem Maße" einschränke". Diese Zusage könne aber nicht als "eindeutiges Versprechen" verstanden werden, im Fall einer Trennung oder Scheidung ein enthaltsames Leben zu führen. Auch hätten die deutschen Arbeitsgerichte nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Organist aufgrund seiner Qualifikation nur sehr schwer eine andere Arbeit haben finden können. Die Position des EGMR steht in erkennbaren Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte in solchen Konstellation bislang stets dem  kirchlichen Selbstbestimmungsrecht den Vorrang eingeräumt. Da das Urteil von einer Kleinen Kammer gefällt wurde, ist der Rechtsstreit noch nicht endgültig entschieden. Die Bundesregierung kann innerhalb von drei Monaten Rechtsmittel einlegen, indem sie eine Überprüfung durch die Große Kammer des Straßburger Gerichts beantragt. In einem weiteren Verfahren, bei dem es um die Entlassung eines Mormonen ging, billigten die Straßburger Richter übrigens die Entlassung wegen außerehelicher Beziehungen wegen der herausragenden Stellung des Gekündigten.

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3 Kommentare

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Das Ende der konservativen BVerfG/BAG/B$BeliebigesGericht-Rechtsprechung? Herrlich, dass diesem Anachronismus, abgeleitet aus (lediglich) inkorporiertem Verfassungsrecht mal langsam ein Riegel vorgeschoben wird.

 

Wie genau wirkt nun das Urteil des EGMR innerstaatlich? Aufhebung des Urteils (Also "Rechtskraft") der Vorinstanz? Ist es sogar vollstreckbar? Muss neu verhandelt werden?

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Grundsätzlich gilt: Normalerweise - so auch hier - sind Urteile des EGMR Feststellungsurteile, d.h. sie beschränken sich auf die Feststellung, ob die vom Beschwerdeführer angegriffene Maßnahme eines Vertragsstaats die Konvention verletzt oder nicht. Sie haben keine kassatorische Wirkung. Im Falle eines innerstaatlich rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreits wird man allerdings eine Wiederaufnahme des Verfahren in Betracht ziehen müssen. 

Ich finde das Urteil des EGMR grundsätzlich nachvollziehbar, aber aufgrund der besonderen Stellung und des hiesigen Strukturmodells Staat - Kirche in Deutschland nicht ganz unproblematisch.

 

In der Tat hat das BVerfG in seiner st. Rspr. seit Mitte der 80-ziger Jahre eine Linie verfolgt, die dem verfassungsrechtlichen Verständnis zwischen Staat und Kirche am ehesten gerecht wird. Allerdings bedeutet diese Rspr. zugleich auch, dass das BVerfG und die unterinstanzlichen ordentlichen Gerichte durch ihre Rspr. den Problemen einfach nur aus dem Weg gegangen sind.

Stichwort sind hier die sog. "Loyalitätsobliegenheiten", die gleichsam in der EKD wie insbesondere auch in der Katholischen Kirche in Deutschland kirchenautonom gesetztes Recht sind. Dabei liegt den "Loyalitätsobliegenheiten" ein sog. konfessionsbezogenes Abstufungsmodell zugrunde, wonach die Anforderung an die kirchlichen Mitarbeiter in Abhängigkeit ihrer Konfession unterschiedlich hoch sind. In den meisten Fällen dürfte dieses Abstufungsmodell wohl aber nur in der Theorie existieren, in der Praxis wird aufgrund der gängigen Einstellungspraxis des kirchlichen Arbeitgebers die Abstufung nach der Konfession nur in den wenigsten Fällen relevant.

Soweit die Gerichte bisher dem kirchlichen Sebstbestimmungsrecht grundsätzlich den Vorzug gelassen haben, resultiert diese Rspr. doch wohl maßgeblich daraus, dass es "Sache der Kirche sein muss", eine Feststellung darüber zu treffen, wann eine Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit kündigungsrelevant erscheint und wann nicht! Das ändert indes aber nichts daran, dass die Arbeitsgerichte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gleichwohl auch die Belange und Interessen des kirchlichen Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen müsen.

Bisher erteilte die Rspr. den Kirchen mehr oder weniger ein uneingeschränktes Kündigungsrecht, dass dem deutschen Recht allerdings gänzlich unbekannt ist.

Insoweit bedarf es doch in Anbetracht des Feststellungsurteils des EGMR einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung darüber, ob dieses Strukturverständis Staat - Kirche so noch haltbar und im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Regelungen ist; dies insbes. in Anbetracht der Tatsache, dass der kirchliche Arbeitgeber neben dem Staat der größte nationale Arbeit ist.

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