Bewährung: Ja oder nein? - Dürfen dabei die Kosten der Allgemeinheit eine Rolle spielen?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 27.09.2010

Ein Computerprogramm errechnet für die Gerichte im US-Bundesstaat Missouri die Kosten der Haftstrafen und vergleicht sie mit dem Aufwand für die Bewährung. Danach kommen auf drei Jahre Haft 37.000 $, die Bewährung dagegen lediglich auf 6770 $.

Unter US-Juristen ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob die Kosten der Allgemeinheit bei der Urteilsfindung eine Rolle spielen dürfen. Aber auch bei uns in Deutschland machen die Kosten für den Strafvollzug einen wesentlichen Posten im Justizhaushalt aus (ohne dass ich im Moment konkrete Zahlen nennen könnte) –  und auch bei uns gilt es mit Blick auf die hohe Staatsverschuldung zu sparen.

Was meinen Sie?

Bester Dank an Uwe Schmitt, der mir die Infos zu dem Thema bei Welt online am 22.9.2010 sowie auf der Titelseite „Die Welt“ vom 22. September 2010 gegeben hat.

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3 Kommentare

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Sie haben einen wesentlichen Halbsatz weggelassen:

Ein Computerprogramm errechnet die Kosten der Haftstrafen, vergleicht sie mit dem Aufwand für Bewährung und gibt eine Prognose, wie hoch die Rückfallwahrscheinlichkeit ist. Drei Jahre Gefängnis kommen danach auf 37 000 Dollar, eine Bewährungsstrafe ist schon für 6770 Dollar zu haben.

Insofern bildet das Programm nur den Sachverhalt monetär ab, der später im Artikel so beschrieben wird:

Im Übrigen landeten in Amerika ohnehin zu viele Bagatelltäter im Gefängnis, wo viele erst zu Kriminellen geformt würden.

Dass eine Etablierung im kriminellen Milieu -- mit den damit verbundenen immensen Kosten für die Allgemeinheit -- durch einen Gefängnisaufenthalt gefördert wird, ist sicher nicht auf die USA beschränkt. Doch für die USA hat der Gedanke einen gewissen Charme, gerade den Verfechtern der harten Linie, die sonst gerne ökonomisch argumentieren (z.B. dass eine Hinrichtung billiger sei als lebenslange Haft), die Rechnung für eine unter dem Vorwand der "Gerechtigkeit" propagierte, jedoch am Gedanken der Rache orientierte Haltung zu präsentieren.

Dadurch, dass der Gedanke der Resozialisierung in Deutschland einen höheren Stellenwert hat als in den USA, werden bereits die unterschiedlichen Kosten für die Allgemeinheit besser berücksichtigt, ohne dass dies explizit ökonomisch begründet wird. Ob sie so genau bestimmbar sind wie es durch das Programm suggeriert wird, ist allerdings zweifelhaft -- schließlich gilt auch hier das GIGO-Prinzip...

Auch wenn der der Gedanke vielen Juristen abwegig erscheinen mag: gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass soziale Normen und ihre juristische Ausprägung von Gesellschaften grundsätzlich nach ökonomischen Gesichtspunkten (z.B. Erhalt des Systems, Verhältnis von Aufwand und Ertrag, Umgang mit nicht endlos verfügbaren Ressourcen) entstanden sind, ohne dass dieser Prozess bewusst stattgefunden hat. 

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@ Haarspalter

Den von Ihnen hervorgehobenen Halbsatz habe ich weggelassen - völlig richtig und ich bin angenehm überrascht, wie genau Sie den Beitrag gelesen haben. Nicht um einen wesentlichen Aspekt wegzulassen, bin ich darauf nicht eingegangen, sondern weil ich der Meinung bin, dass es für den Kern der Diskussion nicht weiterhilft, sondern eine ganz andere Problematik betrifft.

Dass ein Computerprogramm die Kosten der Haftstrafe errechnet und sie mit dem Aufwand vergleicht, der durch eine Strafaussetzung zur Bewährung entsteht, kann ich mir gut vorstellen. Nicht vorstellen kann ich mir aber, wie ein Computerprogramm die Höhe der Rückfallwahrscheinlichkeit bestimmt. Bei dieser Entscheidung spielen doch sehr viele Aspekte eine Rolle und nicht zuletzt auch der persönliche Eindruck, den der Richter im Zuge der Hauptverhandlung von dem Angeklagten bekommt. Ein seriöses Computerprogramm, das die Höhe der Rückfallwahrscheinlichkeit besser als der Richter beantwortet, kann ich mir nicht vorstellen. Da würde mich zunächst einmal schon interessieren, wer welche Daten in ein solches Programm eingibt. Was gilt denn, wenn das Ergebnis des Computerprogramms sich nicht mit dem Eindruck des Richters deckt - hat der Computer recht und soll der Richter deshalb seine Entscheidung revidieren? Da würde mir irgendwie Angst und Bange. Was ist dann der nächste Schritt? Wenn es solche Computerprogramme gibt, die einer seriösen Beurteilung standhalten, kann dann nicht der Computer gleich auch die Strafe auswerfen?

Das sind in meine Augen spannende Fragen, die wir gerne hier diskutieren können.

Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass es die wichtigste Aufgabe einer Strafverhandlung sein muss, den konkreten Fall und seine Umstände, insbesondere auch die Persönlichkeit und Prognose des Täters, zu würdigen und bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dieser "Algorithmus" wird auf absehbare Zeit auch nicht durch ein Computerprogramm ersetzt werden -- hoffe ich mal, gerade weil ein solches Programm auch nur die Informationen hätte, die den menschlichen Richtern zur Verfügung stehen (s.o. "GIGO"). So weit die Situation auf dem Kontinent.

Ich denke aber, dass ein solches Programm im angelsächsischen Raum wichtige Denkanstöße geben kann: schließlich ist dort der Strafprozess nicht ein Amtsermittlungsverfahren, sondern ein Parteienprozess, der zu unfassbaren Unrechtsurteilen führt -- weil die Kombination aus populistischer Ansprache an reine Laienrichter (Jury), populistischen, weil politischen Wahlämtern (Richter und Staatsanwalt in den USA) und (kostenlosem schlechten) Pflicht- oder (teurem guten) Wahlverteidiger die Schuldfrage und Strafzumessung letzendlich auf eine Frage der Zahlungskraft des Angeklagten reduziert.

Man muss also um jeden Impuls froh sein, der dieses Trio Infernale in Frage stellt oder gar aufbrechen kann und könnte tatsächlich die Frage stellen, ob ein entsprechendes Programm in den USA tatsächlich nicht zu "gerechteren", also einheitlicheren Strafurteilen führen würde.

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